Eine Begegnung mit der Geschichte 

Anjuska Weil ist seit Jahrzehnten aktiv in der Solidaritätsarbeit mit Vietnam und Autorin des kürzlich erschienenen Buchs «Begegnungen – Geschichten in der Geschichte Vietnams.»

lmt. Das Buch «Begegnungen – Geschichten in der Geschichte Vietnams» der Autorin Anjuska Weil gibt einen so noch nie festgehaltenen Einblick in die Geschichte des Landes. Ganz unterschiedliche Menschen erzählen ihre Lebensgeschichte und decken dabei Aspekte auf, die nicht in den Geschichtsbüchern zu finden sind. Ein Gespräch mit der Autorin.

«Begegnungen mit alten Menschen in Vietnam sind etwas Besonderes, immer auch ein Stück Geschichte, gelebte, persönliche Geschichte, welche sich in die grosse Geschichte des Landes einfügt», ist auf der ersten Seite zu lesen. Und genau so ist das Buch aufgebaut. 17 unterschiedliche Menschen erzählen über eine Zeit Vietnams, die geprägt war von Kriegen. Ihre Gefühle verpacken sie dabei in Gedichte, ein Brauch des Landes, der bis heute weitergeben und gelehrt wird. Der vorwärts sprach mit der Autorin des Buches Anjuska Weil.

Wie kamst du auf die Idee, dieses Buch zu schreiben?
Das ist eine alte Geschichte. Ich fing vor rund zehn Jahren damit an. Anfangs war es noch nicht klar, dass irgendwann daraus ein Buch entstehen würde. Ursprünglich wollte ich Geschichten von Menschen aufnehmen, die ich kannte. Die erste Geschichte war jene, des Mathematikprofessor und guten Freund von uns. Zum Glück habe ich damals seine Geschichte aufgenommen, denn heute wäre er nicht mehr in der Lage dazu. Ich fing also an, die Geschichten festzuhalten und irgendwann kam die Idee auf, die eine oder andere Geschichte im Hoa Binh, das ist die Publikation der Vereinigung Schweiz-Vietnam, zu veröffentlichen. So nahm das seinen Lauf und eine Reihe von Geschichten entstand. Es wurde immer klarer, dass diese Reihe an Geschichten zu einem Buch werden wird. Die Idee bestand daher nicht von Beginn weg, sondern sie entwickelte sich mit der Zeit.

Hat es eine Geschichte, die dich besonders gerührt hat oder am Herzen liegt
Nicht eine einzelne Geschichte, sondern es ist die Kombination der Lebensgeschichten und Gedichten. Viele Gedichte, die nicht in einem Text verankert sind, stammen von einem Cyclo-Fahrer. Aber eben wie schon gesagt, ich könnte nicht eine Geschichte herauspicken. Ihre Gesamtheit macht es aus. Ich habe mich darum bemüht, dass die Geschichten verschieden sind. Es sind Menschen mit verschiedenen Lebenssituationen, die alle auf ihre eigene Weise jene Zeit erlebt haben. Natürlich gibt es hin und wieder Überschneidungen, weil alles im gleichen Land und im gleichen Zeitraum passiert ist. Aber sie haben sich alle unterschiedlich stark und in verschiedenen Bereichen engagiert. Es hat zum Beispiel eine katholische Nonne und es hat auch eine buddhistische Nonne. Dass auch solche Geschichten ihren Platz finden, war mir wichtig.

Es war dir also wichtig, dass ganz verschiedene Menschen vorkommen?
Richtig. Auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Es hat eine Geschichte, die fast eine Doppelgeschichte ist, über eine Frau, welche eine Alphabetisierungskampagne gestartet hatte. Sie erzählte aber auch von ihrem Vater. Er stammte aus dem Hochadel und schloss sich der Revolution an. Es gibt eine Passage in der Erzählung, wo ihn eine Bäuerin mit «endlich Bruder!» und nicht als «Herr» anspricht. Solche Geschichten wollte ich eben auch sichtbar machen.

Du hast es zwar schon angeschnitten, aber trotzdem die Frage: Was sind das für Menschen, die in deinem Buch vorkommen und ihre Geschichten erzählen?
Wie bereits erwähnt: Es sind unterschiedliche Menschen. Menschen, welche ihren Beitrag auf verschiedene Art geleistet haben in einer schwierigen Zeit. Als Erstes war da, was sie «französischer Krieg» nennen. Also der Kolonialkrieg, in dem Frankreich die Unabhängigkeit von Vietnam nicht anerkennen wollte. Danach kam der USA-Krieg. Es gibt Menschen, die haben beide Kriege erlebt. Es hat aber auch etwas jüngere Menschen, die den Kolonialkrieg nicht erlebt haben oder sie waren zu dieser Zeit Kinder. Es handelt sich um eine Zeit, welche vom Kriege geprägt war. Nach dem Sieg gegen die USA wurde unmittelbar ein Embargo gegen Vietnam verhängt und die westlichen Länder haben da mitgemacht. Das war für die Menschen in Vietnam sehr hart. Ihr Land wurde zuerst zerstört und danach auch noch unter Embargo gestellt. Die Nachkriegsjahre waren eine sehr schwierige Zeit. Das kommt teilweise auch zum Ausdruck in den Geschichten. 

Wenn du die Menschen in Alter einordnen würdest, sind es eher ältere Menschen?
Ja, genau. Um die ganze Zeit miterlebt zu haben, muss man doch ein gewisses Alter haben. Die Altersspanne reicht von 60 bis 80 Jahre, dies zum Zeitpunkt, als ich die Interviews führte. Es leben inzwischen nicht mehr alle.

Was machen die Geschichten so besonders?
Sie geben einen Einblick, den man in den Geschichtsbüchern nicht finden kann. Es sind «Sondierbohrungen», die in die Tiefe gehen und ganz konkret aufzeigen, wie die Zeit damals war und erlebt wurde. Eine Geschichte zum Beispiel berichtet darüber, dass Frankreich sogenannte vietnamesische Kontraktarbeiter nach Neukaledonien verfrachtete, damit diese dort in den Bergwerken schuften mussten. Ich meine, wer weiss schon so was? Und in meinem Buch gibt es eine Frau, die in Neukaledonien aufgewachsen ist, wobei ihr Vater genau auf diese Weise dorthin kam. Sie war dann eine von den Letzten, die nach Vietnam zurückging. Denn sie trat einer Jugendbewegung bei, die sich dafür einsetzte, dass alle, die möchten, zurückkehren konnten. Es kommen Ereignisse aus der Geschichte hervor, die nicht allgemein bekannt sind. Mein Buch gibt Einblicke in persönliche Lebensgeschichten, deckt aber auch Sachen auf, die einer grossen Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Die Abmachung mit den Interviewten war, dass sie nur das erzählen, was sie wollen und ich auch nicht weiter nachhake. Das führt dazu, dass gewisse Geschichten nicht sehr viele Gefühle aufweisen. Aber ich muss dazu sagen, dass die Menschen ihre Gefühle immer wieder in Gedichten ausdrücken. Es ist in Vietnam üblich, dass Gefühle in Gedichte verpackt werden.

Was wolltest du mit dem Buch festhalten und dementsprechend auch bewirken?
Ich wollte die Erinnerung an diese Menschen festhalten. Aber zur gleichen Zeit wollte ich auch einen Einblick in die Geschichte des Landes geben. Mein Buch hält auch keine Biografie von einem berühmten Menschen fest, dies wollte ich bewusst nicht. Denn das gibt es schon. Es sind vor allem «Alltagsmenschen».

Bestellungen bei info@vsv-asv.ch oder direkt bei der Autorin: a.weil@sunrise.ch

Buch gebunden, 200 Seiten, ISBN 978-3-033-09524-3,Preis: CHF 28.- 

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