Die wichtige Rolle der Frauen* in Kuba

Natalie Benelli. Wegen der massiven US-Blockade verliert das Gesundheitswesen in Kuba jährlich über 80 Millionen Dollar. Trotz der widrigen Umstände sind Frauen*rechte und die Menschenrechte auf Nahrung, Wohnung, Bildung und Gesundheit in Kuba garantiert – in den USA und in der Schweiz immer weniger.

Am 25. September 2015 verabschiedete die UNO-Generalversammlung in New York einstimmig die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. In der Präambel der Resolution versprechen die 193 Mitgliedsstaaten, darunter auch die Schweiz und die USA, Armut und Hunger in all ihren Formen zu beenden und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potenzial für ein würdiges und gleichberechtigtes Leben in einer gesunden Umgebung verwirklichen können. Auch Geschlechtergleichstellung und die Befähigung aller Frauen* und Mädchen zur Selbstbestimmung gehören zu den nachhaltigen Entwicklungszielen. Kuba ist eines der wenigen Länder weltweit, die aktiv auf die Erfüllung der Agenda 2030 hinarbeiten. Derweil nimmt Armut in der Schweiz und den USA zu, Geschlechtergleichheit bleibt unerreicht.

Prostitution vor Revolution
Vor dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 lebte der Grossteil der Bevölkerung Kubas in Armut. Analphabetismus war weit verbreitet, medizinische Versorgung und Schulen auf dem Land existierten kaum. 85 Prozent der Bevölkerung hatte keinen Zugang zu Trinkwasser. Für Frauen* in den Städten war Prostitution häufig die einzige Möglichkeit, sich und ihre Familien zu ernähren. Mit dem Sieg der Revolution änderte sich diese Situation massiv. Kubas Frauen* spielten eine massgebliche Rolle im Aufbau einer gerechten Gesellschaft. 1960 wurde die Föderation der kubanischen Frauen* (Federación de Mujeres Cubanas, FMC) gegründet. Sie war massgeblich an der Alphabetisierungskampagne von 1961 beteiligt. Als Kuba am 22. Dezember 1961 zum «Gebiet frei von Analphabetismus» erklärt wurde, waren 700000 der Personen, die neu lesen und schreiben gelernt hatten, Frauen*. Heute sind vier Millionen Frauen* (70 Prozent der Frauen* über 14 Jahre) freiwillig in der FMC engagiert. Diese spielt seit jeher eine massgebliche Rolle in der Verwirklichung der Frauen*rechte in Kuba. Seit 1960 gilt gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das Familiengesetz von 1975 legt fest, dass Frauen* und Männer* in gleichem Ausmass für Haus- und Familienarbeit zuständig sind. Frauen* stellen die Mehrheit der Studierenden an Hochschulen, in technischen Berufen, in Anwalts- und Richterberufen sowie beim medizinischen Personal. 53,2 Prozent der Mitglieder der aktuellen Nationalversammlung sind Frauen*.
In Kuba gilt das Recht auf selbstbestimmte, kostenlose Abtreibung. Flächendeckende, kostenlose Kinderbetreuungseinrichtungen ermöglichen es Frauen* und Männern* gleichermassen, einer Lohnarbeit nachzugehen. Es gibt einen bezahlten Mutterschaftsurlaub von 18 Wochen. Danach erhalten die Mutter oder der Vater, die sich für die Kinderbetreuung entscheiden, bis zum ersten Geburtstag des Kinds 60 Prozent ihres Lohnes – eine Leistung, die an die Grosseltern abgetreten werden kann. Danach besteht das Anrecht auf drei Monate unbezahlten Elternurlaub. Auch diese Leistung kann an die Grosseltern abgetreten werden.

Weder Slums noch Strassenkinder
Durch die US-Blockade auferlegte internationale Handlungsbeschränkungen machen es Kuba so gut wie unmöglich, wirtschaftlichen Reichtum aufzubauen. Entsprechend sind die Löhne auf der Insel sehr tief. Trotzdem ist Kuba gemäss verschiedener UNO-Organisationen eines der fortschrittlichsten Länder in Sachen Menschenrechte. Der Zugang zu Bildung ist für alle auf allen Stufen kostenlos, einschliesslich kostenlosem Schulmaterial. Kuba hat die höchste Anzahl Lehrpersonen im Verhältnis zur Bevölkerung. Kubaner*innen geben nur einen Bruchteil ihres Lohnes für Wohnraum, Wasser, Strom und Gas aus. Die grosse Mehrheit, 85 Prozent, besitzt die Wohnung, in der sie lebt. Obdachlosigkeit ist selten, es gibt weder Slums noch Strassenkinder. Kinder bis zum siebten Altersjahr, Schwangere und ältere Menschen erhalten kostenlos Milch. In der Schule erhalten Kinder kostenloses Essen.
Dass trotz der enormen Fortschritte die völlige Gleichberechtigung zwischen Frauen* und Männern* in Kuba noch nicht erreicht ist, dessen sind sich die Kubaner*innen bewusst. Ein Blick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen* (und Männern*) in der sogenannten entwickelten Welt zeigt, wie die Situation in Kuba einzuschätzen ist. Nach wie vor steht die materielle Position von werktätigen Frauen* in Ländern wie der Schweiz und den USA zu wenig im Zentrum der Forderungen nach Emanzipation und sozialer Gerechtigkeit.

(Frauen*)armut im Kapitalismus
Mindestens eine Million Menschen in der Schweiz leben nach offiziellen Angaben in Armut. Frauen*, vor allem alleinerziehende, aber auch Eingewanderte und Frauen* über 65 haben ein grösseres Armutsrisiko als Männer*. Vier von fünf Einelternfamilien in der Schweiz werden von Frauen* angeführt, bei mindestens einem Viertel reicht das Geld nicht bis zum Monatsende. Weil es nicht ausreichend bezahlbare Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt, können alleinerziehende Frauen* nur bedingt einer Erwerbsarbeit nachgehen. Viele Frauen* arbeiten Teilzeit, jede sechste Frau* arbeitet im Niedriglohnsektor (Detailhandel, Reinigung, Hausarbeit, persönliche Dienstleistungen, Gastgewerbe, Krankenpflege, Altenpflege) zu nichtexistenzsichernden Löhnen. Prekäre Arbeit nimmt zu.
Die Kosten für Mietwohnungen nahmen in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent zu und sind für viele unerschwinglich geworden. Sozialhilfebeträge für Mietwohnung liegen weit unter den Marktmietpreisen. Für alleinerziehende Frauen* wird es immer schwieriger, Grundsätzliches wie Essen oder Strom zu bezahlen. Sie verzichten auf Arztbesuche oder überspringen schon Mal eine Mahlzeit, um ihren Kindern einen Besuch im Zoo zu ermöglichen.

Entweder Heizung oder Essen
In den USA sind gemäss Volkszählung 2010 nahezu 50 Prozent der Bevölkerung arm oder mit geringem Einkommen. 14 Millionen Wohnungen (1 von 9) in den USA stehen leer, gleichzeitig gibt es 3,5 Millionen Obdachlose, davon sind mehr als ein Drittel Kinder. Gemäss der National Low Income Housing Coalition gibt in keinem Bundesstaat der USA ein ausreichendes Angebot an zahlbarem Wohnraum. Werktätige, die zum Mindestlohn angestellt sind, müssen im Bundesstaat New York 115 Stunden pro Woche arbeiten – das entspricht drei Vollzeitstellen –, um sich eine Dreizimmerwohnung leisten zu können. Zweidrittel der Werktätigen mit Mindestlohn sind Frauen*. Sie stehen vor der «Wahl», entweder die Heizungsrechnung zu bezahlen oder Essen zu kaufen.
Im Frühjahr 2018 lebte jedes zehnte Kind – über 114000 Kinder – im öffentlichen Schulsystem der Stadt New York in einem Obdachlosenheim, einem Hotel oder an einer Adresse, an der mehrere Familien leben. 21,8 Prozent aller Kinder im Land leben unterhalb der offiziellen Armutsschwelle, die Hälfte aller Kinder sind vor ihrem 20. Geburtstag mindestens einmal auf Essensmarken angewiesen – bei den afroamerikanischen Kindern sind es neun von zehn. Jährlich wird Millionen von Haushalten wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt. 2016 wurden aus demselben Grund 15 Millionen Menschen – 1 von 20 Haushalten – das Wasser abgestellt. Da es nicht erlaubt ist, Kinder in einem Haushalt ohne fliessendes Wasser grosszuziehen, riskieren die Eltern Kindsentzug.

Drei Mal mehr Ärzt*innen als die USA
Auch in der medizinischen Versorgung liegt das «arme» Land Kuba vorne. Kostenlose medizinische Versorgung, einschliesslich zahnärztlicher Behandlung, sind Verfassungsrecht. Obwohl die Insel mit 11 Prozent des BIP weit weniger für das Gesundheitssystem ausgibt als die USA (17 Prozent), steht die Insel in der Bloomberg-Rangliste der gesündesten Nationen fünf Plätze vor dem nördlichen Nachbarn. Dies, obwohl Kuba durch die US-Blockade alleine im Gesundheitswesen jährlich über 80 Millionen Dollar verliert, weil es Medikamente, medizinische Instrumente und Apparaturen nicht direkt aus den USA importieren kann, sondern über Zwischenhändler einkaufen muss. Trotzdem hat Kuba auf 1000 Einwohner*innen drei Mal mehr Ärzt*innen als die USA und fast zweimal so viele wie die Schweiz.
Mit 4,4 toten Kindern auf 1000 Lebendgeburten lag die Kindersterblichkeit 2018 auf der Karibikinsel weit hinter derjenigen der USA (5,7 tote Kinder auf 1000 Lebendgeburten). In den ärmsten Quartieren der Stadt New York, wie zum Beispiel Coney Island, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen unter 10000 Dollar liegt, ist die Kindersterblichkeit massiv höher. Die Müttersterblichkeit stieg zwischen 1999 und 2015 um 50 Prozent und ist aktuell die höchste der industrialisierten Welt.
Trotz Obamas «Affordable Care Act» können viele Menschen in den USA ihre Krankenversicherung nicht benützen, weil die Franchisen und Selbstbehalte zu hoch sind. Dies ist je länger je mehr auch in der Schweiz der Fall, wo sich der Anteil Personen, die aufgrund fehlender Ressourcen keinen Arzt aufsuchen, zwischen 2010 und 2016 mehr als verdoppelte. Verzichtet wird vor allem auf die Visite beim Optiker, zahnärztliche Behandlung und Konsultationen am Anfang von Krankheitsverläufen, mit denen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorgebeugt werden könnten.

Tiefere Kosten dank Prävention
Aufgrund des ökonomischen Drucks vernachlässigen Menschen in der Schweiz also gerade den Bereich, auf den Kuba ein Hauptmerk legt. Mit dem Fokus auf die Prävention gelingt es dem Inselstaat, trotz knapper Geldressourcen ein sehr effizientes Gesundheitswesen zu haben. Zusätzlich gibt Kuba 6,6 Prozent seines BIP für internationale Kooperation aus – die UNO empfiehlt 0,7 Prozent – und deckt damit 32 Prozent der weltweiten Zusammenarbeit im Bereich der Medizin ab.

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