«Wir müssen schuften, bis wir krank sind, dann werden wir entlassen»

Hasan A. im Gespräch mit der PdA-Aragau. Bild: zVg

Fabian Perlini. Die Coop Genossenschaft kündigte einem tadellosen Lagermitarbeiter mit bester Arbeitsmoral, nachdem er von der harten Arbeit Rückenprobleme bekommen hatte. Die Partei der Arbeit Aargau ging der Sache nach, führte Gespräche mit einem HR-Manager der Coop und lernte dabei eine der unschönen Seiten des Konzerns kennen.

«Zuerst nehmen sie mir meine Gesundheit, dann stellen sie mich auf die Strasse.» Dies der harte Vorwurf gegenüber seinem Arbeitgeber, der Coop Genossenschaft. Hasan A. war über sechseinhalb Jahre lang Lagermitarbeiter in der Leergutzentrale Schafisheim (Aargau). Zuerst temporär und seit fünf Jahren in einer Festanstellung für brutto knapp 30 Franken die Stunde. Sein Arbeitstag beginnt offiziell um 6.30 Uhr. Dann fahren die ersten Lastwagen an die Rampe, die es zu entladen gilt. Sie bringen Leergut aus verschiedensten Filialen. Palette mit Harassen mit leeren Flaschen, zu Bündeln geschnürtes Verpackungsmaterial und vieles mehr. 

Irgendwann macht der Rücken nicht mehr mit
Hasan A. geht zu den Lastwagen, nimmt sich die Palette und befördert sie zur entsprechenden Entsorgungsstation. Von einem Camion zum nächsten, immer hin und zurück. Mittels eines Hebers oder mit Händen, dabei oft zwei oder drei Paletten gleichzeitig. Diese sind unterschiedlich schwer, rollen unterschiedlich schnell und winden sich hin und her. Seine Arbeitstätigkeit ist gekennzeichnet durch ziehen, stossen, festhalten, schieben, heben. Schwerstarbeit.
Besonders hektisch wird es, wenn jemand auf die Toilette muss, oder gar jemand krank ist und den ganzen Tag fehlt. Dann verteilt sich die Arbeit auf die verbliebenen Personen. Ein solcher Arbeitstag wurde vorläufig zum letzten dieser Art für Hasan. Anstatt der erwarteten sieben Arbeiter:innen sind es nur drei. Es gilt, sich richtig zu sputen. Hasan ist stolz darauf, dass er anpacken kann und beklagt sich nicht. Doch am Feierabend merkt er, dass etwas nicht stimmt. Beim Duschen verspürt er plötzlich heftige Rückenschmerzen im Bereich seiner Lenden. Und sein linkes Bein lässt sich nicht mehr richtig bewegen, ist zuweilen wie blockiert. Autofahren kann er in diesem Zustand unmöglich. Aber zum Glück wohnt er ganz in der Nähe eines Spitals.  

Gutachten attestiert Verschleiss
Die Swica, die Gesundheitsorganisation der Coop, lässt ein medizinisches Gutachten erstellen. Ein Orthopäde, ein Neurologe sowie eine Psychiaterin testen Hasan auf Herz und Nieren, wie man sagt, tatsächlich auf vieles mehr.
Das vorliegende medizinische Gutachten hält zahlreiche Details fest: Hasan A. sei zwar «leicht übergewichtig, jedoch bei sehr guter Muskelausstattung.» Lunge, Herz und Kreislauf: alles in Ordnung. Auch sein Gebiss und seine Haut seien gesund, gepflegt und sauber. Und seine Haltung und sein Gang scheinen bisher in Ordnung gewesen zu sein. Rückenschmerzen kannte er bis zum Vorfall keine. Im Spital war er zuvor so gut wie nie. Überhaupt scheint er kerngesund – bis auf die von ihm beklagten Rückenschmerzen. Diese indes können «vollumfänglich nachvollzogen beziehungsweise objektiviert» werden. Das Gutachten spricht von einer «Verschleissveränderung».
Im Gutachten wird Hasans Arbeitsmoral mehrfach deutlich positiv hervorgehoben. Er hätte mehrfach zu erkennen gegeben, dass er sein Arbeitspensum wieder steigern wolle. Er sei stets freundlich, auskunftsbereit, «durchgehend kooperativ» und «konsistent in seinen Angaben.» Darüber hinaus loben die Ärzt:innen seine überdurchschnittlich pflichtbewusste, konsequente tägliche Trainingstherapie, sowie sein ausgiebiges Trainingsprogramm zu Hause. Dieses habe massgeblich zur Besserung beigetragen, wird attestiert. All dies lässt deutlich erkennen, dass es dem Arbeiter sehr ernst damit ist, bald wieder «voll einsatzfähig» zu sein. 

Absenzen?
Und tatsächlich wird Hasan A. nach einigen Monaten wieder eine Arbeitsfähigkeit zu 100 Prozent zugesprochen. Die Ärzt:innen warnen jedoch davor, dass durchaus eine Gefährdung bestehe, wenn er bezüglich seiner Berufstätigkeit in Zukunft nicht vor stärkerer körperlicher Belastung geschützt werden sollte. Sie empfehlen der Coop deshalb eine innerbetriebliche Umbesetzung. Die Swica übernimmt diese Empfehlung in ihrem Schreiben an die Leergutzentrale. Deren Leitung entscheidet sich aber anders: Hassan A. wird gekündigt.
Enttäuscht wendet sich Hasan A. an uns von der PdA. Er kann das Ganze nicht begreifen. Er zeigt uns Nachrichten von seinem direkten Vorgesetzten, die alle äusserst wohlwollend sind, auch noch nach der Kündigung. Er hätte immer vollen Einsatz gezeigt und würde Respekt verdienen. Man macht ihm Mut, sich gegen die Kündigung zu wehren. Offenbar kommt die Kündigung von weiter oben. Wir wollen es genauer wissen und in Absprache mit Hasan wenden wir uns direkt an die Leitung der Leergutzentrale.
Nach einigem Hin und Her gelingt es, den zuständigen HR-Fachmann für einen Telefontermin zu gewinnen. Dessen Begründung lautet: «Herr A. hatte zu viele Absenzen, deshalb mussten wir ihm kündigen.» Hat Hasan ohne erkennbare Gründe öfters an seinem Arbeitsplatz gefehlt? Sicherheitshalber fragen wir nach, was der HR-Mann mit «Absenz» genau meint. Die Antwort liest er vor: «Absenzen wegen Rücken, Schulterproblemen und Ausstrahlung in die Beine.» Er war also krank. Wir wollen wissen, ob man ihn tatsächlich entlassen hat, weil er krank geworden ist. «Nein», stellt der Manager klar, «nicht, weil er krank geworden ist, sondern weil er deswegen am Arbeitsplatz fehlte.» 

«Mehr kann man nicht verlangen»
Nach einem kurzen Moment des Schweigens holt der HR-Manager nochmals aus: «Wir haben ihm extra einen Schonarbeitsplatz eingerichtet. So konnte er trotz seiner Beschwerden im Rahmen seines Arztzeugnisses arbeiten.» Also hat er gearbeitet, stellen wir fest. «Ja, aber nur an einer Position, die wir speziell für ihn geschaffen haben. Und das läuft jetzt bereits seit gut sechs Monaten so. All die Zeit haben wir als Betrieb ihn mitgetragen», versucht er zu rechtfertigen. Und fügt hinzu: «Mehr kann man nicht verlangen.»
Der Mann hat also sechseinhalb Jahre tadellos bei Coop gearbeitet, und zwar Schwerstarbeit. Die harte Arbeit fuhr ihm irgendwann in den Rücken, das Gutachten spricht von einem «Verschleiss», und deshalb wird er jetzt entlassen, fassen wir zusammen. Dagegen wehrt sich der HR-Mann energisch. Einen Zusammenhang zwischen der Arbeitsstelle und dem Rückenleiden will er nicht akzeptieren: «Wir haben viele Mitarbeiter im selben Alter von Herrn A., die täglich dieselbe Arbeit verrichten, doch die sind gesund.» Und er doppelt nach: «Und schliesslich bieten wir unseren Angestellten Schulungen für Ergonomie am Arbeitsplatz.» 

Kündigung unabwendbar?
Macht man sich das bei Coop tatsächlich so einfach? Je mehr sich der Konzern-Manager echauffiert, desto deutlicher wird das Wesen seines Denkens: «Auch kam die Kündigung für Herrn A. nicht überraschend. Wir haben ihm nach dem Vorfall und seither mehrfach gesagt, dass er sich extern eine neue Stelle suchen soll.»
So verachtend diese Argumentation auch ist, der Coop-Manager glaubt ernsthaft, damit überzeugen zu können. Doch wir haben auch das Leitbild des Konzerns gelesen. Darin heisst es: «Wir handeln verantwortungsbewusst und sozial.» Coop hat beinahe 100000 Arbeitsplätze. Da muss es doch möglich sein, eine Stelle für einen tadellosen Mitarbeiter zu finden, der aufgrund eines Rückenleidens nun nur noch mittelschwere Arbeit verrichten kann. Der HR-Fachmann zeigt uns stattdessen auf, wie die Geschäftsleitung das Leitbild auslegt: «Ja, wir von Coop nehmen unsere Verantwortung gegenüber unseren Angestellten ernst», heuchelt er vor. «Fällt ein Arbeiter aus, führt dies zu einem Mehraufwand für die anderen Arbeiter. Und davor müssen wir unsere Leute schützen. Eine Kündigung von Herrn A. war daher unabwendbar.» Coop «schützt» also seine Angestellten, indem man krank gewordenen Mitarbeiter:innen kündigt. 

Kaputter Rücken reicht nicht
Der wahre Grund für die Kündigung ist ein rücksichtsloses Profitstreben und eine Unternehmenspolitik, die sich weit von den arbeitenden Menschen entfremdet hat. Hasan A. selbst vermutet, dass auch sein Alter eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte. Schliesslich steht er kurz vor seinem 55.Geburtstag. Ein Alter, indem man in der Schweiz tendenziell einen besseren Kündigungsschutz geniesst. Dies bestätigt uns auch die Rechtsabteilung der Gewerkschaft Unia. Artikel 336a des Schweizerischen Obligationsrechts (OR) bezeichnet eine Kündigung als missbräuchlich, die in Wahrheit wegen einer «Eigenschaft» erfolgt, die einem aufgrund seiner Persönlichkeit zusteht. Gemäss aktueller Rechtsprechung sei ein Alter ab 55 eine solche «Eigenschaft». Ein kaputter Rücken jedoch nicht, auch nicht als Schwerstarbeiter:in. 

Ein gieriger Riese
Nach Schweizer Recht ist Coop eine Genossenschaft. Und alle Angestellten können selbst Genos-senschafter:in werden. Dies klingt nach Demokratie, was aber keineswegs der Fall ist. Denn in Artikel 22 der Statuten der Coop Genossenschaft steht: «Nicht wählbar sind Mitglieder, die in einem Anstellungsverhältnis zur Coop (mit Ausnahme der Personalvertreter) oder die in einem Interessenkonflikt mit Coop stehen.» Demokratie sieht so nicht aus.
Coop ist ein gigantischer Konzern. Das Unternehmen betreibt zahlreiche Produktionsbetriebe aller Art, Supermärkte, Warenhäuser, Restaurants, Apotheken, Tankstellen, ein Tropenhaus und vieles mehr. Über die Jahrzehnte ist Coop immer mehr gewachsen. Ganz gemäss dem kapitalistischen «fressen oder gefressen werden» hat es viele andere Supermarkt-Ketten aufgekauft und einverleibt: EPA, Waro, Carrefour, Manor, Aperto. Dazu kamen Geschäfte für den Baumarkt (Jumbo), Unterhaltungselektronik (Interdiscount, Fust), Beleuchtungen (Lumimart), Kosmetik (The Body Shop), Schmuck (Christ) wie auch eine Fitness-Studio-Kette. Auch werden diverse Online-Plattformen betrieben und kontinuierlich ausgebaut. Heute ist Coop das zehntgrösste Unternehmen der Schweiz. Und selbstverständlich auch längst Teil des internationalen Grosshandels.
Im Rahmen der kapitalistischen Logik wird der Konzern weiterwachsen, weiterhin Konkurrent:innen aufsaugen und so immer mehr Einfluss auf unser tägliches Leben haben. Es gibt daher nur eine Lösung: Diese «Genossenschaft» muss vergesellschaftet werden. Dieser Konzern mit seinem enormen Einfluss gehört in die Hände von uns allen!

Fabian Perlini ist aktiv bei der Partei der Arbeit Aargau

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