Weisser Retter oder leninistische Revolution?

Alina K. Der Film «Dune Part two» handelt vom Aufstieg des Protagonisten Paul Atreides von einem scheuen Herzogs-Sohn zum charismatischen Anführer der indigenen Fremen. Imperialismus, Krieg, Rassismus, Guerilla, alle diese Themen sind in diesem kürzlich neu verfilmten Science-Fiction-Epos zu finden.

Frank Herberts erstes Buch «Dune» wurde in seiner neuesten Verfilmung auf zwei Teile gespannt. Der erste Film des kanadischen Regisseurs Dennis Villeneuve aus dem Jahr 2021 handelt von einer Machtübergabe eines Planeten namens Arrakis. Der Paddischah-Imperator entzieht im Jahre 10191 die Kontrolle dieses Planeten dem Adelshaus Harkonnen und übergibt sie dem Adelshaus Atreides. Dies lässt sich mit dem Heiligen Römischen Reich vergleichen, indem verschiedene Adelsfamilien einzelne Kleinstaaten regierten, deren Konflikte durch den Heiligen Römischen Kaiser moderiert wurden. Mit dem Unterschied, dass Adelsfamilien ganze Sternsysteme kontrollieren und der Paddischah-Kaiser ein Galaxie-Imperium regiert.

Die Falle
Der Planet Arrakis ist im Imperium äusserst wichtig, denn nur dieser verfügt die Ressource «Gewürz», welcher zentral für das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit ist. Somit ist das Gewürz äusserst profitabel. Jahrzehntelang war der Planet unter Kontrolle der Adelsfamilie Harkonnen, die eine enge Beziehung zum Imperator pflegt.
Wieso wurde die Verwaltung dieses Planeten an die Atreides-Familie übergeben? Um die gesamte Handlung des ersten Teils äusserst kurz zu halten: Die Atreides sind eine aufstrebende Adelsfamilie, die eine Bedrohung für den Imperator sind. So entpuppt sich die Reise der Atreides nach Arrakis als Falle, die Baron Vladimir Harkonnen (Stellan Skarsgård) gemeinsam mit dem Herrscher des galaktischen Imperiums gestellt hat. Paul muss gemeinsam mit seiner Mutter in die endlosen Wüsten von Dune fliehen, wo er auf die geheimnisvollen Fremen um deren Anführer Stilgar (Javier Bardem) und die furchtlose Chani (Zendaya) trifft. Das gesamte Adelshaus Atreides wird ausgelöscht. Nur der Protagonist Paul Atreides, seine Mutter Jessica und einzelne Soldat:innen überleben das Massaker und integrieren sich bei den Fremen.

Wasser des Lebens
Dune Teil 2 setzt hier fort. Eine der kaiserlichen Nonnenschaft Bene Gesserit eingepflanzte Legende des «ausserweltlichen Befreiers» Lisan Al-Gaib sieht sich in Paul Atreides erfüllt und gewinnt so Anhänger:innen. Paul integriert sich schnell bei den Fremen, weil er mit ihrer Sprache vertraut und als Soldat ein effektiver Kämpfer ist. Seine Adelsfamilie bekämpfte die Harkonnen für Jahrhunderte, und die Fremen kennen die Wüste von Arrakis. Natürliche Verbündete, Rache und Befreiung. Es folgt die zunehmende Integration von Paul Atreides bei den Fremen, wo er neu als Usul Muad’Dib bekannt ist. Usul hat kein Interesse an Macht oder Krieg, er will nur Rache und sieht den Befreiungskampf der Fremen als ein Mittel hierzu. Dies gibt er offen zu, welches seine Authentizität bestätigt. Der Guerilla-Krieg gegen die Terror-Herrschaft der Harkonnen bringt Erfolge. Die Legende des Lisan Al-Gaib verbreitet sich weiter. Für Paul/Usul ist das sehr unangenehm, aber seine Freundin Chani stützt ihn.
Die Parallelen zu «Lawrence of Arabia» sind eindeutig, eine Retterfigur mit Eigeninteressen. Aber Paul/Usul schleiert nichts vor. Dies steht im Konflikt mit der «Weisser Retter»-Figuren wie in den Filmen «Der mit dem Wolf tanzt», «Avatar», «Last Samurai» und weitere, bei welchen ein weisser Mann die indigenen Völker gegen ein Imperium vereinen kann, was das jeweilige indigene Volk – Sioux, Na’vi, Samurai in den oben erwähnten Filmen– nicht hinbekommen. Ein orientalistisches Motiv. Anfänglich ist der Unterschied noch nicht klar, dies ändert sich jedoch schlagartig im Handlungsverlauf. Denn Paul/Usul schliesst sich seiner Mutter Jessica auf der südlichen Seite von Arrakis an, wo sie – auch ein Mitglied der Bene Gesserit – den Kult um ihren Sohn fördert. Sowohl sie als später auch ihr Sohn trinken den aus dem «Wasser des Lebens» – aus einem geopferten Sandwurm gewonnen – welches ihnen Zukunftsvisionen erlaubt. Beide lernen, dass sie selbst mit den Harkonnen blutsverwandt sind. Dies führt zur Erkenntnis, dass nur ein Krieg den Sieg bringen kann.

Volkskrieg gegen den Besatzer
Die Zukunftsvisionen bescheren Paul/Usul ein neues Selbstbewusstsein. Er versteht, was zu tun ist, um Rache für seine Familie und die Befreiung der Fremen gleichzeitig zu ermöglichen. Vor einer Versammlung aller Fremen-Häuptlinge setzt sich Paul/Usul durch, mit einer charismatischen Rede, bei welcher er sich zum Herzog Usul Muad’Dib Atreides von Arrakis proklamiert. Er sagt: «Ich bin die Erfüllung Eurer Prophezeiung; wer gegen mich ist, soll gegen mich kämpfen, aber ihr habt Angst vor mir, weil was, wenn ich wahrlich Lisan Al-Gaib bin! Ich verspreche Euch eins: Arrakis wird zum grünen Paradies werden!»
Ein Wandel von Objekt zu Subjekt, Ergreifung der historischen Notwendigkeit, ein leninistischer Revolutionsführer – oder schlicht ein Psychopath? Ein Frontalangriff gegen die Harkonnen wird geplant, der Paddischah-Imperator herausgefordert. Sandsturm, gigantische Sandwürmer und versteckte Atreides-Atomsprengköpfe werden eingesetzt, um die Truppen der Harkonnen und die Sardaukar des Imperators anzugreifen. Gnadenloser Erfolg. Die Rache ist erfüllt, Arrakis ist frei, der Imperator beugt sich vor Herzog Atreides.

Anti-Held, Faschist oder Revolutionär?
Die Taten von Herzog Atreides sind egoistisch. Aber die bürgerliche Mainstream-Presse kann keinen schlauen Reim daraus machen: Ist er Egoist, weil er ein Weisser Retter ist, ist er Egoist, weil er «nicht woke» ist, ist er Egoist wegen toxischer Männlichkeit? Aber die Bourgeoisie ist nicht fähig zu verstehen, dass Veränderung nur über Macht möglich ist. Keine Moralpredigt, kein Betteln, kein «maskuliner Geist», sondern Macht. «Ohne Macht ist alles eine Illusion», sagte einst Vladimir Lenin. Die historische Notwendigkeit des Kommunismus ergibt sich nicht aus Aposteln, sondern aus der Erkenntnis, dass das kapitalistische System seine eigenen Totengräber durch seine inneren Widersprüche schafft. Die idealistische – statt materialistische – Weltanschauung des Bürgertums kann nicht ausserhalb von Moralpredigten denken, denn sie verneint die Gesetzmässigkeiten der Geschichte.
So verhält es sich mit der Interpretation von Herzog Muad’Dib Atreides: Die Befreiung von Arrakis ergibt sich aus den Widersprüchen des Imperiums, die Ausbeutung der Völker im Imperium, gerade Arrakis wegen des Gewürzes. Dass eine charismatische Figur wie Paul erscheint, ist historisch notwendig. Es hätte irgendwer sein können, aber unser lieber Protagonist hatte das Glück, dass verschiedene Faktoren – künstlich und natürlich – auf ihn fielen. Er erkannte, dass die Befreiung von Arrakis und Rache für seine Familie nur auf Macht beruhen kann. Dies bedeutet Organisation und Führung. Herzog Atreides ist viel näher an einem Vladimir Lenin als irgendein Mussolini oder Mohandas Gandhi, Lawrence von Arabien oder ein letzter Samurai.

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