Neue faschistische Gefahr in Italien?
Maurizio Coppola. Die Regierung von Giorgia Meloni scheint eine politische Stabilität erlangt zu haben, wie es schon lange nicht mehr der Fall war in Italien. Handelt es sich dabei um die Festigung eines neuen faschistischen Regimes?
Nach nur knapp der Hälfte ihres Mandates gehört die Regierung von Giorgia Meloni schon zu den fünf langlebigsten Regierungen der italienischen Nachkriegsgeschichte. Es gibt bisher auch keinen Hinweis darauf, dass sie ihr Mandat nicht zu Ende bringen und sogar bei den nächsten Wahlen im Jahr 2027 nochmals gewinnen und eine zweite Legislaturperiode einleiten wird.
80 Jahre nach dem Ende des 2.Weltkrieges und mitten in einer globalen Welle des Aufstiegs autoritärer Regims prägen die Debatten rund um den Charakter der Regierung von Meloni die Auseinandersetzung der Linken: Stehen wir heute vor einem neuen Faschismus in Italien? Die Frage ist nicht nur von historisch-wissenschaftlichem Interesse, sondern birgt auch und vor allem politische Implikationen für eine Linke, die mit den herrschenden Verhältnissen brechen will.
Wir nehmen es vorweg: Auch wenn die Meloni-Regierung autoritäre Züge angenommen hat und in gewissen Hinsichten faschistoide Elemente erkennbar sind, ist Potere al Popolo der Meinung, dass die Bezeichnung «Faschismus» weder analytisch noch politisch präzise wäre. Die Anwendung dieser Kategorie birgt sogar die Gefahr, aus linker Perspektive Schlussfolgerungen zu ziehen, die den aktuellen politischen Herausforderungen nicht gerecht werden.
Autoritäre Umgestaltung der Institutionen
Seit Beginn ihrer Amtszeit im September 2022 liebäugelt Meloni mit einer Reform, die sie als «Mutter aller Reformen» bezeichnet hat, nämlich die Aufhebung des parlamentarischen Systems zugunsten eines Präsidialsystems. Sie musste zwar schon gewisse juristische und politische Rückschläge hinnehmen, doch die Umstrukturierung des institutionellen Settings im italienischen Staat ist bei weitem noch nicht vom Tisch. Unter dem Vorwand einer Stabilisierung des historisch krisenbehafteten politischen Systems zielt sie darauf ab, die aktuellen bereite Zustimmung in der Bevölkerung dazu zu benutzen, direkt vom Volk gewählt zu werden und somit die Legitimität ihrer politischen Reformen zu stärken. Ob dieses Manöver erfolgreich sein wird, wird sich noch zeigen müssen. Klar ist jedoch, dass seit der Covid-19-Pandemie – als noch die 5-Sterne-Bewegung (M5S) regierte – vermehrt per Dekret regiert wird. Das heisst durch Gesetzesänderungen, die von der Regierung direkt vorgeschlagen werden und eine vertiefte parlamentarische Debatte umgehen. Unter Giuseppe Conte (M5S) wurden im Durchschnitt drei Gesetzesdekrete pro Monat verabschiedet. Meloni hat diese Zahl jetzt schon übertroffen. Es handelt sich hierbei um eine Konzentration von Macht in den Händen der exekutiven zu Ungunsten der legislativen Gewalt. Eine Tendenz also, die Meloni vertieft, aber schon vor ihrem Aufstieg in die Regierung angestossen wurde.
Revolutionäre Gefahr vs. Passi-
visierung
Eine grosse historische Differenz zwischen dem Aufkommen des Faschismus in den 1920er-Jahren und der aktuellen autoritären Wende in Italien ist die sogenannte «revolutionäre Gefahr»: War die Erstarkung der faschistischen Bewegung eine Reaktion auf den Kampfzyklus der Arbeiter:innen und Bauern in den Jahren 1919 und 1920, der zu zahlreichen Fabrikbesetzungen führte und eine Perspektive der sozialistischen Revolution real machte, so ist die Regierung von Giorgia Meloni in einem Kontext der generellen Passivisierung der Gesellschaft an die Macht gekommen; eine Passivisierung, die heute weiter anhält und sich sogar nochmals vertieft hat. Diese Passivisierung drückt sich in der fallenden Wahlbeteiligung aus, aber auch in der stets sinkenden politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Partizipation generell. Die Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Widerstand, die vor allem viele Jugendlichen in den Schulen und Universitäten mobilisierte, stellte eine Ausnahme dar. Heute braucht Meloni aber keine Schlägertrupps auf den Strassen, um die demokratischen, progressiven oder gar revolutionären Kräfte zu unterdrücken.
Diese generelle Passivisierung bedeutet nicht, dass rechtsextreme Gruppen die Gunst der Stunde nicht nutzen, um ihre soziale Präsenz zu manifestieren, auch wenn es sich weiterhin um ein marginales Phänomen handelt. Weitaus problematischer ist jedoch die Tatsache, dass die italienische Regierung alle in ihren Händen sich befindenden institutionellen Instrumente benutzt, um die autoritäre Schraube anzuziehen. Als letzten Beispiel dient das sogenannte Sicherheitsgesetz, welches schon seit Monaten diskutiert wurde und auf Kritik gestossen war. In einem Hauruck-Verfahren hat nun Giorgia Meloni Anfang April ein leicht verändertes Dekret durchgeboxt und somit Aktionsformen wie Strassenblockaden, Besetzung und die Solidarität mit kämpfenden Arbeiter:innen stark kriminalisiert, sogar mit Haftstrafen. Das Ziel ist eindeutig: jedwedes Potential von Widerstand in einer instabilen Zukunft muss im Keim erstickt werden.
Der Kampf der Ideen
Die Entkoppelung der Volksklasse von der Politik ist auch mit ein Grund dafür, warum die italienische Rechte den ideologischen Kampf am Gewinnen ist. Dabei schlägt Meloni in die gleiche Kerbe wie ihre internationalen Verbündeten: Anti-Wokismus und die Angriffe auf Minderheiten haben zum Ziel, die Front der Arbeiter:innen zu brechen. Sie sind zwar fähig, in den Volksklassen ein Begehren zu produzieren, doch es handelt sich um trübsinnige Leidenschaften. Solche Abstiegsängste drücken sich eben in toxischer Männlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und ähnliche Verhaltensmuster aus, die wiederum die Rhetorik des «es gibt keine Alternativen» und des «alles ist erlaubt» stärken. Politische, symbolische und physische Gewalt gegen Frauen, das Schiessen auf Migrant:innen, die Unterstützung von Kriegen etc. erscheinen so als notwendige Antwort für die Rückgewinnung bzw. Stabilisierung von Positionen in einem System, das auf den Grundsatz des «jede:r gegen jede:n» basiert.
Unterordnung unter
dem US-Imperialismus
Meloni bricht nicht mit dem herrschenden neoliberalen System; vielmehr definiert sie im Kontext der globalen Umbrüche die Rolle Italiens neu. Dabei hat die Treue zum US-Imperialismus eine zentrale Bedeutung: Ihr Autoritarismus muss als politische Antwort auf das neoprotektionistische Projekt des Westens gelesen werden, das nach der grossen Krise 2007–2008, dem Aufkommen neuer globaler Player (in erster Linie Russland und China) und der Herausbildung einer sogenannten multipolaren Welt eingeleitet wurde. Gerade in dieser letzten Phase der Restrukturierung der globalen Ordnung (Stichwort Tarifpolitik Trump, Repositionierung des US-Imperialismus in den unterschiedlichen Weltregionen, Militarisierung Europas) hat Giorgia Meloni die Rolle des Troianischen Pferdes der USA in Europa eingenommen. Die bedingungslose Unterstützung der sogenannten Kriegsökonomie von Seiten der ultrarechten Kräfte ist in dieser Perspektive zu lesen. In einem Balanceakt versucht die italienische Premierministerin eine führende Position in Europa zu erlangen, die aber klar den globalen Interessen der USA folgen muss. Kurzum: strategische Autonomie Europas ja, aber nicht ohne die Bewahrung der nationalen Souveränität und nicht ohne eine klare Anbindung an die neue Trump Doktrin.
Und die italienische Opposition?
Dieses relativ komplexe Bild erschwert eine klare Charakterisierung der Meloni-Regierung. Ihre voreilige Bestimmung als «faschistisch» impliziert jedoch, dass es heute keine andere Alternative gäbe, ausser der Vereinigung linker und demokratischer Kräfte in einer breiten antifaschistischen und elektoralistischen Front. Dies ist zum Beispiel die Perspektive des M5S, die am 5.April 2025 in Rom zu einer Mobilisierung gegen den Krieg und gegen das europäische Projekt «ReArm Europe» von Ursula von der Leyen mobilisiert hat. Am Tag der Demonstration selbst erklärte der Leader Giuseppe Conte gleich, er sei froh, dass ein Teil der Demokratischen Partei (PD) sich dem Aufruf angeschlossen habe, denn «es geht heute darum, eine Regierungsalternative aufzubauen». Am Folgetag machte er sogar die Aussage, es brauche ein «ernsthaftes Projekt der europäischen Verteidigung». Es handelt sich hierbei um die andere Seite der gleichen Medaille: Meloni als Vertreterin einer konservativen und national-souveränen Perspektive Europas, Conte als Verteidiger einer europäischen und neoliberalen Integration.
Dem Aufruf folgten auch die parlamentarische Linke und ausserparlamentarische Kleingruppen. Vergessen dabei wurde aber, dass sowohl die M5S als auch der PD nicht wirklich antimilitaristisch unterwegs sind: Während der M5S-Regierung (2018–2021) wurden die Militärausgaben um vier Milliarden Euro erhöht und beide Parteien befürworten die Erhöhung der Ausgaben für die Nato auf zwei Prozent des BIP. Sie haben zudem den Waffenlieferungen in die Ukraine und Anfang 2024 der «Operation Aspides» im Roten Meer gegen Yemen zugestimmt. Und in den über 18 Monaten dauernden sozialen Mobilisierung gegen den genozidalen Krieg Israels gegen Palästina waren sie kaum zu sehen. Der Kampf gegen Faschismus und Militarismus darf nicht auf verbale Äusserungen oder elektoralistische Allianzen basieren, sondern braucht eine klare Haltung im Parlament und in der Gesellschaft – und eine klare Perspektive des radikalen Bruches mit der herrschenden Kriegsökonomie.
Alternativen zum Opportunismus
Die Stabilität der autoritären Regierung Melonis sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine «hegemonische Instabilität» handelt: Giorgia Melonis Handeln bewegt sich im Bereich der «kleinen Politik». Das heisst, sie verwaltet das etablierte System, ohne ein alternatives «Projekt» für Italien und Europa zu haben, das sich vom Herrschaftssystem der letzten Jahrzehnte unterscheidet – ein System, dass Deindustrialisierung, Massenemigration und generalisiert Prekarität produziert hat. Darum ist die politische Klasse gezwungen – um es mit der Begrifflichkeit von Gramsci zu sagen – immer mehr zu «herrschen» und immer weniger zu «führen». Hierin liegt gerade die Möglichkeit für eine radikale Linke.
Die Schwäche der Antworten der systeminhärenten Opposition hingegen sind ein Beweis dafür, dass es heute notwendiger denn je ist, eine radikale Alternative aufzubauen. Eine, die es vermag, klare Positionen zu haben bezüglich der heutigen Herausforderungen der ökonomischen Krise, der Re-Militarisierung Europas und der zunehmenden Handelskriege. Zugleich sollte sie territorial die Pole des Widerstands zusammenzuführen und politisch organisieren, um soziale Rechte und Positionen zu gewinnen (Studierende für Palästina, migrantische Arbeiter:innen gegen das rassistische Regime, die feministische Bewegung gegen Feminizide, Arbeiter:innkategorien gegen tiefe Löhne und Prekarisierung etc.).
Kurzum, «spontane Kämpfe» oder eventartige Aufrufe gegen die Militarisierung reichen nicht aus, um der gegenwärtigen Form des Autoritarismus entgegenzutreten. Ebenso wenig ein «institutionalisierter Guerillakrieg» in den Parlamenten oder in den Medien und schon gar nicht ein «langer Marsch durch die Institutionen». Die derzeitige autoritäre Regierungsform impliziert vor allem einen Kampf um die Eroberung und Stärkung von Positionen in der Zivilgesellschaft insgesamt und gleichzeitig die Formulierung eines strategischen Horizonts für eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft, der die verschiedenen politischen, institutionellen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Ebenen umfasst. Dies ist unsere grosse Herausfoderung heute.