Klatschen war nie genug!

flo. Während der Pandemie kämpft das Pflegepersonal mutig an vorderster Front gegen das Virus. Und dies mit unzureichenden Ressourcen. Den Pflegenotstand nimmt die Politik derweil nicht ernst. Zeit, sich zu wehren.

«Fast zynisch» sei es, dass Pfleger*innen in der Woche vom 26. bis zum 31.Oktober für ihre Rechte und für bessere Arbeitsbedingungen kämpften. So liess sich die Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission, die CVP-Politikerin Ruth Humbel, zitieren. Dass es in der Pflege im Gegensatz zu anderen Branchen nicht rund laufe, wisse man ja. Das Problem sei erkannt und werde angegangen. Selbst ganz zynisch verweist Humbel auf den Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative. Diesem wurden aber im Verlauf seiner parlamentarischen Bearbeitung immer mehr Zähne gezogen. So wurden manche Elemente, die vom Nationalrat eingebracht und vom Schweizerischen Berufsverband der Pflegekräfte (SBK) unterstützt wurden, durch die ständerätliche Gesundheitskommission im Februar wieder aus der Vorlage gestrichen.
Doch Humbel doppelte nach: Wieso sollten ausgerechnet Pfleger*innen, die ja «sichere» Arbeitsstellen hätten, protestieren? Dabei ist einer der Gründe für die «sicheren» Stellen in der Pflege eben der Pflegenotstand, die Knappheit an gut ausgebildeten Pflegekräften. Und genau diese Zustände von Zusatzbelastung und Stress bis hin zum Burn-out machen den Beruf unattraktiv. Gerade jetzt während der Pandemie können solche Missstände im Gesundheitssektor verheerende Folgen haben.

Dankeschön!
Aus diesen Gründen wurde in der letzten Oktoberwoche im ganzen Land Aktionen im Rahmen einer Protestwoche der Gewerkschaften VPOD und Syna sowie dem SBK durchgeführt. Von Genf ganz im Westen bis in die Ostschweiz wurde auf die Situation in den Gesundheitsberufen hingewiesen. So auch in Frauenfeld, wo mit einer Menschenkette auf den Stress und den Zeitdruck in der Pflege aufmerksam gemacht wurde. Informiert wurde dabei auch, dass manche Pflegearbeiter*innen weniger Wasser während des Arbeitstags trinken würden, um nicht auf die Toilette gehen zu müssen. Der Druck habe auch damit zu tun, dass die Thurgauer Spitäler, die seit einigen Jahren als Aktiengesellschaft unter dem Namen Spital Thurgau AG organisiert sind, Mitarbeiter*innen nicht mehr ersetzen, die den Betrieb verlassen. Für die verbliebenen Kolleg*innen werden die Aufgaben aber nicht weniger – der Stress steigt. Die Unterstützung der Aktionen geht selbst im bürgerlichen Osten des Landes über die Pflegekräfte hinaus. Ein lokaler Jungsozialist hat sich der Aktion angeschlossen, um sich «mit denen zu solidarisieren, die in der Pflege chrampfen müssen». Ein Stadtbus, der an der Menschenkette vorbeifuhr, schaltete für die Pfleger*innen ein «Dankeschön!» auf der Fahrtanzeige und auch der freisinnige Stadtpräsident Anders Stokholm fand den Weg zur Aktion.
Auf mehr Gegenwehr stiessen die Gesundheits-arbeiter*innen, als sie zur Abschlusskundgebung der nationalen Aktionswoche auf dem Bundesplatz demonstrieren wollten. Unangemeldet hatten sich dort einige Covid-Leugner*innen eingefunden. Als die Arbeiter*innen für ihre Schlusskundgebung auf den Platz kamen, wurden sie von den Gegner*innen der Coronamassnahmen mit Böllern und Zwischenrufen gestört.

Kämpfen, um effizient zu arbeiten
Die Szene ist bezeichnend für die Situation im Pflegeberuf. Die Arbeiter*innen im Sektor kämpfen mit ihrem Engagement für bessere Arbeitsbedingungen nicht einfach für sich selbst, sondern eben auch für uns. Sie kämpfen dafür, dass es in einigen Jahren noch eine Pflege gibt, die ihre Aufgaben, ihre Sorgfaltspflicht gegenüber den Patient*innen wahrnehmen kann. Sie kämpfen für eine Pflege, in der nicht durch den ständigen nagenden Stress und Druck letztlich die Hälfte der Pflegekräfte wieder aus dem Beruf aussteigen, wie dies heute der Fall ist. Eine Umfrage der Gewerkschaft Unia von Februar 2019 stellte fest, dass nur jede*r Fünfte bis zur Pensionierung im Pflegeberuf bleiben wolle. 49 Prozent wollen den Beruf verlassen, da er die körperliche und geistige Gesundheit gefährde. Der Pflegenotstand wird so – vor allem auch durch Ökonomisierungsmassnahmen zur Profitsteigerung – zum Teufelskreis und wächst, wenn wir nicht Gegensteuer halten, in einer globalen Pandemie zu einer Pflegekatastrophe heran.

Genügend Ressourcen sind eine Notwendigkeit
Und ein solcher Zustand wird letztlich für alle zur Gefahr, auch für jene, die selber nicht unter vergleichbar schlechten Arbeitsbedingungen leiden. So belegte vor einem Monat eine Studie der Universität Bern, dass der Spardruck in Schweizer Spitälern dazu führt, dass es zu 243 vermeidbaren Todesfällen kam. Laut einer Angestellten, die im Rahmen von Recherchen des «Kassensturzes» befragt wurde, käme es auf ihrer Station einmal pro Woche zu einem Fehler aufgrund des Personalmangels. Das kann die Herausgabe eines falschen Medikamentes oder eine Nachlässigkeit bei der Kontrolle nach einer Operation sein. Etwas, was vor allem bei Unterbesetzung – beispielsweise wenn Kolleg*innen wegen einer Ansteckung mit Covid-19 ausfallen – und notorischem Stress nur allzu leicht geschieht. Doch in einem Spital kann das tödliche Folgen haben.
Wenn das Gesundheitspersonal also für bessere Arbeitsbedingungen auf die Strasse geht, ist daran gar nichts zynisch. Viel eher muss uns klar sein, dass es nicht nur solidarisch, sondern ganz eigennützig ist, die Gesundheitsarbeiter*innen in ihrem Kampf zu unterstützen. Sie haben, vor allem in der aktuellen Situation, so viel mehr verdient als Balkongeklatsche. Sie haben einen Beruf verdient, den sie gerne ausüben. Auch weil sie ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um ihn richtig ausführen zu können.

 

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