Über Leichen für die WM

lmt. Die Fussball-Weltmeisterschaft rückt immer näher. Doch in Sachen Menschenrechte und Entschädigungen für die hunderttausend ausgebeuteten Arbeiter*innen in Katar wurde noch kein Schritt unternommen.

Es sind nur noch wenige Monate bis zum Anpfiff der Fussball-Weltmeisterschaft (WM). Die Bauarbeiten an den acht Stadien sind längst abgeschlossen. Im Geschäftsbezirk West Bay spriessen Hotels, Einkaufszentren und Firmenzentralen nur so aus dem Boden. Dieses rasante Wirtschaftswachstum wäre wohl ohne die WM nicht denkbar gewesen. Doch es gab einen hohen Preis und diesen mussten hauptsächlich Arbeitsmigrant*innen zahlen – unter anderem mit ihrem Leben. Spätestens seit der Bekanntgabe, dass die diesjährige WM in Katar stattfinden wird, rückte das Land öfters in den Fokus. Und jener Fokus führte dazu, dass gewisse Schandtaten enthüllt und einer bereiten Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Anpfiff
Im Dezember 2010 wurde von der Fifa, dem Fussballweltverband, verkündet, dass die WM 2022 in Katar stattfinden wird. Ab diesem Zeitpunkt bahnte sich der Weg für das miserable Schicksal der Arbeits-migrant*innen. Kurz zuvor führte Katar das Kafala-System ein, welches den Missbrauch von Arbeitsmigrant*innen stark begünstigt. Das Kafala-System wird in etlichen Staaten der Golfregion praktiziert. Ausschlaggebend ist, dass die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis an ein einziges Individuum gekoppelt ist. Klartext: Die Einreise und das Recht, im Land zu leben und zu arbeiten, werden vom Arbeitgeber kontrolliert. Er behält die Reisepässe und entscheidet über eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung. Geschieht dies nicht, werden die Wanderarbeiter*innen zu irregulären oder «illegalen» Einwohner*innen und damit bestraft und kriminalisiert. Die Fifa wusste das, als sie den Zuschlag für das Turnier gab. Dennoch wurden in der Bewertung der katarischen Bewerbung die katastrophalen Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt. Die Fifa hat keinerlei Bedingungen für den Schutz der Arbeitnehmer*innen gestellt.

Arbeiten in der Hölle
Unter stechender Hitze und praller Sonne schufteten die Arbeitsmigranten* den ganzen Tag lang auf dem Bau. Praktisch ohne Lebensmittel und kaum Wasser lebten sie zusammengepfercht in überfüllten und streng kontrollierten Hütten. Die Berichte über junge Männer, die auf dem Bau einfach umkippten oder tödlich verunglückten, reihten sich aneinander. Da der katarische Staat keine genauen Statistiken darüber hielt, kann keine exakte Zahl genannt werden. Doch Schätzungen von NGOs und Gewerkschaften gehen von über 10000 Verunglückten aus.
Nicht nur Bauleute erzählen von höllischen Arbeitsbedingungen. Auch Beschäftigte im Dienstleistungssektor rund um die WM-Projekte sprechen von Arbeitstagen von zwölf Stunden und dies sieben Tage die Woche. Es gibt keine Pausen, Wochenenden oder Ferien. Und Frauen* arbeiten als Hausbedienstete unter sklavenähnlichen Bedingungen meist über 14 Stunden.
In den letzten Jahren, wohl auch wegen der vermehrten kritischen Aufmerksamkeit, gab es Bemühungen, Richtlinien über Arbeitszeiten, Ruhephasen oder Beschwerdemöglichkeiten nach europäischen Standards zu erlassen. Zudem behauptet die Erbmonarchie im Lande, das Kafala-System abgeschafft zu haben. Vielleicht lag es an mangelnder Durchsetzungskraft oder an Lippenbekenntnisse, doch Fakt ist: Die Situation änderte sich kein bisschen. Und die Arbeiter*innen starben weiter.

Zu spät
In der Menschenrechtserklärung des Weltverbands der schönsten Nebensache der Welt vom Mai 2017 heisst es: «Die Fifa ist bestrebt, innerhalb der Organisation und bei all ihren Tätigkeiten ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen.» Da hat der Fussballverband mit Katar wohl ins Klo gegriffen. Als Mitwissender der Menschenrechtsverletzungen in Katar ist die Fifa mindestens Komplizin, wenn nicht sogar Mitschuldige. Daher soll sie 440 Millionen Dollar zahlen. Das Geld entspricht der Summe der WM-Preisgelder, die insgesamt an die nationalen Verbänden der teilnehmenden Nationen ausbezahlt wird. Das Geld soll eine Entschädigung für die Ausgebeuteten Arbeitsmigrant*innen sein, die meist über Monate zu wenig bis gar keinen Lohn erhielten. Dies fordert Amnesty International gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Fan-Gruppen.
Die Entschädigungen und ein Programm zur Wiedergutmachung kommen für die hunderttausenden Arbeiter*innen wahrscheinlich zu späht. Und auch die «Streitschlichtungsausschüsse», die zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmenden vermitteln sollen, werden nicht reichen, um die Schandtaten wegzumachen.

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