So einfach geht Solidarität

Catherine Weber und Rachel Klein. Seit 2009 gibt es die Solikarte. Mit ihr können die Cumulus-Punkte der Migros für Menschen gespendet werden, die sich in einer Notsituation befinden. Dies passte der Migros nicht immer. Trotzdem wurde über eine Million Franken gespendet und verteilt. Eine Erfolgsgeschichte erobert die Schweiz.

Mit der Solikarte können Konsument*innen die gesammelten Cumulus-Punkte der Migros bei jedem Einkauf automatisch spenden. Die daraus erhaltene Migros-Gutscheine (Bons) werden direkt an Menschen verteilt, die dringend auf diese zusätzliche Unterstützung angewiesen sind wie etwa Nothilfebezüger*innen oder Sans Papier. An Menschen, die gerade in dieser schwierigen Zeit der Pandemie ihre Arbeit verloren haben und nicht oder nur ungenügend auf staatliche Unterstützung zählen können. Die Verteilung erfolgt durch ein ehrenamtlich engagiertes Kollektiv über ein gut ausgebautes solidarisches Netzwerk.
Die gespendeten Bons werden zudem an Projekte verteilt, die Mittagstische, Sprachkurse, Computerkurse oder andere Angebote organisieren und ebenfalls ehrenamtlich tätig sind. Es sind dies – um drei konkrete Beispiele zu nennen – der Verein Bildung für Alle (Autonome Schule Zürich), die Beratungsstelle für Sans Papiers in Bern sowie das Internetcafé Planet 13 in Basel.

Eine spontane Idee setzt sich durch 

Die Solikarte hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Unter Freund*innen und Bekannten kursierte Ende 2009 ein Cumulus-Strichcode, mit dem alle auf ein gemeinsames Konto Cumulus-Punkte sammeln konnten. So kamen viele Migros-Gutscheine, die alle dem Solidaritätsnetz Ostschweiz, zur solidarischen Unterstützung von Sans Papiers und Menschen in prekären Lebenssituationen gespendet wurden. Schnell hatten auch die Freund*innen der Freunde eine Solikarte. Es dauerte nicht lange, bis die Idee über die Ostschweiz hinaus bekannt wurde und auf Begeisterung stiess: Ab Sommer 2011 konnte lokal für die Mittagstische des Solinetzes Zürich gesammelt werden. Kurz danach kam die Solikarte Bern dazu.
Die Verantwortlichen der Migros waren jedoch von den immer schneller wachsenden Summen auf den damals noch anonymen Cumulus-Konti nicht so begeistert wie das Solikarten-Kollektiv. Anlässlich einer Revision des Cumulus-Systems wurde das Unternehmen auf die hohen Punktestände aufmerksam. Die Migros teilte dem Kollektiv dann mit, dass die Karten per Ende Juni 2012 gesperrt würden, da sie gegen die AGB verstiessen: Die Cumulus-Karte sei primär eine Haushaltskarte. Das Solikarten-Kollektiv wehrte sich gegen diesen Entscheid und suchte das Gespräch mit der Migros, um sie von der sozialen Idee der Solikarte zu überzeugen. Dank diversen Medienberichten und einer Petition lenkte die Migros ein und gab dem Projekt Solikarte erneut grünes Licht.

Hartnäckigkeit macht sich bezahlt

Nach einem halben Jahr mit viel Engagement und fleissigem Sammeln liess die Migros im Februar 2013 verlauten, dass das Sammelkonzept der Solikarte nicht mit den bevorstehenden Änderungen des Cumulus-Systems kompatibel sei. Kaum hatte sich die Solikarte von den Angriffen erholt, sollte sie schon wieder gestoppt werden.
Über ein Jahr lang diskutierte daraufhin das Solikarten-Kollektiv mit der Migros und versuchte, neue Ideen und Konzepte einzubringen. Leider zeigte sich die Migros wenig kompromissbereit: Für sie war es unabdingbar, dass in Zukunft jede*r Sammler*in, respektive jeder Haushalt, ein persönliches Cumuluskonto eröffnen und die bisherige Anonymität aufgehoben werden müsse. Nach langwierigen Verhandlungen blieben dem Kollektiv nur noch zwei Möglichkeiten: das Ende des Projekts oder das Einschwenken auf das neue Sammelkonzept. Schweren Herzens liess sich das Kollektiv auf den Vorschlag der Migros ein. Grund dafür war, dass von der Solikarte immer mehr Menschen und Projekte profitierten und die bis dahin investierte Energie nicht in den Sand gesetzt werden sollte. Das Solikarten-Kollektiv zählte darauf, dass die Sammler*innen und Unterstützer*innen trotz Verlust der Anonymität weiter sammeln und spenden würden. Dies auch, weil der Umfang der anzugebenden Daten relativ bescheiden ist im Vergleich zu sozialen Netzwerken oder einer Spitalanmeldung.
Immerhin konnte das Kollektiv beim orangen Riesen kleinere Vorteile aushandeln: Die Migros stellt der Solikarte spezielle Anmeldeformulare zur Verfügung (in limitierter Auflage), mit denen unkompliziert auf die neue Solikarte umgestellt werden kann. Auch hat die Migros die bisherigen Druckkosten von Flyern, Karten und Aufklebern vollständig übernommen.

So kommst Du zu deiner Solikarte

Nach dem Wechsel vom alten auf das neue Sammelsystem brach der gespendete Betrag vorübergehend ein. Dank Mund-zu-Mund-Propaganda und dem Einsatz vieler solidarischer Menschen stiegen die Spenden aber wieder an. Aktuell fliessen monatlich rund 13000 Franken auf das Solikarte-Konto. Und: Kurz vor Weihnachten 2020 hat das Kollektiv die Millionengrenze überschritten. Über 1,05 Millionen Franken sind in den letzten elf Jahren gespendet und verteilt worden. Ein Riesenerfolg für ein Projekt, das spontan entstanden ist und bis heute ohne bezahlte Infrastruktur bestens funktioniert. Ein Erfolg, der nur möglich war, weil sich immer mehr Menschen auf diese einfache und unbürokratische Art solidarisch zeigten – und nach wie vor zeigen. Das Kollektiv ist überzeugt, dass noch mehr Menschen diese einfache und wirkungsvolle Art der Solidarität praktizieren würden, wenn sie von der Existenz der Solikarte wüssten. Noch nie war spenden so einfach und so effektiv. Seit einiger Zeit können auch die Coop-Supercard-Punkte direkt weitergegeben werden, diese müssen jedoch manuell über das Internet übertragen werden.
Wer noch keine Cumulus-Karte besitzt, kann über einen Link (siehe am Ende des Textes) direkt eine Solikarte bestellen. Wer bereits eine Cumulus-Karte hat, kann über denselben Link den Auftrag für die Überweisung der Cumuluspunkte tätigen. Dies ist online, über die Cumulus-Website, oder mit Hilfe eines Formulars möglich, das heruntergeladen werden kann. Weiter ist eine Anleitung zum Spenden der Coop-Supercard-Punkten zu finden.

Sämtliche Infos unter:
https://solikarte.ch/de
Die Autorinnen sind im Solikarten-Kollektiv aktiv

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