Freiheit für die Gefangenen vom 1. Mai!

Am Dienstag, 10.7. 2012, wurden in den Wohnungen von fünf Genossen
Hausdurchsuchungen durchgeführt. Sie wurden danach festgenommen und in
Untersuchungshaft gesetzt. Anlass dafür sind vorgeworfene Taten am 1.
Mai in Zürich.

Die jetzt vorgenommenen Verhaftungen reihen sich nahtlos in die Praxis
der Repressionsorgane der vergangenen Monate ein. Verschiedentlich wurde
von Seiten des Staats klargemacht, dass Aktivitäten im öffentlichen
Raum, die sich ausserhalb der Kontrolle des Staates befinden, durch eine
harte Repression unterbunden werden sollen. Sei es im Rahmen der Parties
auf öffentlichen Plätzen in Zürich im Sommer 2011, bei einer illegalen
Party auf einem ehemaligen Industrieareal in Basel im Juni 2012, bei
Märschen von Fussballfans, die sich auf dem Weg zum Stadion befinden,
oder nun eben in Zusammenhang mit dem 1. Mai 2012: Wo sich Leute
ausserhalb des bewilligten Rahmens die Strasse nehmen, um ihre Ideen auf
ihre Art und Weise umzusetzen, reagiert der Staat (repräsentiert durch
die Polizei, Staatsanwaltschaft oder Justiz) mit harter Hand. Das zeigt
sich an der langen Untersuchungshaft-Dauer bei Festnahmen, dem Aufwand,
der betrieben wird (alleine in diesem Fall wurden Stunden an
Videomaterial und Unmengen an Fotos gesichtet), um einen vermeintlichen
„Landfriedensbruch“ nachzuweisen, oder an den riesigen Polizeiaufgeboten
an Gelegenheiten wie dem 1. Mai in Zürich.

Der Kampf im öffentlichen Raum lässt sich nicht verbieten und verhaften!

Der öffentliche Raum ist für uns zentral, da wir darin unsere Inhalte
fassbar machen können und mit anderen in Kontakt treten. Er ist der Ort,
wo politische, kulturelle oder soziale Ideen auf ein Publikum trifft,
der Ort, wo ein Austausch stattfindet. Seien es Forderungen nach
unkontrollierten Räumen, wo ohne Konsumzwang gefeiert werden kann,
Solidaritätskundgebungen oder Demonstrationen: Wir lassen uns den
öffentlichen Raum nicht verbieten.
Das heisst, sich der Bedeutung des öffentlichen Raums bewusst zu sein,
ihn einzufordern und zu verteidigen. Anders gesagt: Wir können und
sollen nicht nur davon reden, auf der Strasse, Plätzen oder sonst wo
präsent zu sein, sondern sollen es auch sein. Der öffentliche Raum ist
dazu da, von uns genutzt zu werden und nicht, um von den
Repressionsorganen kontrolliert zu werden.  Das bedeutet gleichzeitig
die Verteidigung des öffentlichen Raums gegen Versuche der Unterbindung
des Widerstands, wie jetzt bei den aktuellen Verhaftungen. Dazu gehört
aber auch die Absage an staatliche Versuche, derartige Aktivitäten zu
integrieren (wie beispielsweise mit der sog. „Party-Bewilligung“ in
Zürich, die lediglich zur Kontrolle vormals polizeilich unkontrollierter
Parties führt).

Die Initiative nicht aus den Händen geben

Den verhafteten Genossen geht es gut. Einer ist seit Freitag, dem 13.
Juli, wieder in der Freiheit. Allen wird ein Landfriedensbruch
vorgeworfen, bei einigen wird versucht das Zünden von Feuerwerk sowie
die Verletzung eines zivilen Polizisten im Einsatz nachzuweisen. Die
Genossen verweigern die Aussage und werden von fortschrittlichen
Anwälten verteidigt. Die Solidaritätsarbeit zu ihnen läuft, es wird
regelmässig bei ihnen vor den Knästen Feuerwerk gezündet, um sie darauf
hinzuweisen, dass sie nicht alleine sind sondern von aussen unterstützt
werden. Wer sich solidarisch verhalten will, soll sich bei der Roten
Hilfe melden (rotehilfe@aufbau.org). Post an die Gefangenen kann via
Rote Hilfe, Postfach 1121, 8026 Zürich an sie gesendet werden.
Es sind gerade die Erfahrungen aus den einleitend genannten Beispielen,
die aufzeigen, dass es sich lohnt, auch nach Verhaftungen kämpferisch zu
bleiben. Wer konsequent die Aussage verweigert und sich juristisch
wehrt, hat immer bessere Aussichten darauf, nicht verurteilt zu werden.
Dies sind Rechte, die jedem und jeder Angeklagten zustehen und die
genutzt werden müssen. So ist es mittlerweile rund um die Parties im
vergangenen Sommer zu verschiedenen Freisprüchen gekommen, nachdem
Angeklagte sich einen Anwalt nahmen und sich wehrten. Andere Genossen,
die am 1. Mai verhaftet wurden, sind nicht rechtskräftig verurteilt, da
sie die Aussage verweigerten und keine Strafbefehle akzeptierten. Wir
sind sicher, dass es auch bei den aktuellen Verhaftungen sich bezahlt
macht, kollektiv und kämpferisch vorzugehen und sich von der versuchten
Angstmacherei nicht beeindrucken zu lassen.

Spiess umdrehen – dem Kapitalismus den Prozess machen!

Rote Hilfe Schweiz, Juli 2012
rotehilfe@aufbau.org
www.aufbau.org | www.rjz.ch

vorwärts Soliparty „Black & Red“ // dubstep-dnb-minimal-tech

Black & Red- 2 floors !!!
21 juli-21:00 @ provitreff

Live :
Neon nichtig (dnb-dubstep)

Djs:
Dance floor(dubstep) :
SuBSToNe(BE)
Bombo(ZH)
Nick Rhythem Family(ZH)

Bar floor (minimal,tech) :
kollektiv blut sauger (Hamburg)
Steinklopfer(ZH)
Miister Joe(Voler dans l’univers)

________________________________________________
Schon die alten Römer wussten, dass wummrige dubstep Beats die Vorboten des Spartakusaufstandes 73 v.Chr. waren.

Die sozialistische Zeitung „vorwärts“ existiert zwar noch nicht seit dem römischen Spartakusaufstand, berichtet aber bereits seit 1893 auf Seiten der Unterdrückten – konsequent antikapitalistisch.

Auch die heutigen Lohnherren wissen, dass mit „Black & Red“ erneut rasende dnb-, klickend-rythmisch tropfende minimal-tech- und endlostief hämmernde dubstep beats in Zürich Einzug halten werden.
Heute 2085 Jahre nach dem ersten Spartakusaufstand und 93 Jahre nach dem zweiten Spartakusaufstand sind die Bässe von „Black & Red “ die Vorboten für einen sich neuerlich erhebenden Zorn.

Von Athen über Bern nach Caracas,
Von Chiapas über Davos nach Havanna,
Von Istanbul über Kairo nach Oakland,
Von Santiago de Chile über Quebec nach Zürich,
an den Brennpunkten unserer Welt ist der vorwärts dran, in der Region Schweiz, wie auch in anderen uns weiter entfernten Regionen der Welt.

Wie und wo unterstütze ich diese Zeitung?
Hier:
http://www.vorwaerts.ch/abo/
gratis für vier Ausgaben oder gleich mit einem Abo inkl. Buchgeschenk:

«Dritte Revolution» im Sudan?

Der Sudan wird derzeit von einer Protestwelle erschüttert. Es sind die grössten Demonstrationen seit 20 Jahren. Das alte Regime von al-Baschir kämpft ums Überleben, ob es sich halten kann, oder es wie in Nordafrika zu einem Volkstaufstand kommt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Seit Mitte Juni finden in der sudanesischen Hauptstadt tagtäglich Proteste statt. Ausgehend vom Campus der Universität Khartoum haben sich die Proteste unterdessen auf das ganze Land ausgeweitet. Während anfangs vor allem StudentInnen auf die Strassen gingen, haben sich mittlerweile auch «einfache» Menschen den Protesten angeschlossen. Die Sicherheitsorgane reagieren nervös und brutal auf die Demos. Immer wieder wird das Internet und Mobilfunknetz abgestellt, hart gegen Medienschaffende vorgegangen, werden Zeitungen beschlagnahmt und es kommt zu zahlreichen Verhaftungen. Hintergrund des aktuellen sozialen Aufstands sind die massiven Erhöhungen für Lebensmittel und Benzin, welche in den vergangenen Monaten förmlich explodierten. Alleine im Mai betrug die Inflation 31,8 Prozent. Seit sich der Südsudan faktisch im Krieg mit dem Sudan befindet, sind die Öleinnahmen ausgeblieben. Jahrzehnte eines ausufernden Klientelsystems haben den Sudan an den Rand eines Staatsbankrottes getrieben.

Tief gespaltene Opposition

Gemäss verschiedensten Quellen lassen sich die aktuellen Proteste im Sudan nur bedingt mit denjenigen in anderen arabischen Ländern vergleichen. Zwar hat die Jugendbewegung «Girifna» (wir haben genug), welche 2010 als Basisbewegung gegen al-Baschir und seine «National Congress Party» (NCP) gegründet wurde und dessen Sturz fordert, unterdessen durchaus einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Trotzdem scheint im Sudan die Kluft zwischen privilegierten StudentInnen aus der Mittel- und Oberschicht und dem «einfachem Volk» noch ausgeprägter zu sein als in anderen arabischen Ländern. Erschwerend kommt hinzu, dass die sudanesische Opposition heillos zerstritten und bei weiten Teilen der Bevölkerung über keinerlei Glaubwürdigkeit verfügt. Der allgemeine Tenor der verschiedenen AnalystInnen ist deshalb eher verhalten, wobei dies auch schon vor Beginn des «arabischen Frühlings» der Fall war. Der Wunsch nach Stabilität und Sicherheit sei bei allen Widrigkeiten im Sudan immer noch weit verbreitet und die Furcht vor einem Regimewechsel entsprechend gross. Zwar hat dieser Widerspruch in den vergangenen Jahren grössere Demonstrationen verhindert, trotzdem gewinnt die Bewegung, welche den Sturz der Regierung fordert, immer mehr an Dynamik. So haben die Proteste in den vergangenen Tagen das erste Mal von den Universitäten auf die Moscheen übergegriffen.

Geld aus Katar und Saudi-Arabien

Unterdessen versucht al-Bashir die Situation zu entschärften. So wurde der sudanesische Pfund abgewertet. Hintergrund dafür ist, dass Millionen von SudanesInnen aus der Diaspora harte Währungen nach Hause schicken und das Regime dadurch versucht, die urbane Bevölkerung zu besänftigen. Und al-Bashir kann auch weiterhin mit finanzieller und ideeller Unterstützung aus den Golfstaaten rechnen. So bekam der Sudan unlängst eine kräftige Finanzspritze aus dem Katar und Saudi-Arabien und es kann davon ausgegangen werden, dass die Golfstaaten ihren islamistischen Verbündeten um jeden Preis halten wollen. Und auch Al-Jazeera hat bis jetzt eher zögerlich über den sozialen Aufstand im Sudan berichtet. Volksaufstände haben im Sudan eine lange Tradition. Bereits 1964 und 1985 führten Massenproteste zum Sturz der damaligen Militärdiktaturen, also lange vor dem «arabischen Frühling», wie der eine oder andere sudanesische Aktivist zu Recht mokiert. Nutzniesser waren letztendlich immer die islamistischen Kräfte. Ob sich im Sudan und anderswo die Geschichte wiederholt, wird die Zukunft zeigen.

Vom Argument zum Streik

Seit Ende April kämpfen die ArbeiterInnen von Merck Serono in Genf um ihre Arbeitsplätze und ihre Würde. Einige hundert Meter entfernt vom Lac Lemon und flankiert von verschiedenen internationalen Organisationen, radikalisiert sich eine Belegschaft von ForscherInnen durch ihren Kampf.

In einem Kurzvideo hat eine Arbeiterin von Merck Serono den bisherigen Verlauf des Kampfes zusammengefasst. Unter dem Titel «Site closure Merck Serono Geneva» flimmern Bilder vom Widerstand gegen den Abbau der 1?250 Arbeitsplätze in Genf über die Leinwand: Flashmobs, Demonstrationen, Bilder vom Streik. Die rund 400 ArbeiterInnen in der Halle Sécheron geben dem Film einen langen Applaus. Kurz darauf wird die Versammlung erneut für Streik stimmen. Eine Strassenblockade wird vorgeschlagen. Einem Aufruf zum Hungerstreik schliessen sich spontan zehn Leute an. Innerhalb von zwei Monaten hat sich eine Belegschaft radikalisiert, die mit Klassenkampf bis anhin nichts am Hut hatte.

Radikalisierung der Belegschaft

Dabei reagierte Merck mit der Schliessung des Genfer Standortes auf die mörderische Konkurrenz in der Pharma- und Chemiebranche. Mit der Strategie «Fit for 2018» sollen Kosten in der auf langfristiges Engagement angelegten Forschung reduziert werden. Da mit dem Hauptsitz in Darmstadt bereits eine kleine, flexible und dynamische Forschungseinheit existiert, wollte der Konzern mit der Aufhebung von Merck Serono Genf Doppelspurigkeiten abbauen. Da die Belegschaft an den zwanglosen Zwang des besseren Arguments in der Auseinandersetzung glaubte, arbeiteten Arbeitsgruppen in der Konsultationsphase drei Lösungsvorschläge aus, um die Arbeitsplätze in Genf zu behalten. Selbst die liberale «Neue Zürcher Zeitung» zeigte sich von den Vorschlägen tief beeindruckt. Statt rüdem Gewerkschaftston finde man hier handfeste Argumente. Die Verantwortlichen hätten den Stab wohl vorschnell über dem Genfer Betrieb gebrochen. Doch sowohl die NZZ als auch die ArbeiterInnen verkannten bis zu diesem Zeitpunkt, dass im Klassenkampf nicht die Argumente, sondern das Kräfteverhältnis entscheidend ist. Am 19. Juni verwarf Merck alle drei Vorschläge in Bausch und Bogen.

Aus diesem Rückschlag sollte die Belegschaft ihre Lehren ziehen. Waren die Aktionen zu Anfang sehr kreativ, so wurden sie nun zunehmend radikaler. Überhaupt lässt sich an der Radikalisierung der ArbeiterInnen von Merck Serono wunderbar aufzeigen, wie sich das Bewusstsein von Menschen durch Kämpfe verändern kann. Von den 1?250 ArbeiterInnen im Genfer Standort haben 750 einen akademischen Titel oder sind Marketingfachleute. Noch vor einem halben Jahr konnten sich nur wenige vorstellen, an einer Demonstration teilzunehmen. Es gab nicht einmal eine gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb. Im Schnelldurchgang spielten die ArbeiterInnen alle sozialpartnerschaftlichen und symbolischen Mittel durch: Mit einer Petition kamen innerhalb von kurzer Zeit 12?000 Unterschriften zur Erhaltung der Arbeitsplätze zusammen. Zugleich wurden Flashmobs und Demonstrationen durchgeführt. Einige ArbeiterInnen bestiegen sogar einen Berg, um ein Transparent gegen die Schliessung in die Höhe zu halten. Doch erst die Androhung ökonomischen Drucks mittels Streik erwirkte die Verlängerung der Konsultationsphase.

Nachdem die Vorschläge aus der Konsultationsphase schlichtweg abgelehnt wurden, machte die Belegschaft ihre Drohung wahr und trat in den Streik. Der Streik vom 20. und 21. Juni spielte sich hauptsächlich auf dem Vorplatz des gläsernen Haupteingangs ab. Aus Angst vor einer Besetzung des Betriebs engagierte das Unternehmen eine Heerschar von Securitas-Angestellten, die das Geschehen vor den Glastüren grimmig begutachteten. Ein Fotograf machte präventiv Aufnahmen von streikenden ArbeiterInnen. Die Streikenden erbauten auf dem Gehsteig vor dem Betrieb eine kleine Zeltstadt und nannten sie «Occupy Merck Serono». Die Polizei liess sie dabei trotz Wegweisungsbefehl gewähren. Doch die Teilnahme am Streik war bereits am zweiten Tag rückläufig. Nach neun Wochen Kampf begannen sich bei den ArbeiterInnen erste Ermüdungserscheinungen zu zeigen. An der Vollversammlung vom Donnerstag wurde beschlossen, den Streik auszusetzen und den PolitikerInnen die Chance zu geben, Merck an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Auf dem Weg zur internationalen Bewegung

Das Rationalisierungsprogramm «Fit for 2018» betrifft nicht nur den Standort Genf. Und weil Merck ein internationales Unternehmen ist, haben die ArbeiterInnen Kontakt zu den verschiedenen Sitzen, die auch vom Abbau betroffen sind. Eine Delegation war zudem nach Darmstadt in den Hauptsitz gereist und hatte um Unterstützung gefragt. Trotz anfänglicher Zusage zu einer parallelen Aktion, zog sich der Betriebsrat aus Deutschland hinter die Interessen seines Standorts zurück. Er wolle die Verhandlungen mit dem Unternehmen nicht gefährden. An einem internationalen Aktionstag kamen Solidaritätsbotschaften von verschiedenen Merck-Standorten in Frankreich, Italien und Deutschland. Die Bewegung begann eine internationale Dynamik anzunehmen. Tiefen Eindruck hinterliess die Entdeckung eines Kampfes im Jahre 2010 bei Merck Pakistan. Merck ignorierte den Hungerstreik eines Arbeiters so lange, bis er starb. Entdeckungen wie diese trugen dazu bei, dass die Belegschaft am 28. Juni erneut in Streik trat, dieses Mal begleitet von einem Hungerstreik. Der Kampf wurde zu einer Frage der Würde. Oder wie es ein Arbeiter ausdrückte: «Wir sind keine Möbel, die man einfach so rumschieben kann.»

Zurück in den Fängen der Sozialpartnerschaft

Auf diese weitere Eskalation reagierte die Genfer Regierung plötzlich schnell. Sie schöpfte alle ihre rechtlichen Mittel aus und zwang Merck, mit VertreterInnen der Belegschaft, der Gewerkschaft und der Regierung an einen Tisch zu sitzen. Das ist aber auch schon das einzig Positive an dieser Mediation. Denn Merck ist zu nichts verpflichtet, ausser an den Sitzungen teilzunehmen. Diese können maximal 45 Tage dauern und drehen sich nur um den Sozialplan. Der Erhalt der Arbeitsplätze wird nicht diskutiert. Während dieser Zeit ist es den ArbeiterInnen verboten, Kampfmassnahmen zu ergreifen, zu Demonstrationen aufzurufen oder Communiqués rauszugeben. Damit wurde den ArbeiterInnen der Wind aus den Segeln genommen und eine weitere Zuspitzung des Konflikts verhindert. Doch wer den Erfindungsreichtum und die Ausdauer der Belegschaft von Merck Serono kennen gelernt hat, weiss, dass sie immer für eine Überraschung gut ist.

Der Ausländer-Stempel

Die strikte Unterteilung in «Schweizer seit Geburt» und «Eingebürgerte» war die Forderung eines Vorstosses der SVP im Zürcher Kantonsrat. Dies ist nur die konsequente Fortsetzung einer rassistischen Politik, die in ihrer Logik nicht mehr weit von der völkischen Ideologie entfernt ist.

Mittels einer Motion wollte die SVP-Parlamentarierin Barbara Steinemann dafür sorgen, dass eingebürgerte SchweizerInnen künftig unter dem Vermerk «eingebürgert» geführt werden. Man habe diverse Probleme eingebürgert und könne so die Integrationsdebatte versachlichen. Neben AusländerInnen würden besonders viele SchweizerInnen «mit Migrationshintergrund» Sozialhilfe beziehen oder sich kriminell betätigen, begründete Steinemann ihren Vorstoss. Ein Ausländer-Stempel soll also her für Menschen, die keine reine Schweizer Abstammung vorweisen können. Applaus erhielt die Motion nur von grünliberaler Seite, die den Vorstoss in der Abstimmung allerdings auch ablehnte. So wurde die Motion dann im Zürcher Kantonsrat auch deutlich mit 120 zu 50 Stimmen abgeschmettert.

 

Blut-und-Boden-Nationalismus

In den Kommentarspalten der über den Vorstoss berichtenden Online-Ausgaben der grossen Schweizer Tageszeitungen gingen die Wellen hoch. Es zeigte sich, dass die meisten UserInnen für einen solchen Vorschlag momentan nicht zu begeistern sind. So empörte sich der grösste Teil der Diskutierenden über den Vorschlag von Steinemann und es wurden auch Parallelen zum Nationalsozialismus aufgemacht: Man habe hier einen veritablen Ariernachweis vor sich. Mit solchen Vergleichen muss man vorsichtig sein. Der Ariernachweis war der Beginn der Ausgrenzung von «NichtarierInnen», allen voran JüdInnen und Roma. Diesen wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie wurden in der Folge Opfer von Ausgrenzung, Vertreibung und Getthoisierung bis hin zur staatlich organisierten Vernichtung in den Konzentrationslagern. Auch wenn der Skandal um den Zürcher SVPler Alexander Müller, der bei Twitter von einer «Kristallnacht» für Moscheen tagträumte, zeitlich recht passend kommt, wäre es verkehrt, der SVP zu unterstellen, dass sie auf eine Politik analog der Nazis abziele.

Man muss sich aber fragen, wessen Geistes Kind die strikte Separierung in SchweizerInnen reinen Blutes und «Eingebürgerte» ist. Mit einem republikanischen Nationalismus, der als vollwertiges Mitglied der nationalen Zwangsgemeinschaft anerkennt, wer die Staatsbürgerschaft vorzuweisen hat, hat das nicht mehr viel zu tun. Auch jener Nationalismus ist zu kritisieren, da er immer von einem strikten «Innen» und «Aussen» ausgeht und dies auch politisch durchsetzt; mit den täglich nicht nur an den Grenzen zu beobachtenden brutalen Folgen. Doch in der Politik der SVP scheint immer wieder der noch hässlichere Zwillingsbruder, der völkische Nationalismus, auf, der eine Homogenität des «Volkes» vorsieht und jede Heterogenität negieren muss. Was die SVP fordert ist von den Grundlagen her nicht mehr weit entfernt vom Blut-und-Boden-Nationalismus völkischer IdeologInnen.

 

Rassistische Kontinuität

Wenn man sich anschaut, was die SVP in den letzten Jahren so getrieben hat, dann passt der Vorstoss von Steinmann wie die Faust aufs Auge: Nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative durch‘s Stimmvolk Ende 2010, dachte die SVP unter anderem laut darüber nach, die Einbürgerung von SozialhilfebezügerInnen grundsätzlich zu verbieten und Einbürgerungen nur noch auf Probe zu gestatten. Wer in der fünfjährigen Probezeit straffällig würde, der solle die Staatsbürgerschaft wieder verlieren. Zusammen mit dem aktuellen Vorstoss zeichnet sich ein klares Bild der Vorstellungen der SVP: Ein homogenes «Volk» der reinen SchweizerInnen, das die «störenden» und «überflüssigen» Elemente immer wieder ausscheidet. Problemtisch ist das vor allem auch angesichts eines politischen Mechanismus, der sich in der Schweiz in den letzten Jahren immer wieder durchgesetzt hat: Die SVP setzt Trends und Spitzen einer rassistischen Politik, die zwar in der Regel nicht durchkommt, die aber in abgeschwächter Form vom politischen Establishment und mit Zustimmung der Schweizer WählerInnen doch eingeführt wird.

Kriegsmaterial-Exporte stoppen

Der Bundesrat hat am Mittwoch, 4. Juli entschieden, Waffenexporte in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vorläufig zu stoppen. Für die GSoA ist dieser Entscheid eine reine Alibiübung. Die Vergangenheit zeigt, dass schon in wenigen Wochen der verhängte Lieferstopp wieder aufgehoben wird. Nur ein komplettes Exportverbot von Kriegsmaterial stellt sicher, dass Waffen nicht in einem bewaffneten Konflikt verwendet werden. » Weiterlesen

Frauen zahlen einen hohen Preis

Die Gewerkschaft Unial führt am 3. Juli eine öffentliche Fachtagung zu den Arbeitsbedingungen im Detailhandel durch. Dabei stand die Situation der Verkäuferinnen und Verkäufer im Zentrum.

In einem ersten Teil präsentierte Vania Alleva, Mitglied der Unia-Geschäftsleitung, eine umfassende Analyse des Detailhandels aus gewerkschaftlicher Sicht. Alleva zieht ein klares Fazit: «Der Markt ist gesättigt. Die Unternehmen kämpfen um Marktanteile — und dieser Konkurrenzkampf findet immer mehr auf dem Buckel der Angestellten statt.»

Angestellte des Detailhandels, die über ihre Arbeitsbedingungen Auskunft geben, zeigen die Auswirkungen: «Ich muss flexibel sein: Von morgens um 7 Uhr bis abends um 20 Uhr, von Montag bis Samstag», erklärte eine Verkäuferin. Sie ist kein Einzelfall. Neben den langen Arbeitszeiten und den immer längeren Ladenöffnungszeiten berichten die Betroffenen über den Personalabbau, den grossen Stress, die Gesundheitsprobleme und die tiefen Löhne. Eine der Verkäuferinnen spricht für viele, wenn sie sagt:«„Du siehst deinen Partner selten, der von Montag bis Freitag arbeitet. Denn ich muss am Samstag und Sonntag oft arbeiten, man sieht sich am Abend nur todmüde. Man hat oft nicht einmal die Möglichkeit, einen Tag zusammen zu verbringen.»

Die Unia und die Beschäftigten verlangen mehr Respekt vor ihrer Leistung. Vania Alleva stellt fest: «isher gibt es nur wenige Gesamtarbeitsverträge auf betrieblicher oder regionaler Ebene, die das Personal schützen.»Die wichtigste Forderung sei denn auch ein Branchen-GAV zum Schutz der Angestellten. Dieser werde bisher von den Arbeitgebern abgewehrt.

Mario Santini, der Generalsekretär der Gewerkschaft Filcams CGIL Lombardei, zeigt am Beispiel Italiens die verheerenden Auswirkungen von total liberalisierten Ladenöffnungszeiten. Wenn es zusätzliche Arbeitsplätze gebe, dann seien es meist nur befristete Teilzeit-Verträge. Eine Erhebung in Italien zeige: 82 Prozent aller Arbeitsverträge im Verkauf müssen als prekär eingestuft werden.

Die Arbeitssoziologin Magdalena Rosende von der Universität Lausanne hat die Auswirkungen von Teilzeitarbeit im Detailhandel untersucht. Sie kommt zum Schluss: «In allen Ländern sind im Detailhandel Teilzeitverträge weit verbreitet. Betroffen sind vor allem Frauen und sie zahlen einen hohen Preis.»

Bruno Frick, Präsident der Swiss Retail Federation, weist insbesondere auf die negativen Folgen des Einkaufstourismus im benachbarten Ausland hin. Insgesamt macht er aber kaum Handlungsbedarf im Bezug auf die Arbeitsbedingungen aus.

Die Unia hat ihre Positionen zum Detailhandel in einer Broschüre zusammengefasst, die bei tertiaer(at)unia.ch bestellt werden kann.

Quelle und weitere Infos: www.unia.ch

Klimagipfel: «Lehren aus der Finanzkrise nicht gezogen»

Nach der ersten Enttäuschungswelle über den Rio+20-Gipfel läuft die Suche nach den Ursachen des Scheiterns. «Die Ergebnisse verdeutlichen, wie gegenläufig die Prioritäten der reichen und armen Länder sind», so das Urteil von Philip Campbell, Chefredakteur der Zeitschrift »Nature». Am besten zeige die Stadt Rio de Janeiro selbst diesen Missstand: Villen und Luxusstrände findet man hier Tür an Tür mit Favelas-Elendsvierteln. Dieser auch globale Kontrast sei schuld am Ausbleiben von Mut und Verbindlichkeit. » Weiterlesen

Massenentlassung im Berner Jura

Die US-Medizinaltechnikfirma Greatbatch Medical will einen grossen Teil ihrer Produktion in  den Gemeinden Orvin und Corgémont (Berner Jura)  nach Mexiko und in die USA auslagern. Der «Vorschlag», wie Mauricio Arellano, Präsident der Medizinischen Greatbatch die Massenentlassung nennt, wird 180 ArbeiterInnen den Job kosten. Die Gewerkschaft Unia hat ein «Treffen mit den Führungsverantwortlichen» angekündigt.

Die Sätze sind in etwa immer die gleichen: «Diese Konsolidierung würde die Auslastung unserer bestehenden operativen Infrastruktur optimieren und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen», sagte Mauricio Arellano. Er beklagte sich dann über «schwierigen Marktbedingungen im Bereich Orthopädie zu hohen Produktionskosten», die er als Gründe der Massenentlassung nannte.

Die US-Medizinaltechnik-Firma will grosse Teile der bisherigen Aktivitäten im Jura nach Mexiko und in die USA verlagern. Betroffen vom Abbau sind die Standorte Orvin und Corgémont im Kanton Bern, die insgesamt 196 Personen beschäftigen. «Bis zu 90 Prozent der Stellen könnten bis Ende 2013 ausgelagert werden», wie Greatbatch Medical bekannt gab. Greatbatch Medical, eine Tochterfirma von Greatbatch, hatte 2008 das Medizinaltechnikfirma Precimed mit seinen zwei Fabriken in Corgémont und Orvin für 125 Millionen Dollar übernommen

Auf zum Streik!

Die Gewerkschaft Unia wirft den Behörden hingegen «Lethargie» vor. Die Gewerkschaft erwarte von deren Seite klare Signale angesichts einer drohenden De-Industrialisierung der Schweiz. Die Unia will am Dienstag und am Mittwoch vor zwei Standorten in Orvin und Corgémont «aufmarschieren und ein Treffen mit den Führungsverantwortlichen bei Greatbatch erreichen», wie auf www.tagesschau.chund weitere Medienportale zu entnehmen war. Auf der Homepage war gut sechs Stunden nach der Bekanntgabe der Massenentlassung noch nichts nachzulesen. Dass die Unia handeln wird, ist sicher. Zu hoffen ist, dass das «Treffen mit den Führungsverantwortlichen» genau so lange dauert, um der Führungsetage den Streik anzukündigen: Erstens um Druck während des  Konsultationsverfahren aufzusetzen, das bis am 20. Juli abgeschlossen sein muss. Und zweitens um sofort klar zu machen, dass der Beschluss von oben nicht einfach so hingenommen wird!

Widerstand in Spanien

 Im Nordwesten Spaniens kämpfen BergbauarbeiterInnen gegen die Sparpläne der Regierung und liefern sich erbitterte Auseinandersetzungen mit der Polizei. Ihr Kampf muss im Kontext der Krise und des umfassenden Spar- und Verarmungsprogramms der spanischen Regierung gesehen werden, in dessen Folge sich an verschiedenen Orten Protest- und Streikbewegungen gebildet haben.

Es sind spektakuläre Bilder aus Spanien, die derzeit im Internet die Runde machen: In Madrid nehmen sich am 31. Mai über 12 000 Arbeiter aus dem Kohlebergbau mit ihren Familien die Strasse und werden von der spanischen Polizei attackiert. In der Region Asturien, im Nordwesten des Landes, halten mit Steinen und Steinschleudern bewaffnete Bergarbeiter etliche Autobahnen blockiert und schiessen aus Stahlrohren Feuerwerkskörper gegen anrückende Polizeitruppen. Die Polizei geht mit Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen die Blockaden vor und liefert sich Strassenschlachten mit den Bergleuten.

 

Drastisches Sparprogramm

Die Bergleute wehren sich gegen die angekündigte Reduktion der Subventionen für den Bergbau von 63 Prozent. Sie befürchten, dass ein Wegfall von zwei Dritteln der staatlichen Subventionen den Tod der verbliebenen 40 Zechen bedeutet. Betroffen wären rund 8 000 Stellen unter Tage und zusätzliche 17 000 Stellen, die indirekt vom Bergbau abhängig sind. Dies, nachdem in den vergangenen 20 Jahren bereits 40 000 Arbeitsplätze im Bergbau weggefallen sind. Die beiden grossen Gewerkschaftsverbände CCOO (Arbeiterkommissionen) und UGT (Allgemeine Arbeiter-Union) hatten angesichts dieser Einschnitte für den 23. Mai zu einem ersten Streik aufgerufen, dem 100 Prozent der Bergleute Folge leisteten. Seither kommt es immer wieder zu spontanen Streikaktionen, Protesten und Verkehrsblockaden. Mehrere Bergwerke wurden besetzt und an mindestens zwei Orten haben sich die Kumpels unter Tage verbarrikadiert.

Die Kürzungen im Bergbau sind Teil eines umfassenden Sparprogramms, das die spanische Regierung auf Druck der EU beschlossen hat. Das Bankenkonsortium «Bankia» darf als notwendiger Teil und Schmiermittel der spanischen Ökonomie mit einem Milliarden schweren Rettungspaket rechnen. Derweil sieht es für die proletarisierten Massen düster aus: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent. Unter Jugendlichen sind gar um die 50 Prozent ohne Arbeit. Gut 600 000 Haushalte leben heute ohne irgendein Einkommen, also auch ohne Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Trotz gegenteiliger Beteuerungen des Personals aus Politik und Wirtschaft kann nicht ausgeschlossen werden, dass Spanien ein ähnliches Schicksal droht wie Griechenland.

 

Solidarität der Proletarisierten?

Die militanten Kumpel dürften mit ihrem Kampf angesichts des drastischen Sparprogramms der spanischen Regierung auf einige Sympathien in der Bevölkerung zählen. Augenzeugen berichten davon, dass AnwohnerInnen in Asturien für die Streikenden die Haustüren öffneten, damit sich diese vor der Polizei verstecken konnten. Auch die Bewegung der «Empörten» solidarisierte sich in einer Erklärung mit den Betroffenen, wies allerdings darauf hin, dass man von den fossilen Brennstoffen wegkommen müsse. Zudem treffen einzelne internationale Solidaritätsbekundungen ein: So etwa aus Deutschland von den «Kumpel für AUF Saar» oder aus England von ehemaligen Bergleuten, die am berühmten «Miners Strike» 1984/85 in England teilgenommen haben.

In Spanien haben sich mit der Verschärfung der Krise und dem Austeritätsprogramm etliche Krisenproteste entwickelt: Neben dem 24-stündigen Generalstreik vom 29. März kam es an verschiedenen Orten zu Protesten und Arbeitsniederlegungen, so etwa im Bildungs- und im Gesundheitsbereich, die ebenfalls vom Sparprogramm betroffen sind. Die Zukunft wird weisen müssen, welchen Weg der Widerstand einschlagen wird und ob die Kämpfenden sich miteinander solidarisieren und zusammenarbeiten. Angesichts der Krise ist eine umfassende Protestbewegung, die den staatlichen Austeritätsprogrammen und den Zwängen des Kapitals entgegentritt, bitter nötig.

Marsch der Sans-Papiers

Von Brüssel über die Niederlande, Deutschland, die Schweiz, Italien und Frankreich bis nach Strasbourg, wo am 2. Juli die Abschlussdemo stattfand, wanderten 150 Sans-Papiers während eines Monats durch Europa.  Vom 21. Juni bis 25. Juni gastierte der Marsch auch in der Schweiz. In Basel, Bern, Wünnewil und Chiasso wurden kritische Akzente gegen Schengen und die repressive  Migrationspolitik gesetzt.

«Liberté de circulation et d’installation pour tous» steht auf den gelben Shirts, die die meist französisch sprechenden Marschierenden tragen. Für einmal nicht bloss eine politische Forderung auf dem Papier, sondern ein Statement, welches für 31 Tage couragiert praktiziert wurde. Unterwegs durch Europa wurde die Bewegungsfreiheit aller Menschen nicht nur Schritt für Schritt eingefordert, sondern auch gelebt. Der Protestmarsch prangerte die repressive Gesetzgebung in der EU an und machte auf die unerträgliche Situation der Sans-Papiers aufmerksam. Seit der Einführung des Schengen-Dublin-Abkommens und der militärischen Aufrüstung von Frontex, erhält die Repression eine neue Dimension. Mehr denn je wird Europa für MigrantInnen aus Drittstaaten zu einer einzigen grossen Festung. Ebenso wurde die aktuelle wirtschaftliche Lage thematisiert, denn die ökonomische Krise trifft mit voller Wucht vor allem Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen und oft sind es die MigrantInnen, welche die ökonomischen Verschärfungen als erste zu spüren bekommen.

Grosser Empfang in Basel

Wenige hundert Meter vor der Grenze wurden die 150 Sans-Papiers von rund 50 in der Schweiz lebenden Papierlosen und 200 UnterstützerInnen in Empfang genommen. Ein Traktor mit grossem Anhänger und Soundanlage, Trommeln und lautstarke Parolen sorgten für eine gute Atmosphäre und gemeinsam wurde beim Zoll Ottenbach die Grenze überquert. Der geglückte Grenzüberschritt wurde mit einer Tanzblockade des Zolls gebührend gefeiert. Die Behörden hielten sich zurück. «Wir danken den AktivistInnen in der Schweiz für den grossartigen Empfang in einem der repressivsten Staaten des Schengenraums. Jeder afrikanische Präsident hat das Recht in diesem Land ein geheimes Bankkonto zu besitzen. Wir Afrikaner und Afrikanerinnen jedoch werden wie Kriminelle behandelt, wenn wir hier arbeiten», erläuterte Sissoko Anzoumane, Sprecher der «Internationalen Koalition der Sans-Papiers und MigrantInnen» (IKSM) im Rahmen der Pressekonferenz kurz nach der Ankunft in der Schweiz.

Und weiter gehts

Am nächsten Tag folgte ein migrationspolitischer Stadtrundgang durch Basel. Vor den Hauptsitzen verschiedener Firmen wurde der globale Zusammenhang zwischen Migration und Ausbeutung aufgezeigt. So wurden etwa «Hello» für ihr lukratives Geschäft mit Ausschaffungsflügen und Novartis für ihren Kampf gegen erschwingliche Generika und ihre Profitgier angeprangert. Aber auch die Banken und Gewerkschaften kamen nicht ungeschoren davon. Weiter gings am 23. Juni nach Bern, wo rund 300 Personen am Morgen gegen das Geschäft mit dem Elend protestierten. Kritisiert wurde die ORS AG, welche im Hochfeld einen Bunker für Asylsuchende betreibt. Bereits seit Monaten werden die profitorientierte Firma und die Zentrumsleitung der Zivilschutzanlage scharf kritisiert. Trotz massivster Missstände und grosser Epidemiegefahr gab sich die ORS AG kompromisslos und verweigerte das Gespräch. Am Nachmittag schloss sich der Marsch der Grossdemo in Bern gegen die aktuellen Verschärfungen im Asylrecht an, bevor es dann weiter nach Chiasso gin

Berset bei den ArbeitgeberInnen

Alain Berset besuchte Mitte Juni in Bern als Gastreferent den Arbeitgebertag. Die Patrons waren positiv von ihm überrascht. Sein Auftritt sagte mehr als nur Kleinigkeiten über die zukünftigen sozialpolitischen Auseinandersetzungen aus.

Dass politische Verantwortliche eng mit den Wirtschaftsakteuren zusammenarbeiten, ist keine Neuigkeit und überrascht uns kaum. Interessant sind jedoch die Konstellationen solcher Zusammenarbeiten. Als Alain Berset, sozialdemokratischer Bundesrat und Innenminister, am 19. Juni 2012 in Bern als Gastreferent vor den schweizerischen ArbeitgeberInnen auftrat, hat er sie wohl auch selbst überrascht. Denn eine solche Loyalität eines Sozialdemokraten hätten  sie kaum erwartet.

 

Neue Funktion – neue Positionen

Der im Dezember 2011 frisch erkorene Bundesrat zögerte keinen Moment, seine Rolle in der Regierung zu festigen. Als Ständerat noch vehementer Ablehner der «Managed-Care-Vorlage», drehte sich der Wind, sobald er als Bundesrat vereidigt worden ist. Auf die Frage der NZZ nach den Gründen des Wechsels vom Saulus zum Paulus antwortete er: «Wir stehen jetzt vor einer Volksabstimmung. Da stellt sich nicht mehr die Frage, ob wir die ideale Lösung gefunden haben. Es geht jetzt darum, Ja oder Nein zu sagen» (NZZ, 18. Mai 2012). Obwohl also Managed-Care keine ideale Lösung gewesen wäre, hat er sich für ein Ja engagiert.

Sein Auftritt auf der Seite der ArbeitgeberInnen bestätigte seinen Kurs als politische Unterstützung der «Schweizer Wirtschaft». «Die Schweiz versteht es wie kaum ein anderes Land, eine Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt zu halten», sagte Berset in der «BernerZeitung» vom 22. Juni 2012. Was versteht der Neubundesrat denn unter «Wettbewerbsfähigkeit»? Meint er die im Zuge der Krise eingeführte Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich in der Exportindustrie? Die Streichung der Abendzulagen bei der Schoggi Frey AG im Aargau, bei der in erster Linie über 50-Jährige und MigrantInnen arbeiten? Die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, die krasse Leistungseinschränkungen vor allem für Jugendliche eingeführt hat? Oder doch die 6. Revision der Invalidenversicherung (IV), die eine ganze Reihe von Krankheiten aus dem Geltungsbereich der IV strich? Der daraus folgende «soziale Zusammenhalt» erleben der xenophoben und rassistischen Repression ausgesetzten Asylsuchende im Nothilferegime täglich, sowie ArbeiterInnen der ehemaligen Karton Deisswil, Clariant in Muttenz, Sappi in Biberist: Sie alle wurden entlassen, ihre Betriebe geschlossen.

 

Politische Macht im Kapitalismus

Am Arbeitgebertag kam auch das Rentensystem zur Sprache. Wie die NZZ am 23. Juni 2012 berichtet, versuchte Berset die Befürchtungen aus Wirtschaftskreisen zu zerstreuen, er gehe dem gewerkschaftlichen Anliegen nach, die AHV auszubauen und dafür die zweite Säule abzubauen. Berset unterstrich, dass er am Dreisäulenprinzip festhalte, und es werde daher nicht um eine Gewichtsverlagerung von der zweiten zur ersten Säule kommen. Der Bundesrat stellte sich somit auf die Seite der privaten Versicherer, die mit dem angesparten Geld der ArbeiterInnen Millionengewinne generieren und in Krisenzeiten die Verluste auf die RentnerInnen abwälzen. Seine Position verpackte er in die Formel «Was gut ist für die Schweizer Gesellschaft, ist auch gut für die Schweizer Wirtschaft» (arbeitgeber.ch, 22. Juni 2012). Übersetzt: «Alain Berset für das Schweizer Kapital».

Es wäre zu kurz gegriffen, die politische Integration der Sozialdemokratie und ihre Ruhigstellung, wie wir sie mit den zahlreichen sozialdemokratischen ParlamentarierInnen und Bunderäten erleben, als eine allgemeine Käuflichkeit von Menschen oder einzelnen schlechten PolitikerInnen abzutun. Das aufgeführte Beispiel sollte uns vielmehr noch einmal motivieren, der Frage nachzugehen, ob es für diese Entwicklungen nicht strukturelle Gründe gibt, die etwas damit zu tun haben, wie politische Macht im Kapitalismus funktioniert.