Die italienische Wahltragödie

Salvini, Berlusconi und Meloni (von links nach rechts). Das Trio infernale wird Italien regieren.

sit. In Italien gewinnt die faschistische Partei «Fratelli d’Italia», angeführt von Giorgia Meloni, deutlich die vorgezogenen Parlamentswahlen. Das von ihr angeführte Rechtsbündig verfügt über eine klare Mehrheit. Eine erste Analyse anhand der Wahlergebnisse.

«Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin.» So stellt sich Giorgia Meloni den Italiener*innen am liebsten vor. Und tatsächlich ist in diesem Slogan alles drin, für was die 46-jährige Römerin einsteht. So trat sie mit einer unterschiedlich breit gefächerten, demagogisch verbrämten Strategie an. Unter der Flamme Mussolinis, die nach wie vor im Parteilogo lodert, sammelte sie die fanatischen Hardliner der Bewegung. Mit vorsichtigem Antieuropäismus, mit «Ja zur Souveränität der Völker, nein zur internationalen Finanzwirtschaft und zur europäischen Bürokratie» lockte sie EU-Skeptiker*innen an. Mit den «Sicherung der Grenzen» und das Versprechen der «Arbeit für unsere Bürger» sprach sie in die Herzen aller Nationalist*innen. Aber vor allem: Mit ihrem «Nein zur LGTBQ*-Lobby, Ja zur natürlichen Familie» und «Ja zu den universellen Werten des Kreuzes» wurde sie zu einem regelrechten Hort des italienischen Katholizismus. Und dies alles mit grossem Erfolg: Giorgia Meloni steht an der Spitze der faschistischen Partei «Fratelli d’Italia» (Brüder Italiens), die bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 25.September in Italien einen erdrutschartigen Sieg feiern konnte.

Der ganze Stiefel in rechter Hand
Der Blick auf die Wahlresultate zeigt das Ausmass der italienischen Wahltragödie. Klare Siegerin mit 26 Prozent der abgegebenen Stimmen ist Melonis «Fratelli d’Italia». Ihre Partei ist somit auch stärkste Kraft in der sogenannten Mitte-Rechts-Koalition. Dazu gehören die «Lega» von Matteo Salvini (8.9 Prozent) und «Forza Italia» (8,1 Prozent) des ehemaligen vierfachen Ministerpräsidenten und mittlerweile 86-jährigen Silvio Berlusconi. Das Bündnis kommt auf einen Stimmanteil von 44 Prozent und hat somit die absolute Mehrheit in beiden Parlamentskammern, sprich im Abgeordnetenhaus (Camera) und im Senat. Sie kann somit schalten und walten, wie sie will. In 17 der 20 Regionen des Landes gewann die Rechte. In den autonomen Regionen Aosta-Tal und Südtirol setzten sich wie üblich die Autonomieparteien durch. Und in Kampanien mit Neapel als Hauptstadt gewann die Movimento 5-Stelle (M5S, Fünf-Stern-Bewegung) knapp vor der Mitte-Rechts-Koalition. Selbst die historisch linke Regionen und einst stolze Hochburgen des Antifaschismus wie etwa die Emilia Romagna und die Toscana hielten dem Sturm von rechts nicht stand und kapitulierten.
Wie besorgniserregend der Sieg der Rechten ist, zeigt auch Folgendes: 130 der 400 Sitze im Abgeordnetenhaus werden durch eine Majorzwahl direkt vergeben. 105 davon gewannen die Kandidat*innen der Mitte-Rechts-Koalition, elf Sitze gingen an Vertreter*innen von Mitte-Links. Zehn Direktmandate schaffte die M5S, die restlichen vier teilen sich die Gewählten der autonomen Regionen.

Himmeltraurig
Während bei den Rechten die Champagner-Korken knallten, begann im linken Lager gleich nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen das Wundenlecken. Die sozialdemokratische «Partito Democratico» (PD) erhielt 19 Prozent der Stimmen und blieb somit auf seinem historischen Tiefpunkt der letzten Wahlen im Jahr 2018 kleben. Das Bündnis aus Grünen und Sinistra Italiana (SI, italienische Linke) erreichte 3.6 Prozent. Immerhin gelang es so, die Wahlhürde von drei Prozent zu überspringen und somit der Einzug ins Parlament. So bitter es sich liest: Es ist das einzige halbwegs positive des Wahlausgangs. Inklusive der Stimmen der zwei weiteren Koalitionspartner «+Europa» (2,9 Prozent) und «Impegno civico», (0,6 Prozent) kommt das Mitte-Links-Bündnis auf einen Stimmanteil von 26 Prozent.
Völlig enttäuschend ist das Resultat des Bündnisses «Unione Popolare» (UP, Volksunion), das unter anderem aus Rifondazione Comunista (Kommunistische Wiedergründung) und Potere al Popolo (Macht dem Volk) bestand. Angetreten war UP mit dem Anspruch, die linke Alternative zum PD & Co. zu sein. Das Bündnis erhielt 1,46 Prozent der Stimmen. Die tiefe Krise der italienischen Linke – und zwar von der moderaten bis zur radikalen – drückt sich auch im himmeltraurigen Wahlresultat aus.

Besser als erwartet
Die 5-Sterne-Bewegung, angeführt vom ehemaligen Ministerpräsidenten Mario Conte, hat sich überraschend gut aus der Affäre gezogen. Zur Erinnerung: Die M5S hatte mit 33 Prozent der Stimmen die Wahlen 2018 gewonnen. Sie regierten zuerst mit der populistischen, rassistischen «Lega» von Salvini, dann mit dem PD und am Ende in einer Regierung der sogenannten «nationalen Einheit». Im Sommer 2022 verliessen rund 60 Parlamentarier*innen die Bewegung, was zum Fall der Regierung Draghi und zu Neuwahlen führte. Spätestens ab dieser Spaltung wurde der Bewegung das Abdriften in die Bedeutungslosigkeit vorausgesagt. Doch Conte schaffte es, die M5S vor dem Absturz zu retten. Die Bewegung erhielt 15,6 Prozent der Stimmen und ist so die drittstärkste politische Kraft im Lande. Bezeichnend ist dabei, dass die 5-Sterne vor allem im Süden Italiens erfolgreich war. Also in jenem Teil des Landes, in dem die Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Not vieler Menschen am grössten ist. So waren sich die politischen Kommentator*innen in den italienischen Medien in zwei Punkte einig: Erstens wurde im Süden die Einführung des Grundeinkommens für die von Armut am stärksten betroffenen Personen während der Regierungszeit der M5S honoriert. Zweitens nahmen die «unteren Schichten» der Gesellschaft wegen dem Grundeinkommen die M5S als jene Kraft wahr, die am ehesten ihre Interessen vertrat. Anders gesagt: Links war nicht das Mitte-Links-Bündnis, sondern eben die M5S.

Den Faschos den Weg geebnet
So stellt sich die Frage, warum es zu keiner Koalition zwischen dem PD und die M5S kam. Es wäre die einzige Möglichkeit gewesen, den eklatanten Wahlsieg der Rechten zu verhindern. Als Hauptschuldiger dafür wird aus verschiedenen Gründen der PD-Sekretär Enrico Letta genannt. Er trägt sicher seine Schuld. So stimmt der Vorwurf, die Verhandlungen mit der 5-Sterne-Bewegung viel zu schnell abgebrochen zu haben. Doch auch der Häuptling der M5S Conte war die Wichtigkeit einer Koalition bewusst. Er wusste aber auch, dass wenn er ein Bündnis mit der PD eingehen würde, die Basis der Bewegung ihm dies nicht verziehen hätte. Conte und der Führungskreis der Bewegung war klar, dass sie nur im Alleingang die Chance hatten, den absoluten Absturz zu verhindern. Sie bekamen am Wahlsonntag recht.
Die Situation in der M5S macht es für Letta nicht einfacher. Trotzdem war im bewusst, dass die Mehrheit der Parteimitglieder bereit waren, ein Bündnis mit der M5S einzugehen – auch auf Kosten des Schluckens mehrerer Kröten. Dies aus dem einfachen Grund, den Wahlsieg der Rechten zu verhindern. Oder zumindest im Bündnis ein Resultat zu erzielen, dass den Rechten das Regieren möglichst schwierig gemacht hätte. Letta und seine Führungsriege entschieden sich aber für den Alleingang. Es war ein schwerer, unverzeihbarer Fehler.

Meloni und Berlusconi
Klar ist, dass Staatspräsident Sergio Matarella der Siegerpartei «Fratelli d’Italia» den Auftrag zur Regierungsbildung geben wird. Zwar besitzt die von Meloni angeführte Rechtskoalition die Mehrheit im Parlament, ein Zuckerschlecken wird die Bildung der Regierung aber nicht werden. Denn es ist bekannt: Meloni, Berlusconi und Salvini mögen sich im Grunde nicht besonders. Es ist keine Freundschaft, die sie vereint. Es ist eine Zweckehe im Wissen, dass sie nur gemeinsam an die Schalthebel der Macht gelangen können. Eine erste Bewährungsprobe für Meloni wird die Ernennung der Präsident*innen des Senats und der Abgeordnetenkammer sein. Berlusconi hat bereits angekündigt, Präsident des Senats werden zu wollen. Es ist die dritthöchste politische Instanz des Landes und geniesst auch im Volk ein hohes Ansehen. Der Anspruch Berlusconis ist gar nicht nach dem Gusto Melonis und ihrer Brüder Italiens. Aber die Führerin weiss, dass sie die Stimmen von Berlusconi braucht, um zu regieren.

Meloni und Salvini
Auch der andere Partner, sprich die «Lega» von Matteo Salvini, wird Meloni Kopfschmerzen bereiten. Die «Lega» ist neben der Linke die weitere grosse Verliererin der Wahlen. Sie sackte von ihren knapp 19 Prozent bei den Wahlen 2018 auf 8,9 Prozent ab. Und nimmt man die Europawahlen 2019 zum Vergleich, bei denen sie 33 Prozent erzielte, wird das Ausmass der Niederlage noch beeindruckender. Die Wähler*innen straften Salvini für seine Beteiligung an der Regierung der sogenannten «nationalen Einheit». Genauer: Sie entlarvten ihn endlich als Schwätzer, der keiner seiner Versprechen einhalten kann.
Es deutet sich an, dass die Wahlschlappe interne Machtkämpfe auslösen wird. Führende Persönlichkeiten fordern einen Wechsel an der Spitze der Partei. So wurde der frühere Gouverneur der Region Lombardei, Roberto Maroni, in mehreren Tageszeitungen mit den Worten zitiert: «Es ist Zeit für einen neuen Anführer.»
Der stark angeschlagene Anführer Salvini scheint eine Kehrtwende hin zu den Wurzeln machen zu wollen. Ausdruck davon ist, dass er Umberto Bossi zum «Senator auf Lebzeiten» ernennen lassen will. Bossi hatte 1991 die «Lega Nord» auf der Grundlage der Blut- und Bodenideologie gegründet. Das erklärte Ziel war die Abspaltung Norditaliens. «Padania liebera» (freies Padanien) war der Kampfslogan. Die «Terroni», die Süditaliener*innen, wurden als Hauptfeinde erklärt und die Hauptstadt Rom als «Diebin» definiert. Der Rückkehr zu den Wurzeln und somit zur Forderung eines «freien Padaniens» wäre für Meloni ein ziemliches Problem. Denn es ist bestimmt auch für sie schwierig, der Parteibasis zu erklären, dass mit einer politischen Kraft zusammen regiert wird, die sich von Italien, vom heiss geliebten Vaterland der Faschist*innen, abspalten will.

Ratlos
Trotz all dem: Die sogenannte Mitte-Rechts-Koalition, die real aus wenig Mitte dafür aus viel Rechtsaussen besteht, wird die kommende Regierung stellen. Meloni und ihre Freund*innen werden in Ruhe regieren können, da die Opposition im Parlament komplett zerstritten ist. Wer soll und kann also Meloni stoppen? Sicher, eine starke Opposition von unten, die Hunderttausende von Menschen auf die Strasse mobilisieren kann, würde auch Meloni beeindrucken. Doch diese Opposition gibt es nicht – und wird es so bald wohl auch nicht geben. Gefordert ist jener linke, fortschrittliche Teil der italienischen Gesellschaft, den es nach wie vor gibt. Er scheint aber so ratlos zu sein wie noch nie in der Geschichte des Landes.

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