Revolution gegen die Sprache

Das 11. Internationale Poesiefestival «Al-Mutanabbi Zürich» vom 4. bis 6. November stand in Anspielung auf die Aufstände in der arabischen
Welt unter dem Motto «Poesie und Veränderung». Dabei ging es in den Diskussionen um die Rolle der Poesie und der Lyrik in den gegenwärtigen Zeiten des Umbruchs.

LyrikerInnen aus Europa, wie etwa Walle Sayer aus Deutschland, sprachen vom Blick auf die kleinen, unscheinbaren Veränderungen im Alltag, die beim Schreiben interessieren. Ein Blick, der sich schärfer und zugleich milder auf das richtet, das ihn umgibt. Ein Gedicht soll die einzelne Person ansprechen, sie stärken oder auch verunsichern; nie aber gibt es eine einfache Antwort. Von Seiten der anwesenden LyrikerInnen wie auch des Publikums, wurden die unterschiedlichen Hintergründe und Voraussetzungen der Aufstände in den einzelnen arabischen Ländern betont, und dass dies auch den Umgang mit Kultur und deren Rolle innerhalb der Gesellschaft prägt. Kritisiert wurde die mangelnde Auseinandersetzung mit Religion und deren Verhältnis zum Staat. Dies bewirkt eine Stagnation der vorgegebenen Gesellschaftsstrukturen, was es denn auch erschwert, überhaupt von Revolution oder einem Umbruch in der Gesellschaft zu sprechen. Vor allem hätten die Leute einfach nur die Schnauze voll von ihren Regierungen, ohne dass schon klar wäre, wie die neuen Strukturen gestaltet werden sollten, geschweige denn die Praxis und Erfahrungen dafür vorhanden wären.

Machtverschiebung

Es wurde bedauert, dass die intellektuellen Kreise sich während den ganzen Umbrüchen zurückgehalten hätten, dabei wäre es aber wichtig, diese Stimmen ebenfalls hören zu können. Viele DiskussionsteilnehmerInnen verstanden unter den jüngsten Ereignissen in der arabischen Welt keine Revolution an sich, als tief greifende Veränderung, sondern der Beginn einer Machtverschiebung und der Beginn eines Umbruchs, dessen Dynamik unklar ist. Wie auch immer sich dies entwickelt, scheint es so zu sein, dass man die Umbrüche in der arabischen Welt in einem grösseren Zeitrahmen sehen muss. In sämtlichen Ländern stellt sich das Problem, dass es völlig offen ist, wer die Führung übernehmen könnte. Hier wie in vielen arabischen Staaten ist deshalb die Angst gross, organisierte Vereinigungen und islamistische Parteien würden die Führung für sich beanspruchen.

Autonomie der Poesie

Wie sieht das nun genau mit den LyrikerInnen und deren Schaffen inmitten dieser Umwälzungen aus? Obwohl aus einigen Statements klar wurde, dass sich die Intellektuellen in diesen Umbrüchen zu wenig zu Wort gemeldet hätten, gab es andere Stimmen, die für die Autonomie der Poesie (und so auch der Lyrik) plädierten. Während die politischen Diskurse sich immer wieder andersartig ausnehmen, zeichnet sich die Poesie dadurch aus, dass sie sich dieser Machtspiele entzieht und so längerfristig grössere Chancen hat, gehört und ernst genommen zu werden. Sie braucht keine Parolen, um die vermeintliche Wahrheit zu verkünden – sie kommt ohne grosse Botschaften aus und kommt gerade so näher an die Menschen heran. Die Poesie wehrt sich gegen die politische Vereinnahmung, indem sie die Ideologien ironisiert. Was das Gedicht erst aussagekräftig macht, ist der Raum, der sich mit dessen Sprache öffnet; es ist in sich eine Revolution gegen die Sprache und die Interpretation, wie es Fatima Naoot aus Ägypten ausdrückte. Damit liegen diese Sichtweisen gar nicht so weit entfernt von derjenigen eines Walle Sayers.

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