«Das lasse ich mir nicht mehr bieten!»

Marius Käch. Ein Pflegefachmann aus dem Kanton Zürich berichtet dem vorwärts über die katastrophalen Arbeitsbedin-ungen in seinem Betrieb, die gegen das Arbeitsgesetz und die Pandemieverordnungen verstossen. Mit Unterstützung der Gewerkschaft Unia soll der Fall vors Arbeitsgericht gebracht werden.

«Ich habe schon viel erlebt, aber das lasse ich mir nicht mehr bieten. Der Betrieb spielt mit der Gesundheit der Angestellten und Patient*innen.» Für den 57-jährigen Pflegefachmann Jürgen (Name geändert) aus Zürich sind die Arbeitsbedingungen untragbar und er wandte sich an seine Kolleginnen und Kollegen einer Pflegegruppe der Gewerkschaft Unia. In seinem Betrieb werden nicht zertifizierte Hygienemasken mit dem grossen Aufdruck auf der Packung: «Non Medical» an Patient*innen verteilt. Für den Schutz vor Corona nützen diese aber nichts. Ein Entscheid, der das Leben der Patient*innen und Angestellten riskiert.

Sparen bei den Masken
Dank der Hilfe einer in der Unia organisierten Pflegefachfrau und aktiven Genossin der Partei der Arbeit konnte der vorwärts mit Jürgen Kontakt aufnehmen. Ein gemeinsames Treffen zu organisieren, war aber kein einfaches Unterfangen. Dies liegt aber nicht an Jürgen, sondern an den Schichtdiensten und der chronischen Überlastung des Personals in seinem Betrieb. Umstände, die für ihn auch seinen privaten Alltag immer wieder vor eine Zerreisprobe stellen. Die Geschichte mit den Hygienemasken ist nur die Spitze des Eisberges. Dieser geht bis in die Tiefen der unmenschlichen, respektlosen Behandlung der Angestellten und mehrfachen Bruchs des Arbeitsgesetztes sowie der Pandemieverordnungen. Alles für den Profit auf Kosten der Gesundheit der Arbeiter*innen und Patient*innen versteht sich. Doch nun der Reihe nach.
Jürgen arbeitet als Nachtwache in einer Psychiatrie im Kanton Zürich. Seine Aufgabe ist es, während der Schicht die Patient*innen in der Nacht zu betreuen. Da die die meisten dann schlafen, bedeutet das für Jürgen, dass er für mehrere Stationen gleichzeitig zuständig ist. Er befindet sich also in einem ständigen Wechsel zwischen Bereichen, die Tagsüber voneinander isoliert sind. Ausserhalb von Pandemiezeiten wäre dies auch kein Problem. Aber mit einer so ansteckenden Krankheit wie Corona ist die Gefahr real, dass so der Virus in mehrere Bereiche des Betriebes verschleppt wird. Genau an diesem Punkt kommen die «Non Medical» Hygienemasken ins Spiel. Nach über einem Jahr Pandemie besitzt die Klinik immer noch nicht genügend Schutzmaterial. Es ist offensichtlich, dass der Betrieb bei deren Beschaffung Geld sparen möchte. Deshalb gibt es für die Patient*innen und das Personal unterschiedliche Masken. Das Personal bekommt Medical Masken, die tatsächlich vor der Verbreitung des Virus schützen, die Patient*innen hingegen nur die nicht schützenden «Non Medial» Masken.

Das Spiel mit Leben und Tod
Zu den Hygienemasken schreibt das BAG: «Hy-gienemasken schützen in erster Linie die Personen im Umfeld des Trägers und nicht den Träger selbst.» Somit sind alle Patient*innen und auch das Personal der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt. Jürg meinte dazu: «Ich habe meine Bedenken auch den Vorgesetzten gemeldet und stundenlang diskutiert. Es hiess aber, dass das so schon funktioniere und wir jetzt die Bestände aufbrauchen müssten.»
Mangelhaft sind aber nicht nur die Masken. Auch die Übermäntel und Handschuhe entsprechen nicht den Standards, die nötig wären, um das Personal genügend zu schützen. An manchen Wochenenden seien «zu wenig Medical Masken und nicht schützenden Mäntel und Handschuhe vorhanden.» Ebenfalls sind nicht immer Tests im Betrieb, um das Personal und die Patient*innen zu testen. Dies trotz der langen Zeit der Pandemie, in der die Klinik sich hätte richtig vorbereiten können, ja müssen. Mittlerweile sind wegen der katastrophalen Schutzmassnahmen bereits sieben Patientinnen auf beiden Stationen an Corona erkrankt. Vom Betrieb wird trotz positivem Testergebnis von Angestellten erwartet, dass sie zur Arbeit erscheinen. Dazu sagt Roberto Lotz, Sekretär der Unia und zuständig für die Pflege auf Anfrage des vorwärts: «Ein solches Vorgehen ist rechtswidrig. Alle Angestellte in der Schweiz haben das Recht, im Krankheitsfall zuhause zu bleiben. Alles andere ist ein Bruch des Arbeitsrechts. Der Bund gibt klar vor, dass alle Personen, die positiv getestet werden, in Isolation müssen.»
Falls die Isolation gebrochen wird, sofern kein Kantonsarzt jemanden krank zur Arbeit schickt, muss nach Angaben des BAG mit einer Busse von 5000 Franken bis zu 10000 Franken gerechnet werden. Der Betrieb bricht also das Arbeitsgesetz und die Pandemieverordnungen. Dazu stellt sich die rechtliche Frage, ob der Betrieb seine Mitarbeiter*innen zu einer Straftat auffordert, wenn Angestellte trotz positivem Test zur Arbeit erscheinen sollen. Wenn nun schon bei den Schutzmassnahmen so gespart wurde, dann ist schwer davon auszugehen, dass die Busse für die Mitarbeiter*innen nicht übernommen werden wird.

60-Stunden Wochen
Wegen einer massiven Verschlechterung des Schichtplans hatte Jürgen schon vor dem Vorfall mit den Masken seine Kündigung eingereicht. Als Nachtwache betrug seine Arbeitszeit bereits vor der Umstellung auf die neuen Schichtpläne neun Stunden pro Schicht. Das schien seinen Vorgesetzten aber wohl noch nicht genug und seine Arbeitszeit wurde bei gleichem Lohn auf zehn Stunden pro Schicht erhöht. Es gibt also 60 Stunden Wochen, da sechs Nächte und in Ausnahmefällen auch bis zu acht Nächte eingeplant werden. Sämtliche Pausen, auch die zum Essen, wurden gestrichen. Für Jürgen unhaltbar: «Ich habe doch ein gesetzliches Anrecht darauf, Pause machen zu dürfen! Als ich beim Betrieb nachgefragt habe hiess es, ich habe doch sowieso nicht so viel zu tun, da macht mir die Stunde länger arbeiten doch nichts aus. Und Pausen könne ich dann machen, wenn nichts los sei.» Jürgen fügt hinzu: «Das ist eine völlige Umkehrung der Logik! Ich bin hier, um zu schauen, dass es unseren Patient*innen gut geht. Wenn alle in der Nacht schlafen und wenig los ist, dann machen wir unsere Arbeit richtig. Was ist denn daran falsch und warum soll ich das ausbaden?»
Für Jürgen ist sicher, dass diese Arbeitszeiten und das Streichen der Pausen rechtswidrig sind.
Dazu sagt Unia-Funktionär Roberto Lotz dem vorwärts «Immer mehr Menschen in der Pflege müssen mehr arbeiten. Es gibt klare Vorgaben vom SECO und vom Arbeitsgesetz. Dort sind Maximalarbeitszeiten und Pausen eindeutig geregelt. Leider werden Mitarbeiter*innen immer häufiger erpresst, dass sie auf ihre Rechte verzichten. Die Folgen davon sind Burnouts, Depressionen und andere Krankheiten. Das darf so nicht weitergehen!»

Ein Fall für das Gericht
Obwohl sich Jürgen entschlossen hat, den Betrieb zu verlassen, hat er den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen nicht aufgegeben. Zusammen mit der Unia prüft er rechtliche Schritte und will gegen den Betrieb vor Gericht gehen. Für den Verstoss gegen die Pandemiemassnahmen sucht er auch nach Wegen, damit seine Kolleg*innen und die Patient*innen in Zukunft richtig geschützt werden.
Der vorwärts spricht Jürgen und seinem Kampf für gerechte Arbeitsbedingungen seine Solidarität aus und ruft alle auf, am 28.November Ja zur Pflegeinitiative zu stimmen.

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