Sympathisch, stimmig, ausdrucksvoll

Christa Weber (zweite von rechts) und Christof Herzog (ganz rechts im Billd).

dab. Das Weber-Herzog Musiktheater Berlin konnte seine Bühnenproduktion über den türkischen Kommunisten und Schriftsteller Nazim Hikmet der Coronamassnahmen wegen noch nicht aufführen. Die musikalische Doppel-CD mit seinen gesungenen und rezitierten Texten in deutscher Nachdichtung aber kann man hören und geniessen.

In der linken Alternativszene der Achtziger gehörte Nazim Hikmet mit Khalil Gibran und Pablo Neruda zu den viel gelesenen und zitierten Schriftstellern. «Meine Bücher erscheinen in dreissig bis vierzig Sprachen. Nur in meiner Türkei, in meiner Muttersprache, sind sie verboten», erzählt er im Text «Mein Lebenslauf», der Privates und Politisches organisch, witzig und selbstkritisch mischt. Vorgetragen wird der Text von Christa Weber mit wohl klingender, eindringlicher, ironischer, zuversichtlicher und sympathischer Stimme.

Lebenswillen, Zuversicht
Mehrere seiner Bücher sind in der Deutschschweiz noch im Handel zu haben, müssen aber in Buchläden meist bestellt werden. Unter anderem damit er und seine Werke nicht in Vergessenheit geraten, haben Christof Herzog und Christa Weber die Doppel-CD und die Bühnenproduktion erarbeitet. «Seine Gedichte zeichnen sich aus durch einen ungebrochenen Lebenswillen und eine grosse Zuversicht. Viele seiner Texte wirken in diesen Corona-Zeiten wie massgeschneidert: ‚Sie lassen uns unsere Lieder nicht singen’», hält die Medieninformation treffend fest.
Geboren wurde Hikmet 1902 in Saloniki, später lebte er in Aleppo und Istanbul. Er studierte in Moskau, kehrte als Redaktor in die Türkei zurück und wurde nicht zum ersten Mal wegen kommunistischer Tätigkeit inhaftiert. «Wie Kerem», geschrieben nach vierzig Tagen Einzelhaft in völliger Dunkelheit, zeugt eindrücklich und expressiv von dieser massiven institutionellen Gewalt.
Ängste der Ausbeutenden
Nazim Hikmet starb 1963 in Moskau. Die offizielle Türkei ignoriert noch immer den Dichter und verbietet sein Werk. Ein Teil der Kulturzentren, die nach ihm benannt worden waren, änderten ihren Namen. «Sie haben Angst vor unseren Liedern», das Eingangsstück des Albums, benennt die Ängste der ausbeutenden Klasse in Kapitalismus und Imperialismus: «Sie haben Angst zu sehen, Angst zu hören, Angst zu berühren, Angst zu weinen, zu lachen, zu lieben, Angst sich zu erinnern, Angst vor der Ordnung, vor unseren Liedern.» Das stimmt heute noch weitgehend.
Diese Kritik müssen sich die bürgerlichen Pro-tagonist*innen seit den Sechzigern nicht nur von Hikmet (von ihm besonders klar, «gspürig» und kunstvoll) anhören. Sie sind begierig, aus Kritik zu lernen und die Missstände mit Scheinheiligkeit zu verschleiern, um ihre Herrschaft zu bewahren und zu festigen. Deshalb schmückt sich die bürgerliche Propaganda, Polit- und Alltagskultur seither zunehmend mit dem Überspielen der Widersprüche, mit künstlicher Empathie und missbraucht Emotionen für ihre apolitische Innerlichkeit, für sportlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb und für ihren Verkauf von entpolitisierten Unterhaltungsprodukten.

E-Musik und Chanson
Die vielseitige Interpretation und Vertonung der Geschichten, Liebeslieder, Gedichte, Reflexionen und Anklagen ist weit weg von billiger Innerlichkeit und falschen Emotionen. Vier Musiker*innen unterstützen stimmig und ausdrucksvoll mit Klavier, Klarinette, Saxophon, Kontrabass und Perkussion. Die Melodien, Klangfarben und Stimmungen orientieren sich an postklassischer E-Musik und Chanson, erinnern manchmal an Kurt Weill. Christof Herzog steht für Komposition und Gesang, Christa Weber für Rezitation und Gesang. Das dreiteilige, zusammenklappbare Booklet glänzt in Schwarz mit roter Schrift und steht für Energie, Liebe, Revolution, Ausdruckskraft und die Schmerzen von Rückschlägen, Repression und Folter, das eingefügte hellere Foto des Dichters in angenehmen Grautönen für seine Sensibilität und Differenziertheit.

Weber-Herzog Musiktheater: «Nazim Hikmet – Brüderlich wie ein Wald», Berlin 2020. Die Doppel-CD kann für 19 Euro bei www.jumpup.de bestellte werden.

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