Ohne App kein Match

dab. Die Corona-Apps von Deutschland, Österreich und der Schweiz bewertet Amnesty International als moderate Versionen. Ein deutscher Jurist macht grosse Fragezeichen hinter die Versprechen wie Freiwilligkeit, Datenschutz und Ausschluss der Handyortung.

Die jetzt verfügbare Corona-Warn-App soll (wie das Contact Tracing) helfen, Ansteckungen nachzuverfolgen, indem Smartphones einander nahegekommener Personen die Nutzer warnen, wenn sich später herausstellt, dass sie sich neben infizierten Personen aufgehalten haben. Die Erfassung von Personenkontakten wird von Behörden und Wissenschaftlern als wichtiger Teil einer wirksamen Pandemiebekämpfung betrachtet. «Die gesammelten Daten müssen auf das notwendige Minimum begrenzt und sicher gespeichert werden», hält Amnesty International (AI) in einer Medienmitteilung fest. «Jegliche Datenerhebung muss auf die Eindämmung von Covid-19 beschränkt sein und sollte nicht für andere Zwecke wie Strafverfolgung, nationale Sicherheit oder Einwanderungskontrolle verwendet werden.» Daten dürften nicht an Dritte weitergegeben oder für kommerzielle Zwecke genutzt werden.

Drei Kategorien von Apps
Expert*innen von Amnesty International analysierten Tracing-Apps von elf Ländern im Nahen Osten, in Nordafrika und Europa. Ihr Fazit: Einige Apps führen zu gravierenden Verstössen gegen Menschenrechte, die invasivsten Apps seien in Bahrain, Kuwait und Norwegen zu finden. Amnesty International unterteilt die Covid-19-Apps in drei Kategorien. Die Apps von Libanon und Vietnam der ersten Kategorie führten im Grund keine digitale Kontaktverfolgung durch, sondern gäben den Nutzer*innen die Möglichkeit, ihre Symptome freiwillig aufzuzeichnen und zu überprüfen. Die zweite Kategorie verwendet laut AI «ein weniger aggressives, dezentralisiertes Modell der Bluetooth-Kontaktverfolgung» und werde in Österreich, Deutschland, Irland und der Schweiz verwendet. Bei diesem Modell würden die Daten nicht in einer zentralen Datenbank, sondern auf den Handys der Nutzer*innen gespeichert.

Ortung und Bewegungsprofile
Die zentralisierten Apps zur Kontaktverfolgung (Frankreich, Island, Vereinigte Arabische Emirate und weitere) bewertet Amnesty als grösste Gefahr für die Menschenrechte: «Sie protokollieren Daten, die über den Bluetooth-Sensor des Telefons oder über GPS (oder beides) erfasst wurden, und laden diese in eine zentrale staatliche Datenbank hoch. Die Nutzung dieser Apps ist in einigen Fällen verpflichtend». Nutzer*innen seien mit einer nationalen ID-Nummer registriert, in Norwegen mit einer gültigen Telefonnummer. AI informierte die Behörden in Bahrain, Kuwait und Norwegen über die Datenschutz- und Sicherheitslücken. Auf diese Intervention hin kündigte Norwegen an, die Verbreitung der App «Smittestopp» zu stoppen und alle gesammelten Daten zu löschen.

Anonymisierung ist illusorisch
Beim Typ der deutschen und schweizerischen App sollen alle Daten anonymisiert werden, um die Identifikation einzelner Personen zu verhindern. Das würde bedeuten, dass die von der App erstellten individuellen Identifikationsnummern nicht aufgelöst und nicht personalisiert werden können. Dr. Ronald Pienkny, Jurist und ehemaliger Staatssekretär für die Partei «Die Linke» im Brandenburgischen Justizministerium, bezeichnet dies in seinem Text «Zur Lage der arbeitenden Klasse in der (Corona-)Krise» in der neusten Nummer der «Marxistischen Blätter» als illusorisch und technisch nicht möglich. Vor dem Hintergrund der von staatlichen Organen so dringlich angestrebten Vorratsdatenspeicherung und der neusten Verschärfungen der Gesetze zur Terrorismusbekämpfung auf Bundes- und Landesebene sollten kritische Bürger*innen hier hellhörig werden, gibt Pienkny zu bedenken.

Datenklau und Registrierung
Betroffen und zugänglich für offizielle und private Neugierige mit guten Informatikkenntnissen sind – trotz offiziellen Beteuerungen – dank immer vorhandenen Sicherheitslücken natürlich auch alle Daten wie Namen, Telefonnummern, besuchte Webseiten und Nachrichten, die im verappten Handy gespeichert sind. «Wenig glaubhaft ist auch die Versicherung von Apple und Google, dass die Standortbestimmung über GPS und die Speicherung der Daten in der App ausgeschaltet würden», so Pienkny. «Dies zeigt sich allein schon daran, dass immer wieder betont wird, GPS-Standortdaten in Verbindung mit dem neuen Kontaktverfolgungssystem seien wichtig, da nur so verfolgt werden könne, wie sich das Virus bewege und wo sich Hotspots befänden», ergänzt Pienkny. Behörden sind also nicht nur an anonymen Daten interessiert, sondern auch an den Namen der Kontaktpersonen und den Ort der Ansteckung. Die Schweiz wird auch der EU-Corona-Datenbank in Luxemburg angeschlossen.

Stigmatisierung und Ausgrenzung
Es wird penetrant die Freiwilligkeit betont, gleichzeitig werden Versammlungs-, Religions- und persönliche Freiheiten stark beschnitten. Seit Monaten wird gewarnt, bei Nichteinhaltung der empfohlenen Massnahmen verhalte man sich unsolidarisch und gefährde Menschenleben. Dieser grosse mediale und gesellschaftliche Druck kann laut Ronald Pienkny dazu führen, dass Sport- und Kulturveranstaltungen, die Nutzung von Flughäfen, Bahnhöfen und des öffentlichen Verkehrs sowie der Besuch von Kirchen, Bibliotheken, Krankenhäusern, Pflegeinrichtungen, Gaststätten oder Bars nur mit App möglich sind. «Die Folgen wären Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung.»
Und er weist darauf hin, dass Grundrechte einschränkende Massnahmen erfahrungsgemäss nicht aufgehoben werden, wenn die konkrete Bedrohung vorbei ist. Auch bei einer Grippe oder bei einem Terroranschlag könnten sie Verwendung finden. Setzt sich die Zivilgesellschaft nicht massiv dagegen zur Wehr, wird es so eintreffen.

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