Das grosse Verheizen

flo. Gesundheitsarbeiter*innen im ganzen Land kämpften im Oktober für ihre Rechte. Während der Pandemie zeigt sich der Pflegenotstand mit aller Härte. Wie nötig der Kampf des Gesundheitspersonals ist, berichtet uns eine Kollegin, die aktuell in einem Zürcher Krankenhaus arbeitet.

Emilia (Name der Redaktion bekannt) ist eine aufgestellte und fröhliche Frau. Doch ein Plakat, das am Bahnhof ihres Wohnorts Werbung für eine Ausbildung zur Pflege macht, der Bereich, in dem auch Emilia arbeitet, hat sie wütend gemacht: «Da ist mir fast das Kotzen gekommen!», beschwert sie sich im Gespräch mit dem vorwärts. «Da stand, man solle sich melden, wenn man mutig sei?!»
Doch – und das ist ihr wichtig – geht es bei ihrem Beruf nicht einfach darum, mutig zu sein. Klar gehöre Mut dazu, in einer Gesundheitskrise Kranke zu pflegen und das Gesundheitswesen am Laufen zu halten. «Am Ende fragt dich aber niemand, ob du auf die Abteilung arbeiten gehen willst oder nicht. Ob du denn nicht zu viel Angst hättest. Und seien wir ehrlich, ein Nein würde es in so einer Situation gar nicht verleiden.» Dass man also mit «Furchtlosigkeit» für ihren Beruf wirbt, passt ihr gar nicht. Vor allem wegen der Belastung, die auf das Personal zukommt. Den Pflegenotstand spüre man im Moment recht eindeutig.

Das Schlimmste steht noch bevor
Es ist die zweite Covid-19-Welle seit Emilia im Gesundheitssektor arbeitet. Das bringt ganz eigene Unannehmlichkeiten im Berufsalltag mit sich. «Das sind anfangs ganz kleine Sachen, wie die Brille, die sich unter der Maske beschlägt. Oder dass du dich ‹entschleusen› musst, wenn du dir die Nase putzt oder du auf die Toilette gehst. Und nachher beginnt halt alles wieder von vorne.» Aber – und da macht sie sich keine Illusionen –, das Schlimmste steht wohl noch bevor: «Wir wissen, dass es streng wird.» Es ginge aber nicht nur um die Belastung in Sachen Arbeitsstunden. «Dass wir viel werden arbeiten müssen, wissen wir. Das macht mir nicht so Sorgen. Ein Teil der Last ist aber, wie die Situation in den Spitälern sein wird. Wir wissen, dass wir Menschen sterben sehen werden. Und im Arbeitsalltag mitansehen zu müssen, wie jemand stirbt, gerade bei jemand, der nicht genug Luft bekommt, ist auch für Pflegende eine schwere Belastung. »
Ängste, dass Zustände wie in den am schlimmsten betroffenen Regionen der ersten Welle auch in der Schweiz drohen, sind ganz und gar nicht abwegig. Dort wurden Menschen mit niedrig eingeschätzten Überlebenschancen im Triagesystem heimgeschickt, um dort unversorgt zu sterben – es wird also so Gesundheitsversorgung betrieben wie im Krieg oder bei einer Naturkatastrophe. Im Kantonsspital Wallis musste die Intensivstation am Wochenende genau dies tun, konkret: Die ersten Patient*innen abweisen. Und auch Martin Ackermann von der Swiss Covid Task Force geht von einer Überschreitung der Kapazitäten aus. Und bei solchen Rechnungen wurde ein möglicher rasanter Anstieg der Fallzahlen durch die Untätigkeit des Staates noch nicht einmal einbezogen.

Der Stress hört nie auf
Die Situation im Pflegeberuf, das zeigt sich heute in aller Deutlichkeit, muss sich verbessern. Das ist im Interesse von uns allen. Das dies nicht schon gestern geschehen ist, ist die wahre Schande: Es ist eine Lektion der Vergangenheit, dass besonders in Katastrophenfällen Gesundheitssysteme gefordert werden. So wissen wir, dass es sich in der Krise rächt, wenn man nicht ausreichend gut ausgebildete Pflegekräfte zur Verfügung hat. Die Folge davon ist, dass Menschen sterben werden, weil ein Mangel in der Gesundheitsversorgung herrscht.
Es braucht deshalb mehr Pfleger*innen, was auch Emilia bestätigt: «Im Moment ist ein guter Geist da. Ich und meine Kolleg*innen sagen uns, dass wir es packen. Aber wir brauchen bessere Bedingungen!» Es braucht auch eine Aufwertung des Pflegeberufs mit höheren Löhnen. «Es fehlt oft auch an ganz einfachen Sachen, wie ausreichenden Ruheräumen in der Nähe», erklärt Emilia weiter. Möglichkeiten zur Erholung, ausreichende Ruhezeiten und eine Entlastung des Personals wird eine sehr zentrale Rolle einnehmen – insbesonders während Covid-19.
Der Stress der Pandemie wirkt sich auf Gesund-heitsarbeiter*innen wie Emilia nicht nur während der Arbeitszeit aus: «Man denkt sich offt, dass man keinesfalls krank werden darf. Es fühlt sich an, als dürfe man sich nicht mehr sonst mit Leuten treffen, weil man sich anstecken könnte und im Moment jede von uns gebraucht wird.» Die Belastung unserer Kolleg*innen im Gesundheitsbereich hört so nicht einmal nach Feierabend auf.

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