Machtlose SNB?

dom. Die Zentralbanken führen eine Geldpolitik im Interesse der herrschenden Kapitalfraktionen, während die Lohnabhängigen zur Kasse gebeten werden. So ist es kein Zufall, dass diese Geldpolitik zu einer Umverteilung von unten nach oben führt. Dies wird sich auch in Zukunft kaum ändern.

Die Anhebung des Leitzinses führt zu einer Steigerung der Kreditkosten für Verbraucher*innen und Unternehmen und treibt schwächere Unternehmen in den Konkurs. Letztlich kann so die Nachfrage auf breiter Front gesenkt und die Inflation gebremst werden – aber nur durch einen wirtschaftlichen Einbruch. Dessen ist sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) selbstverständlich bewusst. Das erklärt auch ihr zögerliches Handeln und die im internationalen Vergleich späte Korrektur ihrer Negativzinspolitik. Dass sie letztlich doch nachgezogen ist, hat verschiedene Gründe. Einmal sollte der nationalstaatliche Handlungsspielraum der Schweizer Geldpolitik nicht überbewertet werden: Die offene Schweizer Volkswirtschaft und die Globalisierung der Finanzmärkte verunmöglichen eine Abschottung von europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklungen. Gerade im Zuge der Finanzmarktkrisen hat sich der zwischenstaatliche Kooperationsbedarf nochmals erhöht. Im Wesentlichen verlief die Ausrichtung der Schweizer Geldpolitik nach einer kurzen Phase grösseren nationalstaatlichen Handlungsspielraums nach dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen in den 1970er-Jahren, parallel zu derjenigen der anderen bedeutenden Zentralbanken.

Und heute?
Weiter leidet die SNB zunehmend unter dem Druck ihrer aufgeblähten Bilanz. Als die SNB 2015 den Mindestkurs zum Euro aufhob, erhoffte sie sich davon einen Rückgang der Devisenkäufe. Über vier Jahre hinweg hatte die Zentralbank über den Kauf fremder Währungen gegen den starken Franken angekämpft und damit Unsummen von Devisen angehäuft. Unter anderem um dem nach wie vor hohen Aufwertungsdruck standzuhalten, mussten aber Negativzinsen eingeführt werden. Dass Geschäftsbanken von nun an auf ihre Guthaben bei der SNB einen Strafzins bezahlen mussten, sollte einerseits die Attraktivität des Frankens als Fluchtwährung mindern und andererseits inländische Investor*innen dazu verleiten, ihr Geld im Ausland anzulegen – das hat nur bedingt funktioniert.
Noch vor acht Jahren war das Entsetzen über die Aufhebung des Mindestkurses und die Gefahren eines erstarkenden Frankens gross – heute, wo die Inflation um die Schweiz herum rasant ansteigt, kommt der Schweiz die harte Währung entgegen. In der Wochenzeitung «Die Zeit» konnte man damals lesen: «Der SNB-Entscheid wirkt wie ein Staatsstreich, eine Naturkatastrophe, ein Terroranschlag. Politiker, Unternehmer, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Medien: Alle japsen nach Luft.» Und heute? Obwohl der Euro-Kurs kürzlich auf ein Rekordtief gesunken ist, ist ein Aufschrei über die Frankenstärke bisher ausgeblieben. Die mittlerweile riesige Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz (3.5 Prozent) und der Euro-Zone (9.1 Prozent) federt für die Schweizer Unternehmen die Wirkungen des starken Frankens ab und beschert ihnen Wettbewerbsvorteile.

Erfolglos
So weit, so gut, könnte man meinen. Allerdings hat sich die von der Aufhebung des Mindestkurses getragene Hoffnung nach einer Reduktion der Bilanzsumme für die SNB nicht erfüllt. In der Folge einer beispiellos expansiven Geldpolitik und den Interventionen im Zuge der Corona-Pandemie knackte die Bilanzsumme im Februar letzten Jahres die Billionengrenze und erreichte im Mai 2022 die schwindelerregende Höhe von 1070 Milliarden Franken. Dies entspricht über 140 Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: Die Bilanz der Europäischen Zentralbank erhöhte sich nur bis zur Hälfte der europäischen Wirtschaftsleistung, jene der US- Zentralbank Fed nur bis zu einem Viertel. Das hat den politischen Druck auf die SNB erhöht. Verschiedenste Vorstösse forderten etwa die Überführung eines Teils der Gelder in einen Staatsfonds oder deren Verwendung zur Finanzierung der AHV – erfolglos.

Verschärfte Ungleichheit
Die tiefen Zinsen haben indes die Investor*innen auf den Aktien- und Immobilienmärkten gezwungen, ihre Risiken zu erhöhen, um noch positive Renditen zu erzielen. Die stark abgesenkten Hypothekarkredite steigerten die Attraktivität des Häuserkaufs, was zu einer Immobilienblase geführt hat. Raiffeisen-Ökonom Martin Neff weist darauf hin, dass nur eine Minderheit von den tiefen Zinsen profitieren konnte. Die Schweiz sei bis heute ein Volk der Mieter*innen geblieben, die Wohneigentumsquote ist in den letzten Jahren wieder gefallen. Neff hält fest, die Geldpolitik der SNB habe eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt. «Wer sein Geld in Aktien anlegte oder sich Wohneigentum leisten konnte, habe massiv profitiert von der Geldschwemme. Am grossen Rest zogen die Boomjahre hingegen vorbei.» Infolge der Preissteigerungen sei Wohneigentum nur noch für reiche Haushalte erschwinglich. Und wer sich vor einigen Jahren angesichts der tiefen Hypothekarkredite zum Kauf eines Hauses entschlossen hatte, muss sich nun darauf einstellen, dass die Zinslast massiv ansteigt.

Im Sinne der Aktionär*innen
Auch im Bereich der Altersvorsorge lässt sich eine Umverteilung zulasten der Lohnabhängigen verzeichnen. Während die Geschäftsbanken mit der Weitergabe der Negativzinsen bei den Kleinsparern (aus Angst vor Kundenverlust) noch sehr zögerlich vorgingen, mussten die Pensionskassen ab 2015 Strafzinsen entrichten. Diese wegen mangelnder Rendite auf ihre Bundesobligationen ohnehin in finanziellen Schwierigkeiten, entschieden sich für die Erhöhung ihrer Anlagerisiken und die Absenkung ihrer angebotenen Leistungen. Es folgte eine Abkehr von der Investition in Bundesobligationen hin zur Investition in Aktien und Immobilien. Auch wenn dies die Risiken für die Pensionskassen erhöht hat: Bisher ging die Rechnung für die Aktionär*innen auf. Und sollten diese Risiken platzen, werden die bereits jetzt unter massiven Leistungskürzungen leidenden Lohnabhängigen zur Kasse gebeten.

Stützpunkte im Staatsapparat
Kurz gesagt: Die achtjährige Negativzinspolitik der SNB bezahlen die Lohnabhängigen. Das gleiche lässt sich – und das ist keine allzu gewagte Prognose – von der nun eingeleiteten Zinswende sagen. Das ist kein Zufall. Wenn auch formal die Unabhängigkeit der Zentralbanken festgeschrieben wurde, betreiben diese eine Geldpolitik im Interesse der herrschenden Kapitalfraktionen. Ihre «Unabhängigkeit» bedeutet nichts anderes, als dass den Staaten ihre souveräne Geldpolitik entglitten ist und währungspolitische Entscheide jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen sind. Aufgrund mangelnder Regulation sind sie immer stärker in die Hände privater Banken und Finanzunternehmen geraten und damit zunehmend deren Profitinteressen unterlegen. Das wird bereits anhand des in den Zentralbanken eingesetzten Personals erkennbar: Im elfköpfigen Bankrat der SNB sitzen fast ausschliesslich Verwaltungsräte von Geschäftsbanken, Präsidenten von Economiesuisse, liberale Ökonomen oder Mitglieder bürgerlicher und vor allem liberaler Parteien. Diese Interessengruppen haben sich erfolgreich Stützpunkte im Staatsapparat geschaffen und nehmen entsprechenden Einfluss auf die Geldpolitik.
Mehr und mehr scheint die Handlungsfähigkeit der SNB und der Zentralbanken im Allgemeinen infrage gestellt. Doch innerhalb des ihnen noch verbleibenden Spielraums werden sie weiterhin ihre angeblich unabhängige Politik an den Interessen der herrschenden Kapitalfraktionen ausrichten und Klassenkampf von oben betreiben.

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