Die Bankenkrise ist nicht vorbei

Aktie aus dem Jahr 1898 der Schweizerischen Kreditanstalt, die Vorgängerin der CS, die nun auch Geschichte ist. Bild: wikipedia.

dom. Beim Niedergang der Credit Suisse handelt es sich um keinen Einzelfall. Die hinausgeschobene Krise holt uns ein – und ein Ende ist nicht in Sicht. Doch sind deshalb die lauter werdenden Rufe nach einer stärkeren Regulierung des Finanzsektors zu unterstützen?

Wir erinnern uns: 2008 erreichte die globale Finanzkrise ihren Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der Lehmann Brothers, der damals viertgrössten Investmentbank der Welt. Die Regierungen griffen ein und mobilisierten beispiellose Summen, um ihre Finanzkonzerne vor dem Untergang zu retten.

Öffentliche Haushalte übernahmen die gewaltigen Verluste der Banken, die Lasten der ausgelösten Krise wurden den Lohnabhängigen aufgebürdet. In einem völlig ausser Kontrolle geratenen Finanzsektor hatten sich einige wenige während vieler Jahre bereichert – und nun sollte ihnen beigestanden werden? Da wurden gar aus den bürgerlichen Reihen Stimmen laut, die eine stärkere Regulierung des Bankensektors forderten. Aber freilich handelte es sich dabei nur um Lippenbekenntnisse. Ein Protokoll aus dem Nationalrat zeigt: Als 2018 die Boni bei den «systemrelevanten» Banken hätten gestoppt werden sollen, stimmten nur die sozialdemokratische und die grüne Fraktion zu – alle übrigen Fraktionen hatten das Anliegen geschlossen abgelehnt.

Schon wieder Bankenkrise?
Nur 15 Jahre später stehen wir vor der nächsten Finanz- und Bankenkrise. Die US-amerikanische Silicon Valley Bank (SVB), die Anfang März in Konkurs ging, wurde von den US-Behörden übernommen, ebenso wie die Kryptowährungsbank Signature. Die First Republic Bank hat zwar von einer Reihe grosser Banken Liquidität erhalten, steht aber immer noch am Rande des Abgrunds. Und in Europa wurde derweil eine der grössten und ältesten Banken nach 167 Jahren aufgelöst. Die rivalisierende UBS hat die Credit Suisse (CS) für läppische drei Milliarden Franken geschluckt.
Der von den Schweizer Behörden erzwungene Deal hat für einen kurzen Moment das Schlimmste verhindert – aber diese Notfallmassnahmen werden kaum ausreichen, den Finanzsektor zu stabilisieren. Ökonom Michael Roberts findet bildhafte Worte für das Vorgehen, bei dem die CS für einen Fünftel ihres aktuellen Marktwerts verscherbelt wird. Es handle sich um die «Markt-Lösung, bei der die grossen Aasgeier das tote Aas ausschlachten.» Zusätzlich stellt die Schweizerische Nationalbank (SNB) gewaltige Summen an Liquidität zur Verfügung, um den Abzug von Einlagen zu decken, «um der UBS ein Bonbon zu geben, während Tausende von Bankangestellten mit geringem Einkommen ihren Arbeitsplatz verlieren werden.» 

Was geschah mit der Credit Suisse?
Aber was ist da eigentlich geschehen mit «unserer» zweitgrössten Bank? Plötzlich ging alles sehr schnell: Der Aktienkurs der CS rauschte in die Tiefe, nachdem zahlreiche Kund:innen ihre Gelder abgezogen hatten und ihr von ihrem Hauptaktionär, der halbstaatlichen Saudi National Bank, die Gewährung frischen Kapitals versagt wurde. Die SNB reagierte sofort und sprach 50 Milliarden Franken zur Unterstützung der CS – doch es war bereits zu spät. Das Vertrauen war weg, die Abwärtsspirale im Gang, die CS-Aktie notierte noch bei einigen wenigen Rappen.
Doch die CS taumelte schon länger. Nachdem das Schweizer Bankgeheimnis als Geschäftsmodell unter Druck geraten war, bekunden die beiden Schweizer Grossbanken Mühe, in gleichem Masse wie zuvor Kapital anzuziehen. Die einzigartige Stellung des Schweizer Finanzplatzes erodiert und der CS misslang die Umstellung auf ein neues Geschäftsmodell.
Es folgten Skandale, Stellenkürzungen, Riesenverluste – der Abwärtstrend wollte nicht enden. Dem versuchte die CS zu begegnen, indem sie sich auf ebenso riskantes wie lukratives Investment-Banking fokussierte. Der Plan ging nicht auf. Die Zeitung Neues Deutschland berichtet: «Die verlustgeplagte, skandalbelastete Bank dampft nun ihre spekulativen Investments auf eigene Rechnung ein und setzt verstärkt auf die provisionsträchtige und risikoarme Vermögensverwaltung für Konzerne und Reiche».

Der Ruf nach mehr Regulierung
Doch zu spät, die CS ist Geschichte. Nun ertönt wieder allenthalben der Ruf nach mehr Regulierung. Lautstark verlangt etwa die SP eine parlamentarische Untersuchungskommission. Ausserdem brauche es «nun endlich griffige Regulierungen im Bankensektor.» Fast dieselben Worte sind aus der Mitte zu vernehmen: Es sei «stossend, dass die Schweizer Bürgerinnen und Bürger erneut mit den Konsequenzen eines solchen Missmanagements konfrontiert sind.» Die Grünen und die Grünliberalen gehen mit, geben sich empört, wollen Köpfe rollen sehen, wollen regulieren.
Und die Parteien, die das Finanzkapital vertreten? Die FDP teilt die Kritik an der Führung der CS, wenn auch verhalten. Das Management der CS habe «seit der Finanzkrise 2008 seine Hausaufgaben nicht gemacht.» Nun gelte es, «das Vertrauen wieder herzustellen.» Eine Überarbeitung der Finanzmarktregulierung könne zwar geprüft werden, ist aber für die FDP kaum prioritär. Sie verlangt stattdessen, «dass der Bund die Voraussetzungen dafür schafft, die schweizerische Kernbank der Credit Suisse eigenständig weiterzuführen» und beabsichtigt einen entsprechenden Vorstoss einreichen.
Eigene Wege geht mal wieder die SVP. Dort sind Regulierungen gänzlich unerwünscht, im Gegenteil: Die SVP sieht die bestehenden, angeblich massiven Überregulierungen des Finanzsektors als Wurzel der heutigen Probleme. So meinte etwa Bankier und SVP-Nationalrat Thomas Matter in der Arena des SRF, der am stärksten regulierte Markt sei der amerikanische – und doch würden die Krisen jeweils dort ihren Anfang nehmen. Neben so viel Schwachsinn war es dann wohltuend, auch mal was Richtiges zu hören – zwar nicht von Thomas selbst, aber vom Herrn zu seiner Linken: Dort stand der ehemalige Chefökonom der UBS, Klaus Wellershoff und stellte fest: «Bankenkrisen sind nichts, was man wegregulieren kann.»

Kapital in der Krise
Kann man tatsächlich nicht. Erstens scheitern Regulierungsversuche an internationalen Interessengegensätzen und dem Unwillen der Politik, die durch Lobbyarbeit und personelle Verknüpfungen zum Finanzkapital schärfere Regelwerke für die Finanzinstitute ausbremsen. Zweitens wären diese, selbst wenn sie eingeführt würden, gegen die krisenhaften Entwicklungen des globalen Kapitals wirkungslos. Eine erhöhte Eigenkapitalquote oder Begrenzungen bei Boni-Auszahlungen könnten zwar, wenn sie global durchgesetzt würden, Banken krisenfester machen – die tieferliegenden Ursachen der Krise blieben aber unberührt.
Wir befinden uns seit Jahrzehnten in einer für den Kapitalismus typischen Überproduktionskrise, die sich vielfach ausdrückt: fallende Profitraten, schwache Investitionstätigkeit, steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Armut, ein trotz massiver staatlicher Stützung schwächelnder Finanzsektor und eine zunehmende Ratlosigkeit der Regierungen. Anders gesagt: Die Lohnabhängigen kaufen nicht, weil ihnen das Geld fehlt. Die Unternehmen investieren nicht, weil die Absatzmärkte fehlen. Die Banken geben keinen Kredit, weil sie angesichts düsterer Konjunkturprognosen um die Rückzahlung fürchten.

Ein aufgeblähter Finanzsektor
Das ist Resultat der Widersprüche, die in der neoliberalen Antwort auf die Krise der 1970er-Jahre bereits angelegt waren. Diese zielte auf eine Erhöhung der Kapitalrendite bei systematischer Schwächung der Gewerkschaften und Bekämpfung der Interessen der Lohnabhängigen. Über den Abbau sämtlicher Schranken für den Kapitalverkehr wurden stärkere Kapitale weiter gestärkt und Monopolisierungen vorangetrieben. Und: In den Zentren wurde ein rasant wachsender, überdimensionierter Finanzsektor geschaffen.
Der Finanzsektor wächst und wächst, weil das angehäufte Kapital in der «Realwirtschaft» keine profitablen Anlagemöglichkeiten findet und somit in spekulativere Geschäfte fliesst. Deshalb ist die «Realwirtschaft» in der Phase des Neoliberalismus auch kaum gewachsen – ganz im Gegensatz zum Finanzsektor, wo schnelle Gewinne winken – aber auch grosse Verluste drohen.

Eine Spekulationsblase jagt die nächste
Eine ganze Weile konnten so die krisenhaften Tendenzen überspielt werden. Ökonom Lucas Zeise beschreibt in seiner Arbeit «Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus» wie es geht: «Die Spekulation suggeriert steigende Gewinne in der Zukunft. Die Investitionen steigen. Sie schaffen zusätzliche Nachfrage und fördern damit den Aufschwung (…) Die immer reicher werdenden Spekulanten fragen mehr Luxusgüter nach, sie bauen sich Häuser und Paläste und richten sie ein (…) Wenn die Spekulationsblase geplatzt ist, schrumpft diese Nachfrage umgekehrt drastisch.»
Staatsschuldenkrise Lateinamerikas 1982; 1989 das fatale Ende der Spekulation um japanische Aktien und Immobilien; 1997 Zusammenbruch der Spekulation auf die boomenden Ökonomien der asiatischen Tigerstaaten; das Platzen der Dotcom-Blase kurz nach der Jahrhundertwende und schliesslich die Subprime-Krise 2007/8 – immer handelte es sich um den Zusammenbruch grosser Spekulationswellen, die während kurzer Zeit Stagnation und Überakkumulation überspielen. 

Der Staat als Retter
Was auf die verheerende Krise von 2007/8 folgte, waren die bis dahin beispiellosen staatlichen Unterstützungsmassnahmen, die aus kapitalistischer Sicht absolut notwendig waren. Too big to fail eben. Die staatlichen Interventionen gingen aber über eine blosse Rettung hinaus: Extrem tiefe Leitzinsen, Ausweitung der staatlichen Kreditaufnahme und Übernahme von Schuldpapieren durch die Notenbanken. So wurde der Bankenapparat bald zum Profiteur der Finanzkrise, die er selbst ausgelöst hatte. Damit wurde auch verhindert, was Krisen im Kapitalismus eigentlich tun: nämlich die Situation bereinigen. Hätte die Krise ihren «normalen» Verlauf genommen, wäre ein erheblicher Teil des Geldkapitals vernichtet worden. Lucas Zeise hält fest: «Zwar wurden in den USA vor allem eine Reihe von kleineren Banken geordnet in den Konkurs entlassen. Die grossen und mittleren Banken aber wurden entweder gestützt oder von Konkurrenten übernommen.»

Wie geht’s weiter?
Das ist heute nicht anders: Gemäss Zahlen der US-amerikanischen Zentralbank Fed haben die grossen US-Banken in den letzten drei Wochen um 67 Milliarden Dollar zugelegt, während die kleinen Banken 120 Milliarden Dollar verloren haben.
Die Regierungen und Zentralbanken befinden sich in der Zwickmühle: Mit ihrer jahrelangen Tiefzinspolitik haben sie die Krise hinausgeschoben – und werden jetzt von ihr eingeholt. Angesichts rasanter Inflation zur Zinswende gezwungen, stürzen sie kleinere Banken in den Konkurs und müssen mittlere wie grössere Banken retten.
Aber es ist zwecklos: Die Finanzinstitute stehen heute wie damals vor demselben Problem: Aufgrund der Überproduktionskrise bleiben die Investitionsmöglichkeiten, im Vergleich zur Menge an anzulegendem Geld, gering. Der Finanzboom der vergangenen Jahre basierte komplett auf staatlicher Unterstützung, während ein Konjunkturaufschwung bis heute nicht in Sicht ist – im Gegenteil.
Diesem Irrsinn kann mit Regulierungen kein Ende bereitet werden. Ob sich diese Erkenntnis bald durchsetzt? Eine neue Befragung des Instituts GfS spendet etwas Hoffnung: Rund 90 Prozent der Befragten gaben an, es müsse aufhören, «dass Gewinne privat bleiben und Risiken verstaatlicht werden.»

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zur Sicherheit untenstehende Aufgabe lösen * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.