«Durch die Kreativität der Jugend kann man viele gemeinsame Projekte vorantreiben.»

Die Genossin Déborah Azcuy Carillo vom kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP)

Gion Honegger. Die Genossin Déborah Azcuy Carillo vom kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) weilte im Oktober 2023 in Deutschland und in der Schweiz. Ein Gespräch mit ihr über ihre Reise, die Situation auf Kuba und die internationale Solidarität.

Deborah, was kannst du aus den Gesprächen in Deutschland und der Schweiz nach Kuba mitnehmen? Was erwartet Kuba, die kubanischen Menschen, von uns hier in Europa?
Es war für mich eine grosse Freude, nach so vielen Jahren die Gelegenheit zu haben, Deutschland und die Schweiz zu besuchen. Vor allem zu merken, dass die Solidaritätsbewegung in diesen Ländern aktiv, lebendig an der Seite des Widerstands Kubas gegen den US-Imperialismus steht. Es ist für Kuba sehr wichtig, mit so vielen Freund:innen in Europa rechnen zu können, trotz der Verleumdungskampagnen seitens der grossen (Mainstream-)Medien, Kuba zu diskreditieren und zu versuchen, das Land in einer Elends-Situation als Chaosland darzustellen. Deshalb ist es so wichtig, Kuba in seinem realen Kontext vorzustellen, nämlich unter den Auswirkungen des brutalen wirtschaftlichen Krieges, welcher von der US-Regierung geführt wird. Dies mit dem Ziel, die kubanische Bevölkerung zur Verzweiflung zu treiben und sie dadurch ihre Unterstützung für das soziale Projekt aufgibt. Seit 65 Jahren führen die US-Regierungen einen mörderischen Krieg gegen die kubanische Bevölkerung, der es Kuba verbietet, mit anderen Ländern normale wirtschaftliche Beziehungen zu betreiben. Diese Massnahmen verschärften sich nochmals drastisch, seit Trump 2021 Kuba wieder auf die Liste der angeblichen «Terrorunterstützerstaaten» setzte. Das hat zur Folge, dass Kuba keinen Zugang zum Internationalen Finanz- und Bankensystem hat. Dieser Krieg setzt die Biden-Administration fort. Das Fehlen von Devisen hat dramatische Auswirkungen und führt unter anderem zu einem grossen Mangel an Medikamenten, an Brennstoff und dass es immer wieder zu befristeten Stromausfällen kommen kann. Es mangelt an fast allem, ausser am Sinn – von der afrikanischen Kultur geerbt – auch in den traurigen Momenten zu lachen und glücklich auch mit wenig Materiellem zu sein und über das Traurige einen Witz zu machen.

Am 16. und 17.November fand in Brüssel das Anti-Blockade-Tribunal «Unblock Cuba» statt. War es aus der Sicht Kubas ein Erfolg? Wenn ja, inwiefern?
Es gab einen Konsens, dass die US-Blockade völkerrechtswidrig ist und einen Akt des Genozids darstellt, um das kubanische Volk durch Elend und Krankheiten aussterben zu lassen. Interessant ist, dass es auch in Europa und den USA renommierte Jurist:innen und Geschäftsleute gibt, die unter dem Helms-Burton-Gesetz, das seit 1996 in Kraft ist, leiden. Denn die USA versuchen, ihre Gesetze Europa aufzuzwingen, was gegen das internationale öffentliche Recht ist. So wird den Europäer:innen verboten, die USA frei zu besuchen, wenn sie zu Kuba wirtschaftliche, kulturelle, medizinische oder andere Beziehungen haben. Und das im 21.Jahrhundert! Europa unterwirft sich damit den Gesetzen der USA, ohne zu bedenken, dass Europa keine Kolonie der USA ist. Europa hat eigene Gesetze, um sich vor den US-Forderungen zu schützen. Das heisst: Europa und seine Regierungen könnten gut, so wie bis im Jahr 2000, ihre Anti-US-Blockadegesetze bestehen lassen. Leider bekam das Tribunal in Brüssel keine Aufmerksamkeit der grossen Medien, obwohl die Menschenrechte der Europäer:innen durch das Helms-Burton-Gesetzt verletzt werden.

Auch in der Schweiz wurde die weltweite Kampagne «Let Cuba live!» unterstützt. In den USA selbst gibt es eine immer breiter werdende Bewegung der Solidarität mit Kuba. Was bedeuten diese Kampagnen für Kuba?
Diese Kampagnen sind lebenswichtig. Sie stellen dar, dass die Welt untereinander normale Beziehungen braucht. Im 21. Jahrhundert ist es inakzeptabel, dass eine Regierung wie die der USA ihre Aussenpolitik der ganzen Welt aufzwingt. Die Welt hat sich verändert, mit einer immer grösseren Tendenz zum Multilateralismus, zum Austausch. 80 Prozent der Weltbevölkerung möchten im Rahmen der Gruppe 77+China ihren eigenen Willen äussern, um gemeinsame Entwicklungsprojekte im Kampf gegen die Armut und für mehr Frieden voranzutreiben. Dann kann es doch nicht sein, dass die USA weiterhin den Kalten Krieg aufrechterhalten. Auch kann es nicht sein, dass sie definieren, wer gut oder böse ist und Kuba auf eine Liste angeblicher «Terrorunterstützerstaat» setzen. Kuba ist seit 1959 (das Jahr der Revolution) ein Friedensstaat. Es hat einen Arzt pro 150 Einwohner:innen. Unser Land schickte Ärzt:innen in über 65 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, an Orte, an denen zuvor nie ein einheimischer Arzt oder eine Ärztin behandeln wollte, weil dort die ärmsten Bevölkerungsschichten leben. Die Weltbevölkerung verdient Fairness und Wahrhaftigkeit. Deshalb sind Projekte wie «Let Cuba live» Projekte der Liebe. Die Menschen, die darüber erfahren und einen Gerechtigkeitssinn haben, unterstützen sie, wenn sie die Gelegenheit haben, die Wahrheit über Kuba zu erfahren. Die Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker, wie Che Guevara sagt. Ich würde bescheiden hinzufügen: Die Solidarität ist das Salz für die Kraft, die Kuba benötigt, um standhaft zu bleiben.

Wird die Regierung Biden an ihrer aktuellen Kuba-Politik festhalten?
Es ist ein harter Kampf, denn Biden und die US-Regierung sind durch die Mainstream-Medien so stark vertreten, dass sie nur das Bild von «gut und bös» gelten lassen. Die Biden- Administration, so wie all die US-Administrationen davor, denkt, dass Kuba nicht überleben kann. Aber sie vergessen, dass die kubanische Bevölkerung ein sehr hohes politisches Bewusstsein sowie einen hohen Sinn für Gerechtigkeit, Solidarität und Würde hat. Kuba ist seit dem 17.Jahrhundert ein Volk des Widerstands, zuerst gegen das spanische Imperium, dann gegen den US-Kolonialismus, und dies verzeiht der US-Imperialismus nicht. Wenn die Blockadepolitik der US-Regierung nicht wäre, könnte Kuba noch vielmehr den Völkern der Welt helfen. Dazu ein Beispiel: die Unterstützung Kubas in der Bekämpfung der Corona-Pandemie, die Entwicklung der drei Impfstoffe gegen Covid-19, auch die medizinischen Aktivitäten in Italien und anderswo. Das heisst, wenn die US-Blockade nicht existierte, könnte sich Kuba besser entwickeln. Denn wir hätten viel mehr Mittel zur Verfügung für die bescheidensten Menschen, und das wollen die USA verhindern.  Unser Land ist ein Beweis dafür, dass wenn der politische Wille der Regierung der Bevölkerung gerecht wird und der Reichtum an die ganze Bevölkerung verteilt wird, Wunder geschehen können: hoher Bildungsstandard, gratis Gesundheitswesen für alle, Kultur für alle, soziale Sicherheit für die ganze Bevölkerung, niedrige Kriminalitätsraten. Das darf nach dem Konzept der politischen Eliten der USA auf keinen Fall geschehen, deshalb die Verschärfung der Blockade auch durch Biden.

Kürzlich wurden in Kuba Personen festgenommen, die aus den USA kommend, illegal an Land gingen. Es wurden Waffen und Pläne für weitere Rekrutierungen und konkrete Anschläge gefunden. Verschärft die US-Regierung gerade massiv ihre Aktivitäten, um gewalttätige Aktionen zu provozieren?
Die US-Administration ist in ihrer Kuba-Politik verzweifelt, denn sie geht seit 65 Jahren davon aus, dass Kuba fallen und sich den USA unterordnen wird. Doch trotz der Verschärfung der US-Blockade existiert Kuba nur 90 Meilen von den USA entfernt, frei, selbstständig und geniesst eine sehr grosse internationale Anerkennung durch seinen Widerstand. Die USA finanzieren terroristische Organisationen, die in Kuba versuchen, die Stromversorgung zu sabotieren, damit die Bevölkerung durch Stromausfälle unzufrieden wird. Sie bezahlt kubanische Jugendliche 100 Dollar, um einen Molotow-Sprengsatz in eine Schule oder ein Krankenhaus zu werfen. Aber die kubanische Bevölkerung ist sich bewusst, dass sich die US-Regierung und ihre Eliten nicht für das Leben der kubanischen Bevölkerung einsetzen werden. Die Finanzierung terroristischer Akte durch die Biden-Administration über die CIA und die in Florida ansässigen terroristischen Organisationen sind ein Beispiel ihrer politischen Schwäche, denn sie versuchen, Gewalt anzuwenden, um Angst zu verbreiten. Kuba ist ein Rechtsstaat, geniesst grosse internationale Anerkennung im Kampf gegen Drogen, Menschenhandel und Terrorismus. Unser Land wurde vor kurzem als Mitglied des UNO-Menschenrechtsrats in Genf mit überwiegender Mehrheit der Mitgliedstaaten gewählt, gleiches gilt auch in den UN-Organisationen wie UNESCO und UNICEF. Wegen der Terrorakte, finanziert seitens der US-Regierung über Organisationen von Exil-Kubaner:innen, musste Kuba sein Strafrecht für terroristische Delikte an die jetzige Realität anpassen. Die Strafen für Terrorakte sind verschärft worden, bis hin zu lebenslänglicher Haft. Kuba hat eine Nulltoleranz gegenüber dem Terrorismus.

Auch in Kuba gibt es eine umweltbewusste Jugendbewegung, die auf verschiedenen Ebenen Aktivitäten umsetzt. Könnte dies ein wichtiges Thema für die Solidaritätsbewegung in der Schweiz/Europa sein, um vermehrt auch die Jugend anzusprechen und solche Projekte zu unterstützen?
Auf jeden Fall! Die Jugend, auch in Europa, ist immer Beispiel gewesen und wird es immer sein. Es wäre sehr wichtig, dieser Jugend mit ihren Ideen und Vorstellungen zu folgen. Die Jugend aus Europa und die kubanischen Jugendlichen haben viele gemeinsame Anliegen. Sowohl für die kubanische Jugend als auch weltweit ist die jetzige Situation sehr schwierig. Aber durch ihre Kreativität, kann man viele Projekte vorantreiben, die einen gemeinsamen, weltweiten Nutzen für eine bessere Zukunft haben.

Wie und wo könnten solche Aktivitäten der internationalen Solidarität in der aktuellen Situation von Kuba konkret etwas bewirken?
In den Gemeinden, in verschiedenen Arbeitseinsätzen, um den Austausch zu fördern und zu gewährleisten.

Kuba hat ein sehr fortschrittliches, neues Familiengesetz, das in einer Abstimmung mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Was für Projekte gibt es dazu, die unterstützt werden könnten?
Unter anderem das kubanische Familiengesetz in Europa bekannt machen. Denn es ist ein reales Beispiel für die Entwicklung der kubanischen Gesellschaft, in der die Liebe zur bestehenden Vielfältigkeit der kubanischen Familien, der Respekt gegenüber den Rechten aller Menschen massgeblich sind. Es ist auch ein anschauliches Beispiel dafür, dass Kuba ein sehr fortschrittliches Land ist im Vergleich zu anderen Ländern mit Xenophobie, Homophobie und Starrheit. In Kuba hingegen werden Gesetze entwickelt, die zu mehr Gerechtigkeit für alle Menschen führen, für Kinder, für Frauen, für ältere Menschen, Bedürftige. Dies in Zeiten, in denen sie zuerst unter der Armut leiden.

Gion Honegger ist Präsident der antiimperialistischen Solidaritäts-Organisation «Cuba Solidarität Vilma Espín Zürich-Ostschweiz»

 

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