Ein Nein ohne Wenn und Aber!

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Für die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) kann die Unternehmenssteuerreform III (USR III) nicht losgelöst von der vorhergehenden Reform, die USR II, beurteilt werden. Daher ist ein kurzer Blick zurück zwingend: Am 24. Februar 2008 scheiterte das Referendum gegen die USR II mit 49.5 Prozent Nein-Stimmen denkbar knapp, 20’000 Stimmen gaben den Ausschlag. Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrates zu dieser Volksabstimmung wurden die Steuerausfälle auf höchstens 933 Millionen Franken beziffert. Drei Jahre später, am 14. März 2011, musste der Bundesrat auf Druck des Parlaments jedoch zugeben, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USR II mit Steuerausfällen von über 7 Milliarden Franken in den nächsten 10 Jahren rechnen müssen. Steuerausfälle, die «tendenziell ansteigen und nicht zurückgehen» werden, wie Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf im Juni 2011 im Ständerat erklärte (Amtliches Bulletin vom 9. Juni 2011). Der Bundesrat hatte das Volk vor der Abstimmung schlicht angelogen! Das sieht auch das Bundesgericht so: Die Nationalräte Margret Kiener Nellen und Daniel Jositsch reichten eine Beschwerde ein und forderten eine Wiederholung der Abstimmung. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde ab. Jedoch ist im Urteil vom 20. Dezember 2011 zu lesen, dass der Bundesrat die «Stimmbürger hinters Licht geführt» hat.

Zur USR III

Nach diesem Betrug am Volk soll nun die aktuelle Reform zu Steuerausfällten von mindestens 2.2 Milliarden führen. Es ist dies ein erneutes Geschenk an die Grossunternehmen im Lande. Wir lehnen die USR III kategorisch ab, weil sie zu einer massiven Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen in der Schweiz führen wird. Die beweist die Praxis und die Realität der letzten Jahre: Die Steuergeschenke an die Unternehmen durch die letzte Reform, die USR II aus dem Jahr 2008, wurden mit einem massiven Sozialabbau finanziert. Besonders zu nennen sind dabei  die «Reformen» der Arbeitslosen- sowie der Invalidenversicherung, der Abbau im Bildungswesen und im öffentlichen Dienst. Dies wird bei der USR III nicht anders sein, davon ist die PdAS überzeugt.

Wir lehnen daher sämtliche vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen ab, wobei wir zwei besonders erwähnen:

– Lizenzboxen

Selbst in den veröffentlichten Unterlagen des Bundesrats ist zu lesen, dass die Einführung der Lizenzboxen «verfassungsrechtlich problematisch sei». Dies, weil die Schweizer Verfassung eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorschreibt. Bei der Einführung der Lizenzboxen wäre dies nicht mehr der Fall, da zum Beispiel Chemiefirmen mit vielen Lizenzen steuerlich bevorteilt würden gegenüber etwa Dienstleistungsunternehmen ohne Patente. Es ist bedenklich, dass der Bundesrat wissentlich den Verstoss gegen die Verfassung in Kauf nimmt, um die Interessen der Grossunternehmen zu befriedigen.

– Kapitalgewinnsteuer

Die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer, die laut Bundesrat etwa 300 Millionen Franken einbringen würde, ist eine alte Forderung der PdAS. Die Steuer darf jedoch nicht als Massnahme eingeführt werden, um die geplanten Steuerausfälle etwas zu lindern. Sie muss vielmehr mit dem Ziel und Zweck eingeführt werden, dass sie Mehreinnahmen generiert, die zur Finanzierung und dem Ausbau der Sozialversicherungen führen.

Forderungen der PdAS

In diesem Sinne sind auch die folgenden steuerpolitischen Forderungen der PdAS zu verstehen:

– Erhöhung der Gewinnsteuer bei Kapitalgesellschaften

– Radikale Erhöhung der Grundstückgewinnsteuer

– Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen

– Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer

– Harmonisierung der Steuersätze von Gemeinden und Kantonen

– Erhöhung der Steuern der Grossvermögen

Schlussbemerkung

Die PdAS wird jede Vorlage mit dem Referendum  entschieden und entschlossen bekämpfen, die Steuerausfälle, sprich Steuergeschenke für die Unternehmen, vorsehen wird.

Partei der Arbeit der Schweiz

Weitere Infos zur USRIII: 2.2 Milliarden pro Jahr!  Und die Linke?

Kapitulation vor wirtschaftlichen Argumenten

atomDie Atomaufsicht ENSI krebst von ihren ursprünglichen Nachrüstforderungen zurück. Das uralte AKW in Mühleberg wird noch vier Jahre mit nachweislichen Sicherheitsmängeln weiterbetrieben. Das ist gut für die BKW Rendite, aber schlecht für die Sicherheit der Bevölkerung. Aber vor allem zeigt es die Schwächen der Aufsichtsbehörde und ihres gesetzlichen Auftrages auf. Der Ständerat und seine Kommission sind gut beraten, hier politische Verantwortung zu übernehmen und die Gesetze im Rahmen der laufenden Beratung zu verbessern. 

Das AKW Mühleberg weist nebst seiner Alterschwäche (Risse im Kernmantel, etc.) und der Tatsache, dass es weltweit das einzige AKW ist, das unter einer Staumauer gebaut wurde, drei grosse Sicherheitsdefizite auf: 1. Ungenügendes Nachwärmeabfuhrsystem, 2. Keine redundante Notkühlung (weltweit einzigartig), 3. Keine ausreichende Kühlung des Brennelementlagerbeckens. Trotz dieser unbestrittenen Mängel, hat das ENSI heute das unzureichende Nachrüstkonzept der BKW für den Weiterbetrieb von Mühleberg bis 2019 gutgeheissen.

Im Dezember äusserte sich das ENSI zu den Nachrüstungen in Mühleberg noch folgendermassen: „Einem Betrieb über das Jahr 2017 hinaus kann die Aufsichtsbehörde nur zustimmen, wenn die BKW umfassende Nachrüstungen realisiert.“ Das war gestern. Heute krebst das ENSI zurück und zeigt sich mit dem Betrieb bis 2019 einverstanden, ohne dass die 2012 geforderten Nachrüstungen im vollen Ausmass umgesetzt werden. Damit wird wahr, was der Verwaltungsratspräsident der BKW, Urs Gasche, Ende 2013 angedeutet: Es gibt für die letzten 5 Jahre nur noch eine billige „Blache“ aufs Dach.

Das heutige Zurückkrebsen des ENSI ist Beweis dafür, dass das Lebensende der alten Atomkraftwerke ungenügend geregelt ist. Solange Nachrüstungen wirtschaftlich „angemessen“ sein müssen (KEG Art. 22g), kann das ENSI seine Nachrüstforderungen nicht durchsetzen. Und das darf bei einer Aufsichtsbehörde, die für die Sicherheit der gefährlichsten Maschinen im Land zuständig ist, nicht sein.

Mit dieser Gesetzgebung ist der Weiterbetrieb unserer Atomkraftwerke ein Spiel mit dem Feuer. Die Politik steht in der Verantwortung. Sie muss das Lebensende der Reaktoren besser regeln und klar befristen. Der Nationalrat hat dies im letzten Dezember verpasst. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES wird nun dem Ständerat Vorschläge unterbreiten, wie verhindert werden kann, dass alte AKW auf Kosten der Sicherheit ausgepresst und weiterbetrieben werden.

Die SES fordert, dass das Kernenergiegesetz im Rahmen der Beratung der Energiestrategie 2050 verbessert wird, damit das ENSI künftig im Interesse der Bevölkerung und nicht der AKW-Betreiber entscheidet.

Quelle: Medienmitteilung des SES – Schweizerische Energie-Stiftung

Im Staate der Eidgenossen

schweizer fahnDa hat uns die Nationalbank ein fettes Ei ins heimische, kuschlige Nest gelegt. Alle wurden überrascht. Aber wirklich alle. Selbst der Bundesrat, der doch eigentlich die Aufgabe hat, das Land zu regieren. Aber zur Frage des Eurokurses hatte er nichts zu melden. So hat der «Ausschuss Wirtschaftspolitik des Bundesrats» (sie nennen sich wirklich so), bestehend aus den BundesrätInnen Johann-Schneider Ammann, Eveline Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard, «vom Entscheid der Schweizerischen Nationalbank SNB Kenntnis genommen, den Mindestkurs des Schweizer Frankens zum Euro nicht aufrecht zu erhalten.» Das ist kein Witz, so steht es in der Medienmitteilung der Landesregierung. Schneider-Ammann, immerhin Finanzminister, wurde kurz vor Bekanntgabe der Explosion der Finanzbombe informiert. Ob ihm da bewusst wurde, wie wenig er in Sachen Finanzpolitik zu entscheiden hat?

Am Nachmittag hat sich dann das bundesrätliche Trio mit der «Situation nach dem SNB-Entscheid befasst». Wie? So: «Er hat sich vom Nationalbankpräsidenten informieren lassen und mögliche Auswirkungen des Entscheids auf die schweizerische Volkswirtschaft diskutiert.» Beeindruckende Führungsqualitäten, die da der Bundesrat einmal mehr unter Beweis stellte. Als Resultat der Diskussionsrunde wurde festgehalten: «Der Ausschuss Wirtschaftspolitik des Bundesrats hat Vertrauen in die Nationalbank, dass sie die Preisstabilität gewährleistet und dabei die konjunkturelle Entwicklung berücksichtigt.» Super, vielen Dank für die wertvolle Information.

Den Entscheid über den Eurokurs haben die drei Herren getroffen, die in der Chefetage, sprich im Direktorium der SNB sitzen. Das sind Prof. Dr. Thomas J. Jordan, Präsident, Prof. Dr. Jean-Pierre Danthine, Vizepräsident und Dr. Fritz Zurbrügg, Mitglied des Direktoriums. Sie tragen zweifelsohne eine grosse Verantwortung, denn die SNB führt die Geld- und Währungspolitik und muss sich dabei «gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen», wie sie selber erklären. Nun, wie haben sich diese drei wichtigen Herren ihre Meinung gebildet, um im Gesamtinteresse der Eidgenossenschaft zu entscheiden? Sie taten es sicher nicht an Gemeinde-, Partei- oder sonstigen Versammlungen, an denen Menschen aus dem Volk teilnahmen. Die drei Herren fragten auch nicht die BesitzerInnen der SNB. Das wäre hauptsächlich die so genannte Öffentliche Hand (zum Beispiel die Kantone) gewesen, die mit 55 Prozent die Mehrheit der SNB-Aktien besitzt, aber auch nichts zu sagen hatte.

Auch ist es naiv zu glauben, das Führungstrio habe sich über Tage in ein Kämmerlein eingesperrt, um sich mit rauchenden, hochroten Köpfen den Entscheid genau zu überlegen. Dieser reifte viel mehr in Kreisen, zu denen wir normalsterblichen EidgenossInnen keinen Zutritt haben, in den Sphären der internationalen Hochfinanz. So hat Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg beste und direkte Kontakte zum «Internationalen Währungsfonds» (IWF). Von 1998 bis 2006 war er als Senior Advisor und Exekutivdirektor im schweizerischen Büro beim IWF in Washington tätig. Dabei vertrat er im Exekutivrat die Interessen der Schweiz sowie jene von Aserbaidschan, Kirgistan, Polen, Serbien/Montenegro, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Ein multifunktionales Talent der liebe Fritz. Danach wurde er Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung und er vertrat die Schweiz in nationalen und internationalen Fachgremien für Finanzpolitik.

Vizepräsident Jean-Pierre Danthine ist Mitglied der «European Economic Association» (EEA) und der «Academia Europaea». Beides sind Eliteclubs im Sinne von «Denkfabriken» der internationalen Finanzwelt. Von 2006 bis 2009 war Danthine Direktor des «Swiss Finance Institute». Das als Stiftung organisierte Institut gehört zu den wichtigsten Wissenspools des Schweizer Finanzplatzes. Überflüssig zu erwähnen, dass sich der Stiftungsrat aus SpitzenmanagerInnen der Wirtschaft zusammensetzt.

Fehlt noch der Oberguru, Monsieur le président Thomas J. Jordan. Seit 1997 arbeitet er bei der SNB und weist somit eine Bilderbuchkarriere aus. Neben seinem Job als Capo der SNB ist er unter anderem Mitglied des Verwaltungsrates der «Bank für Internationalen Zahlungsausgleich» (BIZ) in Basel und des Steuerungsausschusses des «Financial Stability Board» (FSB). Die BIZ gilt als «Bank der Zentralbanken» und nimmt eine Schlüsselrolle bei der Kooperation der Zentralbanken und anderer Institutionen aus dem Finanzbereich ein. An den regelmässigen Sitzungen trifft Jordan seine Kumpels wie etwa EZB-Präsident Mario Draghi, den deutschen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann, die Präsidentin der US-Zentralbank Janet Yellen, sowie den Gouverneur der Chinesischen Volksbank, Zhou Xiaochuan. Das FSB hingegen, auch als Finanzstabilitätsrat bezeichnet, ist eine internationale Organisation. Sie überwacht das globale Finanzsystem und spricht Empfehlungen aus. Das FSB ist im April 2009 am Gipfeltreffen der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) in London eingerichtet worden.

Ja, liebe EidgenossInnen, es ist doch beruhigend zu wissen, dass die «Gesamtinteressen des Landes» in so illustren und urschweizerischen Kreisen und Organisationen besprochen und entschieden werden. Und beruhigend die Tatsache, dass wir nicht in einer Diktatur sondern in einer Demokratie leben, in der bekanntlich das Volk immer das letzte Wort hat.

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Und jetzt kommt der Schmerz

Finanzminister beraten über Euro-KriseAndere Länder sorgten in den letzten Jahren für internationale Schlagzeilen, weil sie von sozialen Bewegungen erschüttert wurden oder sich die Krisenfolgen in politische Verwerfungen ummünzten. Die Eidgenossenschaft schafft es – wie soll es auch anders sein – wegen eines waghalsigen Manövers der Schweizer Nationalbank (SNB) in die internationale Presse. Am 14. Januar morgens um halb elf gab der SNB-Präsident, Thomas Jordan, bekannt, dass man ab sofort den seit dreieinhalb Jahren gültigen Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken aufgeben würde. Börse und Devisenmärkte reagierten auf die finanzpolitische Bombe: Der Swiss Market Index (SMI) gab innerhalb von zwei Tagen um gut 14 Prozent nach, der Euro sank zwischenzeitlich auf ein Allzeittief von 86 Rappen und pendelte sich dann etwa auf paritätischem Kurs ein.

Was war in die Schweizer Nationalbank gefahren? Die SNB ist nach dem «Bundesgesetz über die Schweizerische Nationalbank» verpflichtet, «die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes» zu führen. Offensichtlich hat das Direktorium entschieden, dass die Untergrenze des Euros für die Schweizer Nationalökonomie – von der die Proletarisierten natürlich immer nur abhängige Variabel sind – nicht mehr von hochrangiger Bedeutung ist oder dass zumindest der Preis für diesen Wechselkurs längerfristig einfach zu hoch ist.

Ausgerechnet jetzt??

Die Mitteilung der SNB kam für alle völlig überraschend. Doch wollte die Nationalbank den Mindestkurs halten, war das nur folgerichtig. Hätte sie im Vorfeld auch nur Andeutungen gemacht, wäre der Kurs angesichts der InvestorInnen am Devisenmarkt in kürzester Zeit ruiniert gewesen.

Als die Nationalbank den Mindestkurs im September 2011 eingeführt hatte, reagierte sie damit auf ein drohendes Auseinanderbrechen des Euros. Man hatte in der SNB-Direktion wohl darauf gehofft, dass die Euro-Krise in absehbarer Frist ausgestanden sei. Heute sind die liberalen MarktanbeterInnen in ihrer Einschätzung näher dran als die etatistisch orientierten Linken, wenn sie erklären, dass diese Massnahme nicht für die Ewigkeit sein konnte. Doch warum wurde der Kurs gerade jetzt aufgekündigt? Die Euro-Krise ist längst nicht ausgestanden und die Wachstumsdaten der Schweizer Wirtschaft sind auch nicht gerade berauschend. Verschiedene Erklärungen machen die Runde: Zum einen hatte sich die Weltwährung Dollar gegenüber dem Schweizer Franken – der sich faktisch an den schwächelnden Euro gebunden hatte – in den vergangenen Jahren stark aufgewertet. Zudem hält die SNB, auch wegen ihrer massiven Stabilisierungskäufe, mittlerweile Devisen im Wert von etwa 500 Milliarden Franken. Zwar kann die Bank theoretisch unendlich viel Devisenreserven halten, bloss birgt dies das Risiko, dass sich diese abwerten und die Bank eine Verlustgeschäft einfährt. Mit weiteren Stützungskäufen hätte sich dieses Risiko zugespitzt. Die SNB ist diesbezüglich politisch unter Druck, weil sowohl Bund als auch Kantone von Gewinnausschüttungen profitieren. Ausschlaggebend dürfte aber gewesen sein, dass bereits im Vorfeld der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom letzten Donnerstag gemunkelt wurde, dass diese mit enormen Aufkäufen von Staatsanleihen ein sogenanntes «Quantitative Easing» anvisiert und den Markt mit Euros überschwemmen würde. Dagegen hätte die Schweizer Nationalbank ihren Mindestkurs nur schwer verteidigen können.

Wirtschaftliche Folgen

Als die SNB die Untergrenze aufhob, brach der Markt kurzfristig zusammen. Es gab während rund 20 bis 30 Minuten keine Kurse. Danach war Augenreiben angesagt: Schweizer Pensionskassen hatten auf einen Schlag rund 30 Milliarden Franken verloren. Mehrere Investorenfirmen mussten die Pforten schliessen. Die Banken sitzen als Kreditgeberinnen von DeviseninstorInnen auf offenen Forderungen, deren Begleichung höchst fraglich ist.

Doch was den ratlosen ExpertInnen wirklich Kopfzerbrechen bereitet, sind die noch ausstehenden Folgen des SNB-Entscheids. Wie üblich sind sich die WahrsagerInnen der Volksökonomie nicht einig, sondern zerfallen in die widerstreitenden Schulen. Einig ist man sich indes, dass für die Schweizer Exportindustrie und den Tourismus schwere Zeiten anstehen. Die Kosten in der Schweiz sind im Verhältnis zu den ausländischen Kundenvermögen auf einen Schlag um rund 20 Prozent gestiegen, was man nur teilweise und zeitverzögert abbauen kann, indem man es auf die Proletarisierten abwälzt. Es kursieren verschiedene Kurshöhen auf welchen sich der Euro angeblich einpendeln werde, und es sind unterschiedliche Ansichten zu hören, was die Schweizer Wirtschaft ertragen könne. Angesichts der kaum ausgestandenen Krise in der EU – aktuell stehen die Reaktionen auf die Wahl in Griechenland an – und dem «Quantitative Easing» der EZB muss man wohl kein Wahrsager sein, um einen schwachen Euro zu prognostizieren. Fest steht: Wenn der Euro-Kurs sich auf tiefem Niveau einpendelt, ist für die Schweiz ein schleppendes Wachstum und eine steigende Arbeitslosigkeit zu erwarten. Dreieinhalb Jahre konnte man die Insel der Glückseligen aufrechterhalten, jetzt folgt erstmal der Einbruch der globalen ökonomischen Realität.

Politische Reaktionen

Wieder Mal folgt wohl auf eine ökonomische Misere ein politisches Desaster. Und zwar nicht weil der Staat ohnmächtig ist, sondern weil er schlicht und einfach das Interesse der Nationalökonomie organisieren muss. Das heisst konkret, immer annehmbare Akkumulationsbedingungen für das Kapital zu garantieren. Die rasche Unterzeichnung von Freihandelsverträgen, wie sie einige FDP-ExponentInnen bereits öffentlich bewarben, dürfte für die Lohnabhänigen noch das kleinere Problem darstellen. Wer die «Arena» am Wochende nach dem SNB-Entscheid geschaut hat, weiss, worauf sich die Proletarisierten einstellen müssen. Zum einen wurde von Unternehmerseite vehement darauf hingewiesen, dass man Rationalisierungen und Lohnkürzungen vornehmen müsse, um die Exportunternehmen wieder in Schuss zu bringen. Mehr Stress und weniger Lohn lautet das Rezept. Von mehreren PolitikerInnen wurde im Fernsehen die Unternehmenssteuerreform III ins Spiel gebracht. Im Windschatten des Diskurses über die sich verschlechternden Standortbedingungen will die Rechte diese Reform so schnell wie möglich durchbringen. In Kombination mit dem Abflauen der Konjunktur bedeutet dies Mindereinnahmen für den Staat und dürfte folgerichtig die weitere Ausdehung von Sparpaketen und Sozialabbau bedeuten.

Angesichts der bedauerlichen Schwäche der proletarischen Gegenwehr in diesem Land lässt sich die nähere ökonomische und politische Zukunft wohl mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Und jetzt kommt der Schmerz.

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Lenins Materialismus

leninDas Ziel von Lenin war mit der Arbeit «Materialismus und Empiriokritizismus», eine Gesamtübersicht der philosophischen Strömung des Empiriokritizismus zu geben und ihren Platz zu bewerten. Allgemein sieht er die wissenschaftlichen Aufgaben von MarxistInnen darin, Erkenntnisse der bürgerlichen Tatsachenforschung zu verarbeiten und zu verstehen, dabei aber die reaktionären Tendenzen, die unweigerlich darin auftauchen, zu verwerfen. Wenn spezifisch ein philosophisches System untersucht und beurteilt werden soll, muss danach gefragt werden, wie die theoretischen Grundfragen gelöst werden; welchen Platz das System unter den philosophischen Schulen einnimmt und mit welchen es verbunden ist; für wen Partei ergriffen wird mit dem Inhalt der Lehre; was die SchülerInnen und NachfolgerInnen vertreten; welcher Zusammenhang mit äusseren Entwicklungen besteht. In «Materialismus und Empiriokritizismus», das 1909 erschienen ist, hat Lenin diese Fragen bezüglich des Empiriokritizismus beantwortet.

Zwei Lager der Philosophie

Der Grund für die Untersuchung und gnadenlose Kritik am Empiriokritizismus war, dass er von wichtigen Mitgliedern der Bolschewiki wie Bogdanow und Lunatscharski vertreten wurde. Diese philosophische Strömung ging auf den Naturwissenschaftler Mach und den Philosophen Avenarius zurück, die den Idealismus mit dem Materialismus versöhnen wollten. Die besagten Bolschewiki ihrerseits wollten den Empiriokritizismus in den Marxismus einführen. Lenin deckte auf, dass es sich bei dieser Philosophie um Agnostizismus (siehe unten) handelt, dass sie eng mit der erzreaktionären Immanenzschule verbunden ist und ihre Wurzeln beim Philosophen Berkeley hat. Konsequent durchdacht würde der Empiriokritizismus in den Solipsismus führen (die Welt ist meine Empfindung), und müsste Religion und Gott als valide Theorien zulassen. Rückblickend kann gesagt werden, dass es sich um eine kurzlebige Modephilosophie handelte, wie Lenin richtig voraussagte, die aus der damaligen «Krise der Physik» mit ihren neuen Erkenntnissen zum Aufbau des Atoms entwuchs. Wir wollen uns auch nicht länger damit aufhalten, sondern dem zuwenden, was Lenin dieser Philosophie entgegengesetzt hat: den dialektischen Materialismus.

Alle philosophischen Systeme können grundsätzlich in zwei grosse Lager eingeteilt werden, in Materialismus und Idealismus, wobei solche, die zwischen den beiden schwanken, zum Agnostizismus gezählt werden. Lenin bekennt sich dazu, dass die Philosophie des Marxismus, seine Philosophie, der dialektische Materialismus ist. Die Dialektik ist Methode, der Materialismus die Erkenntnistheorie.

Die grundlegenden Begriffe der Erkenntnistheorie stecken in den Begriffspaaren Sein und Denken sowie Materie und Empfindung. Mit diesen Begriffen wird in den Grundfragen der Philosophie operiert, und genau in der gegensätzlichen Beantwortung dieser Fragen scheiden sich die PhilosophInnen in zwei Lager: Was ist das Verhältnis zwischen Denken und Sein? Was ist die ursprüngliche Quelle der Erkenntnis?

Praxis als Ausgangspunkt

Der Materialismus teilt die «naive Überzeugung» der Menschheit, von der auch die Naturwissenschaften spontan (d.h. ohne das Studium der Erkenntnistheorie) ausgehen, dass die Aussenwelt, die Materie, existiert, und zwar unabhängig existiert vom Denken der Menschen. Die Praxis ist der Ausgangspunkt der materialistischen Erkenntnistheorie und unbedingt Teil ihrer Beantwortung der philosophischen Grundfragen. Die Praxis erlaubt uns, die Richtigkeit unserer Vorstellungen zu überprüfen, und lässt eben nur einen einzigen Schluss zu: Die Natur existiert unabhängig von und existierte bereits vor den Menschen. Umgekehrt ist unsere Existenz und unser Denken von der Natur abhängig. Wir existieren, bevor wir empfinden. Die Natur, die Materie, ist das Primäre; das Denken, die Empfindung, das Sekundäre.

Die Empfindung ist die Quelle unserer Erkenntnis. Aber unsere Empfindung ist blosse Widerspiegelung der objektiven Realität, unsere Ideen sind Abbilder der Materie. Die Materie wirkt auf unsere Sinnesorgane ein und erzeugt Empfindungen, Vorstellungen, Abbilder ihrer selbst. Die Sinnesorgane sind andererseits in ihrer Funktion abhängig vom Gehirn, einem materiellen Organ. Wir erhalten durch sie ein subjektives Abbild der objektiven Welt. Wir können die Welt erkennen, aber unsere Erkenntnis ist nie fertig und ist nicht unveränderlich. Wir erkennen einen relativen Teil des existierenden absoluten Ganzen.

Relativismus in der Dialektik

Unsere Kenntnisse sind relativ, aber die unabhängige Existenz einer objektiven Realität muss vom Materialismus bedingungslos anerkannt werden, weil die Praxis es gebietet und gleichzeitig nur so Praxis möglich ist. Der Einschluss des Relativismus bildet das dialektische Moment des marxistischen Materialismus (die Dialektik reduziert sich aber nicht auf den Relativismus). Wissenschaftliche Theorien haben damit immer nur annähernde Geltung. Unsere Raum- und Zeitbegriffe, unsere Vorstellungen über den Aufbau der Materie können und müssen sich mit neuen Erkenntnissen laufend ändern. Nicht ändern wird sich die Tatsache, dass Raum, Zeit, Materie existieren, dass etwas existiert, dass unsere Vorstellungen über sie hervorruft, dass etwas Existierendes dahinter steckt. Jede wissenschaftliche Wahrheit enthält trotz ihrer Relativität ein Element der absoluten Wahrheit. Ordnung, Zweck, Gesetz, die wir in der Natur erkennen, sind menschliche Konstrukte, aber Konstrukte, mit denen sich Wirkliches verstehen lässt. Wir vereinfachen in unserem Denken den objektiven Zusammenhang der «universellen Wechselwirkung» von Ursache und Wirkung, den Zusammenhang der sich in ständiger Bewegung befindenden Welt. Die Wissenschaft ist die ewige Annäherung daran.

Der materialistische Ansatz überträgt sich auch auf die Gesellschaft. Das gesellschaftliche Bewusstsein widerspiegelt das gesellschaftliche Sein, jedoch immer nur annähernd. Die Aufgabe der MarxistInnen als WissenschaftlerInnen ist das Verstehen der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Aufklärung darüber: die Anpassung des Bewusstseins an das Sein. Denn nur mit der Einsicht in das Funktionieren der Welt, in ihre Gesetze und Notwendigkeiten, können wir frei sein. Grössere Freiheit bedeutet, mit grösserer Sachkenntnis zu entscheiden. Je freier wir entscheiden können, je tiefer unsere Kenntnisse sind, desto notwendiger wissen wir, wie wir entscheiden müssen. Die Praxis ist damit Ausgangs- sowie Endpunkt.

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Bundesgericht setzt «DNA-Fishing» klare Grenzen

Massen-Gentest im Fall des toten Babys von SchwarzenbergDas Bundesgericht hat mit seinem Urteil, welches am 23. Dezember 2014 veröffentlicht wurde, klare Spielregeln im Umgang mit DNA-Profilen festgelegt. Das Urteil hält fest, dass das Verhalten der Berner Strafverfolgungsbehörden auf verschiedenen Ebenen bundesrechtswidrig ist. Mit dem Urteil wurde einer Aktivistin Recht gegeben, die sich gegen Zwangsmassnahmen und eine DNA-Fichierung auf juristischem Weg zur Wehr setzte. Sie war anlässlich eines Asylsymposiums, welches am 31. Januar 2013 an der Universität Bern stattfand, wegen «Sachbeschädigung» verhaftet worden. Dies weil sie zusammen mit drei weiteren AktivistInnen aus Protest gegen die unmenschliche Asylpolitik Kuhmist auf den Tischen verteilt hatte. Obwohl die Universität auf eine Strafanzeige verzichtete und der Kantonspolizei telefonisch mitteilte, dass kein Sachschaden entstanden war, gab die Staatsanwaltschaft mündlich grünes Licht für eine erkennungsdienstliche Erfassung. Die Kantonspolizei Bern veranlasste zudem eigenmächtig eine DNA-Entnahme per Mundhöhlenabstrich von den vier Festgenommenen, die Analyse des Materials sowie das Anlegen von DNA-Profilen. Zwar hat das Berner Obergericht am 23. Juni 2014 die Beschwerde abgewiesen. Das Bundesgericht als höchste Instanz hat nun aber der Beschwerdeführerin Recht gegeben.

Die Überwachungsgesellschaft

Dieser Urteilsspruch ist bedeutsam, weil es die Behörden auffordert, beim Sammeln von DNA-Proben wichtige Grundsätze einzuhalten. Insbesondere bemängelt das Bundesgericht in ihrem Leitentscheid, der dem vorwärts vorliegt, die systematische DNA-Entnahme und Erstellung eines sogenannten DNA-Profils, selbst bei kleinsten Vergehen. Damit erteilt das Bundesgericht der Datenspeicherung auf Vorrate eine klare Absage. Dazu halten die Demokratischen JuristInnen Bern (DJB) fest: «Erfreulich und für die Zukunft schweizweit wegweisend ist auch die Feststellung des Bundesgerichts, wonach die Weisung der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, gemäss welcher in sämtlichen Fällen, in welchen eine DNA-Probe entnommen worden ist, automatisch auch ein DNA-Profil zu erstellen ist, bundesrechtswidrig ist und der notwendigen Einzelfallabwägung nicht gerecht wird. Das Urteil ist aus rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Sicht zu begrüssen: Einer ausufernden polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Datenerfassung wird damit klar Einhalt geboten.» Der höchstinstanzliche Urteilspruch kritisiert die Berner Strafverfolgungsbehörden in mehrfacher Hinsicht. Gemäss dem Bundesgericht waren die Ereignisse, die zur Festnahme der Beschwerdeführerin führten, hinsichtlich Ablauf und Beteiligung bekannt. Weder die erkennungsdienstliche Erfassung (Fingerabdruck, Foto, körperliche Merkmale) noch die Entnahme der DNA-Probe und die Profilerstellung waren deshalb notwendig. Die Zwangsmassnahmen liessen sich auch nicht mit anderen, möglicherweise von der Beschwerdeführerin begangenen oder noch zu begehenden Straftaten begründen. Darüber hinaus hielt das Bundesgericht klar fest, dass die Polizei die Erstellung eines DNA-Profils nicht selbst anordnen darf.

DNA-Fishing for the future

Die Weisung bei der Entnahme von DNA, generell die Analyse zwecks Erstellung eines DNA-Profils vorzunehmen, ist gemäss Bundesgerichtsentscheid zudem «in mehrfacher Hinsicht bundesrechtswidrig». Laut Bundesgericht rechtfertigt das geltende Recht selbst bei einem hinreichenden Tatverdacht nicht in jedem Fall die Entnahme von DNA-Proben, geschweige denn generell deren -Analyse und Archivierung in einer genetischen -Datenbank. Erforderlich sei eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls.

Schon seit Jahren kritisieren RechtsexpertInnen deshalb die oft sehr eigenwillige Interpretation von bestehendem Recht durch die Ermittlungsbehörden und werfen den Behörden im Umgang mit DNA-Profilen fehlendes Augenmass vor. So auch der Strafrechtsprofessor Jörg Paul Müller, der schon 2012 die gängige Praxis, DNA-Analysen vorzunehmen, «nur um zu schauen, welche Treffer die DNA-Datenbank des Bundes liefert», als unverhältnismässig. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit oft DNA-Proben aus erpresserischen Gründen entnommen wurden, etwa wenn Betroffene nicht mit der Polizei kooperierten und vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen. Die Menschenrechtsgruppe «augenauf Bern» bezeichnet diese Praxis als «DNA-Fishing for the future». Sie wirft den Behörden vor, damit «allfällige auch in Zukunft politisch aktive junge Erwachsene präventiv im Voraus zu fichieren – mit dem Ziel, diese einzuschüchtern», wie es Fälle aus der jüngsten Zeit mehrfach belegen. Inwieweit dieser Leitspruch des Bundesgerichtes an der ausufernden Praxis der systematischen Entnahme von DNA durch die Ermittlungsbehörden ändert, wird die Zukunft zeigen.

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Und die Linke??

Karl-Marx1Am 31. Januar läuft die Vernehmlassungsfrist zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) ab. Bereits heute kann jedoch Folgendes festgehalten werden: Sämtliche bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände begrüssen die Stossrichtung der USR III. Sie lehnen jedoch die Einführung der Kapitalgewinnsteuer kategorisch ab und weisen darauf hin, dass diese im Jahr 2001 vom Volk mit über 65 Prozent Nein-Stimmen bereits abgelehnt wurde. Und die SP? Laut NZZ vom 16. Juli 2014 erklärte die Nationalrätin Margret Kiener Nellen die Kapitalgewinnsteuer zur «conditio sine qua non», damit die SP der USR III zustimmt. Wie die SozialdemokratInnen ein allfälliges Ja zur USR III alleine wegen der Kapitalgewinnsteuer erklären werden, ist wahrlich ihr Problem. Die PdA lehnt die Reform ohne Wenn und Aber ab und wird ein allfälliges Referendum tatkräftig unterstützen. Ein Referendum, zu dem es wohl kommen wird, denn die Vorlage wird im Parlament mit oder ohne SP-Stimmen eine Mehrheit finden. Dafür werden der Druck und die Drohungen der Wirtschafslobby schon sorgen und man muss kein Wahrsager mit magischer Kristallkugel sein, um vorauszusehen, dass die Kapitalgewinnsteuer aus der Vorlage gekippt werden wird.

Die USR III als Chance für die radikale Linke??

Die Argumente der Bürgerlichen und der Wirtschaft sind heute schon bekannt: Ohne USR III sind vier Milliarden Franken Steuereinnahmen in Gefahr, denn die betroffenen Unternehmen würden ins Ausland ziehen. Dies vernichtet 150’000 Arbeitsplätze. Dazu noch der Schaden für die KMUs, die als Zulieferbetriebe von den Grossunternehmen abhängig sind. Nochmals Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr und so weiter und so fort. Die parlamentarische Linke wird wie üblich die «Moralkeule» schwingen und Argumente wie die «Ungerechtigkeit», die «verantwortungslosen AbzockerInnen» und die «raffgierigen ManagerInnen» ins Spiel bringen. Alles gut und recht, aber es wird nicht reichen. Die USR III muss in einen gesellschaftspolitischen Kontext gestellt werden. Es muss aufgezeigt werden, dass mit der USR III der neoliberale Umbau der Gesellschaft vorangetrieben wird und diese Reform daher nicht losgelöst von anderen Prozessen, wie etwa dem Engagement der Eidgenossenschaft beim Freihandelsabkommen TiSA, betrachtet werden kann. Ein gesellschaftspolitischer Umbau findet statt, der für immer mehr Menschen massive Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen bedeutet. Die Streiks des Personals des öffentlichen Verkehrs in Genf, der Steinmetze im Tessin oder des Pflegepersonals in Neuenburg zeugen davon und beweisen gleichzeitig, dass Widerstand möglich ist. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen und den Widerstand von unten zu fördern ist für die radikale Linke Pflicht im Kampf gegen diese neue «Steuergeschenke-Reform»! Weiter muss ganz konkret die Frage der Demokratie gestellt werden. Denn die URS III ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir in einer Diktatur der Wirtschaft leben, deren Entscheide formell im Parlament abgesegnet werden. Auf den Punkt gebracht: Die USR III kann für die radikale Linke eine Chance sein, wenn sie in der Diskussion aufzeigt, dass die USR III eine Normalität innerhalb des kapitalistischen Rahmens ist. Die Alternative zu dieser Normalität heisst Sozialismus. Die Diskussion über diese Alternative, sprich über die Überwindung des Kapitalismus, muss Bestandteil des Kampfs gegen die URS III sein.

Das Volk wurde bewusst angelogen

Ein wesentliches und entscheidendes Argument gegen die USR III hat pikanterweise der Bundesrat selber bereits geliefert und zwar mit der letzten Reform der Unternehmenssteuer, der USR II. Ein kurzer Blick zurück ist daher zwingend. Am 24. Februar 2008 scheiterte das Referendum gegen die USR II mit 49,5 Prozent Nein-Stimmen denkbar knapp. 20’000 Stimmen gaben den Ausschlag. Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrates zu dieser Volksabstimmung wurden Steuerausfälle von höchstens 933 Millionen beziffert. Drei Jahre später, am 14. März 2011, musste der Bundesrat auf Druck des Parlaments jedoch zugeben, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USR II mit Steuerausfällen von über 7 Milliarden Franken in den nächsten 10 Jahren rechnen müssen. Steuerausfälle, die «tendenziell ansteigen und nicht zurückgehen» werden, wie Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf im Juni 2011 dem Ständerat erklärte (Amtliches Bulletin vom 9. Juni 2011). Der Bundesrat hatte das Volk vor der Abstimmung schlicht verarscht! Das sieht auch das Bundesgericht so. Es musste sich damit befassen, da SP-Nationalrat Daniel Jositsch eine Beschwerde einreichte. Er forderte eine Wiederholung der Volksabstimmung, blitzte damit jedoch ab. Dies obwohl die höchsten RichterInnen im Lande dem Bundesrat vorwarfen, die «Stimmbürger hinters Licht geführt» zu haben. Ganz im Sinne der bürgerlichen Klassenjustiz wertete das Bundesgericht die Interessen der Unternehmen höher als die der StimmbürgerInnen. Dazu Jositsch, der nicht gerade als Staatsfeind bekannt ist, in einem Interview im «Beobachter» vom 21. Dezember 2011: «Das ist ein Hohn gegenüber dem Rechtsstaat. Das Bundesgericht hat es verpasst, den BürgerInnen zu zeigen, dass sie ihren Institutionen vertrauen können.» Nun, wer garantiert den BürgerInnen, dass sich der Bundesrat bei der USR III nicht wieder bewusst «verschätzt»?

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2,2 Milliarden Franken pro Jahr?!

Geschenke«Ich sehe keine andere Möglichkeit, als diese Reform durchzusetzen. Vielleicht auch tatsächlich damit zu leben, dass wir vorübergehend Mindereinnahmen haben. Dies im Wissen aber, dass wir in fünf, zehn Jahren ein System haben, das nicht dauernd angefochten wird», so Finanzministerin Eveline Widmer Schlumpf bei der Vorstellung der Unternehmenssteuerreform III (USR III) am 22. September 2014. Diese «Mindereinahmen», wie es die Bundesrätin nennt, belaufen sich auf mindestens 2,2 Milliarden Franken und sind nichts anderes als Steuergeschenke an die grossen international tätigen Unternehmen im Lande.

Die Steueroase Helvetia

Laut Bundesamt für Statistik zählt die Schweiz 572’000 Unternehmen. Rund 24?000 international tätige Unternehmen profitieren von kantonalen Steuerbegünstigungen. Es sind dies die so genannten Statusgesellschaften (Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften). Sie bilden gerade mal vier Prozent aller Unternehmen. Doch – und hier beginnt das Eisen heiss zu werden – spült diese Minderheit der Unternehmen knapp vier Milliarden Franken in die Bundeskasse, was beinahe 50 Prozent der gesamten Gewinnsteuereinnahmen ausmacht. 17 Prozent dieser Einnahmen verbleiben bei den Kantonen. Hinzu zahlen die Statusgesellschaften über eine Milliarde Franken Kantons- und Gemeindesteuern. Milliardenbeträge, die deutlich machen, über welche gigantische finanzielle und somit auch politische Macht diese Unternehmen verfügen.

Nun soll aber Schluss sein mit der steuerpolitischen Wohlfühloase Helvetia. Dies will die EU und zwar mit kräftiger Unterstützung der OEZD und der G20. In den Erläuterungen des Bundesrats ist zu lesen: «Die steuerliche Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Einnahmen ist für die EU eine unerlaubte staatliche Unterstützung und bildet somit eine Verletzung des Freihandelsabkommens aus dem Jahr 1972 zwischen der Schweiz und der EU.» In anderen Worten: Die Schweiz verschafft sich durch ihre aktuelle Steuerpolitik Vorteile im internationalen Steuerwettbewerb, indem sie gegen EU-Regelungen verstösst. So fordert Brüssel von Bern immer vehementer Massnahmen hin zu einer EU-kompatiblen Besteuerung der Unternehmen und vor allem die Abschaffung der Statusgesellschaften.

Im Sinne und Geist des adligen Herrn Tancredi

So stand der Bundesrat vor folgender Frage: Wie kann die EU besänftigt werden, ohne die eidgenössischen Steuerprivilegien für international tätige Unternehmen abzuschaffen? Denn ohne Steuervorteile drohen diese mit dem Wegzug ins Ausland und mit ihnen auch die Steuereinnahmen von jährlich vier Milliarden. Die Antwort: Die kantonalen Statusgesellschaften werden – so wie von der EU verlangt – abgeschafft, doch dafür wird eine Reihe von neuen Steuerprivilegien eingeführt. So einfach. Ein Vorhaben, das an den berühmten Satz aus dem Film «Der Leopard» (Il Gattopardo) von Luchino Visconti aus dem Jahr 1963 erinnert: «Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.» Dies sagte der adlige Herr Tancredi zum Fürsten Selina, als auch auf Sizilien der Sieg der Republikaner unaufhaltsam wurde. Im Sinne, Geist und Zweck des adligen Herrn Tancredi ist die USR III konzipiert. economiesuisse, der Dachverband der Wirtschaft, fasst die Ziele der Reform wie folgt zusammen: «Die Stärkung der steuerlichen Wett-bewerbsfähigkeit des Standorts, die Sicherstellung der internationalen Akzeptanz des Steuersystems sowie der Erhalt der finanziellen Ergiebigkeit der Unternehmenssteuern.» Klar ist für economiesuisse, dass «eine erfolgreiche Unternehmenssteuerreform alle drei Ziele erreichen» muss. Ziele, die in der Praxis ein Steuergeschenk von 2,2 Milliarden Franken für die gut 24’000 betroffenen Grossunternehmen ergeben.

Die Kernelemente der Reform

Konkret schlägt der Bundesrat die so genannten Lizenzboxen vor, ein Modell ähnlich wie es England, Belgien und Luxemburg schon kennen. Lizenzboxen sind Steuererleichterungen für Unternehmen, die mit Patenten Geld machen. Das sind hauptsächlich Firmen, die Forschung betreiben, und sicher davon profitieren würden die Pharmakonzerne. Kein Zufall angesichts der starken Lobby der Pharmaindustrie im Bundeshaus. Die Box würde dazu führen, dass ein Chemiekonzern in Basel-Stadt mit vielen Lizenzen weniger Steuern zahlen muss als ein Rohstoffunternehmen im Kanton Genf oder ein Dienstleistungsunternehmen im Kanton Zürich. Doch die Schweizer Verfassung sieht vor, dass die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgen muss. Wird dieses Verfassungsprinzip mit der Lizenzbox verletzt? «Das ist tatsächlich ein sehr heikler Punkt», erklärt SFR-Bundeshauskorrespondent Philipp Burkhardt in der Sendung «Echo der Zeit» vom 21. Juni 2014. So lese man «brisantes in den schriftlichen Unterlagen des Bunderates». Denn die Regierung hält wörtlich selber fest, dass «eine Lizenzbox verfassungsrechtlich problematisch sei (…), jedoch aus Standortsicht notwendig». Burkhardt kommt zu folgendem Fazit: «Der Bundesrat verstösst wissentlich gegen die Verfassung, nimmt den Verstoss aber in Kauf, weil es aus seiner Sicht nicht anders geht.»

Neben den Boxen sind die Einführung des «kalkulatorischen Zinsabzugs auf das Sicherheitskapital» sowie die Senkung der kantonalen Gewinnsteuersätze die Kernelemente der Reform. Bei ersterem profitieren die Firmen mit einem hohen Eigenkapital und der Bund geht davon aus, dass alleine diese Massnahme zu Steuerausfällen, sprich Steuergeschenken, von rund 630 Millionen Franken führen wird. Bei der Senkung der kantonalen Gewinnsteuer wird geschätzt, dass sie von heute durchschnittlich 22 auf 16 Prozent fallen wird. Mehrere Kantone, darunter Genf und Waadt, haben Schritte in diese Richtung bereits angekündigt. Das Geschenkpaket an die Unternehmen beinhaltet dann noch weitere «Massnahmen zur Verbesserung der Systematik des Steuerrechts» (economiesuisse) wie etwa die Abschaffung der Emissionsabgabe, die Anpassung der Kapitalsteuer und die «unbeschränkte zeitliche Nutzung von Verlustvorträgen mit jährlicher Beschränkung auf 80 Prozent des steuerbaren Ergebnisses».

Gegenfinanzierung durch Sozialabbau

Stellt sich die Frage der Gegenfinanzierung der 2,2 Milliarden, die sich Bund und Kantone je zur Hälfte teilen wollen. Als Zuckerwürfel für die parlamentarische Linke will der Bundesrat die Kapitalgewinnsteuer einführen, die etwa 300 Millionen in die Kasse bringen würde. Eine alte linke Forderung, die aber im Jahr 2001 bereits vom Volk mit über 65 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt wurde. Den Rest will der Bund mit erhofften Mehreinnahmen finanzieren. Dazu die Bundesrätin Widmer-Schlumpf: «Wir sehen heute, dass die Einnahmen höher sein werden als die Ausgaben im Jahre 2016 und wenn man sich jetzt politisch vernünftig oder sachdienlich einstellt, dann könnte man das für eine Gegenfinanzierung gebrauchen.» Schön zu wissen, dass wir eine Bundesrätin haben, die in die Zukunft sehen kann. Hingegen weniger schön ist die Tatsache, dass Widmer-Schlumpf in diesem Zusammenhang verschweigt, dass mit den möglichen Überschüssen bereits andere Vorhaben finanziert werden sollen. So zum Beispiel die 300 zusätzlichen Millionen für die Armee oder die Reform der Ehepaarbesteuerung, die ein Loch von gut einer Milliarde Franken reissen wird. Der blauäugigen Zukunftswunschvorstellung der Bundesrätin ist die harte Realität der letzten Jahre gegenüberzustellen. Die Steuergeschenke durch die letzte Reform aus dem 2008 in der Höhe von sieben Milliarden Franken wurden mit einem massiven Sozialabbau finanziert, wie etwa durch die «Reformen» der Arbeitslosen- und der Invalidenversicherung, sowie durch den Abbau im Bildungswesen und im öffentlichen Dienst. Mit der USR III wird es nicht anders sein. Wetten? Die laufende Reform der AHV lässt grüssen …

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