Ausbeutung ist gross in Mode

David Hachfeld. Fünf Jahre nach dem letzten Firmencheck haben Public Eye und die Clean Clothes Campaign 45 Modefirmen, darunter 19 aus der Schweiz, erneut befragt. Das Resultat: Kaum einer der Menschen, die unsere Kleider herstellen, verdient einen Lohn, der zum Leben reicht.

Die Absichtserklärungen der allermeisten Textilkonzerne sind reine Papiertiger: Zu diesem Schluss kommen Public Eye und die Clean Clothes Campaign (CCC) in ihrem «Firmencheck 2019», für den sie 45 Modeunternehmen, darunter 19 aus der Schweiz, unter die Lupe genommen haben. Denn trotz gegenteiliger Versprechungen stellt immer noch keine einzige der analysierten Firmen sicher, dass alle ihre Näherinnen* einen existenzsichernden Lohn erhalten, also ein Lohn, von dem sie und ihre Familien in Würde leben können. Nur bei zwei Firmen (Gucci, Nile) konnte die Studie Anhaltspunkte dafür finden, dass zumindest einem Teil der Beschäftigten in der Produktion ein existenzsichernder Lohn gezahlt wird. Und nur bei Nile profitieren auch Arbeiterinnen* ausserhalb des eigenen Hauptsitzlandes. Der Firmenvergleich zeigt aber durchaus Unterschiede bei den Zwischenschritten auf: Einige Marken sind weiter, einige Ansätze erfolgsversprechender als andere.

Freiwillige Massnahmen reichen nicht aus
Trotz vieler freiwilliger Einzel- und Brancheninitiativen hat sich in den letzten Jahren die Lohnsituation in den Kleiderfabriken der Billigproduktionsländer kaum verbessert. Die Modekonzerne müssen endlich verbindliche Massnahmen ergreifen. Ein Aktionsplan mit konkreten Zielsetzungen und einem ambitionierten Zeitplan ist absolut überfällig. Leichte Fortschritte lassen sich derweil in der Lieferketten-Transparenz verzeichnen, besonders bei den globalen Branchenführern. Immerhin die Hälfte aller befragten Firmen veröffentlicht inzwischen Informationen über ihre Zuliefer*innen, wobei die Datenqualität stark variiert. Hinterherhinken tun hier nicht nur die meisten Schweizer Akteur*innen, sondern auch der Online-Gigant Zalando. Ungeachtet diverser Nachhaltigkeits- und Transparenzversprechen macht der «Netflix der Mode» für seine Eigenmarken zum Beispiel keinerlei Angaben zu Zulieferern.
Die Gewährleistung existenzsichernder Löhne muss von den Markenfirmen als Priorität und unmittelbare Verpflichtung verstanden werden, nicht als wünschenswertes oder gar optionales Fernziel. Die Bekleidungsfirmen stehen in der Pflicht, ihre Verantwortung endlich wahrzunehmen: mit mehr Transparenz, Richtwerten für Existenzlöhne, konkreten Zeit- und Massnahmenplänen, rechtsverbindlichen Vereinbarungen und entsprechend angepassten Einkaufsstrategien.

Richtwerte und Transparenz sind ein Muss
Es gibt einen klaren Trend bei den grossen internationalen Markenfirmen, den Erfolg ihrer Massnahmen nicht an konkreten Existenzlohnrichtwerten zu messen, sondern einfach kollektiv ausgehandelte Löhne als existenzsichernde Löhne zu definieren. Die globalisierte Textilindustrie ist jedoch vom Ungleichgewicht der Macht sowie der Standortkonkurrenz geprägt, und Tarifverhandlungen allein dürften nur schwerlich zu existenzsichernden Löhnen führen. Diese Taktik ermöglicht es den Bekleidungsfirmen, scheinbare Erfolge bei der Umsetzung von Existenzlöhne zu verkünden, bevor ein Lohnniveau erreicht ist, von dem Arbeiter*innen mit ihren Familien leben können.
Ein Existenzlohn ist klar quantifizierbar, aber ständigem Wandel unterworfen, zum Beispiel durch steigende Lebenshaltungskosten. Es braucht Richtwerte als klare Zielgrössen, an denen die tatsächlich gezahlten Löhne gemessen werden können und mit denen regelmässig überprüft werden kann, ob die Strategien und Massnahmen auch tatsächlich wirken oder angepasst werden müssen. Tarifverhandlungen können ein Weg zu diesem Ziel sein, sie dürfen aber nicht damit verwechselt werden.
Es braucht dringend mehr Transparenz, damit die Aussagen der Unternehmen zu existenzsichernden Löhnen mit den Fakten abgeglichen werden können. Nur messbare Ziele und konkrete Daten ermöglichen eine unabhängige Überprüfung und erlauben es den Arbeiter*innen und Verbraucher*innen, von den Markenfirmen Rechenschaft einzufordern. Unternehmen müssen nicht nur ihre Lieferantenlisten, sondern auch schlüssige Daten veröffentlichen, welche einen Vergleich der niedrigsten und durchschnittlich gezahlten Löhne mit den Mindestlöhnen und Existenzlohn-Richtwerten ermöglichen. Nur so wird deutlich, wie die Branche und die einzelnen Unternehmen bei diesem wichtigen Thema tatsächlich dastehen.

Jetzt aktiv werden
Fast alle Firmen verweigerten auch Informationen zu den konkreten Löhnen bei ihren Lieferant*innen. Um diese Mauer des Schweigens zu durchlöchern und den Druck zu erhöhen, lädt Public Eye die Kleiderkonsument*innen dazu ein, unter dem Betreff «Ausbeutung passt mir nicht!» via Online-Kundendienst aktiv ans Gewissen von acht in der Schweiz ansässigen oder stark präsenten Modemarken zu appellieren (Calida Group, C&A, H&M, Strellson, Tally Weijl, Triumph, Zalando und Zara rsp. Inditex). Ein kurzes Mail mit dem Betreff und folgender Text reicht bereits:
Zudem können Web-User*innen an einer «Crowd Research» teilnehmen und selbst Informationen über all jene Textilunternehmen sammeln, die keine Fragebogen erhalten haben. Werde auch Du aktiv!

David Hachfeld ist Fachverantwortlicher Clean Clothes Campaign (CCC) bei Public Eye. Weiterführende Infos sowie das Versenden der Anfrage an die Modemarken unter: www.publiceye.ch

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