«Wir wollen uns lebend!»

Die Bewegung Ni-una-menos kämpft weltweit unter anderem gegen Femizide. Bild: zVg

lmt. Anlässlich der schweizweiten Demonstration am 11.Dezember in Zürich gegen Femizide sprach der vorwärts mit zwei Aktivistinnen: Sevin vom Ni-una-menos-Kollektiv Zürich und Hanna vom Ni-una-menos-Bündnis Schweiz. Beide unterstreichen die Dringlichkeit von Massnahmen in Bezug auf Femizide.

Wieso die Demonstration am 11.Dezember? Wie kam es dazu?
Hanna: Gewalt an FLINTA ist strukturell in unserer Gesellschaft und ihren Institutionen verankert. Femizide bilden dabei die Spitze des Eisberges. Bereits bis im August 2021 wurden mehr Femizide begangen als im gesamten vorherigen Jahr. Die patriarchale Gewalt hat seit Pandemiebeginn massiv zugenommen. Wir wollen zeigen, dass es sich um ein nationales Problem handelt, bei dem dringender Handlungsbedarf besteht. Der Staat und die gesellschaftlichen Kontrollmechanismen versagen, wenn es um den Schutz vor Gewalt an FLINTA geht. Die Schweiz hat 2018 die Istanbul-Konvention zwar unterzeichnet, doch bei deren Umsetzung hapert es gewaltig. Das Übereinkommen schreibt vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert sein muss und sämtliche diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen sind. Ausserdem sollen Hilfsangebote für Frauen* verbessert und die Menschen über Bildungsangebote für das Problem sensibilisiert werden. Der politische Wille und die nötigen finanziellen Mittel zur Umsetzung fehlen nach wie vor, wie dies beispielsweise der Alternativbericht vom Netzwerk Istanbul Konvention zeigt. Es gibt noch so viel zu tun! Wir wollen Druck aufbauen und diesem Thema Gehör verschaffen und nehmen uns deswegen am 11.Dezember gemeinsam die Strassen.

Wer organisiert die Demo?
Hanna: Die Demonstration wird vom Ni-una-menos-Bündnis Schweiz organisiert. Es besteht aus einem Netzwerk von Organisationen und Kollektiven, die sich gemeinsam gegen patriarchale Gewalt und Femizide einsetzen. In der Organisation sind alles FLINTA-Personen, die aus verschiedenen Regionen der Schweiz kommen und sich nun an dieser nationalen Demonstration beteiligen. Wir versuchen mit unserem Anliegen die institutionelle Politik und sämtliche Einwohner*innen der Schweiz anzusprechen. Geschlechtsspezifische Gewalt geht uns alle (!) etwas an. Deswegen ist die Demonstration auch für alle Geschlechter offen, wobei es aber eine FLINTA-Spitze geben wird.

Wie ist die Ni-una-menos-Gruppe entstanden?
Sevin: Das Ni-una-menos-Kollektiv Zürich gibt es seit dem 21.August 2019, inspiriert durch die gleichnamige Bewegung in Argentinien. Als Antwort auf die Kriminalisierung einer Aktivistin des feministischen Streiks wurde der Helvetiaplatz zum Ni-una-menos-Platz umgetauft. Das war unsere erste Aktion als Kollektiv. Seither treffen wir uns alle zwei Wochen für Sitzungen und mobilisieren zu Protest- und Gedenkmomenten an jedem zweiten Donnerstag, der auf die Ermordung einer Frau in der Schweiz folgt. Von Kundgebungen mit sehr vielen Teilnehmenden bis hin zum Gedenken im kleineren Rahmen drücken wir unsere kollektive Wut und Trauer auf verschiedenste Arten aus. Wir lassen uns nicht vereinzeln und wir lassen keine allein. Wir durchbrechen somit das Schweigen in Bezug auf Femizide und nehmen uns die Strasse. Wir erkämpfen uns den öffentlichen Raum, für jene, welche nicht mehr unter uns sind. Für alle, die Gewalt erfahren haben, für die Überlebenden und für die Hinterbliebenen. Denn es geht um das Menschenrecht, nicht ermordet zu werden!

Was macht ihr für Aktivitäten?
Sevin: Der wichtigste Teil unserer Bewegung ist, wie oben schon erwähnt, dass wir nach jedem Femizid Protestaktionen auf dem Ni-una-menos-Platz machen. Neben unseren Sitzungen und Retraiten machen wir Ausstellungen, nehmen an Soli-Anlässen sowie Podiumsdiskussionen teil, geben Interviews und halten an verschiedenen Demos Reden. Wichtig für uns ist das Vernetzen mit anderen feministischen Organisationen. Wir machen aber auch viele kulturelle Sachen. Zum Beispiel halten wir Radiobeiträge, singen und musizieren zusammen. Als Gruppe machen wir Stände mit unserem Material und selbstbedruckten T-Shirts und Taschen. Und jetzt ganz gross eine nationale Demo bei dir wir aktiv dabei sind.

Wer kann alles mitmachen?
Sevin: Alle FLINT-Personen, die sich mit dem Thema Femizid auseinandersetzten und sich einbringen wollen. Unser Kollektiv besteht aus einer breiten Palette von jung bis alt, unterschiedlicher Herkunft und Hintergründe. Einige sind seit Jahrzehnten in feministischen Kämpfen dabei und kommen aus verschiedenen Organisationen. Andere sind neu und politisch motiviert. Wir freuen uns immer, wenn neue Personen zu uns an die Sitzungen kommen und sich mit engagieren. Hier möchte ich noch erwähnen, dass wir gegen aussen sehr stark und geschlossen wirken. Das bringt sicherlich auch eine Hemmschwelle mit sich, für Personen, die neu dazustossen wollen. Es braucht jedoch weder ein Vorwissen noch muss die Person Angst haben, dass sie nicht weiss, was sie dann dort einbringen könnte. Alle können etwas beitragen. Schon die Solidarität und dass die Person mal an eine Sitzung kommt, ist für uns sehr viel Wert.

Was sind eure Forderungen? Was muss sich ändern?
Hanna: Unser Forderungskatalog ist sehr breit aufgestellt und keineswegs abschliessend. Unter anderem fordern wir die Anerkennung des politischen Begriffs Femizid und geschlechtsspezifische Gewalt als Flucht- und Migrationshintergrund. Bis heute gibt es vom Bund keine Statistiken zu Femiziden. Es bleibt eine Dunkelziffer und zu den Morden an Trans-, Inter- und nicht binären Personen gibt es fast keine Informationen. Des Weiteren braucht es eine zeitnahe, inklusive und umfassende Umsetzung der 24-Stunden-Beratung für Gewaltbetroffene und viel mehr Präventionsarbeit. Aber auch auf rechtlicher Ebene gibt es Handlungsbedarf. Das Sexualstrafrecht erweist erhebliche Lücken auf und muss revidiert werden: Nur Ja heisst Ja! Auch sind die Schutzmassnahmen nach geltenden Rechtsnormen für Gewaltbetroffene in der Ehe nicht für alle zugänglich. So droht Opfern, die sich aus einer Gewaltehe befreien wollen, teilweise die Ausschaffung aus der Schweiz. Wir wehren uns gegen eine Politik, die es sich nicht zur Aufgabe macht, die Leben von Gewaltbetroffenen zu schützen. Wir wollen uns lebend!

Was sind eure Ziele? Was sind die nächsten Schritte nach der Demo?
Sevin: Wir wollen, dass die oben erwähnten und alle anderen von uns gestellten Forderungen umgesetzt werden. Wir wollen weiterhin die Protestkundgebungen durchführen und an alle bisherigen Anlässe dranbleiben. Und natürlich über die Vernetzungen mit vielen anderen feministischen Organisationen weitere gemeinsame Schritte überlegen. Diese Demo ist jetzt der grosse Anfang dazu. Denn gemeinsam sind wir stark!

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