SEV: Vom Verband zur Gewerkschaft

Der SEV ist nun auch formell auf Deutsch eine Gewerkschaft: „Der Kongress hat einer Namensänderung zugestimmt. Er gibt auch grünes Licht für eine Strukturreform“, berichtet die neue Gewerkschaft in ihrer Medienmitteilung.

Statt vier Entscheidstufen hat der SEV in Zukunft nur noch deren drei, die aber klarer strukturiert sind: Der Kongress als oberstes Organ findet weiterhin alle zwei Jahre statt. Die strategische Führung in der Zeit zwischen den Kongressen liegt neu beim Vorstand, der aus 21 Personen besteht, die alle aus der Milizstruktur nominiert werden. Dieser Vorstand tritt monatlich zusammen und setzt die Leitplanken für die operative Führung. Die neue Geschäftsleitung setzt sich aus vier bis fünf Mitgliedern der professionellen Leitung zusammen: Präsident, Finanzverwalter, Vizepräsident/innen.

Bisher wurde der SEV von einer 13-köpfigen Geschäftsleitung geführt, die aus Mitgliedern des Profi- und des Milizbereichs zusammengestellt war. Zudem gab es einen Verbandsvorstand mit 37 Mitgliedern, der zweimal jährlich zusammentrat.

Zu Diskussionen führte die Frage der Stimmengewichtung im Vorstand. Der Kongress entschied sich für einen Schlüssel nach so genannt voll zahlenden Mitgliedern, was einerseits die Grösse der Unterverbände berücksichtigt, andererseits auch deren Mitgliederstruktur.

Vom Verband zur Gewerkschaft

Praktisch unbestritten war eine Statutenänderung, die den Namen des SEV betrifft: Statt «Schweizerischer Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV)» heisst dieser nun «SEV – Gewerkschaft des Verkehrspersonals». Damit ist der deutsche Name nun identisch mit dem seit langem bestehenden französischen und italienischen. Der Namenswechsel ist aber auch Programm: Der SEV versteht sich heute klar als Gewerkschaft, die den Unternehmen als Verhandlungspartner gegenübersteht.

Position beziehen

In mehreren Positionspapieren und Resolutionen hat der SEV-Kongress seine Haltung zu aktuellen politischen und gewerkschaftlichen Fragen festgelegt. Grösste Sorgen machen sich die aktiven wie auch die pensionierten Mitglieder um den Zustand der beiden wichtigsten Pensionskassen im öffentlichen Verkehr: die Pensionskasse SBB und die Ascoop. Nach wie vor fehlen die Entscheide des Bundes zur korrekten Ausfinanzierung. Zusammen mit der Finanzkrise ist die Situation äusserst beunruhigend, und es ist zu befürchten, dass von den Versicherten grosse Opfer verlangt werden. Der SEV wird alles daran setzen, die berechtigten Ansprüche der Betroffenen durchzusetzen. Am 19. September wird in Bern eine grosse Demonstration gegen den Sozialabbau stattfinden, an welcher der SEV markante Akzente setzen will.

Der SEV stellt sich zudem gegen Restrukturierungen, wenn deren Nutzen nicht verständlich gemacht werden kann. Die Kultur der permanenten Reorganisation, die in zahlreichen Unternehmen herrscht, führt beim Personal zu Verunsicherung, zu Demotivation, häufig aber auch zu materiellen Einbussen. Mit Gesamtarbeitsverträgen auf allen Ebenen will der SEV die Lohn- und Anstellungsbedingungen des öV-Personals absichern, dies auch angesichts der weitergehenden Liberalisierung, die sowohl in der Schweiz als auch von der EU vorangetrieben wird.

Schliesslich bekräftigt der SEV sein politisches Engagement, indem er aktiv an der öV-Initiative mitwirkt, die er zusammen mit dem VCS und weitern Organisationen lanciert hat. Er verlangt weiter, dass SBB Cargo integral erhalten und mehrheitlich ein Schweizer Unternehmen bleibt, das dem Gesamtarbeitsvertrag der SBB unterstellt ist.

Basis ausweiten

Grosses Gewicht legt der SEV in den kommenden Jahren auf die Mitgliederwerbung, sowohl in seinen traditionellen Branchen des öffentlichen Verkehrs als auch in neuen Bereichen. So hat er zusätzliche Mittel für Werbung und Bildung bereitgestellt, um die Sektionen in ihren Aktivitäten stärker zu unterstützen. Weiter sind zwei Projekte lanciert worden, um neue Arbeitsbereiche zu erschliessen. Das eine widmet sich dem touristischen Verkehr, also beispielsweise dem Personal in Wintersportorten, das heute kaum gewerkschaftlich organisiert ist und häufig sehr prekäre Anstellungsbedingungen hat. Das andere zielt auf das Bodenpersonal der Luftfahrt, das mit SEV-GATA bereits eine Unterorganisation des SEV bildet, aber noch grosses Potenzial aufweist.

Unia kritisiert Verantwortliche der Finanzmarktkrise

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Die Gewerkschaft Unia hat heute Vormittag in Bern an einer Medienkonferenz die Bilanz ihrer ersten vier Jahre seit der Fusion 2004 gezogen und einen entsprechenden Tätigkeitsbericht vorgestellt. Mit klaren Worten kritisierte Unia-Co-Präsident Andreas Rieger die Verantwortlichen der Finanzmarktkrise und forderte eine 6-Punkte Sofortprogramm, um die Schweizer Realwirtschaft vor den Auswirkungen zu schützen.

«Die Unia ist gut gestartet und heute aus der Schweiz nicht mehr wegzudenken». Mit diesen Worten eröffnete Unia-Co-Präsident Renzo Ambrosetti die Bilanzpressekonferenz. Die Fusion sei überraschend reibungslos verlaufen und die 200’000 Unia-Mitglieder hätten sich erstaunlich schnell mit der neuen Gewerkschaft identifiziert. Einige Arbeitgebervertreter hätten auf die erfolgreiche Fusion zuerst mit Abwehrreflexen reagiert, doch habe sich die anfängliche Aufregung auf Arbeitgeberseite mit der Zeit gelegt. Seither habe die Unia wichtige neue Gesamtarbeitsverträge – z.B. für Temporärbeschäftigte oder für das Reinigungspersonal – aushandeln können. In der grossen Mehrheit der Fälle habe die Unia am Verhandlungstisch und im Dialog mit den Arbeitgebern Verbesserungen für die Arbeitnehmenden erreicht, so Ambrosetti, «doch wo nötig, war die Unia auch bereit, Arbeitskämpfe zu unterstützen und zu führen.»

Sofortprogramm und nachhaltiger Umbau der Wirtschaft

Als «wichtiges Gegengewicht zu den entfesselten Märkten» bezeichnete Andreas Rieger, ebenfalls Co-Präsident der Unia, die Gewerkschaft. Mit klaren Worten kritisierte er die zerstörerischen Folgen der seit den 90er Jahren grassierenden Deregulierungsideologie, deren Scheitern mit der aktuellen Finanzmarktkrise unübersehbar geworden sei. Statt mit Steuermilliarden die faulen Papiere der Spekulanten aufzukaufen, müssten diese Mittel nun sinnvoll in die Realwirtschaft investiert werden, um diese vor den Auswirkungen der Krise zu schützen. Rieger stellte ein entsprechendes 6-Punkte Sofortprogramm vor, das Zinssenkungen durch die Nationalbank sowie die Kantonal- und Raiffeisenbanken, eine die Konjunktur stimulierende Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand, ein Stopp der Preistreiberei der Elektrizitätsbarone, eine Besteuerung der Manager-Topsaläre (über 1 Million Franken) als Unternehmensgewinne und substanzielle Lohnerhöhungen im bevorstehenden Lohnherbst beinhaltet.

Falls die Schweizer Wirtschaft durch die Finanzkrise ernsthaft getroffen werde, müssten zudem bereits beschlossene Investitionsvorhaben der öffentlichen Hand, insbesondere im Bereich der Infrastruktur und des Transports, beschleunigt umgesetzt werden. «Werden diese Massnahmen nicht ergriffen», so Rieger, «dann macht sich die Politik an einem Abschwung mitschuldig». In jedem Fall aber müsse die Schweiz langfristig in einen ökologisch und sozial nachhaltigen Umbau der Wirtschaft investieren. Dazu gehörten namentlich ein energiepolitisches Sanierungsprogramm des Bundes (Bonus für Gebäudesanierung und Förderung von Spartechnologien) sowie ein Förderprogramm für erneuerbare Energien und entsprechende Technologien.

Erster Unia-Kongress am kommenden Wochenende

Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz stellte Unia-Geschäftsleitungsmitglied Rita Schiavi die Unia als «Mitmach-Gewerkschaft» vor. Die Unia verstehe sich als soziale Bewegung: «Aktive Mitglieder und ein breites Bündnis mit anderen sozialen Bewegungen machen die Kraft und die Ausstrahlung der Unia aus.» André Daguet, ebenfalls Mitglied der Unia-Geschäftsleitung, bezeichnete seine Gewerkschaft als «aktive Kraft in der politischen Landschaft der Schweiz». Sie habe bei zahlreichen Referendums- und Abstimmungskampagnen zu sozialpolitischen Themen und gegen die Deregulierungsoffensive eine wichtige Rolle gespielt. «Die Gründung der Unia hat den gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Deregulierung gestärkt.»

Unia-Geschäftsleitungsmitglied Fabienne Blanc-Kühn verwies schliesslich auf die besonders starke Verankerung der Unia in der lateinischen Schweiz, in der fast die Hälfte der Unia-Mitglieder wohnt. Sie lud die Medienvertreter zum bevorstehenden ersten Kongress der Unia in Lugano ein, an dem sich ab Donnerstag nebst mehreren hundert Gästen (darunter Bundespräsident Couchepin) 400 Delegierte treffen, um eine neue Leitung zu wählen und die gewerkschaftspolitischen Schwerpunkte für die kommenden vier Jahre festzulegen.

UNIA: Der grosse Wechsel

Foto: Peter Mosimann

Die Rücktritte des Kommunikations-, Industrie- und Vertragsverantwortlichen und SP-Nationalrats André Daguet, des Finanzverantwortlichen Werner Funk und des Westschweizer Bauverantwortlichen Jacques Robert erfolgen altershalber. Mit ihnen verliert die Unia drei Schwergewichte, «zusammen fast 90 Jahre gewerkschaftliche Erfahrung », sagt Co-Präsident Renzo Ambrosetti. Ebenfalls zurück tritt Peter Baumann, der in beratender Funktion ohne Stimmrecht in der Geschäftsleitung sass.

Die Zusammensetzung der bisherigen Unia-Geschäftsleitung war wohl austariert. Denn sie wurde bereits im Vorfeld des Unia-Gründungskongresses vom Oktober 2004 bestimmt. Dies, damit die fusionierenden Gewerkschaften, die Sektoren, die Sprachregionen und die Geschlechter im Führungsgremium ausreichend vertreten seien. Der damalige Kongress konnte die Geschäftsleitung nur noch in corpore bestätigen oder ablehnen.

KOMMT NEUE QUOTE?
Die neue Geschäftsleitung wird kaum weniger ausgeglichen zusammengesetzt sein. Dafür sorgt die Tatsache, dass die Sektoren ihre Vertreterin und ihre Vertreter bereits bestimmt haben und diese vom Kongress nur noch bestätigt oder abgelehnt werden können. Es sind dies Vania Alleva (Tertiär, neu), Renzo Ambrosetti (Gewerbe, bisher), Corrado Pardini (Industrie, neu) und Hans-Ulrich Scheidegger, (Bau, bisher). Zudem gilt eine Frauenquote von heute 25 Prozent. Vermutlich wird der Kongress allerdings dem Antrag der IG Frauen folgen und die Quote auf 33 Prozent erhöhen. So gut wie wiedergewählt sind schliesslich die Co- Präsidenten Renzo Ambrosetti und Andreas Rieger: Liegen keine anderen Kandidaturen vor, kann der Kongress sie wählen oder nicht. Damit sind fünf Sitze in der neuen Unia-Geschäftsleitung bereits vergeben. Wie viele dann noch bleiben, hängt von der Grösse der zukünftigen Geschäftsleitung ab.
Es gibt Anträge für ein sieben-, acht-, neun- und zehnköpfiges Gremium. Für diese Sitze wurden von den vorschlagsberechtigten Gremien vier Frauen und sechs Männer nominiert. Es sind dies die bisherigen Fabienne Blanc-Kühn (Industrie, Mem- Industrie), Michael von Felten (Sozialversicherung und Arbeitslosenkasse, Unia-Personal, Logistik und IT), Jean- Claude Rennwald (Industrie, Uhrenindustrie) und Rita Schiavi (Bau, Reinigungsgewerbe). Neu nominiert wurden Roman Burger (Sektionsleiter Zürich), Aldo Ferrari (Regionalsekretär Waadt), Natalie Imboden (Industrie, Lebensmittelindustrie), Udo Michel (Sektionsleiter Berner Oberland), Martin Tanner (Rechnungswesen, Vermögen, Treuhand) und Katharina Teuscher (Arbeitslosenkasse Unia).

HEARINGS LAUFEN
Würden alle Bisherigen wiedergewählt und hätte die Geschäftsleitung weiter zehn Mitglieder, müssten sich die fünf neuen am Schluss um den zehnten Sitz streiten. Noch ist aber alles offen. «Die Wahlen ermöglichen, die Eckwerte des ZV umzusetzen: Erhöhung des Frauenanteils, Beginn des Generationenwechsels und Berücksichtigung der Sprachregionen», sagt Christine Michel, Unia- Frauenverantwortliche. Sie ist Mitglied der Wahlkommission, die für den Zentralvorstand (ZV) das Wahlgeschäft vorbereitet. Zurzeit führen der ZV und andere Gremien Hearings mit den Kandidatinnen und Kandidaten durch. Ob der ZV dem Kongress eine eigene Wahlempfehlung vorlegen wird, ist allerdings noch offen.

Quelle: «work – die Zeitung der Gewerkschaft»