Freiräume verteidigen!

flo. Alternative Wohn- und Freiraumprojekte stehen im Kanton Zürich unter Druck. So wurde im Februar mit dem Kochareal wohl die Besetzung mit der grössten Strahlkraft im Kanton geräumt. Aber auch in Winterthur steht die Bewegung unter Beschuss. Sie kündigt jedoch berechtigten Widerstand an.

Eine nicht mehr ganz frische Fassade, von der die Menschen von einem – wohl mit etwas Ironie wegen des Strassennamens – aufgemalten General Guisan angestarrt werden und ein riesiges Banner mit den Worten «Wohnraum ist keine Ware». Auf der anderen Seite des Hauses das A im Kreis der Anarchist:innen, sowie in meterhohen Lettern die Parole «Freiräume verteidigen!» Unter der Kampfansage eine Skulptur aus geschweisstem Stahl und ebenfalls als Graffiti die Cheshire Cat, die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Man merkt: An der Guisanstrasse 31, oder «Gisi», wie man sie hier in Winterthur nennt, ganz am Rand der Altstadt, kommen Politik und Kunst, Kultur und Bewegung zusammen. Die seit 1997 bestehende Besetzung ist nicht nur Wohnraum für mehrere Personen, sondern, auch Freiraum, alternatives Kulturzentrum und ein politischer Ort. Neben dem offenen Antifa-Treff finden hier Konzerte, Infoveranstaltungen und jeweils am Donnerstag auch einfach ein gemeinsames Beisammensein in der Gisi-Beiz statt. Für die Stadt und besonders für die Linken im Ort ist die Gisi ein zentraler Ort. Einer, den es aber ab 2025 nicht mehr geben soll, wenn es nach der Winterthurer Immobiliendynastie Stefanini gehen soll.

Steuervermeidungsinstrument
Die Bewohner:innen der besetzten Häuser, die sich in der Häuservernetzung Winterthur organisieren (die Gruppe repräsentiert fast alle selbstverwalteten Häuserprojekte in der Eulachstadt), sind wütend. Am 3.Juli wurden sie von der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) vorgeladen, um über die weitere Zukunft der sieben besetzten Häuser unterrichtet zu werden, die sich im Besitz der SKKG befinden.
Bei der SKKG handelt es sich im Endeffekt um ein Steuervermeidungsinstrument aus der Feder des Winterthurer Immobilienmoguls Bruno Stefanini. 1980 hatte er die SKKG gegründet und einen Grossteil des Kapitals aus seinem damals schon 40-jährigen Immobilienunternehmen Terresta AG in die Stiftung übertragen. So zahlte Stefanini laut einem Bericht der TV-Sendung «10 vor 10» im Jahr 2002 gerade mal Steuern auf ein Vermögen von 1,6 Millionen Franken und auf ein Einkommen von 200000 Franken. Und dies, obwohl der Immobilienmogul im Besitz von hunderten Liegenschaften war (darunter mehrere Schlösser) und die Stiftung gleichzeitig Kunst- und Sammlerobjekten im Wert von rund 500 Millionen Franken besass – darunter so exzentrische Kuriositäten wie Napoleons Testament sowie ein Sonnenschirm der Kaiserin Sissi – von denen nur ein kleiner Bruchteil der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Kuhhandel statt richtiger Lösungen
Doch zurück zum 3.Juli. Bei der Vorladung wurde den Bewohner:innen und Hausbesetzer:innen eröffnet, dass von ihren sieben Häusern drei geräumt werden sollen, und zwar ausgerechnet jene, die am längsten von ihnen bewirtschafteten und in Stand gehaltenen werden. Betroffen sind die Gisi, das Rattenloch (an der Schaffhauserstrasse) und das Sanatorium (an der Zürcherstrasse). Alles Besetzungen mit einer jahrzehntelangen Geschichte in Winterthur.
Den Besetzer:innen ist dabei besonders sauer aufgestossen, dass man versucht einen Keil in die Bewegung zu treiben. Neben den drei zu räumenden Liegenschaften will man nämlich bei der SKKG vier besetzten Häusern einen Nutzungsvertrag geben. Der Autor dieses Artikels sprach Anfang Juli für Radio Stadtfilter mit den Betroffenen. Die Aktivist:innen möchten in diesem Rahmen «Herr und Frau Müller» genannt werden. Sie sagen, dass die Strategie, manche Häuser bestehen zu lassen, während andere geräumt werden sollen, «ein Kuhhandel ist». Oder wie es Herr Müller auf den Punkt bringt: «Das wird ganz klar bei jenen Häusern, bei denen sie eine ‹langfristige Lösung› angeboten haben. Sie wollen eben die Häuser räumen, die attraktiven Nutzungsobjekte sind, mit denen sie viel Geld verdienen können.» Klar ist aber auch, dass sich die Bewegung durch die Taktik der SKKG nicht spalten lassen will – und nicht spalten lassen wird.

Es hat sich abgezeichnet
Dass es so kommen würde, hat man aber schon länger geahnt. Mit dem Tod von Bruno Stefanini im Dezember 2018 wurde deutlich, dass es von der SKKG zu einer Aufwertungskampagne kommen wird. Die Zerlotterungsstrategie von Stefanini würde ihr Ende finden. Frau Müller erklärt dazu: «Was wir da gesehen haben, war ein Feigenblatt, um nach aussen zu zeigen, dass man ja schon bereit wäre, gewisse Zugeständnisse zu machen.» Und Herr Müller unterstreicht erneut: «Es ist schon klar, dass die Häuser, die sie räumen wollen, jene sind, mit denen sie wirklich Geld verdienen können!» Auch die Art und Weise der Vorgehensweise der Stefanini-Stiftung stösst den Aktivist:innen auf: «Wir haben jahrelang versucht, mit den Leuten zu verhandeln. Es wurde uns immer signalisiert, dass man nicht mit uns reden will. Und jetzt reden sie von ‹partizipativ› und so weiter. Aber man sieht es: Die SKKG ist eine Immo-Bude wie jede andere auch», meint Frau Müller im Gespräch. In den letzten Monaten entwickelte die Häuserbewegung in Winterthur grosse Aktivitäten. An den Aktionstagen der Häuservernetzung nahmen hunderte Personen teil.

Nicht aufgegeben
Dabei haben sich die SKKG und die Stadt Winterthur mit der Winterthurer Häuserbewegung eine kampfbereite und erfahrene (siehe Artikel unten) Gegner:in ausgesucht. Schon in den vergangenen Jahrzehnten hat die Winterthurer Polizei immer wieder versucht, die Bewegung der «Wintis» einzumachen. Doch in den vergangenen Jahren und vor allem Monaten war die Bewegung immer wieder dazu in der Lage, zu zeigen, dass es eine breite Basis für selbstverwaltete Häuser gibt. So bei den Aktionstagen um Pfingsten. Dazu meint Frau Müller: «Und wir wollen für unsere Projekte kämpfen, wir kämpfen weiter für unsere Häuser.» Herr Müller ergänzt: «Wir werden kämpfen, das gibt Stunk, wie auch immer dies aussehen wird.»
Für uns Kommunist:innen sind solche Bewegungen Ansatzpunkte für gewisse Formen von lokaler linker Politik. Aktuell, wo diese Projekte immer stärker unter Druck geraten und angegriffen werden, sind sie vor allem aber Plattformen, bei denen wir mit anderen linken Kräften Solidarität üben können. Denn eines muss für uns klar sein: Die Angriffe gegen die Häuserprojekte von Autonomen tragen in sich immer noch den antilinken, antikommunistischen Geist, unter dem wir und unsere Genoss:innen jahrzehntelang zu leiden hatten. Sie reihen sich ein, in einen rabiat agierenden Antikommunismus, der alles, was nicht der Allgemeinvorstellung entspricht, zusammenstutzen wollen.

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