Klimapolitik ist Klassenpolitik, Migrationspolitik ist Klassenpolitik!

dom. Weite Teile der Erde werden bereits in wenigen Jahrzehnten kaum mehr bewohnbar sein. Die soziale Frage darf nicht gegen die ökologische Frage ausgespielt werden. Daher sind Bündnisse zwischen Vertretungen der Lohnabhängigen, Klima- und migrantischen Bewegungen unverzichtbar!

Was treibt Menschen in die Flucht? Heute besteht ein breiter Konsens, dass vor allem Gewalt, Kriege und Konflikte Menschen veranlassen zu fliehen. Es muss aber zwischen unmittelbaren Fluchtgründen und tiefer liegenden Fluchtursachen unterschieden werden. Krieg, Gewalt, instabile soziale Systeme sind oftmals Folge von Ernährungskrisen, Umweltkatastrophen oder klimatischen Bedingungen und Veränderungen. Dass die Klimakrise neue Konflikte erzeugt und bestehende verschärft, lässt sich etwa anhand der Geschehnisse in Syrien aufzeigen. Der dortige Konflikt kann nicht auf die klimatischen Umstände reduziert werden – doch erlebte das Land kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 die schlimmste Dürre seit fast einem Jahrtausend. Gewaltige Viehbestände gingen verloren und unzähligen Menschen wurde die Lebensgrundlage entzogen.

Brüche im Erdsystem
Weil unmittelbare Fluchtgründe und tiefer liegende Fluchtursachen verschwimmen, variieren Schätzungen zu klimabedingter Migration stark. Sonja Buckel und Judith Kopp halten in ihrer neuesten Arbeit zu Fluchtursachen fest: «Die in wissenschaftlichen Studien genannten Zahlen potenziell durch den Klimawandel Vertriebener reichen von fünfundzwanzig Millionen bis zu einer Milliarde Menschen bis zum Jahr 2050.» Die Schätzungen werden zunehmend dadurch erschwert, dass die Flucht vor Naturkatastrophen überwiegend innerhalb der Landesgrenzen stattfindet: «Rund sieben Millionen Menschen haben im ersten Halbjahr 2019 innerhalb ihres Landes Zuflucht vor extremen Wettersituationen und Naturkatastrophen gefunden.» Aber Binnenmigration und Ungenauigkeiten hin oder her: Die Welt steuert auf Brüche im Erdsystem zu. Weite Teile der Erde werden bereits in wenigen Jahrzehnten kaum mehr bewohnbar sein. Wirtschaftsgeograph Christian Zeller warnt: «Dauert die gegenwärtige Klimapolitik an, wird sich in den kommenden fünfzig Jahren die Temperaturnische, innerhalb der sich die menschliche Gesellschaft entwickeln konnte, stärker verändern als jemals in den letzten 6000 Jahren.» Je nach Bevölkerungszunahme und Erderhitzung werden bis «zu drei Milliarden Menschen nicht mehr unter klimatischen Bedingungen leben, wie sie in den letzten 6000 Jahren bestanden», so Zellerweiter. Und er fügt hinzu: «Ein Drittel der Weltbevölkerung wird ohne Berücksichtigung von Migrationsbewegungen voraussichtlich einer mittleren Jahrestemperatur von mehr als 29° Celsius ausgesetzt sein, die derzeit nur auf 0.8 Prozent der Landoberfläche der Erde zu finden ist und sich hauptsächlich auf die Sahara konzentriert.»

Globale Zusammenhänge
Die globale Erhitzung zerstört insbesondere die Lebensgrundlage des globalen Südens. Im Norden ist indes eine Debatte um «Klimaflüchtlinge» entbrannt: In gängigen Darstellungen wird Klimaflucht primär als Bedrohung und Sicherheitsrisiko für den globalen Norden dargestellt. So wird Migration als Sicherheitsproblem inszeniert und zugleich ausgeblendet, dass Fluchtbewegungen vorwiegend innerhalb des globalen Südens stattfinden. Darüber hinaus wird (drohende) Migration als Rechtfertigung für neue sicherheitspolitische Massnahmen herangezogen.
Buckel und Kopp weisen darauf hin, dass in diesem Kontext die Begriffe «Klimaflüchtlinge» oder «Umweltflüchtlinge» problematisch seien, da sie die Debatte um Klimaflucht entpolitisieren, indem sie den Zusammenhang von Umweltproblemen mit ökonomischen und politischen Faktoren verschleiern: «Denn weder lässt sich der Klimawandel losgelöst von globaler Ungleichheit und den darin eingeschriebenen sozialen, ökonomischen und politischen Prozessen verstehen, noch können die Auswirkungen der Klimakatastrophe nachvollzogen werden, ohne lokale ökonomische und soziale Verhältnisse in die Analyse miteinzubeziehen, die wiederum nicht isoliert von globalen Zusammenhängen bestehen.»

Es braucht Bündnisse!
Das wird in den Statistiken überdeutlich: Eine aktuelle Studie von Oxfam zeigt, «dass das reichste eine Prozent der Bevölkerung zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viele klimaschädliche Emissionen verursachte wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung.» Die Folgen hingegen tragen wesentlich stärker die Länder des globalen Südens: Die Verursacher*innen und Leidtragenden des Klimawandels fallen räumlich auseinander. Insofern führt auch der Begriff «menschengemachter Klimawandel» in die Irre, als er suggeriert, alle Menschen seien gleichermassen für den Wandel des Klimas verantwortlich.
Die Schlussfolgerung ist einfach: Klimapolitik ist Klassenpolitik, Migrationspolitik ist Klassenpolitik. Interessenvertretungen von Lohnabhängigen haben sich demzufolge nicht nur in Arbeitskämpfe, sondern auch in Auseinandersetzungen um die Klima- und Migrationspolitik einzubringen. Allianzen zwischen Gewerkschaften, Klima- und migrantischen Bewegungen müssen verhindern, dass die soziale Frage weiterhin gegen die ökologische ausgespielt wird.

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