Der lange Kampf um die Volkspension

 Abstimmungsplakat der PdA für die Volkspension im Jahr 1972. Bild: Archiv PdAS

Thomas Peter. Seit dem Generalstreik 1918 sind die Renten ein heiss diskutiertes Thema in der Politik und in der Gesellschaft. Während sich die AHV in all den Jahren seit ihrer Einführung als stabiles, soziales Werk bewiesen hat, sind die Mängel und Schwächen der Pensionskassen allen deutlich vor Augen. So schlägt die Partei der Arbeit der Schweiz vor, den obligatorischen Teil des BVG schrittweise in die AHV zu überführen.

Schon seit Jahrzehnten prophezeien die Mainstream-Medien, in der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung, der sogenannten 1.Säule der schweizerischen Altersvorsorge, stehe eine Krise bevor. Dies weil die wachsende Zahl von Rentenbeziehenden das Sozialwerk zunehmend unfinanzierbar mache. Die Krise ist bisher nie eingetreten. Weshalb?
Die AHV beruht auf dem Umlageverfahren, bei dem die laufenden Einnahmen von der Erwerbsbevölkerung die laufenden Auszahlungen an die Rentner*innen finanzieren. Dank diesem Verfahren hat sich die AHV in den siebzig Jahren ihres Bestehens durch eine grosse Stabilität ausgezeichnet, ungeachtet aller wirtschaftlichen und konjunkturellen Schwankungen. Die Kosten der AHV sind im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt seit 40 Jahren in etwa gleichgeblieben, obwohl sich die Zahl der Rentner*innen im selben Zeitraum verdoppelt hat. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich die Produktivität der Arbeitenden mit der technologischen Entwicklung kontinuierlich steigerte – ein Faktor, der von der bürgerlichen Politik stets verschwiegen wird.

Böses Erwachen
Kritischer zu beurteilen, ist die Situation bei der beruflichen Altersvorsorge, der sogenannten 2.Säule (BVG). Sie wurde 1985 gesetzlich verankert und funktioniert nach dem Kapitaldeckungsverfahren. Die Versicherten sparen hier im Verlauf ihres Arbeitslebens ihr individuelles Alterskapital an, das von einer Vielzahl von Pensionskassen, Sammeleinrichtungen und Versicherungen verwaltet wird. Die Gelder (im Jahr 2018 waren es insgesamt 900 Milliarden Franken!) werden auf den Kapital- und Immobilienmärkten angelegt, womit sie auch von allen Schwankungen und Spekulationstendenzen dieser Märkte abhängig sind.
In den 1980er-Jahren liessen sich noch gute Renditen erzielen und es konnte die Illusion entstehen, die Alterskapitalien würden sich wundersamer Weise ganz von allein vermehren. Bei der Finanzmarktkrise von 2008 gab es ein böses Erwachen, als viele Pensionskassen plötzlich in Unterdeckung gerieten. Die Renditen auf den Kapitalmärkten sind seither geschrumpft, was zu den fortwährenden politischen Bestrebungen führt, den Umwandlungssatz zu senken. Damit würden die Werktätigen bei den BVG-Renten, die sie für ihre Einzahlungen erhalten, eine empfindliche Einbusse erfahren. Gleichzeitig verrechnen die privaten Versicherungsgesellschaften hohe Verwaltungskosten und machen nach wie vor grosse Profite im Geschäft mit der 2.Säule.
Während das Umlageverfahren der AHV eine solidarische Umverteilung bewirkt (die Lohnbeiträge sind gegen oben nicht begrenzt, wohl aber die maximalen Altersrenten), verschärft die 2.Säule die schon bestehenden sozialen Ungleichheiten. Leidtragende sind Arbeitende mit geringem Einkommen, die keine oder nur eine geringe Altersrente ansparen können. Es trifft vor allem Frauen*, die wegen der Ungleichheit im Arbeitsleben und bei den Löhnen, dem grösseren Anteil an Teilzeitbeschäftigung und der unbezahlten Erziehungs- und Care-Arbeit deutlich tiefere Renten in der 2.Säule erzielen.

Mit dem «3-Säulen-Modell» gegen die Volkspension
Die Idee einer universellen Altersrente war eine der Hauptforderungen im schweizerischen Landesstreik von 1918 und wurde 1925 in der Bundesverfassung verankert. Allerdings scheiterte das Ausführungsgesetz 1931 in einer Referendumsabstimmung. Erst im veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnis gegen Ende des 2.Weltkriegs legte die Landesregierung ein neues AHV-Gesetz vor, welches 1947 in der Volksabstimmung angenommen wurde. Die damaligen Renten wurden aber so tief angesetzt (zehn bis 15 Prozent der durchschnittlichen Löhne), dass der Abschluss einer Zusatzversicherung notwendig blieb.
Darauf reagierte die Partei der Arbeit Schweiz (PdAS) in den 1960er-Jahren mit einer Volksinitiative, welche die AHV zu einer einheitlichen staatlichen Volkspension ausbauen wollte. Die Initiative wurde von Seiten der privaten Versicherungsgesellschaften und Banken, den bürgerlichen Parteien und Verbänden, aber auch von der SP Schweiz und den meisten Gewerkschaften heftig bekämpft. Das Versprechen der Regierung, mit dem «3-Säulen-System» die berufliche Vorsorge obligatorisch zu machen und den Arbeitnehmer*Innen bei der Verwaltung der Pensionskassen paritätische Mitsprache zu gewähren, trug wesentlich dazu bei, dass die Initiative 1972 abgelehnt wurde.
Die gewerkschaftlichen Hoffnungen bezüglich der paritätischen Lenkung der Pensionskassen stiessen in der Realität bald an ihre Grenzen, schreibt Prof. Matthieu Leimgruber, heute an der Universität Zürich dozierend, in seiner Arbeit «Die Drei-Säulen-Doktrin: Zwischen der Eindämmung der sozialen Sicherheit und der Finanzialisierung der Renten (1972-2010)». Ein entscheidender Aspekt des «3-Säulen-Systems» bestehe darin, den Wirkungsgrad des Umlageverfahrens einzudämmen und gleichzeitig die von privaten Finanzakteuren angebotenen Versicherungslösungen nach dem Kapitaldeckungsverfahren zu fördern. Er meint damit vor allem die 2.Säule. Denn die 3.Säule, heisst das individuelle Vorsorgesparen bei einer Bank oder Versicherung, spielt nur eine geringe Rolle in der schweizerischen Altersvorsorge. Sie gestattet jedoch Abzüge bei den Steuern und hat laut Leimgruber auch eine «pädagogische» Funktion.
Auch der Historiker Hans-Ulrich Jost findet im Dossier «Der grosse 3-Säulen-Coup» der Gewerkschaftszeitung work aus dem Jahr 2013 klare Worte. Er spricht von «einem der genialsten kapitalistischen Schachzüge» und vom «Sündenfall in der Geschichte der Altersvorsorge». Bis heute gilt die 2.Säule des Schweizer Vorsorgesystems als Vorbild neoliberaler Rentenreformen. Als bekannteste Beispiele seien hier Chile nach Pinochets Putsch, Brasilien nach Bolsonaros Machtantritt und Macrons Versuch einer Rentenreform in Frankreich genannt.

Ein neuer Anlauf
Nachdem in den letzten Jahrzehnten die Mängel des «3-Säulen-Systems» immer offensichtlicher geworden sind, beschloss die Partei der Arbeit Schweiz (PdAS) an ihrem Kongress 2014 in Lausanne, den Kampf um die Volkspension neu aufzunehmen. Eine eingesetzte Arbeitsgruppe inspirierte sich an einem Modell von Denknetz Schweiz: Nach diesem Reformvorschlag würden im Bereich des BVG-Obligatoriums die Einzahlungen in die Pensionskassen gestoppt und gleichzeitig die Lohnbeiträge an die AHV entsprechend erhöht. Auf diese Weise würde die AHV sukzessive ausgebaut, damit sie nach der Pensionierung tatsächlich existenzsichernde Renten garantieren könnte. Die Pensionskassen würden nicht aufgelöst, sondern würden die schon eingezahlten Alterskapitalien weiter verwalten, um den Versicherten nach deren Pensionierung eine Rente (bzw. Kapitalleistung) nach altem Recht auszurichten. Diese längerfristige Umstellung auf das Umlageverfahren scheint politisch mehrheitsfähig, weil sie den Besitzstand der Versicherten in der 2.Säule gewährleistet.
Eine Schwäche hat der Modellvorschlag dennoch: Die kurz vor der Pensionierung Stehenden oder schon Pensionierten würden von der Reform kaum (bzw. gar nicht) berührt, weil sie nur wenige (bzw. keine) Beiträge in die neuausgebaute AHV geleistet hätten. So würde die finanziell prekäre Situation vieler Menschen im Alter noch auf längere Sicht nicht verbessert. Die PdAS verlangt deshalb, dass alle Pensionierten fünf Jahre nach Einführung der Reform einen Rentenanspruch haben, welcher der künftigen AHV-Minimalrente von 4000 Franken entspricht.

Realistischer Weg
Ende 2017 stellte die PdAS ihren Vorschlag öffentlich vor. Aufgrund der eingegangenen Reaktionen wurde das Initiativprojekt in der Folge weiterentwickelt und um folgende Elemente ergänzt: Erziehungs- und Betreuungsgutschriften, die für die Berechnung der Rente im neuen System berücksichtigt werden müssen, werden explizit erwähnt. Das Rentenalter von Frauen und Männern darf höchstens den heutigen Stand (64/65) erreichen. Schliesslich soll der Übergang zum neuen System nach zwanzig Jahren vollendet sein. Allfällig noch in den Pensionkassen verbleibende Altersguthaben aus dem BVG-Obligatorium würden danach in den Reservefonds der AHV überführt.
Als Ergebnis liegt heute ein zukunftsgerichtetes Projekt eines Rentensystems vor, das die PdAS interessierten Organisationen und Einzelpersonen zur gemeinsamen Diskussion und Umsetzung vorschlägt. Das Vorhaben, das durch eine Volksinitiative in Angriff genommen werden kann, ja gar sollte, weist einen realistischen Weg, um das überholte «3-Säulen-System» zu überwinden und in Zukunft für die gesamte Bevölkerung sichere, ausreichende und solidarische Altersrenten zu garantieren, die nach der Pensionierung ein Leben in Würde ermöglichen.

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