Die Kälber wählen ihren Metzger

Nationalratssaal

sit. Es kam so, wie es angekündigt worden war: Die rassistische Hetzkampagne der SVP trug ihre Früchte, sie ist weiterhin die stärkste Partei im Land. Die radikale Linke verliert. Was tun?

Die Würfel sind gefallen, zugunsten der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Mit ihrem Schlachtruf «Nein zur 10-Millionen-Schweiz» erreichte sie 27,9 Prozent der Stimmen und hat neu 62 Sitze im Nationalrat.
«Die Kampagnensujets sind nicht nur rassistisch und fremdenfeindlich, sondern sie sind hetzerisch und schüren bewusst negative Emotionen», schreibt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) in einem Schreiben an die SVP vom 25.September. Die Kampagne verzerre die Realität und ziele darauf ab, «Angst und Ablehnung gegenüber ausländischen Personen zu erzeugen», hält das EKR fest. Wie wahr – aber diese Hetz-kampagne ist der Grund des SVP-Wahlsiegs. Die Partei schaffte es so, ihre Basis bestens zu mobilisieren. Mehr noch: Die Wahlstatistiken zeigen, dass dort, wo die Wahlbeteiligung am höchsten war, die SVP stark zugelegte. Sie konnte Neuwähler:innen hinzugewinnen und Menschen zum Wählen bewegen, die sonst nicht oder selten gewählt haben. Und sie gewann dort hinzu, wo sie bisher weniger erfolgreich war: in der Westschweiz und im Kanton Tessin.

Das Schweigen hat Gründe
Die SVP gewann die Wahlen mit der einfachen Botschaft, dass die Ausländer:innen an allem schuld sind. Denn charismatische Köpfe, wie es einst der Haudegen Christoph Blocher war, fehlen der «Sünneli-Partei». Ihr Parteipräsident Marco Chiesa ist eine blasse Figur und hat im ersten Wahlgang im Tessin die Wahl in den Ständerat noch nicht geschafft. Zu den Themen, welche vielen Menschen derzeit Kopfzerbrechen bereiten, schweigt die Partei beharrlich. So schreibt auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ): «Zur Gesundheitspolitik und zu den Krankenkassenprämien – die derzeit grösste Sorge der Bevölkerung – hat die grösste Partei des Landes so gut wie nichts zu sagen.»
Das Schweigen der SVP zu diesen wichtigen Themen hat seine triftigen Gründe, denn sie ist für die ständigen Verschlechterungen der Lebensbedingungen breiter Teile der Bevölkerung mitverantwortlich. Die Partei torpediert in den Parlamenten jeden Versuch, die Erhöhungen der Krankenkassenprämien zu stoppen oder zu lindern. Und auch in Sachen Mietrecht trägt sie jede Verschlechterung für die Mieter:innen mit. Aktuelles Beispiel dazu sind die zwei Vorlagen, die den Kündigungsschutz massiv aufweichen wollen und mit den Stimmen der SVP im Parlament verabschiedet worden sind. Der Schweizerische Miter:innenverband (MV) hat dagegen das Referendum ergriffen. So lässt sich unter dem Strich, frei nach Bertolt Brecht, Folgendes festhalten: Die Kälber haben ihren Metzger selbst gewählt, weil er ihnen versprach, die 10-Millionen-Schweiz zu verhindern.

Radikale Linke nicht mehr vertreten
Der Wahlsieg der Rechtspartei wurde seit Monaten vorausgesagt. Dies hatte wohl auch einen Einfluss auf die linke Wählerschaft. Im Kanton Neuenburg verlor die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) ihren einzigen Sitz im Nationalrat von Denis de la Reussille. Die Partei erreichte zwar 11,7 Prozent der Stimmen, verlor jedoch im Verglich zu vor vier Jahren 2,7 Prozent – die SP legte um
5,9 Prozent zu. Ihre Zunahme entspricht ziemlich genau den kumulierten Verlusten der PdA und der Grünen (minus 4,3 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kanton Zürich, in dem die SP mit einem Zuwachs von 3,8 Prozentpunkten zu den Siegerinnen gehört. Dies sicher auf Kosten der Grünen (minus 4,2 Prozent), aber auch auf jene der Alternativen Liste (AL). Die AL verlor im Vergleich zu 2019 rund 2700 Wähler:innen und fiel von 1,67 auf 0.97 Prozent. Wenig nützlich und tröstlich ist in dieser Hinsicht, dass die PdA Zürich die Zahl ihrer Wähler:innen etwas erhöhen konnte und bei den Ständeratswahlen mit den Genossinnen Rita Maiorano und Sevin Satan ein sehr gutes Ergebnis erzielt hat (siehe dazu Seite 5). Ganz bitter erging es der radikalen Linke im Kanton Genf. Das Bündnis «Ensemble à Gauche» (EAG), bestehend aus der PdA und Solidarités, schaffte 2,5 Prozent, ganze 4,9 Prozentpunkte weniger als 2019, und verlor so den Nationalratssitz. Hauptgrund dafür war die Abspaltung eines Teils von Solidarités.
Die radikale Linke ist somit im Nationalrat nicht mehr vertreten. Zwei Schlüsse lassen sich daraus ziehen: Trotz steigenden Mieten, Krankenkassenprämien und anderen Lebenskosten schaffte es die Linke links der SP nicht, mit ihren Vorschlägen und Forderungen die Wähler:innen zu überzeugen, geschweige denn, neue zu gewinnen. Und zweitens traute die linke Wähler:innenschaft es offensichtlich nur der SP zu, dem angekündigten und dann einge-troffenen Rechtsrutsch etwas entgegenzusetzen.

Und jetzt?
Wie weiter für die radikale Linke in der Eidgenossenschaft? Zwar stimmt es, dass das Grundübel das kapitalistische Wirtschaftssystem ist. So sind horrende Krankenkassenprämien, steigende Mieten, Abbau im Sozialbereich, bei der Bildung und im Gesundheitswesen, Einschränkung der demokratischen Rechte, Ausbau des Kontrollstaats, Umweltzerstörung und Rassismus direkte Folgen des ausbeuterischen, kapitalistischen Systems. Es reicht aber bei Weiten nicht, dies gebetsmühlenartig zu wiederholen.
Es braucht Kämpfe, welche die Lebensqualität der Menschen verbessern. Zum Beispiel? Für die 35-Stunden-Woche, für staatlich kontrollierten Mieten, für ein Gesundheitssystem, welches den Menschen und nicht den Profit ins Zentrum stellt. Und diese Kämpfe müssen das erklärte Ziel haben, das aktuelle System zu überwinden und nicht zu reformieren, denn letzteres ist zum Scheitern verurteilt – so viel sollten wir in der Zwischenzeit gelernt haben. Alles nichts Neues? Stimmt. Doch wer einen anderen Lösungsvorschlag hat, soll die Hand erheben und sich bitte melden.

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