«Das Wichtigste ist, dass wir zusammenhalten»

An der 8. März Frauen*demo vom 2020 in Zürich Bild: zVg

8.März Frauenbündnis Zürich. Was bedeutet internationale Solidarität und wie wird sie gelebt? Wir wollten diesen Fragen anhand der Situation in der Türkei, in Rojava und in allen Teilen von Kurdistan genauer nachgehen und trafen uns zu einer Diskussionsrunde.

Das 8.März Frauenbündnis hat über mehrere Jahrzehnte eine Vielfalt an ausserparlamentarischen Frauenorganisationen und Einzelpersonen zusammengebracht, um die Demo zum internationalen Frauenkampftag in Zürich zu organisieren, das letzte Mal 2020. Seither machen wir als loses Bündnis weiter und veröffentlichen nach wie vor die Spezialnummer des vorwärts zum 8.März. Wir haben jeweils im Vorfeld Themen diskutiert und Schwerpunkte gesucht, um die Parole der Demo zu bestimmen. Daran wollten wir dieses Jahr anknüpfen, weil inhaltliche Diskussionen uns weiterbringen, und weil solche Gespräche auch immer etwas Verbindendes haben. Also haben wir uns an einem Abend getroffen und in gemütlicher Runde über das Thema der internationalen Solidarität aus Frauenperspektive gesprochen.
Das Augenmerk auf die Türkei und Rojava setzten wir bewusst, weil kurdische und türkische Frauen seit jeher ein wichtiger Teil des Frauenbündnisses sind. Am Gespräch teilgenommen haben Frauen aus den folgenden Gruppen: Beratungsstelle Rosara, Frauen-Café Winterthur, FrauenLesbenKasama, kurdischer Frauenverein Beritan, Revolutionärer Aufbau Zürich, Bund Sozialistischer Frauen SKB, SYKP und Yeni Kadin (Neue Frau). Einige der Beteiligte engagieren sich auch bei Women Defend Rojava Zürich.

Lage in der Türkei spitzt sich zu
Nebst der grossen Repression treiben Finanzkrise und Inflation die Menschen in die Not. «Das grösste Problem für die Frauen in der Türkei ist die AKP-Regierung von Erdogan. Durch ihre Politik führt sie einen Krieg gegen die Frauen. Sie unterdrückt die Frauen und begünstigt Vergewaltigungen und Gewalt an Frauen», fasst eine Yeni Kadin-Vertreterin zusammen. «Die Männer werden durch die Regierung belohnt», ergänzt eine SKB-Vertreterin. «Männer werden in ihrem sexistischen und gewalttätigen Verhalten ermutigt, indem ihnen der Rücken gestärkt wird, statt sie zur Rechenschaft zu ziehen.» Die Kündigung der Istanbuler Konvention ist ein Paradebeispiel dafür: Im März 2021 hat der Erdogan den Austritt der Türkei aus der Istanbuler Konvention, dem internationalen Abkommen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, bekannt gegeben und löste damit landesweit Demonstrationen und Proteste von Frauen aus.
Auch wenn die Angriffe der Regierung gezielt gegen sie gerichtet sind, wehren sich die Frauen am meisten: Sie sind überall an der Frontlinie des Widerstands gegen die reaktionäre Erdogan-Regierung. «Die Stimmen der Frauen sind am lautesten und sie sind sehr gut organisiert», betont eine Beritan-Vertreterin. «Für uns Kurdinnen sind die Frauen in Rojava ein Vorbild, sie geben uns viel Kraft und Mut.» Die Lage in Nordostsyrien ist geopolitisch sehr komplex, Grossmächte mischen sich ein, der IS greift immer wieder an und die Türkei bombardiert und besetzt die Gebiete. Trotzdem organisieren sich die Frauen, sie bilden Akademien, haben ein Frauendorf gegründet. Es geht um viel mehr als um Freiheit, es geht darum, die eigene Stimme zu erheben, um Organisierung und um Selbstbestimmung.

Viele sind hinter Gittern…
Durch die Repression und den Krieg befinden sich in der Türkei sehr viele Menschen im Gefängnis. Über 300000 sind insgesamt in türkischen Gefängnissen eingesperrt, davon über 55000 politische Gefangene. Alle türkischen und kurdischen Organisationen unterstützen die Angehörigen der Gefangenen, sammeln Geld, schreiben Briefe und sorgen dafür, dass es eine starke Verbindung zwischen drinnen und draussen gibt. Die Situation in den Gefängnissen ist sehr schwierig, das Essen und die Gesundheitsversorgung sind schlecht, die Zellen sind überbelegt. Viele politische Gefangene sind krank. So zum Beispiel die HDP-Parlamentarierin Aysel Tugluk, die seit fünf Jahren inhaftiert ist und nicht freigelassen wird, obwohl sie an Demenz erkrankt ist und ihr Zustand sich massiv verschlechtert hat.
Auch wenn die Repression so stark ist, gehen die Frauen weiterhin auf die Strasse. Woher nehmen sie den Mut dazu? «Sie gehen auf die Strasse, weil sie keine andere Wahl haben», erklärt eine Yeni Kadin-Vertreterin. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, es geht um das Überleben. Dadurch wird die Bewegung grösser. Die verschiedenen Frauenorganisationen arbeiten zusammen, gehen gemeinsam auf die Strasse. Es besteht eine grosse Solidarität zwischen den verschiedenen Plattformen und Organisationen. Wenn die Situation so gefährlich ist, dann ist es umso wichtiger, dass alle zusammenhalten, dass die Stimmen dadurch noch lauter werden. Es kommen heute auch junge Frauen an die Demos, die nicht links sind, aber merken, dass es so nicht weitergehen kann.
Die Zusammenarbeit war und ist aber nicht im-mer einfach. Eine Beritan-Vertreterin erinnert sich, wie die sozialdemokratische, kemalistische Partei CHP, die sich gerne als linke Organisation sieht, sich immer wieder weigerte mit den Kurdinnen zusammen zu arbeiten. Gegen den Austritt aus der Istanbuler Konvention waren aber alle zusammen auf der Strasse, ausser natürlich die AKP und die Grauen Wölfe. Die Organisationen sind sich sehr bewusst, dass in dieser zugespitzten Situation eine Einheit wichtiger ist denn je. Die Widersprüche werden bewusst zur Seite gelegt, um gemeinsam auf die Strasse zu gehen.

Internationale Frauensolidarität
Der Widerstand, der in der Türkei und in Kurdistan geleistet wird, muss auch nach Europa transportiert werden – und die Stimmen sollen hier widerhallen und verstärkt werden. Internationale Solidarität ist keine leere Floskel, sie bedeutet allen Anwesenden sehr viel. Eine Yeni Kadin-Vertreterin betont, dass aktuell die Situation der Migrant*innen in Europa im Zentrum stehen muss. Es ist wichtig, solidarisch zu sein, zum Beispiel mit den Menschen an den Grenzen. Ausserdem arbeitet Yeni Kadin zum Thema Gewalt an Frauen mit anderen feministischen Orga-nisationen zusammen. Auch die Beratungsstelle Rosara, die von der kurdischen Frauenbewegung in der Schweiz gegründet wurde, aber allen Frauen offensteht, befasst sich stark mit diesem Thema, das weltweit von Bedeutung ist: «Gewalt an Frauen ist politisch und muss überall gemeinsam angegangen werden.» Deshalb ist eine autonome Organisierung von Frauen überall wichtig und notwendig.
Internationalismus ist auch für den SKB zentral – und er muss praktisch gelebt werden: «In Rojava kämpfen auch viele Internationalist*innen. Wir möchten an Ivana Hoffmann erinnern.» Die Afrodeutsche Internationalistin ist am 7.März 2015 in Rojava im Kampf gegen den IS gefallen.
Der gemeinsame Kampf macht uns stark, da sind sich alle am Tisch einig. Das ist auch am 8.März sichtbar, der von Anfang an internationalistisch war. Deshalb sind die kurdischen und türkischen Exilorganisationen auch in Zürich seit langem Teil der Demonstrationen. «Wir müssen den 8.März dort begehen, wo wir leben», betont eine SKB-Vertreterin. «Wir müssen alle zusammen auf die Strasse gehen, mit den lokalen Frauen und mit allen Migrantinnen.» Das Patriarchat ist überall – «egal wo wir sind, wir kämpfen mit vereinter Stimme dagegen», ergänzt eine Yeni Kadin-Vertreterin. Dieser Kampf darf sich nicht nur auf den 8.März beschränken, der Widerstand muss grösser werden, die Stimmen lauter – und zwar Tag für Tag und Jahr für Jahr.

Solidarität fassbar machen
Es ist eine grosse Stärke der kurdischen Bewegung, gerade in Rojava, dass sie im Alltag auf die Leute zugeht, immer wieder das Gespräch sucht und nahe an den Menschen ist. Die Linke in der Schweiz bleibt oft in der eigenen Blase. Das hat sicher auch mit den unterschiedlichen Realitäten zu tun: Zürich befindet sich im Herzen der Bestie, die ganze Gesellschaft ist vom Neoliberalismus durchtränkt. Es ist hier sehr schwierig, sich der kapitalistischen Logik zu entziehen, das spüren auch Migrant*innen. Der Individualismus, die soziale Isolation und das Basteln am privaten Glück können zu einer Entsolidarisierung führen. Etwas, das wir voneinander lernen können, wäre auch im Alltag, auch im Kleinen solidarische Bezüge zueinander herzustellen, zum Beispiel unter Nachbar*innen, unter Mieter*innen, auf dem Arbeitsamt.
Wer politisch organisiert ist, hat ein Bewusstsein für Solidarität und für die Bedeutung der verschiedenen Kämpfe entwickelt. Die Leute mobilisieren sich zuerst häufig aufgrund der eigenen Betroffenheit, gerade im Frauenkampf ist es oft so. Es beginnt meist durch das Wahrnehmen, dass etwas nicht stimmt. Diese Erkenntnis muss dann mit politischem Bewusstsein kombiniert werden und es ist manchmal schwierig die Zusammenhänge zu sehen: Was hat der Krieg dort mit dem Alltag hier zu tun? Dazu braucht es Analyse und Praxis und Organisierung – erst dann ist Solidarität ein Bestandteil von einem Gefühl, das man selber empfindet.

Revolution ohne Frauen nicht denkbar
Dass die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung essentiell sind, davon sind auch die Beritan-Vertreterinnen überzeugt. Die Frauenbewegung in der Schweiz ist etwas träge und muss immer sehr lange diskutieren – aber der Frauenstreik 2019 war grossartig. Dieser Tag gab eine unglaubliche Kraft, solche gemeinsamen Erlebnisse sind so wertvoll. «Auch aus der Geschichte können wir viel lernen. Wir können uns in vielen Fragen von ihr führen lassen. Die Frauenfrage darf nicht auf später, nach der Revolution verschoben werden. Heute ist eine Revolution ohne die Frauen nicht mehr denkbar. Wir müssen uns gemeinsam organisieren und wir können kollektiv auf eine langjährige Erfahrung zurückgreifen. Das Wichtigste ist, dass wir zusammenhalten.»

In diesem Sinne: Heraus zum internationalen Frauenkampftag! Heraus zum 8.März!

 

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