Geplanter Vernichtungskrieg

Anton Latzo. Vor 80 Jahren, Ende Januar 1944, endete die faschistische Belagerung Leningrads. Der kalkulierte Hungertod von Millionen Menschen und die Auslöschung der Stadt Leningrad waren Teil des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion.

Die Blockade Leningrads durch Truppen des faschistischen Deutschlands und seiner Verbündeten Finnland und Spanien während des Zweiten Weltkriegs dauerte vom
8. September 1941 bis zum 27.Januar 1944. Schätzungen zufolge verloren während dieser mehr als 870 Tage über eine Million Bürger:innen Leningrads ihr Leben, etwa 90 Prozent von ihnen verhungerten. In dieser Zeit haben die Westmächte der Eröffnung einer zweiten Front zwar verbal zugestimmt, diese aber – in der Hoffnung, die Sowjetunion werde im Krieg gegen Deutschland ausbluten – immer wieder hinausgezögert. Antikommunismus und Russlandfeindlichkeit sowie Ausdehnung des eigenen Herrschaftsbereichs waren auch damals schon Grundlage ihrer Strategie.

Ziel: Ausradieren
Am 30.März 1941, so wird in den Aufzeichnungen des Generals Franz Halder dokumentiert, sagte Hitler während einer Beratung mit militärischen Führern über die Ziele und Pläne des Krieges gegen die Sowjetunion: «Unsere Aufgaben hinsichtlich Russlands: Die Streitkräfte zerschlagen, den Staat vernichten. Der Krieg gegen Russland ist ein Kampf zweier Ideologien. Tod dem Bolschewismus, der gleichbedeutend ist mit einem sozialen Verbrechen. Unsere Aufgabe ist der Vernichtungskrieg. Unsere erstrangige Aufgabe ist die Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz. Die neuen Staaten werden keine eigene Intelligenz haben. Man darf nicht zulassen, dass eine neue Intelligenz entsteht.»
Bereits am 19.November 1940 trug Halder dem Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch den «russischen Operationsplan» vor, also den Plan für den Krieg gegen die Sowjet­union, der einen Monat später von Hitler bestätigt und als Barbarossa-Plan bekannt wurde. In diesem hat die faschistische Führung ihre Ziele und ihr Vorgehen bei der Aggression gegen die Sowjetunion in grossem Massstab dargelegt.
Seine Anwendung auf Leningrad verdeutlicht die Weisung Nr. Ia 1601/41 vom 22.September 1941 «Die Zukunft der Stadt Petersburg». Darin zu lesen: «1.Der Führer beschloss, die Stadt Leningrad vom Antlitz der Erde zu tilgen. Nach der Niederlage Sowjetrusslands ist der Fortbestand dieser grössten Siedlung nicht von Interesse. (…) 3.Es ist geplant, die Stadt in einem engen Ring zu umzingeln und durch Artilleriebeschuss aller Kaliber und ständiges Bombardement aus der Luft dem Erdboden gleichzumachen. Wenn auf Grund der Situation in der Stadt Übergabeanträge gestellt werden, werden diese abgelehnt, weil die Probleme, die mit der Anwesenheit der Bevölkerung in der Stadt und ihrer Lebensmittelversorgung verbunden sind, von uns nicht gelöst werden können und sollen. In diesem Existenzkampf geht es nicht darum, auch nur einen Teil der Bevölkerung zu erhalten.»

Lebensmittel vernichtet
Geplant war also ein gezielter Massenmord, was in weiteren Weisungen präzisiert wurde. Dazu gehörte zum Beispiel der sogenannte «Hungerplan», in dem die Verwirklich-ung der Strategie vorgegeben wurde. In deren Rahmen war das Aushungern Leningrads eine bewusste Handlung, die nicht anders als ein Kriegsverbrechen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden kann. Die in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten produzierten Lebensmittel sollten entsprechend dem «Hungerplan» an die deutschen Besatzungstruppen sowie an das Deutsche Reich geliefert werden. Bewusst wurde einkalkuliert, dass infolge des Entzugs von Nahrungsmitteln bis zu 30 Millionen Menschen in der Sowjetunion verhungern würden.
Mit der Schliessung des Blockaderings am 8.September 1941 wurden alle Versorgungslinien der Millionenstadt abgeschnitten. Versorgung war nur noch auf der «Strasse des Lebens» über den Ladoga-See möglich, aber bei weitem nicht ausreichend. Die deutschen Truppen zerstörten die Stadt, indem sie sie mit massivem Artilleriebeschuss und Bombenabwürfen belegten. Besonders heftig waren diese im Oktober und November 1941. Mehrere tausend Brandbomben verursachten massive Brände. Ganz im Sinne der oben genannten Zielsetzung waren sogar Lebensmitteldepots ein wichtiges Ziel. Gleich zu Beginn der Blockade wurden am 8.September 1941 die Lagerhäuser von Badajew bombardiert, in denen sich bedeutende Lebensmittelreserven der Stadt befanden. Allein dabei wurden 3000 Tonnen Mehl und 700 Tonnen Zucker vernichtet.

Der Schoss ist fruchtbar …
Die Luftwaffe bombardierte zunächst vor allem Lebensmittellager sowie die Wasser- und Elektrizitätswerke. Bei den ersten Bombardements wurden rund 6500 Brandbomben abgeworfen. Schulen, Krankenhäuser und Entbindungsheime wurden von der Artillerie unter Feuer genommen.
Schwere Angriffe waren gegen die Industriebetriebe der Stadt gerichtet. Bis zum Ende des Jahres 1941 warf die deutsche Luftwaffe 66200 Brand- und rund 3500 Sprengbomben über Leningrad ab. Während der gesamten Dauer der Blockade waren es 102520 Brand- und 4653 Sprengbomben.
Der kalkulierte Hungertod von Millionen Menschen und die Auslöschung der Stadt Leningrad waren Teil des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion. Wie das alles endete, ist bekannt. Aber warum konnte das geschehen? Und: Wer war daran interessiert und warum? Darüber muss offensichtlich noch gesprochen werden, auch angesichts unserer Gegenwart! Denn: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»

Quelle: unserezeit.de

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