Raus aus dem Teufelskreis!

flo. Nach zwei Jahren kapitalistischer Mehrfachkrise steht die Welt so nahe an einer Eskalation militärischer Konflikte, die schon seit Langem schwelten, wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Wir müssen feststellen: Der 1.Mai ist dieses Jahr sogar noch wichtiger als in den Jahren zuvor.

Inzwischen reden die Menschen über die Zeit vor Covid, wie von einer verwunschenen utopischen Epoche in der Menschheitsgeschichte – wie von einer lang vergessenen herrlichen Vorzeit, die der multiplen Krise voranging, in der der Kapitalismus spätestens seit dem Frühjahr 2020 steckt. Wir Marxist*innen wissen ganz genau, dass diese Lesart der Vergangenheit mit der Realität nicht mithalten kann. Auch 2019 verhungerten Menschen, wurden in imperialistischen Kriegen dahingeschlachtet, mussten aus Profitüberlegungen der Herrschenden auf nötige medizinische Versorgung verzichten. Auch 2019 mordete die Polizei und für die Anhäufung immer noch absurderer Vermögen wurde auch schon damals der Planet zerstört.

Der 1.Mai als Ausgangspunkt
Aber ganz so trügerisch ist das Gefühl, dass 2019 schon noch eine andere Welt existierte als die heutige, doch nicht: Es steht ausser Frage, dass die Grundprobleme des Kapitalismus in den letzten zwei Jahren drängender wurden. Oder wie es Marx ausdrücken würde: Die Widersprüche dieses Systems verschärften sich immer weiter. Und obwohl diese Zuspitzung der Widersprüche eine starke und offensiv agierende Linke nötiger gemacht hätte als je zuvor, herrschten in der Arbeiter*innenbewegung Demoralisierung wenn nicht gar Kapitulation vor den Zuständen. Den Anweisungen des bürgerlichen Staats nur in extrem abgespeckter Version zu demonstrieren, wurde auch dann stattgegeben, wenn (wie im Zusammenhang mit dem 1.Mai in Zürich 2020) von staatlicher Seite festgehalten werden musste, dass die Einschränkungen viel zu stark an der Versammlungsfreiheit ritzte. Für unsere Bewegung muss dieser 1.Mai, dieser Kampftag der Arbeiter*innenbewegung, deshalb Ausgangspunkt für die Erneuerung unseres Kampfes sein.

Ändere diese Welt…
Der grossen Resignation ab 2020 war eine Phase der Verschärfung der Klassenkämpfe international vorangegangen. Allein 2019 wurden mit den Demonstrationen der Klimastreikbewegung und dem Frauen*streik zwei der grössten Mobilisierungen der Schweizer Geschichte auf die Strasse getragen. International war diese Verschärfung der Klassenkämpfe – wenig bemerkt von der etablierten Presse, die nach Beginn der Pandemie erst einmal nur noch das Thema Covid zu kennen schien – hatten Protestbewegungen im Libanon, in Chile, den BLM-Protesten in den USA die Verhältnisse der Herrschenden radikal infrage gestellt.
Die Probleme, die damals zu Protesten geführt hatten, wurden nicht gelindert. Global haben sie sich im Fahrwasser von Teuerung und verschärfender Wirtschaftskrise gar noch verschärft. Wenig erstaunlich kam es auch 2022 zu enormen Protestbewegungen: Mit Sri Lanka, Peru und der Türkei dominieren aktuell Protestwellen, die durch den Kaufkraftverlust im Zusammenhang mit der aktuellen Inflation motiviert wurden. Mit der 2008er-Krise ist der Kapitalismus in eine Phase von Zuspitzung und Verschärfung von Widersprüchen geraten. In eine Abwärtsspirale, in der man immer weiter nach unten gezogen wird, da das System mit seinen kurzfristigen Krisenmassnahmen die Probleme des Kapitalismus noch weiter anheizt: Die Krisenpolitik der USA führte mit ihrer Vergesellschaftung der Verluste von Grossbanken bei gleichzeitiger Privatisierung der Gewinne beispielsweise für eine noch krassere Spannbreite zwischen arm und reich.
Inzwischen haben die Reichsten so viel Geld unter ihrer Kontrolle wie noch nie zuvor. Während die Reichen immer reicher werden, sorgte die Abwälzung der Kosten der Mehrfachkrise des Systems für eine Verschärfung der weltweiten Armutskrise. Und darüber, dass für die Profite von Menschen wie Jeff Bezos oder Elon Musk oder wie die Ausbeuter*innen noch alle heissen unser Planet in aller Offenheit zerstört und unser langfristiges Überleben auf dieser Erde bedroht wird, haben wir hier noch gar nicht angesprochen. Es ist deutlich: So kann es nicht weitergehen.

… sie braucht es
Gerade in so Situation wie der in der wir uns global befinden, müssten wir mit klaren und radikalen Forderungen in die Offensive gehen. Ein grosser Teil der politischen Linken ist aber nicht in der Lage, diese Rolle zu übernehmen. Die etablierte parlamentarische Linke hat so in der Schweiz in den letzten zwei Jahren zu keinem Zeitpunkt geschafft, viel mehr als ein Anhängsel ihrer Parlamentsfraktionen zu sein. Im Fall der SP war diese Parlamentsfraktion nicht viel mehr als ein Anhängsel des Gesamtbundesrats. Trotz des fast schon einmaligen Opportunitätsfensters, durch das die Linke mit dem Beginn von 2020 gestossen worden war, beschloss man vor allem staatstragend aufzutreten und widerspruchsfrei die Schlingerfahrt des Bundes in Sachen Covid mitzumachen.
Dabei haben die letzten zwei Jahre die richtig grossen Fragen wieder auf die politische Bühne geworfen. Die Kämpfe, die schon 2019 dominierten, der Klimastreik, der Frauen*streik, sind immer noch präsent. Und es sind seither neue Kämpfe dazugekommen, die internationale Ausstrahlungskraft entwickelten – wie beispielsweise die Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt im Zusammenhang mit dem Mord an George Floyd.

Diskutiert, streitet leidenschaftlich, überzeugt und organisiert!
Umso zentraler ist es, dass wir diesen 1.Mai wieder mit allem auf die Strassen gehen, was wir haben, dass wir die Organisationen der Arbeiter*in-nenbewegung aufbauen, dass wir die Kräfte organisieren, die Schluss mit dem ganzen kapitalistischen Horror machen werden. Der 1.Mai 2022 wird nicht nur ein einfaches Kampffeld für uns: An vielen Orten wurden die Programme der Feierlichkeiten zögerlich publiziert – fast so, als traue man der Lage in Bezug auf Covid noch immer nicht ganz. Und mit der zweijährigen Zwangspause, in der Proteste staatlich verunmöglicht wurde, gibt es einen gewissen Bruch, was die 1.Mai-Feierlichkeiten angeht. Umso zentraler ist es aber, sich diesen Umständen nicht zu fügen, sondern ihnen zu trotzen. Dafür zu sorgen, dass im Umfeld auch ja alle wissen, was am Tag der Arbeit läuft und wo man welche Veranstaltung gesehen haben muss. Fühlt euch, Genossinnen und Genossen, in diesen Zeilen von mir dazu aufgerufen, aber auch wirklich niemanden in eurem Bekanntenkreis in Sachen 1.Mai in Ruhe zu lassen. Schleppt eure Leute mit zu den Feierlichkeiten und Veranstaltungen in eurer Region und deckt sie dann mit Agitation und Propaganda ein. Diskutiert, streitet leidenschaftlich, überzeugt und organisiert.

Es hängt von uns ab
Der 1.Mai muss wieder zu einem Kampf- und Festtag unserer Bewegung werden, aus dem wir Kraft ziehen können. Das bedeutet aber auch: Wir müssen nach den oft digitalen Ersatzveranstaltungen der letzten Jahre dafür sorgen, dass der Tag der Arbeit 2020 zu einem kollektiven Erlebnis für die Aktivist*innen und Interessierten wird, die an ihm teilnehmen. Ob er das werden kann oder nicht, wie wir diesen Tag verbringen, wie wir an ihm kämpfen, hängt letztlich von uns ab.

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