Verschärfung der Einbürgerungspraxis

ch-passDie SPK-N hat es verpasst, die Schweizer Migrationspolitik auf einen zeitgemässen Kurs zu bringen und die Legitimität der hiesigen Demokratie breiter abzustützen. Stattdessen will sie die äusserst restriktive Einbürgerungspraxis der Schweiz noch verschärfen – und somit die Glaubwürdigkeit des demokratischen Systems weiter untergraben.

In Ihrer abschliessenden Beratung über die Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes hat die SPK-N heute entschieden, dass in Zukunft ein Einbürgerungsgesuch nur stellen dürfe, wer im Besitz einer  Niederlassungsbewilligung ist. Diese Änderung bedeutet eine massive Einschränkung der Einbürgerungspolitik.

In der Schweiz leben derzeit rund 1,8 Millionen Personen ohne Schweizer Pass. Rund die Hälfte dieser Personen leben hier bereits seit mehr als 10 Jahren – ein Fünftel von Ihnen ist sogar hier geboren. Die hier lebenden Migrantinnen und Migranten tragen einen grossen Teil zum Funktionieren der hiesigen Wirtschaft, den hiesigen Gesundheitseinrichtungen, den hiesigen Schulen – kurz zum ökonomischen und gesellschaftlichen Wohlstand der Schweiz bei. Diese Menschen systematisch die politische Partizipation zu verweigern und sie aus wichtigen gesellschaftlichen Teilen des Zusammenlebens auszuschliessen, ist schlicht undemokratisch – und birgt auch gewisse Gefahren.

War in der Variante des Bundesrates wenigstens noch eine Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltsdauer vorgesehen (von 12 auf 8 Jahre), so wurde dieses Vorhaben von der SPK-N gestrichen.

MigrantInnen werden zunehmend mit Forderungen konfrontiert, die sie erfüllen sollten, um als „erfolgreich integrierte“ Personen ein Einbürgerungsgesuch stellen zu können. Die in diesem Gesetz aufgestellten Forderungen sind äusserst realitätsfremd und diskriminierend – viele Schweizerinnen und Schweizer würden dieselben Bedingungen niemals erfüllen. Das Schlüsselwort „Integration“ wird so in sein Gegenteil verkehrt: MigrantInnen gelten als „Menschen zweiter Klasse“ und werden aus dem sozialen und politischen Leben ausgegrenzt.

Die Schweizer Migrationspolitik sollte sich endlich der Realität stellen: Das Erlangen des Bürgerrechtes kann nicht die Belohnung für eine – wie auch immer definierte – „gelungene Integration“ sein. Im Gegenteil:Bürgerrechte bilden die Voraussetzung für jede Form der Integration in respektive durch eine Gesellschaft. Wer will, dass sich Einwohnerinnen und Einwohner in und an der jeweiligen Gesellschaft beteiligen, muss sie auch an dieser Gesellschaft teilnehmen lassen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Nationalrat die Problematik dieser Verschärfungen erkennt, und die Gesetzesvorlage in der Frühjahrssession mit Blick auf eine zeitgemässe und demokratiefreundlichere Migrationspolitik korrigiert.

Quelle: Medienmitteilung der FIMM (Forum für die Integration von Migrantinnen und Migrangten)

www.fimm.ch

Bedroht Staumauer das AKW Mühleberg?

Nuclear Power Plant Muehleberg in Switzerland Atomkraftwerk M¸hlebergDie Gutachten der BKW zur Erdbebensicherheit der Wohlensee-Staumauer weisen gravierende Mängel und Widersprüche auf. Zu diesem Schluss kommen zwei heute in Bern vorgestellte unabhängige Expertengutachten. Ein Versagen der Staumauer würde unweigerlich zu einem Atomunfall im AKW Mühleberg führen. Greenpeace fordert das Bundesamt für Energie als zuständiges Amt für die Sicherheit der Talsperren eindringlich auf, umfassende Vorsichtsmassnahmen zu prüfen. Die Staumauer darf unter diesen ungeklärten Umständen nicht als sicher eingestuft werden.

Im Nachgang zur Atom-Katastrophe in Fukushima mussten die Bernischen Kraftwerke (BKW) im Januar 2012 die Erdbebenfestigkeit der Wohlensee-Staumauer beweisen. Fazit der Aufsichtsbehörden ENSI und Bundesamt für Energie (BFE): Sicherheitsnachweis erbracht. Dem widersprechen nun die Einschätzungen von zwei Experten, die ihre Erkenntnisse zusammen mit Greenpeace heute an einer Medienkonferenz in Bern vorstellten.

Markus Kühni, Ingenieur und profunder Kenner und Kritiker des AKW Mühleberg, hat die Unterlagen der BKW untersucht und das Vorgehen der zuständigen Aufsichtsbehörden rekonstruiert. Sein Fazit: „Die Staumauer oberhalb des AKW Mühleberg erfüllt die gesetzlichen Mindestanforderungen nicht und darf somit nicht als sicher eingestuft werden. Es deutet alles darauf hin, dass das BFE und das ENSI ihren Aufsichtspflichten nicht nachgekommen sind.“ Besonders irritierend ist die Tatsache, dass die BKW ein erstes Gutachten seiner Fachgutachterin (Firma Stucky) einreichte, das zum Schluss kam, dass die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten seien. Danach folgten zwei weiteren Versionen, die ohne plausible Begründung zu gegenteiligen Schluss kamen.

Greenpeace hat Kühnis Befund durch den Geotechnik-Professor Dr. Wei Wu der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) überprüfen lassen. Die Dokumentation der BKW sowie die Stellungnahmen des BFE halten auch der unabhängigen Prüfung dieses Spezialisten nicht stand: „Sie sind lückenhaft und reichen aus geotechnischer Sicht als Sicherheitsnachweis nicht aus.“ Wu‘s Kritikpunkte reichen von widersprüchlicher Anwendung von Sicherheitsrichtlinien über nicht plausible Annahmen in Bezug auf bodenmechanische Kennwerte (Kohäsion) bis zu fehlenden Nachweisen zum Verhalten der Staumauer im Erdbebenfall.

Die Staumauer muss auch bei einem Erdbeben 20 Millionen von Kubikmetern Wasser halten und das AKW Mühleberg schützen, das sich nur 1,3 Kilometern flussabwärts befindet. Ein Versagen der Staumauer hätte verheerende Konsequenzen für das AKW und damit für die Bevölkerung in der Agglomeration von Bern. Gemäss Selbsteinschätzung der BKW wäre ein nicht beherrschbarer Unfall im AKW Mühleberg die Folge.

Greenpeace fordert das BFE eindringlich auf, umgehend umfassende Vorsichtsmassnahmen zu prüfen. Es hat sich zu den kritisierten? Sicherheitsmängeln zu äussern, wie auch das Zustandekommen des mehrmals beschönigten Gutachtens der Firma Stucky zu erklären. Greenpeace hat zudem Bundesrätin Doris Leuthard, die Aufsichtsbehörden und den Berner Regierungsrat brieflich über die unhaltbare Situation informiert und sofortiges Handeln gefordert: „Eine unabhängige Expertenkommission muss den Fall untersuchen. Weder darf das BFE der Wohlensee-Staumauer, noch das ENSI dem AKW Mühleberg unter diesen Umständen eine Erdbebensicherheit attestieren“, betonte heute Kaspar Schuler von Greenpeace.

Quelle: Medienmitteilun Greenpeace

Demokratie des Vorurteils

03_WahlurneEine aktuelle Studie zeigt auf, dass sich Urnenabstimmungen diskriminierend auf Einbürgerungsentscheide auswirken. Insbesondere rassistisch Marginalisierte wurden ohne Begründung massenhaft abgelehnt. Unter den Bedingungen der -kapitalistischen Gesellschaft stellt sich die Frage, inwiefern eine radikale Linke für die direkte Demokratie einstehen kann.

Aus dem vorwärts vom 15.Februar 2013. Unterstütze uns mit einem Abo!

Im Amtsbulletin der meisten Schweizer Gemeinden gab es bis vor etwa zehn Jahren auf den hinteren Seiten eine veritable Menschenschau. Da wurden jene Menschen abgebildet und beschrieben, die seit mindestens zwölf Jahren in der Schweiz lebten und sich nun anmassten, vollwertige Schweizer BürgerInnen werden zu wollen. Über diese Gesuche durften dann die alteingesessenen Schweizer StimmbürgerInnen an der Gemeindeversammlung entscheiden. Noch 1990 wurde in 80 Prozent der Schweizer Gemeinden bei Einbürgerungen auf diese Weise auf die direkte Demokratie gesetzt. Einen Wechsel gab es erst vor zehn Jahren aufgrund eines Entscheides des -Bundesgerichtes. Dessen Richter hatten Negativentscheide an der Urne für unrecht erklärt. Jede abgelehnte BewerberIn habe das Recht auf einen Rekurs, dieser sei aber an der Urne nicht möglich, argumentierte das Gericht. Die SVP ging damals auf die Barrikaden. Sie wusste genau, auf welche Sorte stolzer Stimm-bürgerInnen sie zählen konnte. Und so setzte sie auf eine politische Offensive für die Abstimmung an der Urne. Ihre Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» wurde allerdings 2008 mit über 63 Prozent klar abgelehnt. Heute entscheiden nur noch 30 Prozent der Gemeinden an der Urne über Einbürgerungen. Eine aktuelle Studie förderte nun zu Tage, welche Diskriminierung die Einbürgerungspraxis der direkten Demokratie zur Folge hatte und in einigen Gemeinden immer noch hat.

 

Diskriminierung an der Urne

Im Rahmen der vom «Schweizerischen Nationalfonds» geförderten Studie analysierten ForscherInnen die Daten von mehr als 2400 Einbürgerungsanträgen, über die in den Jahren 1970 bis 2003 in 44 Gemeinden entschieden wurde. Die Untersuchung kam zu einem wenig überraschenden Resultat: Menschen aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei wurden an der Urne zehnmal so oft abgelehnt wie die AntragstellerInnen aus Italien oder Spanien. Die xenophoben Präferenzen verhalten sich dabei dynamisch und reagieren auf den Zustrom neuer MigrantInnen: Immer diejenige Gruppe von EinwandererInnen, die zuletzt ins Land kommen, wird am stärksten abgelehnt. Dabei haben Faktoren wie Sprachkenntnisse, Stellung im Arbeitsleben oder die überall so hoch gelobte Integration praktisch keinen Einfluss. In Gemeinden mit einem hohem Anteil an SVP-WählerInnen ist die Diskriminierungsrate am höchsten. Man muss es so drastisch sagen, wie es ist: An der Urne entschied und entscheidet in den allermeisten Fällen das Ressentiment über die Einbürgerungen.

Die Studie untersuchte auch den Wechsel der Einbürgerungspraxis von der Urnenabstimmung zur Bearbeitung durch gewählte PolitikerInnen. Im ersten Jahr nach dem Wechsel stiegen die Einbürgerungsraten sprunghaft um 50 Prozent an. Innerhalb von zwei Jahren verdoppelten sie sich. Je marginalisierter die Gruppe der AntragstellerInnen war, desto stärker stieg die Einbürgerungsquote: Für Menschen aus der Türkei um 65 Prozent, für jene aus Ex-Jugowslawien gar um 75 Prozent, während die Rate für italienischstämmige GesuchstellerInnen mit einem Anstieg von 6 Prozent nur leicht zunahm. «Ohne den Wechsel wären zwischen 2005 und 2010 rund 12?000 Immigranten weniger eingebürgert worden», erklärt Dominik Hangartner, einer der Wissenschafter. Die Studie empfiehlt, dass künftig Einbürgerungen von GemeinderätInnen, Parlamenten oder spezialisierten Kommissionen vorgenommen werden sollen, um Diskriminierungen zu vermeiden.

Direkte Demokratie von rechts

Die Gründe für den frappanten Unterschied in der Einbürgerungsquote sieht die Studie nicht etwa darin, dass die gewählten PolitikerInnen weiter links oder offener seien als ihre WählerInnen. Der Grund sei ein anderer: Wenn ein Antrag gestellt wird, dann können die WählerInnen an der Urne frei nach Gutdünken und Vorurteil walten, ohne jemandem Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Anders sieht das bei den gewählten VertreterInnen aus. Diese müssen bei einer Ablehnung eine schriftliche, stichhaltige und allenfalls rekursfähige Begründung -abgeben.

Man muss dem hinzufügen, dass es der SVP in den vergangen Jahren immer wieder gelungen ist, die vorhandenen Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren und ihr die entsprechenden -Objekte zu bieten. Ob es dabei um «Scheininvalide», «Sozial-schmarotzerInnen» oder eben jene «kriminellen Aus-län-derIn-nen» ging, man konnte sie an der Urne abstrafen. Auch wenn der Aufstieg der SVP in den letzten Jahren – auch durch interne Machtkämpfe – etwas gebremst wurde, es gelang ihr nach wie vor, über die direkte Mobilisierung des Stimmvolkes Erfolge zu erzielen. Darum griff die SVP in der Vergangenheit immer wieder im Namen des Plebiszits rechtsstaatliche Institutionen an. Sie weiss genau, mit welchen StimmbürgerInnen sie rechnen kann. Was die SVP anstrebt, ist nicht weniger, als eine autoritäre Herrschaft in direkt-demokratischer Form. Eine formierte Gesellschaft, die fremde und störende Elemente immer wieder marginalisiert und aussondert. Die tragenden Ressentiments werden dabei nicht von der SVP erschaffen – auch wenn sie sie immer wieder forciert und verstärkt –, sondern von einer Gesellschaft hervorgebracht, die auf der Konkurrenz basiert und den Einzelnen als Warenmonade atomisiert und gegen alle anderen wirft.

Emanzipatorische Perspektive?

Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, inwiefern sich eine radikale Linke für die direkte Demokratie stark machen kann. Es ist eben gerade nicht jener atomisierte Stimmbürger, der für das Projekt der Emanzipation stehen kann. Gleichzeitig kann man sich auch nicht für jene Strukturen einsetzen, die die Verwaltung der kapitalistischen Gesellschaft rationaler organisieren – wie etwa Expertenkommissionen oder Parlamente. Es zeigt sich hier in aller Deutlichkeit, dass die kommunistische Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer Totalität brechen und neue Formen finden muss, statt sich auf politische Formen der alten Gesellschaft zu stützen. Es ginge darum, den Inhalt der gesellschaftlichen Reproduktion und damit auch das Bewusstsein darüber zu ändern und damit zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden. Darunter ist die emanzipatorische Mitbestimmung aller Gesellschaftsmitglieder leider nicht zu haben.

Gegen die von oben: Kanton Oberland

Karte_Helvetik_3Im Schloss Thun ist bis Ende Februar die Ausstellung  „Canton Oberland – Eine Episode der Berner Geschichte“ zu sehen, um deren Thema sich allen voran das Berner Oberland selber lange gedrückt hat. Es geht um einen Teil der eigenen Geschichte, um den des kurzlebigen Kantons Oberland während der Helvetik 1798 bis 1803.

Der Stein des Anstosses für die Ausstellung „Canton Oberland – Eine Episode der Berner Geschichte“ ist im Kleist-Jahr zu suchen. Im Jahre 2011 gab es eine Serie von Veranstaltungen in Thun, weil der Schriftsteller auf dem Oberen Inseli 1802 und 1803 weilte, um ein einfaches Bauernleben zu führen. Das Inselchen wurde dann auch im Zuge des Jubiläums in Kleist-Inseli umbenannt. Verdutzt stellte man fest, dass im Rahmen der Kleist-Ausstellung im Schlosse zu Thun nicht auf Kleists Verhältnis zur Helvetischen Revolution verzichtet werden konnte, eine Stellwand wurde dieser ambivalenten Liaison gewidmet. Daraus wurde dann mehr.

Nie hat man sich im Kanton Bern an die die Helvetischen Republik gross erinnert, geschweige denn das Jubiläum gefeiert, ausser in den alten, befreiten Teilen davon wie im Kanton Waadt oder im Kanton Aargau, ebenso wenig im Kanton Oberland, der bei der eigenen Bevölkerung nicht gut ankam und dem ein kurzes Dasein beschieden war.

Widerstand gegen Fortschritt

Die Oberländer waren schon immer rückständig. Während der Reformation im 16. Jahrhundert wehrten sie sich und kämpften erfolglos für den Katholizismus, während des Bauernkrieges 1653 unterstützten sie nicht die aufständischen Genossen aus dem Emmental und Entlebuch, sondern kämpften grösstenteils an der Seite der Stadtberner Patrizier gegen sie. Diese Sympathie für die Unterdrücker hatten sie auch 150 Jahre später nicht verloren, als 1798 Napoléon die Untertanenlande und die gemeinen Herrschaften von der Eidgenossenschaft der 13 Orte befreite. Der Kanton Bern, der damals als kleinste Grossmacht Europas galt, oder wahlweise auch der grösste Kleinstaat genannt wurde, wurde in vier Kantone aufgespalten: Waadt, Oberland, Aargau und (Rest-)Bern. Die Kantone wurden von eigenständigen Staaten in Verwaltungsregionen umfunktioniert. Alle waren gleichberechtigt. Andere Kantone wurden zusammengelegt, wie es zum Beispiel für Uri, beide Unterwalden, Zug und Teile von Schwyz geschah, die zum Kanton Waldstätte verschmolzen.

Doch die Oberländer wussten, im Gegensatz zu den Waadtländern und Aargauern, nichts mit dem Geschenk anzufangen. So gesehen ist es auch heute noch evident, wie sie mit einer Art Neid auf den Kanton Jura schauen und jegliche Autonomie- oder Fusionstendenzen des Südjuras, der immer noch zum Kanton Bern gehört, vehement ablehnen.

Thomas Knutti, SVP-Grossrat aus Weissenburg, ist so ein Beispiel. Als es um die teilweise Schliessung, resp. um die Zusammenlegung der Spitäler im Obersimmental und im Saanenland ging, hat er nicht die vielen teuren Privatspitäler für die Oberschicht in und um die Stadt Bern angegriffen, sondern die öffentlichen im Berner Jura, bei denen nicht gespart und zusammengelegt werde.

Dieser Geist, dass die Oberländer immer auf der falschen Seite standen, schimmert auch etwas an der Ausstellung durch. Das Beste sind die Stellwände, welche die Sachverhalte und Widersprüche zum Teil sehr schön aufzeigen. Wenn man die Ausstellung der Reihe nach anschauen will, muss man sich aber zuerst durch die Familienwappen und -namen mit den dazugehörigen Amtszeiten der alten Berner Geschlechter durchkämpfen, die als Schultheissen in Thun eingesetzt worden sind. Man kann sie aber getrost links liegen lassen. Neben ein paar Schriftstücken und Ausstellungsgegenständen gibt es auch noch eine Nachbildung eines Freiheitsbaums zu bewundern, wie sie in der Zeit gestellt wurden. Die Jakobinermütze aus Filz sieht zwar eher etwas billig aus, und trotz der grünen Farbe Wilhelm Tells sahen und sehen die meisten Oberländer darin wohl eher einen Gesslerhut, ohne zu merken, dass die Herren von Bern die fremderen Vögte waren als die Armee der französischen Bürger, welche ihnen z.B. die Pressefreiheit brachten, bis erstere diese wieder erstickten.

Die Segnungen der Helvetischen Revolution kamen wegen deren Kurzlebigkeit nicht über das geduldige Papier hinaus, doch im Oberland wären sie wohl auch noch nicht angekommen. Schulpflicht und demokratische Rechte wurden im ersteren Falle abgelehnt und im letzteren nicht wahrgenommen.

Brot und Spiele

Aber das war nicht überall so. Während das westliche Oberland, allen voran das Simmental, aber auch das Frutigland, das in den Dreissigerjahren eine faschistische Hochburg war und wo noch heute Schwarzenbachs Republikaner-Nachfolgerin, die EDU, sehr stark ist, war das östliche Oberland immer fortschrittlicher. Die Herren von Bern mussten diese Region nach dem Ende des autonomen Kantons sogar entschädigen, indem sie ihnen Brot und Spiele anboten, und auf dem Bödeli zwischen Thuner- und Brienzersee das Unspunnenfest installierten. Dieser Klassenfrieden wurde „Versöhnung zwischen Stadt und Land“ genannt. Doch auch das war nicht lange nötig, nach 1805 gab’s nur noch 1808 eine Ausgabe. Danach war fast hundert Jahre Funkstille, 1814 fand zwar noch ein Aufstand der Oberländer gegen die Stadt statt, aber ein Jahr später, mit dem Wiener Kongress, wurde aus dem Bundesstaat wieder ein Staatenbund, das Ancien Régime war zurück. 1905 wurde das Fest folkloristisch wieder aufgenommen und entleert, zuerst durch Tourismusorganisation, dann durch Trachtengruppe. Heutzutage findet der Anlass alle zwölf Jahre statt, dazwischen ein Unspunnenschwinget. Politik ins Spiel brachte erst wieder die 17 Jahre andauernde Entführung des Unspunnensteins durch die jurassische Jugendorganisation Béliers.

Von all diesen Zusammenhängen ist an der Ausstellung nicht die Rede, aber einen Ausflug ist sie wegen der Fakten trotzdem Wert. Sie beschränkt sich, bis auf die erwähnte Ahnengalerie, auf die Periode von 1798 bis 1803. Die Ausstellung ist wegen des Interesses sogar verlängert worden, eigentlich wäre letztes Jahr Schluss gewesen. Im Museum lohnt sich ansonsten noch die Dauerausstellung über eine historische nachgebaute Porzellanmanufaktur aus Heimberg eine Étage tiefer, und auch auf dem Boden darüber die industriegeschichtliche Relevanz der verkehrstechnischen Erschliessung des Tors zum Oberland durch die Eisenbahn. Doch die Reaktion ist auch dort präsent und der Fortschritt, räumlich von unten nach oben angeordnet, wird etwas getrübt. Der grösste Teil dieses dauerhaften Ausstellungsteils handelt von der Thuner Militärgeschichte und Kadettentradition, die jedes Jahr im närrischen „Fulehung“ und dem damit verbundenen „Ausschiesset“ gipfelt. Als Zwischenstation zu den vier Türmen des Schlosses, welche einen wunderschönen Ausblick auf Stadt, See und Berge bietet, lohnt sich dieser Spiessrutenlauf aber alleweil.

 

Canton Oberland – Eine Episode der Berner Geschichte

Ausstellung bis 28. Februar 2013, täglich 13–16h, Schlossmuseum Thun, Schlossberg 1, Thun.

Die Helvetische Revolution 1798 brachte die kurzlebige Helvetische Republik hervor, diese wiederum den Kan­ton Oberland, dessen Verwaltungssitz Thun war. 1803 mit der Mediation war alles wieder vorbei, viele Fortschritte wurden rückgän­gig gemacht, und 1815, mit dem Wiener Kongress und der damals eingeleiteten Restauration, kam es abermals zu einem Backlash.

Eintritt frei mit Museumspass/Raiffeisen-Mitgliederkonto, ansonsten Wegzoll…

www.schlossthun.ch/ausstellungen/sonderausstellungen/canton-oberland.html

Angst vor Volksentscheid?

Landsgemeinde_Glarus_2006Der Zürcher Regierungsrat hat dem Kantonsrat beantragt, die Initiative «Steuerbonus für dich» der Partei der Arbeit Zürich (PdAZ) für ungültig zu erklären. Hat der Regierungsrat Angst vor dem Volksentscheid?

Um sich vor den politischen Fragen zu drücken, will der Regierungsrat die Initiative der PdAZ auf juristischen Weg erledigen. Kein Wunder, denn es ist für den Regierungsrat in der Tat politisch sehr schwer zu erklären, weshalb im Kanton Zürich 1.5 Prozent der Steuerpflichtigen gemeinsam mehr als 123 Milliarden Franken und somit 45 Prozent des gesamten Privatvermögens besitzen. Noch eklatanter wird das Verhältnis bei den Firmen: Rund 2400 (5,2 Prozent) der Firmen im Kanton Zürich haben ein Eigenkapital von mehr als fünf Millionen Franken und kommen gemeinsam auf ein Vermögen von über 405 Milliarden (!) Franken. Sie besitzen somit 96 Prozent des gesamten Eigenkapitals. Angesichts dieser immensen Summen an vorhandenem Kapital, wird es für den Regierungsrat schwierig zu erklären sein, weshalb die Familien mit einem unteren und mittleren Einkommen, die bekanntlich von der Krise am stärksten betroffen sind, nicht in den Genuss einer Steuererleichterung kommen sollen. Um diese enormen Missverhältnisse und vor allem die Gründe, die dazu führen, nicht thematisieren zu müssen, wird versucht, die Initiative juristisch zu bodigen. Der Regierungsrat verletzt dabei den von ihm selbst gepriesenen «demokratischen Entscheidungsprozess» und entlarvt damit letztlich sein Demokratieverständnis zur Stabilisierung des Unrechts.

Die PdAZ hat vor der Lancierung der Initiative die rechtliche Lage überprüft.  Sie ist der Meinung, dass es sich um eine rein politische und nicht um eine juristische Frage handelt,  ob die Initiative zur Abstimmung kommt oder eben nicht. Falls der Kantonsrat dem Antrag des Regierungsrats folgt, wird die PdAZ sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit die Volksinitiative zur Abstimmung kommt. Die PdAZ weist zudem darauf hin, dass die Initiative von mehr als 7‘200 Stimmberechtigten unterschrieben worden ist und daher die demokratische Legitimationbesitzt, dass die Bevölkerung über diese Vorlage entscheiden darf.

Partei der Arbeit Zürich 

Der Vorstand

Kampfmassnahmen beschlossen!

syndicomDie Information der Gewerkschaft syndicom

Die Verlängerung der Arbeitszeit um 2 Stunden pro Woche und die Senkung der Nachtzuschläge, wie der Unternehmerverband Viscom sie fordert, finden keine Freunde bei den Beschäftigten der grafischen Industrie. In der Urabstimmung über Kampfmassnahmen zur Verteidigung des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) der grafischen Industrie vom 13. Februar sagten 95% der Abstimmenden syndicom-Mitglieder der grafischen Industrie Ja zu Kampfmassnahmen. Schon am 26. Januar hatten die Mitglieder der syna an ihrer Branchenkonferenz Print einstimmig Kampfmassnahmen befürwortet.

Nach den klaren Abstimmungsergebnissen halten die Gewerkschaften ihr Kompromissangebot aufrecht, den bisherigen GAV zu verlängern. Diese Lösung kann in den nächsten Monaten grosse Konflikte in der grafischen Industrie vermeiden. Diejenigen Betriebe, die jetzt in der vertragslosen Zeit die Nachtzuschläge senken oder die Arbeitszeit verlängern wollen, müssen nach diesem Ja zu Kampfmassnahmen in einer Periode ohne Friedenspflicht mit gewerkschaftlichen Aktionen rechnen.

Die Gewerkschaften syndicom und syna erwarten vom Viscom, dass er ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückkehrt und die Provokationen einstellt, die nach dessen letzter Zentralvorstandssitzung vom 1. Februar publiziert wurden. Dort wurden die Betriebe erneut «ermutigt», die Arbeitszeit zu verlängern und die Zuschläge zu senken. Solche Angriffe auf den GAV sind Kampfmassnahmen «von oben», die Arbeitsplätze vernichten und unzumutbare Lohnkürzungen zur Folge hätten. Es mutet deshalb zynisch an, wenn der gleiche Viscom-ZV die Gewerkschaften in einem Brief auffordert, auf Kampfmassnahmen zu verzichten!

Dass die Gewerkschaften und die Beschäftigten der grafischen Industrie Provokationen zu beantworten wissen, haben sie am letzten Sonntag in Basel bewiesen. Die Drucker der Zeitungsdruckerei der Basler Zeitung stellten in der Nacht auf Montag die Maschinen ab und verhinderten den Druck der Basler Zeitung in Basel. Dieser Protest richtete sich gegen eine Geschäftsleitung und die Besitzer einer aus dem Viscom ausgetretenen Druckerei, die in ihrer Arroganz für die Ende März geplante Schliessung des Betriebs keinen Sozialplan eingeplant hatten, der den finanziellen Verhältnissen der Hintermänner Blocher und Tettamanti entsprechen würde.

Die Gewerkschaften sind nach dem Ja zu Kampfmassnahmen bereit, die GAV-Verhandlungen wieder aufzunehmen – oder den GAV gegen Provokateure auf Viscom-Seite in und vor den Betrieben zu verteidigen.

Streik bei der BaZ-Druckerei

293221-bzInformation der Gewerkschaft syndicom:

Seit 23.00 Uhr stehen in Basel die Druckmaschinen still. Heute Nacht wird bei der Zeitungsdrucker AG nichts gedruckt. Betroffen sind eine Teilausgabe der Coopzeitung und die Basler Zeitung (BaZ). Die Streikenden wehren sich gegen die Arroganz der Geschäftsleitung, die den Betrieb per 31. März schliessen will und alle Forderungen sowie ein Alternativprojekt der Belegschaft abgeblockt hat. Das Personal fordert Abgangsentschädigungen, eine Verlängerung der Kündigungsfristen und Sozialplanverhandlungen unter Beizug der Gewerkschaften. Lanciert wurde auch eine Petition mit dem sprechenden Titel: «Liebe Herren, wir lassen uns so nicht abservieren!»

Seit dem 8. Januar ist klar, dass die BaZ-Druckerei «die Zeitungsdrucker» per Ende März 2013 geschlossen wird. Von der Schliessung sind 96 Personen betroffen. Trotz einigen Frühpensionierungen und Stellenangeboten bei Tamedia sowie der Unterbringung der Lernenden bleiben 72 Personen auf der Strasse.
An einer ersten Betriebsversammlung verlangte die Belegschaft am 11. Januar eine Verlängerung der Konsultationsfrist bis zum 22. März 2013, da mögliche Alternativprojekte mehr Zeit zur Ausarbeitung benötigten als die gemäss OR 335f für konkrete Vorschläge zum Erhalt der Arbeitsplätze zur Verfügung gestellten zwei Wochen. Das Personal verlangte ausserdem, dass die Personalkommission bei den Verhandlungen für einen Sozialplan von der Gewerkschaft syndicom begleitet würde, um von deren Erfahrungsschatz profitieren zu können.

Die Basler Zeitung Medien verlängerte die Konsultationsfrist nicht und wollte syndicom nur als Beobachterin an den Sozialplanverhandlungen zulassen. Ohne die Personalkommission auch nur informiert zu haben, liess die Unternehmensleitung dem Amt für Wirtschaft und Arbeit am 22. Januar den ersten Entwurf eines Sozialplans zukommen. Erst am 29. Januar wurde dieses äusserst magere Angebot der Betriebsversammlung vorgelegt. Die Belegschaft antwortete darauf mit ihren eigenen Forderungen:

  • – Verlängerte Kündigungsfristen
  • – Abgangsentschädigungen
  • – Finanzielle Unterstützung für Umschulung oder Aus- und Weiterbildung
  • – Ausgleichzahlungen bei Lohndifferenz
  • – Überbrückungsrenten
  • – Umzugsgeld

Die Unternehmensleitung der Basler Zeitung Medien nahm diese Forderungen mit dem Hinweis entgegen, dass die Basler Gruppe vor dem Konkurs stehe und deshalb kaum Geld für eine Unterstützung der Entlassenen zur Verfügung habe. Dass mit Christoph Blocher und Tito Tettamanti millionenschwere Investoren hinter der Basler Zeitung Medien stehen, war offenbar vergessen gegangen. Am 7. Februar folgte dann die konkreter ausformulierte Antwort, mit der sowohl Abgangsentschädigungen als auch Übergangsrenten rundweg abgelehnt wurden.

Beispiellose Arroganz
Von der beispiellosen Arroganz der Manager zeugte vor allem Rolf Bollmanns Replik, die Druckereiangestellten hätten ja eine 3. Säule einrichten können, um ihre Renten besser abzusichern. Ausserdem könne jeder über sechzig noch Arbeit finden, wenn er wolle, dazu sei er selbst das beste Beispiel…
An der Betriebsversammlung gleichentags wurde einstimmig beschlossen, dass die Belegschaft dem mageren vorliegenden Sozialplan nur unter der Bedingung zustimmt, dass die Arbeitsleistung und Treue der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Abgangsentschädigung von 1000 Franken pro Dienstjahr honoriert wird.

Diese Forderung wurde der Unternehmensleitung mit Frist bis Freitagabend, 8. Februar, 18.00 Uhr, übergeben. Erst nach deren Ablauf liessen die Herren von der Sekretärin ausrichten, dass sie sich dazu erst wieder am Montagabend äussern wollten.
Dieses arrogante Verhalten tolerieren die Zeitungsdrucker nicht mehr. Heute bleiben die Maschinen still. Weder die BaZ und noch die Coopzeitung werden heute Nacht in Basel gedruckt.

Petition: 

Wir gehen nicht ohne Abfindung für Schweiss und Treue. Liebe Herren, wir lassen uns nicht abservieren!
www.syndicom.ch/diezeitungsdrucker

Wir werden unseren Kampf weiterführen!

Solidemo Providence_02Der Streik im Krankenhaus «La Providence» in Neuchâtel hat den 60. Tag überschritten. Die Streikenden geben nicht auf und führen die Mobilisierung trotz grosser Schwierigkeiten weiter. Der vorwärts sprach mit Sabine Furrer, 41, Sozialarbeiterin für PatientInnen. Sie gehört zu den MitinitiantInnen des Streiks.

Aus der aktuellen Printausgabe. Unterstütze uns mit einem Abo.

Am 26. November 2012 habt ihr einen Streik begonnen. Was sind die Gründe?

Die Krankenhausleitung hat einseitig entschieden, den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) aufzukündigen, obwohl er im ganzen Kanton und für die ganze Branche gilt. Wir haben schnell gemerkt, dass damit der Verkauf des Krankenhauses an eine private, börsenkotierte Klinikgruppe in Verbindung stand, die einfach keinen GAV wollte. Die Vermittlungsversuche waren erfolglos und wir hatten keine andere Wahl, als in den Streik zu treten.

Warum streikst du? Was sind deine Gründe?

Ich hätte mir nie vorstellen können, eines Tages zu streiken. Eine Reihe von Ereignissen, die über den Verlust des GAV gehen, haben mich gezwungen, für den Streik einzutreten: Lügen, Böswilligkeit, Manipulation, Drohungen und Druck der Leitung sowie der Opportunismus, die mangelnde Solidarität einiger KollegInnen und kleinen Chefs und der Mangel an Mut von Seiten der PolitikerInnen waren ausschlaggebend. Aber mein zentraler Punkt: Ich konnte mir nicht vorstellen, die anderen an die Front ziehen zu lassen und abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt, ohne mich zu positionieren. Schliesslich ging es mir auch darum, mich gegen das Profitdenken im Gesundheitsbereich einzusetzen.

Welche Schwierigkeiten trefft ihr in eurem Kampf an?

Einerseits haben wir mit einer unglaublichen Kälte zu kämpfen, die das Streiken gar nicht einfach macht, weil der Streikposten ausserhalb des Krankenhauses liegt. Andererseits haben wir grosse Einschüchterungen erlebt: Druck von Seiten der Krankenhausleitung, die behauptete, der Streik sei illegal und die Streikenden riskierten die Kündigung. Zudem wurde die private Sicherheitsfirma «Securitas» angestellt, um eine Barriere zwischen dem Streikposten und dem Krankenhaus zu errichten. Der Leiter der Sicherheit fotografierte die Streikenden, was dazu führte, dass die (noch) nicht Streikenden sich nicht trauten, sich uns anzunähern und mit uns zu diskutieren. So wird es schwierig, im Alltag mit den Stimmungsschwankungen umzugehen.

Warum unterstützt euch die grosse Mehrheit des Krankenhauspersonals nicht?

Viele KollegInnen haben resigniert. Einige haben erklärt, dass sie lieber ihren GAV als ihre Stelle verlieren. Sie haben Angst. Doch mit der Übernahme ist die Auslagerung einiger Bereiche schon geplant. Aus diesen Bereichen beteiligt sich niemand an den Streik, da die KollegInnen denken, dass sie nicht entlassen werden, wenn sie sich als «gute» Angestellte profilieren. Andere haben eine sehr enge Vorstellung der Problematik. Da sie Garantien erhalten haben für den Arbeitsplatzerhalt, stellen sie sich keine Fragen mehr. Dieses individualistische Verhalten ist natürlich auch Ausdruck der aktuellen Krise. Auch sind die finanziellen Aspekte nicht zu unterschätzen: Die Streikenden erhalten keinen Lohn mehr. Wer gewerkschaftlich organisiert ist, kann auf die Streikkasse zählen, die aber nicht den ganzen Lohn deckt. Dann gibt es auch Angestellte, die sich nicht wiedererkennen in unseren Forderungen und in der Bewegung.

Die durch den Streik aufgeworfenen Fragen betreffen auch andere Krankenhäuser, ja gar den gesamten Krankenhaus- und Gesundheitssektor. Habt ihr mit anderen Lohnabhängigen Kontakte herstellen können?

Ehrlich gesagt fühlen wir uns ziemlich isoliert. Die Angestellten der öffentlichen Spitäler in Neuchâtel werden ihren GAV weiterhin beibehalten, sie können sich nicht einmal vorstellen, den GAV zu verlieren.

Welche Erfahrungen habt ihr mit der Politik gemacht?

Erbärmliche Erfahrungen! Wir mussten uns mit unehrlichen PolitikerInnen konfrontieren, die ihre selbst festgelegten Regeln umgehen, um ihre Ziele zu erreichen. Wir bezahlen gerade den Preis einer zehnjährigen, katastrophalen Regierung – sowohl von rechts, wie auch von links (!) –  in Sachen kantonaler Krankenhaus- und Gesundheitspolitik. Ein riesen Schlamassel!

Genolier ist ein grosser Akteur im Krankenhaussektor, der über die Gesundheit seine Profite maximieren will. Worauf müsst ihr euch bei der Übernahme von «La Providence» gefasst machen?

Für die Angestellten bedeutet die Übernahme eine klare Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit, Einführung des Leistungslohnes, Senkung der Vergütung für Wochenend- und Nachtarbeit, Überstunden und Ferien. Zudem werden die Leistungen bei Krankheit, Unfall und Mutterschaft gekürzt. Es sind viele materielle Verschlechterungen. Hinzu kommen die Auslagerungen bestimmter nicht-medizinischer und nicht-pflegerischer Bereiche wie der Wäscherei und der Reinigung. Und schliesslich ist zu erwarten, dass Genolier sich von den teuren Kliniken befreien, um nur noch diejenigen behalten wird, die hohe Profite garantieren.

Während diesen 60 Tagen habt ihr wichtige Erfahrungen in Sachen (Selbst-)Organisation gemacht. Kannst du uns diese Erfahrungen beschreiben?

Wir kommen ständig in Versammlungen zusammen, um über Strategien, Aktionen und die Stossrichtung unseres Kampfes zu entscheiden. Alles funktioniert auf sehr demokratische Art und Weise. Während des Streiks ist die Kommunikation zentral. Wir haben Informationsflugblätter geschrieben, haben sie unseren KollegInnen und der gesamten Bevölkerung verteilt. Zudem haben wir Demonstrationen organisiert, Infostände in der Stadt Neuenburg, aber auch in anderen Städten im Kanton aufgebaut. Dann haben wir auch spezielle Aktionen durchgeführt (Schweige- und Fakelmärsche, Lieder produziert). Interessante Erfahrungen haben wir mit den Medien gemacht: Wir haben Medienkonferenzen durchgeführt, immer wieder Interviews gegeben, um unsere Anliegen zu verbreiten. Aber auch der Kontakt zu den politischen Parteien und den gewählten PolitikerInnen hat nicht gefehl. Wir haben oft vor dem kantonalen Parlament demonstriert.

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in eurem Streik?

Die Gewerkschaften haben eine zentrale und sehr wichtige Rolle. Sie vereinigen die Streikenden und tragen uns auch in einer gewissen Weise. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen in diesem Bereich sind sehr wertvoll. Sie haben die Gewohnheit zu diskutieren, zu verhandeln, den Kontakt zu den Medien zu pflegen. Auch unterstützen sie uns auf der rechtlichen Ebene.

Gibt es auch andere Personen, Organisationen, Kollektive, die euch unterstützen?

Ein Unterstützungskomitee wurde aufgebaut, welches einerseits kollektive Mitglieder zählt (politische Parteien, Organisationen), andererseits individuelle Mitglieder. Sie haben punktuelle Aktionen organisiert. Auch haben wir viele Solidaritätsbotschaften erhalten von Organisationen und Kollektiven aus anderer Regionen. Teilweise haben sie sich auch an unseren Demonstrationen beteiligt.

Welche Bilanz ziehst du aus diesen (ersten) 60 Streiktagen? Und welche Perspektiven hat die Bewegung und der Streik?

Wir haben regelrecht ins Wespennest gestochen. Wir haben den PolitikerInnen gezeigt, dass sie im Krankenhausdossier keine langfristige Vision besitzen. Zudem haben wir gewisse linke Parteien mobilisieren können, die nun ein Gesetzesprojekt, aufbauend auf unseren Forderungen, einreichen wollen. Wir werden unseren Kampf weiterführen, wir lassen unsere Forderungen nicht einfach so fallen. Eine streikende Kollegin hat es mit folgenden Worten bestens auf den Punkt gebracht: «Wir sind der winzige Stein im Schuh, der während den ersten Kilometern keine grossen Sorgen bereitet, aber nach 10 Kilometern unerträglich wird und sich nach 20 Kilometern zu einem regelrechten Felsen wandelt!»

«Kirche und Schwert. Ein Krieg gegen das Matriarchat»

Georges Felix. Bereits zum dritten Mal marschierten fundamentalistische ChristInnen in Zürich auf, um gegen das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Hinter der Maske der LebensschützerInnen, gären rechtsextreme Ideologien. Eine Hintergrundrecherche.

Aus der Printausgabe 35/36 des vorwärts vom 28/09/12. Unterstützte uns mit einem Abo.

Buchcover des Buchs "Kirche und Schwert" von D. Regli

D. Reglis‘ Buchcover „Kirche und Schwert“

 

2010 beim ersten «Marsch fürs Läbe» demonstrierten lediglich ein paar 100 «ChristInnen», am 15. September 2012 waren es bereits weit über 1000. Gegenüber dem letzten Jahr verdoppelte sich die Teilnehmendenzahl, während sich die 200 GegendemonstrantInnen nicht vermehrten. Die Zahl der FundamentalistInnen muss jedoch relativiert werden. In grosser Zahl wurden AbtreibungsgegnerInnen aus den umliegenden Ländern mit Cars antransportiert.

Über 50 FundamentalistInnen aus Polen fielen besonders auf. Sie trugen Schilder mit makabren Bildern von aufgeschlitzten Barbiebäuchen, Polenfahnen und ein nationalistisches weissrotes Breittransparent, auf welchem in Frakturschrift «Polonia» aufgedruckt war. Ein Herr hatte auf seinem T-Shirt das Templerkreuz mit der Überschrift Jerusalem aufgedruckt. Randbemerkung: Anders Breivik rechtfertigte seine politischen Massenmorde damit, dass er ein «Templer» im christlichen Kampf der Kulturen gegen die Invasion der Kulturmarxisten und des Islams sei.

«Fundamentalistische Gruppen» am Marsch

Der Verein «Marsch fürs Läbe» wurde am 9. Mai 2011 gegründet. Der Vorstand umfasst den Zürcher SVP Gemeinderat Daniel Regli, den Heidi-Schokoladenfabrikbesitzer Jürg Läderach und seinen Sekretär Walter Mannhart, Leiter der freikirchlichen Internatsschule «Domino Servite» (Dienet dem Herren). Beide sind in leitender Funktion bei der Erweckungs-Freikirche «Kwasizabantu» (KSB), welche gemäss der Informationsstelle der reformierten Kirche als fundamentalistische Sondergruppe eingestuft wird. Läderach ist Financier und Chef der KSB Schweiz.

Trotzdem ist der Marsch anhand der Organisationen weniger dem freikirchlichen Spektrum, als eher christlich-rechtskonservativen oder gar christlich-rechtsextremen Strömungen zuzuordnen. Unter den 13 Unterstützungsorganisationen findet sich die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) und ein enges Netzwerk aus sechs sich personell überschneidenden Organisationen, in deren Zentrum der Vereinspräsident Daniel Regli steht. Alle diese Organisationen haben sich den Kampf gegen den Islam und für eine rigide Sexualmoral auf die Fahne geschrieben.

Kampf der Kulturen

Ein zentraler Bestandteil heutiger rechtsextremer Theorien und der Organisationen um Regli ist der «Kampf der Kulturen», der eine gesellschaftsfähigere Variante des völkischen «Rassenkampfs» darstellt. Rechtsextremismus baut auf einer sozialdarwinistischen Theorie der Ungleichheit auf, in welcher Völker, Rassen oder Kulturen im unüberbrückbaren Kampf stehen. Ziel ist das Überleben des eigenen «Volkskörpers». Daraus ergeben sich drei Kernmerkmale: 1. Die Auslöschung oder Unterwerfung anderer Kulturen, Rassen oder Völker zum Wohle der eigenen genetisch, kulturell oder historisch überlegenen Gruppe. 2. Die absolute Unterordnung des Individuums unter den Volkskörper. Oftmals anhand einer historisch oder kulturell vorgegeben Rolle. Zum Beispiel die traditionelle biblische Rolle der Frau als Untertanin des Mannes. 3. Der Kampf gegen schädliche Elemente im Innern. Zum Beispiel die Verfolgung von Marxistinnen, Juden oder Homosexuellen.

Christen für die Wahrheit

Der Schokokönig Läderach ist auch Präsident des Schweizer Ablegers «Christians for Truth» (CfT). CfT möchte «eine Nation … nach höchsten christlichen Normen und Werten.» Wie in den USA versucht diese Gruppe Einfluss im rechtskonservativen Lager zu gewinnen. Was christliche Normen und Werte für Läderach und Walter Mannhart bedeuten, sieht man an der KSB-kontrollierten Schule «Domino Servite». Gemäss eines Berichts der NZZ aus dem Jahre 2002 haben die Kinder freches Verhalten zu unterlassen und müssen den Erziehern gehorchen und dankbar sein. Dieser muss ständig wissen, wo sich die Schüler aufhalten. Zweideutige Beziehungen zwischen Knaben und Mädchen sind verboten. Vergehen führen zu strengen Disziplinarmassnahmen. Im Internet finden sich Berichte über körperliche Züchtigung und Haftstrafen in dunklen Wandschränken.

Regli: «Schwule Arschlöcher»

Der SVP-Gemeinderat Regli kämpfte 2009 an vorderster Front mit seiner Organisation «familienlobby» gegen die Europride. Gemäss dem TA schrieb Regli Schmähbriefe an das Pride-OK und bezeichnete diese als schwule Arschlöcher und freute sich über die Zunahme von HIV-Infizierungen in der Gay-Community. In einem Video-Interview sagt Regli: «Homosexualität ist eine psychische Störung … ein moralisches Defizit.» Nach den politischen Massenmorden Anders Breiviks schreibt Regli 2011, dass «Europa erst möglich geworden sei, durch die Tat so genannter <Antiislamisten>» und «die westliche Welt hätte längst keinen Bestand mehr ohne kämpferische <Anti-Jihadisten>.» Er bezieht sich hier nicht auf Breivik selbst aber konstruiert ein kulturkämpferisches Weltbild des Abendlands, welches auf Karl Martell zurückgeht. Dieser besiegte 732 n.Ch. die Mauren. In Reglis Buch «Kirche und Schwert» werden auf dem Titelbild zwei blutverschmierte Schwerter in Kreuzgestalt dargestellt. Es handelt davon, dass «die Zukunft der europäischen Nation … vom beherzten Einsatz von Christen abhängt, die sich an die Macht wagen.»

«Meine Damen… Wollen Sie Frieden oder Krieg?»

2008 schreibt Regli im Artikel «Gummizelle oder Fruchtblase» von den Horden Mohammeds, welche seit 1300 Jahren Europa einzunehmen versuchten. Dies weil die «matriarchale Herrschaft», welche zusammen mit den 68er Marxisten die Macht im Staat haben, das Volk seiner Abwehrkräfte beraubt und es zu einem gefundenen Fressen für äussere und innere Feinde macht. Feministinnen führen nach Regli einen Krieg. Dies sehe man an den über 10000 Toten, welche jedes Jahr alleine in der Schweiz wegen des Feminismus durch Abtreibung verursacht würden. So fragt er die Frauen: «Wollen Sie Frieden oder Krieg?» Aber für Regli ist ohnehin klar, dass jede Gesellschaft nur überleben und zur Blüte gelangen könne, wenn sie ihre Frauen (Matronen) entmachtet. Und dieser innere Kampf eilt: «Die Hyäne Mekkas hat ihre Horden längst losgeschickt.»