Arbeitskampf in Genf

flo. Die Regierungen der Kantone Genf und Fribourg wollen die Löhne trotz Teuerung nur in völlig ungenügendem Ausmass erhöhen. Die Arbeiter:innen und die Gewerkschaften antworten mit einem harten, solidarischen Widerstand.

Die Westschweizer:innen sind ja allgemein streikfreudiger als ihre deutschschweizer Kolleg:innen. Und das zeigten sie in diesem Monat in aller Deutlichkeit. Am Dienstag, 14.November, gingen die Angestellten des öffentlichen Diensts in Genf auf die Strasse. Bei den Mobilisierungen beteiligten sich laut Frédéric Nouchi, Präsident der Partei der Arbeit im Wallis, insgesamt 3000 Personen. In Fribourg gingen 200 auf die Strasse. Nouchi arbeitet als Tramchauffeur in Genf. «Der Grund für die Mobilisierungen sind die unzureichenden Lohnerhöhungen, die von der Genfer Regierung beschlossen wurden», erklärt er gegenüber dem vorwärts.

Absolute Notwendigkeit
Die Forderungen sind klar: Die Kolleg:innen verlangen eine Lohnerhöhung von zumindest fünf Prozent, um die Teuerung der letzten Jahre auszugleichen. Derweil sollen die Löhne des Personals des Öffentlichen Diensts in Genf aber gerade mal um ein Prozent steigen, in Fribourg um 1,4 Prozent. In einer Medienmitteilung haben die Gewerkschaften die vorgeschlagene Lohnerhöhung als «völlig ungenügend» bezeichnet.
Und die Lohnerhöhungen in angemessener Höhe sind absolut notwendig! Die letzten Jahre brachten für die Werktätigen in der Schweiz und international vor allem höhere Preise. Wenig verwunderlich ist auch das Ergebnis der soeben veröffentlichten Oxfam-Studie: Das Einkommen von 99 Prozent der Weltbevölkerung sei in den letzten Jahren zurückgegangen. Die zehn reichsten Menschen der Welt konnten in dieser Zeit ihre Vermögen von insgesamt 700 Milliarden auf 1,3 Billionen erhöhen. Für die Superreichen bedeutete dies in der Zeit von Februar 2019 bis Januar 2022 eine Erhöhung ihrer Vermögen um 15000 Dollar pro Sekunde.

Lebenskosten steigen weiter an
Die Demonstrierenden in Genf gingen mit Käppchen mit der Aufschrift «Greve» (Streik), sowie Bannern und Schildern mit Slogans wie «touche pas a mon index» (Finger weg von meinem Index) auf die Strassen. Dass die Angestellten der öffentlichen Dienste einen Reallohnverlust hinnehmen sollen, kam bei den Demonstrationsteilnehmenden alles andere als gut an. In ihren Schriften beziehen sich die Genfer Gewerkschaften auf die tatsächlichen Lebenshaltungskosten, wobei Preissteigerungen bei Mieten und Stromkosten auch einberechnet werden. Und mit der vorgeschlagenen Lohnerhöhung von gerade mal einem Prozent ist der Kanton Genf laut den Gewerkschaften der geizigste im Land. So können die Angestellten im öffentlichen Bereich in Fribourg wie im Waadtland zumindest mit einer Lohnerhöhung von 1,4 Prozent rechnen. Besonders pikant dabei ist, dass ein erwartetes Defizit in Höhe von 256 Millionen in Genf nun doch nur noch 99 Millionen betragen wird.
Hingegen ist bei den Arbeiter:innen mit weiteren Einbrüchen bei der Kaufkraft zu rechnen. Die steigenden Kosten durch gierige Profiteure im Segment der Krankenkassen sind bei den Berechnungen der Gewerkschaften in der Romandie nämlich noch gar nicht berücksichtigt. Im kommenden Jahr werden beispielsweise im Fall einer durchschnittlichen Familie mit zwei Kindern etwa tausend Franken zusätzlich pro Jahr für Prämien ausgegeben werden müssen (die dazugehörigen Berechnungen stammen von der NZZ). Bereits heute sind Kassenprämien das grösste Verschuldungsrisiko in der Schweiz.

Gegenseitige Unterstützung
Vor allem lobenswert ist die gegenseitige Solidarität, welche die Gewerkschaften aktuell in der Romandie in ihren Arbeitskämpfen an den Tag legen. So sind die Genfer Tramfahrer:innen wie Frédéric Nouchi in der Gewerkschaft des Verkehrspersonal SEV organisiert, die Kolleg:innen des öffentlichen Diensts hingegen beim VPOD. «Wir unterstützen sie, sie unterstützen uns!» erklärt Nouchi dieser Zeitung, als er gefragt wird, weswegen sich Tramfahrer:innen von Genf ihren Kolleg:innen vom VPOD angeschlossen und sich an den Aktionen der Schwestergewerkschaft beteiligt haben. Nouchi: «Es war für uns wichtig, die Kolleg:innen und die Genoss:innen aus dem öffentlichen Dienst an diesem Tag zu unterstützen. Auch bei uns stehen Verhandlungen an.» Die Kolleg:innen in Genf haben nach ihren ersten Mobilisierungen weitere Aktionen geplant.
Und dass die Kolleg:innen und die Genoss:innen in der Westschweiz den Kampf aufnehmen, ist von zentraler Bedeutung. So sollen erneut die Werktätigen die Zeche für bourgeoise Misswirtschaft bezahlen. Und die kommenden Jahre werden weitere Angriffe bringen. Denn klar ist: Die Versuche, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Hunderttausenden in diesem Land zugunsten irgendwelcher Patrons zu verschlechtern, können nur auf den Strassen und in den Betrieben verhindert werden. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass wir die Kämpfe der Kolleg:innen in anderen Landesteilen solidarisch unterstützen.

Schweigen in der Deutschschweiz
Interessanterweise hat es der Arbeitskampf des öffentlichen Personals in Genf und in Fribourg nicht in deutschschweizer Zeitungen geschafft. Anders als im Juni, als das Reinigungspersonal am Flughafen Genf in den Ausstand trat (was damals vom SRF, der NZZ und der 20 Minuten aufgenommen wurde), berichtet die Deutschschweizer Presse über die aktuelle Situation in Genf und Fribourg nicht. Umso wichtiger, dass wir genau hinsehen und aus den Lektionen in der Romandie lernen. Denn die Lebenshaltungskosten steigen auch bei uns, und nur mit einer kämpferischen Arbeiter:innenbewegung können wir zumindest einen Teil der steigenden Kosten über bessere Löhne auffangen.

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