Nationale Selbstvergewisserung und Verteilungskonflikte
dom. Aufrüsten, Migration kontrollieren, Kriegsmaterialexporte vereinfachen – die diesjährige Sommersession dreht sich um Aufrüstung und Verteilungskonflikte. Im Zentrum der Debatten stehen auch drei richtungsweisende Volksinitiativen: Die «SRG-Initiative», die «Klimafonds-Initiative» und die «Neutralitätsinitiative».
Die Sommersession bietet ein beunruhigendes Abbild des politischen Klimas in Zeiten der umfassenden Krise: Verunsicherung, nationale Selbstvergewisserung und Verteilungskonflikte in den Bereichen Krieg, Klima, Medienwandel, Migration. Doch auch über die Finanzierung der 13.AHV-Initiative wird gestritten. Als grosser linker Erfolg gefeiert, macht sich angesichts ihrer Umsetzung Ernüchterung breit.
Wer bezahlt?
Weil der Initiativtext die Finanzierungsfrage offenliess, droht die 13.AHV-Rente zulasten der Arbeiter:in-nen zu gehen. Geht es nach dem Bundesrat, soll die Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte angehoben
werden. Damit entscheidet er sich für die asozialste Option, da die Mehrwertsteuer einkommens- und vermögens-unabhängig alle gleichermassen trifft. Die Nationalrats-kommission für soziale Sicherheit präsentiert hingegen eine Lösung, die – neben eventueller Erhöung der Mehrwertsteuer – auch höhere Lohnbeiträge und eine Anpassung der Rentenplafonierung vorsieht.
Mit dem Vorschlag der Kommission hätte also über die Lohnbeiträge auch das Kapital die 13.AHV-Rente mitzufinanzieren – doch nur zu einem kleinen Teil. Im Vorfeld und unmittelbar nach der Annahme standen noch progressivere Finanzierungsoptionen im Raum: Etwa die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Erhöhung von Dividendenbesteuerungen oder Vermögensabgaben. Diese sind inzwischen vom Tisch, weil im bürgerlichen Parlament die politischen Mehrheiten für Kapitalsteuern fehlen und auch der Bundesrat eine finanzpolitisch konservative Haltung vertritt.
Migration und Militarisierung
Dazu passt, dass das Kriegsmaterialgesetz weiter gelockert werden soll. Der Bundesrat verlangt die Kompetenz, bei «ausserordentlichen Umständen», «zur Wahrung der Interessen der Schweiz» Waffenexporte zu bewilligen, die nach geltendem Gesetz verboten wären. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats möchte noch weitergehen und für eine ganze Reihe von Ländern (unter anderem Katar, Vereinigte Arabische Emirate) sämtliche Ausfuhrbeschränkungen aufheben. Die Begründung: So würde die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Rüstungsindustrie gewährleistet und geopolitische Allianzen gestärkt. Ausserdem soll die Armee auf Vordermann gebracht werden. Deshalb hatte der Bundesrat zudem beantragt, 1,5 Milliarden Franken für Rüstungsbeschaffungen, sowie 185 Millionen Franken für die Erneuerung von Truppenunterkünften bereitzustellen. Die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats geht in der laufenden Session einen Schritt weiter und verlangt, das Budget um eine zusätzliche Milliarde Franken aufzustocken.
Parallel zur umfassenden Militarisierung soll also die Migrationspolitik restriktiver und instrumenteller werden. Der Bundesrat will, dass sich die Schweiz freiwillig am neuen «Solidaritätsmechanismus» der EU beteiligt, der eine Verteilung von Asylsuchenden innerhalb Europas vorsieht. Dieser Mechanismus ist Teil des EU-Migrationspakts, den die Schweiz teilweise übernehmen muss (siehe dazu auch Text unten). Die Rechtskommission empfiehlt dem Nationalrat jedoch, nur zuzustimmen, wenn Länder wie Italien ihre Dublin-Pflichten einhalten und bereits registrierte Asylsuchende zurücknehmen. Migrant:innen sind zur Verhandlungsmasse für nationale Interessen geworden, Migration, Sicherheit und nationale Souveränität werden zunehmend als Einheit gedacht. Militärische Mittel und nationale Durchgriffsmöglichkeiten werden gestärkt, während humanitäre Prinzipien und internationale Verpflichtungen weiter an Gewicht verlieren.
Drei kontroverse Initiativen
Mit der SRG-Initiative versuchen SVP-nahe Kreise, eine wirtschaftsliberale Sparagenda umzusetzen und gleichzeitig ihr Gewicht in der Öffentlichkeit zu stärken. Sie verlangt eine Halbierung der Serafe-Gebühren auf 200 Franken. Von dieser drastischen Senkung wären vor allem jene nicht-kommerziellen Rundfunk- und Fernsehangebote betroffen, die heute einen Teil ihrer Finanzierung aus den Empfangsgebühren erhalten. Der Nationalrat dürfte sich gegen die Initiative stellen, um sie aber mit einem Gegenvorschlag (zum Beispiel moderate Abgabensenkung) abzuschwächen. Die Klimafonds-Initiative will nach internationalem Vorbild jährlich 0,5 bis 1 Prozent des BIP über Steuererhöhungen und Schulden in die ökologische Wende investieren. Geplant sind Investitionen in Forschung, Infrastruktur, Bildung und soziale Angebote, um die Klimawende sozial abzufedern. Eine Zustimmung des Parlaments scheint unwahrscheinlich – ebenso ihr Nutzen im Falle einer Annahme: Ihre
grüne Zielsetzung bleibt im kapitalistischen System verhaftet und setzt auf weitere, endlose Kapitalakkumulation. Damit verpasst es die Initiative, die strukturellen Ursachen der ökologischen Krise zu beseitigen.
Die Neutralitätsinitiative hingegen möchte die immerwährende, umfassende, bewaffnete Schweizer Neutralität verfassungsrechtlich festschreiben – angesichts der zunehmenden geopolitischen Konflikte der wohl brisanteste Diskussionspunkt. Auch deshalb, weil sich SVP-nahe Kreise gemeinsam mit vereinzelten linken Kräften gegen die übrigen politischen Fraktionen stellen.