Ungenügende Note

dom. Der vom Zürcher Regierungsrat neu definierte Berufsauftrag für Lehrpersonen verspricht nur auf den ersten Blick Verbesserungen für das Schweizer Bildungswesen. Einmal mehr wird deutlich: An einem umfassenden Wandel des Bildungssystems führt kein Weg vorbei.

Die Sommerferien haben begonnen und somit auch die üblichen Diskussionen um den Lehrkräftemangel und den leidigen Zustand unseres Bildungswesens. Zuletzt hat etwa die FDP mit einem neuen Positionspapier zur Bildung von sich reden gemacht: Mit einer Mischung aus wert-konservativen und wirtschafts-liberalen Vorschlägen soll der Schweizer Nachwuchs auf Vordermann gebracht werden – soweit nichts Neues. Nun hat aber kürzlich der Zürcher Regierungsrat dem Kantonsrat einen neu definierten Berufsauftrag für Lehrpersonen vorgeschlagen. Dieser verspricht auf den ersten Blick einige Verbesserungen – doch ein zweiter Blick zeigt: Gemessen an den gegenwärtigen Belastungen und Herausforderungen handelt es sich um kaum nennenswerte Fortschritte.

Der neue Berufsauftrag
Kernpunkte des neuen Berufsauftrags sind die Stärkung der Klassenlehrpersonen, die Entlastung der Schulleitungen sowie die Reduzierung des administrativen Aufwands. Klassenlehrpersonen sollen mehr Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse erhalten, um ihre Klasse besser betreuen zu können, und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt bekommen, um ihre Aufgaben zu erleichtern. Gleichzeitig sollen Schulleitungen durch zusätzliches Verwaltungspersonal von administrativen Aufgaben entlastet werden, um sich stärker auf pädagogische und strategische Führungsaufgaben konzentrieren zu können.
Bürokratische Prozesse sollen vereinfacht, der administrative Aufwand mittels digitaler Werkzeuge reduziert werden – so bleibe mehr Zeit für die eigentliche Bildungsarbeit. Weiter fördert der neue Berufsauftrag flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle wie Teilzeitarbeit, Job-Sharing und Homeoffice. Kurz: Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben soll verbessert werden. Zur Unterstützung der beruflichen Weiterentwicklung werden Fort- und Weiterbildungsangebote ausgebaut und Mentoring- sowie Coaching-Programme eingeführt. Auch die Gesundheitsförderung und die Work-Life-Balance der Lehrpersonen stehen im Fokus: Es sollen Programme zur Gesundheitsförderung angeboten und Massnahmen zur Prävention von Burnouts getroffen werden. Mentoring, Coaching, Work-Life-Balance und Burnout-Prävention – wer solche Worte hört, darf mit einer wirklichen Verbesserung seiner Arbeitsverhältnisse nicht mehr rechnen: Es sind neoliberale Codes für Effizienzsteigerung und Pflästerlipolitik.

Unzureichende Massnahmen
So haben denn die Vorschläge des Zürcher Regierungsrats auch erhebliche Kritik von linker Seite, insbesondere von Bildungsgewerkschaften und Lehrerverbänden wie dem Zürcher Lehrer:innenverband (ZLV) und dem VPOD, ausgelöst. Der ZLV hebt hervor, dass die Erhöhung der Arbeitszeitpauschale für Klassenlehrpersonen von 100 auf 120 Stunden nicht ausreicht, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Sie fordern stattdessen 250 Stunden, um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden?.
Ausserdem würde der Vorschlag die Förderung von Chancengleichheit vernachlässigen. Sogenannte «Brennpunktschulen» erhielten laut VPOD nicht die notwendigen Ressourcen, Lehrpersonen litten weiterhin unter hohen Arbeitsbelastungen und entsprechenden Überstunden, die nicht adäquat kompensiert würden?. Der ZLV kritisiert ausserdem, dass die Lehrpersonen nicht ausreichend in die Entwicklung des neuen Berufsauftrags einbezogen wurden. Die Folge seien Massnahmen, welche die tatsächlichen Bedürfnisse und Herausforderungen im Schulalltag nicht angemessen berücksichtigen?. Die Massnahmen zur administrativen Entlastung der Lehrpersonen werden vom ZLV zwar begrüsst – aber: Weil die Überlastung vor allem aus dem Anspruch auf individualisierten Unterricht und nicht primär aus administrativen Aufgaben resultiere, zielten sie am Problem vorbei?.

Nötig ist ein struktureller Wandel
Die Kritik legt nahe, was eigentlich seit Jahren bekannt ist: Die finanzielle Ausstattung des Bildungssystems ist insgesamt unzureichend, bei der Bildung wird gespart, die Last tragen das Bildungspersonal und die Schüler:innen. Es fehlt an Personal, Ressourcen, und an Geld: Ohne signifikante Erhöhung der finanziellen Mittel kann eine Vielzahl der vorgeschlagenen Massnahmen gar nicht wirklich umgesetzt werden. An einem umfassenden und strukturellen Wandel des Bildungssystems führt kein Weg vorbei – aber es scheint, als wäre der unter den herrschenden Bedingungen nicht zu haben.

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