Politisches Hickhack um die Schweizer Klimapolitik

dom. Wahlkampf, Klimakrise und rasant ansteigende Energiepreise befeuern die Debatte um die Schweizer Klimapolitik. Das fossile Zeitalter neigt sich dem Ende zu, Umweltkatastrophen häufen sich, die Erde brennt – und die etablierte Politik? Die dreht sich im Kreis.

Zuerst Atomausstieg, dann doch nicht, oder ein­fach erst, wenn es genug erneuerbare Energiequellen gibt. Klimaschutzgesetz ja, aber Solarzellen aufs Dach nein. Und was machen wir mit dem Restwasser? Woher Strom importieren? Gas aus Russland? Oder Öl aus dem arabischen Raum? Geschäfte mit Diktatoren? Schon schwierig, aber Versorgungssicherheit steht halt irgendwie über allem. Auf der politischen Bühne erleben wir seit Jahren ein Hickhack, ein Umkreisen von Detailfragen und gegenseitige Vorwürfe, die meist der eigenen Profilierung dienen – auf konkreter Ebene geschieht am Ende absolut gar nichts: Eine Klimawende ist nicht in Sicht.
Diesem politischen Herumgewurstel steht eine die Klimakrise gegenüber, die längst von der abstrakten Bedrohung zur Realität geworden ist: Ein Hitzerekord jagt den nächsten, die Erderwärmung steuert auf die Überschreitung immer weiterer Kippunkte zu, weshalb mit einer Häufung von extremen Wetterereignissen, Auftauen des Permafrosts, Meeresspiegelanstieg, überfluteten Kü­sten­­­regionen und einer Ausbreitung wüsten-ähnlichen Klimas zu rechnen ist.

SP & Grüne lancieren eine gemeinsame Initiative
SP und Grüne versuchen immerhin, die Energiewende mit sozialen Anliegen zu verbinden. «Mit der jetzigen Energiepolitik verdienen sich internationale Konzerne eine goldene Nase», steht im Positionspapier der Sozialdemokrat:innen. Diese Milliardengewinne sol-len in Solar- und Windanlagen, in Wärmepumpen und Plus-Energiehäuser investiert werden, weil dies – und hier wird es problematisch – nicht nur Umwelt und Klima schone, sondern neue Arbeitsplätze schaffe und zu Wertschöpfung und Wohlstand im Inland führe. Die Umstellung auf «erneuerbare» Energien soll also unter kapitalistischen Vorzeichen vollzogen werden.
Deshalb lancieren SP und Grüne gemeinsam die Klimafondsinitiative. Die Initiative zielt auf die «Dekarbonisierung von Verkehr, Immobilien und Wirt­schaft, die Steigerung der Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien aus der Schweiz, Weiterbildung und Umschulungsmöglichkeiten, die Förderung negativer Emissionen und die Stärkung der Biodiversität». Dazu sollen jährlich 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in die ökologische Wende der Schweiz investiert werden, was etwa 3,5 bis sieben Milliarden Franken entspricht. Die vorzugsweise über höhere Besteuerung und Staatsverschuldung gewonnenen Gelder sollen etwa in eine umfassende Forschungs- und Entwicklungsoffensive fliessen, die Relokalisierung kritischer Infrastrukturen und wichtiger Wirtschaftsleistungen ermöglichen (Verminderung der Abhängigkeit fragiler Lieferketten), über kostengünstige Kinderbetreuungsangebote die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherstellen, mittels Umschulungs- und Weiterbildungsoffensiven dem Fachkräftemangel entgegenwirken und be­ruf­liche Perspektiven schaffen, sowie die öffentliche Grundversorgung insgesamt ausbauen.

Nebelkerze Green New Deal
Das sieht auf den ersten Blick ganz gut aus – aber alle diese Reformvorschläge tasten die kapitalistische Produktionsweise nicht an, sondern sollen im Grunde garantieren, dass der Laden weiterläuft. Der hier vorgelegte Green New Deal bedeutet eine bruchlose Fortsetzung jenes Systems, das uns an den Rand des ökologischen Kollapses geführt hat. Das kümmert die Koalition aus SP und Grünen wenig: Sie glauben die verschränkte ökologische und ökonomische Krise mit einem Streich lösen zu können und setzen ihre Hoffnung in ein Konzept, dessen ökonomisches Fundament ein neues Akkumulationsregime sein soll. Die kapitalistische Gesellschaft soll ökonomisch transformiert werden, indem ökologische und regenerative Industriezweige die Rolle von wirtschaftlichen Leitsektoren einnehmen. Was das Auto in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren für die fordistische Ära des Kapitalismus war, sollen nun Solarzellen und Windräder für den Postfordismus sein.
Das wird auch deutlich im Positionspapier der Grünen: «Der rasche Ausstieg aus fossilen Energieträgern, die Förderung erneuerbarer Energiequellen und der Ausstieg aus klimaschädlichen Investitionen (Divestment) haben für uns Grüne erste Priorität». Klimaschädliche durch «klimafreundliche» Investitionen ersetzen – vielleicht gut gemeint, aber «auch ein ‹grün› getöntes Wirtschaftsmodell basiert, wie das ‹braun-fossile› der vergangenen dreihundert Jahre, auf unendlicher Akkumulation von Kapital», wie Birgit Mahnkopf in ihrem Artikel «Nebelkerze Green New Deal» treffend feststellt. Weil Geld unter den herrschenden Verhältnissen immerzu einen Überschuss erwirtschaften muss, ist «die Ausweitung der Produktion über alle Bedarfe ist endemisch, und sie gründet auf einem systembedingten und zugleich destruktiven Verhältnis sowohl hinsichtlich der menschlichen als auch der aussermenschlichen Natur».

SVP
Bei der SVP ist es ein bisschen einfacher. Ob steigende Mieten, Bankenkrise oder Klimawandel: Die Ausländer:innen seien das Problem. Weil das Kernthema der SVP im Verlaufe der letzten Jahre an Kraft verloren hat, versuchen sie es mit der Klimafrage neu aufzuladen. Ihre Suche nach neuen Themen und die populistische Verbindung von Zuwanderung und Nachhaltigkeit wirkt angesichts unserer globalisierten Welt so platt, dass es wahlkampfstrategisch schon fast wieder aufgehen könnte. Plötzlich reden unsere Rechtskonservativen von Nachhaltigkeit. Infolge massenhafter unkontrollierter Zuwanderung drohe uns eine 10-Millionen-Schweiz. Dem will die SVP mittels Nachhaltigkeitsinitiative Einhalt gebieten um «die Umwelt zu schützen» und «unsere Lebensgrundlagen dauerhaft zu erhalten».
Abgesehen davon setzt man bei der SVP auf Eigenverantwortlichkeit: «Linker Verbotswahn und fundamentalistischer Staats- und Erziehungszwang sind schlechte Ratgeber. Freiwilligkeit und gesundes Masshalten sind das bessere Rezept» steht im Parteiprogramm. Sozialismus sei immer noch «die grösste Umweltkatastrophe». Dabei bemüht die SVP mal wieder den Stadt-Land-Graben und will sich von den Sozialist:innen aus den linksverseuchten Städten nichts vorschreiben lassen. Sie spricht ein Lob auf die ländliche Bevölkerung und schreibt in ihr Parteiprogramm: «Es sind die Anhänger der SVP, die sich gewerblich oder industriell für unsere Umwelt einsetzen: sei es in der Abwasserreinigung, in der Entsorgung und Deponierung von Abfällen oder im umweltgerechten Transportwesen. Dabei setzen sie… auf Vernunft, Konsumentenbedürfnisse, Marktwirtschaft und technische Neuerungen». Und schliesslich: Ohne neue Kernkraftwerke keine Energiesicherheit. Gemäss Medienmitteilung sei es «völlig naiv zu glauben, dass allein mit Wind, Wasser und Sonne eine genügende und bezahlbare Stromversorgung zu erreichen ist».

Zwischen den Pol-Parteien
Und damit sind wir bei der FDP. Auch die setzt neuerdings auf den Ausbau von Atomenergie. Und auch sie wehrt sich als liberale Partei selbstverständlich gegen weitere Gebote und Verbote: Keine Steuern und Subventionen, sondern Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortung. Susanne Vincenz-Stauffacher fährt zum Beispiel ein Elektro-Auto und meint in der SRF-Arena, sie mache damit etwas für die Umwelt. Daher brauche es jetzt auch einen Ausbau der Strasse, das «sind wir unserer Bevölkerung schuldig». So einfach geht Energiewende bei der FDP. Und man fragt sich: Wo liegen eigentlich die Unterschiede zur SVP? Nach eigenen Angaben dort, wo die SVP nach Autarkie strebe. Das sei unrealistisch und ideologisch, «die FDP will eine pragmatische Lösung». Will heissen eine Kombination aus Stärkung inländischer Stromproduktion und einer vollständigen Einbindung in den europäischen Strommarkt. Faktisch sind die Unterschiede aber verschwindend klein. Die FDP bewegt sich (nicht nur) in energie- und klimapolitischen Fragen kontinuierlich nach rechts, was sich auch daran zeigt, dass sich FDP und SVP für die diesjährigen Wahlen häufiger verbünden denn je: Gemäss einer SRF-Umfrage gehen die beiden Parteien dreimal mehr Listenverbindungen ein als noch vor vier Jahren.

Vielleicht ist es an der Zeit…
Von der Mitte lohnt sich eigentlich kaum zu sprechen. «Wir wollen eine Klimapolitik, die auf Respekt und Innovation basiert» steht in deren Programm. Das heisst nun wirklich gar nichts, die Mitte geht tatsächlich auf in kompletter Formlosigkeit. Inhaltlich geht wenig, sie betonen vor allem ihre Rolle als Vermittler im politischen Prozess. Austarierte Lösungen, ausgemittete Vorlagen, es brauche von allem ein bisschen, Kompromisse und so weiter. Eigentlich kann sich die Mitte nur noch als Hüterin des demokratischen Kompromisses inszenieren: «Am Schluss haben wir halt eine Demokratie», meint Stefan Müller-Altermatt in der SRF-Arena. Ja, da hat er Recht. Und die erweist sich mal wieder als komplett unfähig, die drängenden Probleme unserer Zeit anzugehen – also die bürgerliche Demokratie jedenfalls. Vielleicht wäre es also an der Zeit, jene Kräfte zu stärken, welche sich für einen Systemwechsel einsetzen.

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