Ausnahmezustand rund um den G7-Gipfel

Demo zieht über die Grenzbrücke von Hendaye nach Irun. Bild Ralf Streck.

Ralf Streck. Proteste wurden unterdrückt und zahlreiche Menschen willkürlich verhaftet. Wie immer, wenn sich die angebliche Elite der Welt trifft, wurde auch am diesjährigen G7-Gipfel vom 24. bis 26. August in Biarritz der so genannte «demokratische Rechtsstaat» ausser Kraft gesetzt. Proteste und ein Gegengipfel gab es trotzdem.

Die Sonne brannte beim G7-Gipfel auf ausgestorbene Städte im französischen Baskenland. Nicht nur Biarritz war menschenleer, wo sich die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Kanada, Deutschland, Japan, Grossbritannien und Italien auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron trafen. Ähnlich sah es auch in Bayonne, Anglet und Hendaye aus, wo sich im August sonst Tourist*innen drängeln. Geschäfte, Restaurants und Bars waren oft geschlossen und zum Teil verbarrikadiert. Fast jeden Verkehrskreisel zierten schwer bewaffnete Gendarmen. Menschengruppen wurden sofort kontrolliert, so als herrsche der Ausnahmezustand. Die spanische Grenze war abgeriegelt, um Menschen abzuhalten, die sich an den Protesten gegen den G7 beteiligen wollten.

15’000 gegen Grenzen und Neoliberalismus
Drei Kontrollen gab es bereits vor der Grenze. Sie konnte ohne französische Meldebescheinigung nicht passiert werden, ausser von Tourist*innen mit ausländischen Kennzeichen am Auto. Wer auf eine der «Schwarzen Liste» stand, wurde sofort festgenommen, insgesamt fast 200 Personen. Allein 500 Bask*innen stehen auf diesen Listen. So wurde der der ehemalige Abgeordnete des baskischen Parlaments Joseba Alvarez verhaftet und nach einer Nacht im Knast abgeschoben. Er war an der Organisation des Gegengipfels beteiligt, der drei Tage im französisch-baskischen Hendaye und im spanisch-baskischen Irun vor dem G7 erfolgreich tagte. Abgeschlossen wurde er mit einer Grossdemonstration. 15′ 000 Menschen, mehr als erwartet, zogen friedlich von Hendaye über die Grenze nach Irun. Demonstriert wurde gegen die Grenzen und die neoliberale Politik der G7-Staaten.
Niemand war informiert worden, dass er oder sie vor dem Gipfel bis zum 29. August Frankreich nicht betreten dürfe. Auch Deutsche wurden auf Basis von Listen inhaftiert, die das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz geliefert hatten. Die Bundesregierung bestätigte auf Anfrage der Linken. «Wir werden im Macron-Frankreich dafür kriminalisiert, dass wir für eine bessere Welt eintreten», erklärte Alvarez dem vorwärts. «Der Gipfel hat gezeigt, was Macron unter Demokratie versteht, bei dem die Grundrechte wie die Freizügigkeit, die Presse- und Versammlungsfreiheit angegriffen werden.» Alvarez fordert die Freilassung aller Gefangenen und die Einstellung der zahlreichen Verfahren.

Ein Skandal
Besonders hart traf es vier Deutsche. Luc, ein freier Mitarbeiter von Radio Dreyeckland (RDL) aus Freiburg, wurde zwei Mal illegal auf Basis der Schwarzen Listen inhaftiert und abgeschoben. Im zweiten Fall wurde er bei Biarritz aufgegriffen und nach Stuttgart ausgeflogen. Dabei hatte zuvor das Pariser Verwaltungsgericht die erste Eilabschiebung für illegal erklärt und ihm gar eine Entschädigung von 1000 Euro zugesprochen.
Wie Alvarez berichtete auch Luc, dass Gefangenen, die ins kleine Gefängnis von Hendaye gebracht wurden, oft verletzt waren. Drei junge Deutsche aus Nürnberg, die im Vorfeld des Gipfels an einer Autobahnkontrolle festgenommen wurden, «sahen aus, als seien sie aus einer Schlägerei gekommen», sagte er dem vorwärts. Sie wurden sofort in Eilverfahren zu zwei und drei Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt.
Das ist ein Skandal. Auch das entspricht mehr einem Vorgehen der Türkei als dem eines Rechtsstaats. Ihre Verteidigungsrechte wurden ausgehebelt. Ihnen wurde ein Pflichtverteidiger zugewiesen, der die Wahlverteidiger der Legal Teams aus dem Prozesssaal werfen liess. Es gab im Gefängnis keinen Raum für vertrauliche Anwaltsgespräche, bestätigte auch Luc. Zudem dienten Polizist*inn als Übersetzer*innen, kritisierte das Legal Teams gegenüber dem vorwärts.
Die Urteilsbegründung bei den drei Deutschen ist hanebüchen: Sie sollen «spontan eine Gruppe gebildet haben, die möglicherweise gewalttätig wird». Im Fall des Radio-Journalisten wurden Festnahmen und Abschiebungen damit begründet, dass er angeblich beim G20 in Hamburg in Gewaltaktionen verstrickt gewesen sein soll. Bei Alvarez wurde vom «Risiko von «Gewaltausbrüchen» gesprochen. Er hatte in Interviews stets für absolute Gewaltfreiheit plädiert. In seinem Fall wurde nichts vom «Schwarzer Block» gefaselt, sondern von «Autonomie- oder Unabhängigkeitsbewegungen», die den «guten Verlauf» des G7 angeblich stören wollten.

Berichterstattung über Polizeigewalt verhindern
Gezielt war im Vorfeld des G7 Panik geschürt worden. Um ein Gewaltszenario zu unterstreichen, wurden fünf französische «AnarchistInnen» im Vorfeld auf Basis von Geheimdienstinformationen inhaftiert. Angeblich wollten sie ein von der Polizei requiriertes Hotel abfackeln. Das nahm auch die Justiz der Polizei nicht ab und liess sie frei.
Nur einmal in Bayonne kam es zu einem Zwischenfall. Eine Gruppe deutscher Fotografen, zu denen auch Jens Volle gehörte, beschrieb die Vorgänge gegenüber dem vorwärts so: «Einige Hundert Menschen zogen friedlich durch Petit Bayonne, dabei blieb alles entspannt und ruhig. Als sie an die Brücken zur Altstadt kamen, die von Sicherheitskräften besetzt und mit Gittern abgesperrt waren, wurden drei Leuchtkugeln seitens der Polizei in den Himmel gefeuert und dann folgten Tränengas und Wasser. Erst als Reaktion darauf gab es einige Stein- und Flaschenwürfe der Gegenseite». Volle sprach nur von einem «Scharmützel». Allerdings wurde Bayonne dabei in einen dicken Tränengasnebel getaucht.
Empört waren auch die offiziell am G7 akkreditieren Fotograf*innen und Jornalist*innen darüber, dass ihnen Helme und Gasmasken abgenommen wurden oder sie die Schutzkleidung im Auto lassen mussten. Dies sei Volle auch am 1.Mai in Paris nicht passiert. Ein Kollege fügte an, er kenne das nur aus der Türkei. Journalist*innen müssen sich einer tödlichen Gefahr durch Gummigeschosse aussetzen. Offensichtlich sollten Berichte über brutales Polizeivorgehen wie bei Gelbwesten-Protesten verhindert werden. Das beklagte auch die französische Menschenrechtsliga. Auch deren Beobachter*innen wurden festgenommen und beschuldigt, an «geplanter Gewalt» teilnehmen zu wollen, weil sie Helme und Schutzbrillen mitführten.

Friedlicher und erfolgreicher Gegengipfel
Das Problem mit dem Gewalt-Narrativ war, dass es Szenen wie in Genua oder in Hamburg praktisch nicht gab.
Auf dem Gegengipfel, an dem mehr als 6000 Menschen teilnahmen, wurde an drei Tagen auf 150 Veranstaltungen und Workshops über Alternativen zum kapitalistischen System gesprochen. Er verlief produktiv und die Abschlussdemonstration vor dem G7-Beginn verlief friedlich. Danach erstickte die Polizei praktisch alle Proteste im Keim. Versammelte Menschen wurden zum Teil über Stunden eingekesselt. Trotz allem gab es praktisch keine Gewaltszenen.
Die Gegengipfel-Organisatoren sagten schliesslich doch alle weiteren Proteste ab. Man wollte nicht ins offene Messer laufen, da über 20 000 Polizist*innen und Paramilitärs aufgestellt worden war. Die Besetzungen von sieben Plätzen um die rote Sicherheitszone in Biarritz fanden daher nicht statt. «Wir können die Sicherheit nicht gewährleisten», sagte der Aktivist Enaut Aramendi dem vorwärts. Man wolle sich «die Erfolge des Gegengipfels nicht durch provozierte Gewaltbilder und Tränengasschwaden nehmen lassen.»

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