Inakzeptabel!

sit. Wenig überraschend stimmte der Nationalrat am 9.Juni der Erhöhung des Rentenalters der Frauen* zu. Gleichzeitig sind für die Kapitalist*innen im
Lande Steuergeschenke von mehreren Milliarden Franken geplant. Dies
alles dürfen wir nicht zulassen. Auf in den Kampf.

«Wenn sie es nicht begreifen wollen, dann müssen wir eben mal einen richtigen Frauen*streik machen. Das heisst, dass wir wirklich mal nichts machen», sagt Ursula Mattmann in einem Video mit dem Titel «Unsere Geduld ist am Ende», das auf frauenrente.ch zu sehen ist. Mattmann ist Rentnerin. Sie weiss, von was sie spricht. «Wenn Frauen* weiterhin ein Drittel weniger Rente haben, dann frage ich mich, was diese Leute denken, wovon die Frauen* leben sollen». Die Frage ist mehr als nur berechtigt. «Mit 2500 Franken im Monat zu leben, geht ganz knapp. Miete und Krankenkasse muss auch ich bezahlen. Und etwas zum Leben möchte ich auch noch haben. Ich möchte auch mal einen Ausflug machen. Das ist ein Recht, wenn man das ganze Leben gearbeitet hat.» Wer wagt es, ihr zu widersprechen?

Doppelt angelegter Sozialabbau
Die Worte von Mattmann bringen die Sache bestens auf den Punkt. Sie werden von Denis de la Reussille, Nationalrat der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS), bestätigt. Auf Anfrage des vorwärts erklärt er: «Der schockierende Punkt in der ganzen Debatte im Rat ist der ständige Versuch der bürgerlichen Parteien, die Realität der Lohnunterschiede, die zwischen Männern* und Frauen* bestehen, zu verschleiern.» Die tieferen Löhne, Teilzeitpensen und unbezahlte Arbeit führen zur heutigen skandalös schlechten Rentensituation der Frauen*.
Für de la Reussille ist klar: «Die Erhöhung des Rentenalters ist völlig inakzeptabel.» Er fügt hinzu: «Ein weiterer Punkt, der in der Debatte weniger erwähnt wird, aber ebenfalls problematisch ist, ist die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes, welche die Arbeitnehmer*innen unseres Landes stark benachteiligen wird.» Die geplante AHV-Reform ist somit ein doppelt angelegter Sozialabbau, ein Angriff auf breiter Front. «Es ist klar, dass die rechten Parteien ihren Standpunkt durchsetzen wollen und nicht nach einem Kompromiss suchen», hält de la Reussille fest. «Darüber hinaus verbringen sie ihre Zeit damit, die finanzielle Situation der AHV mit einer alarmistischen Vision für die kommenden Jahre zu verunglimpfen.»

Der Klassencharakter
Der PdA-Nationalrat spricht somit einen zentralen Punkt an, der den Klassencharakter der AHV-Reform bestens deutlich macht. Im Jahr 2020 flossen 1,9 Milliarden Franken in den AHV-Fonds. Schaut man sich die Ergebnisse der letzten 20 Jahre an, wird deutlich, dass die AHV gerade mal in vier Jahren ein Minus verzeichnete, in den anderen 16 Jahren resultierte jeweils ein Plus. So stieg das AHV-Fondsvermögen von 22,7 Milliarden Franken im Jahr 2000 auf 47,15 Milliarden per Ende 2020. So stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Notwendigkeit der Reform. Antworten darauf finden sich, indem das Reformvorhaben der Bürgerlichen in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt wird und dabei die Klasseninteressen berücksichtigt werden. So plant die gleiche bürgerliche Mehrheit im Parlament, die soeben das Frauen*rentenalter erhöhte, Steuergeschenke für die Vermögenden von über drei Milliarden Franken. Dies durch die Abschaffung der Stempelsteuer und der Verrechnungssteuer auf Obligationen. Konkret: Steuergeschenke für die Kapitalist*innen auf Kosten von Frauen*, die ein Leben lang gearbeitet haben.

Solides Sozialwerk
«Dies alles dürfen wir nicht zulassen», sagt entschlossen Gavriel Pinson, Präsident der PdAS, auf Anfrage dieser Zeitung. «In ihrer ganzen Geschichte kämpfte unsere Partei für sichere und solidarische Renten. Wir werden es auch dieses Mal tun.» Pinson ist überzeugt, dass «eine breite Front fortschrittlicher Kräfte» das Referendum gegen diesen erneuten Versuch eines Sozialabbaus auf dem Buckel der Frauen* ergreifen wird. Gleicher Meinung ist auch de la Reussille: «Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um ein Referendum gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen* zu unterstützen oder zu lancieren.» Und er unterstreicht: «Wir müssen die Menschen immer wieder daran erinnern, dass die AHV ein solides, auf Solidarität basierendes Sozialversicherungssystem ist. Dies ganz im Gegensatz zur zweiten Säule, sprich zur Pensionskasse, die mit dem kontinuierlichen Rückgang der Renten alle ihre Grenzen aufgezeigt hat.» In der Tat: Vor fünf Jahren veröffentlichte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zum ersten Mal eine Übersicht über die sinkenden Umwandlungssätze und schwindenden Pensionskassenrenten. Im fünften Jahr der Erhebung des SGB, die rund 50 Pensionskassen mit über einer Million aktiv Versicherten umfasst, zeigt sich, dass sich die Situation auch in diesem Jahr weiter zuspitzt: der mittlere Umwandlungssatz fällt 2021 auf 5,4 Prozent, der somit seit 2010 um fast 20 Prozent eingebrochen ist.

Das Land lahmlegen
Den erneuten Angriff auf die AHV abzuwehren, wird ein harter Kampf werden. Ein Kampf, der mit dem diesjährigen Frauen*streik vom 14.Juni auf eine beeindruckende Art und Weise bereits begonnen hat: Über 100000 Frauen* und Männer* strömten landauf und landab auf die Strasse und setzten so ein deutliches Zeichen mit der unmissverständlichen Botschaft: «Respekt! Bessere Löhne! Bessere Renten!» Es geht also um viel, weit mehr als «nur» eine AHV-Reform, es geht – wie bereits festgehalten – um einen breit angelegten Sozialabbau auf Kosten der arbeitenden Menschen in diesem Land. Genau deswegen sollten wir uns an die Worte von Ursula Mattmann erinnern: «Wenn sie es nicht begreifen wollen, dann müssen wir eben mal einen richtigen Frauen*streik machen!». Der 14.Juni 2022 bietet sich dazu perfekt an. Und dann sollten sich auch die Männer* einen Tag «Urlaub» nehmen, um das Land für die Frauen*rechte 24 Stunden lang lahmzulegen.

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