Beim Namen nennen!

sit. Soll ein rechtsradikaler Fanatiker, der einen jungen Mann mit einem Messer niedersticht und sich ein Attentat mit einer möglichst hohen Opferzahl zutraut, geschützt werden? Dies, weil er aus «gutem Haus» kommt und seine Eltern bekannt sind? Die Justiz sagt Ja, und tut vieles dafür. Wir sagen Nein.

Die Faktenlage präsentiert sich wie folgt: Ein junger Mann mit rechts-terroristischer Ideologie sticht mit einem Messer eine Person nieder und verletzt sie lebensgefährlich. Seine Tat ist rein politisch motiviert, da er sein Opfer als Antirassisten einstuft. Der bürgerliche Staat in Form des Bezirksgerichts Zürich behandelt den Täter mit Samthandschuhen und verordnet der Presse einen Maulkorb. Dies, um den Fall möglichst mit dem Mantel des Schweigens zu umhüllen. Grund dafür: Die betroffene Familie kommt «aus gutem Zürcher Hause». Zudem will der Staat ein mit «öffentlichen Geldern gefördertes Projekt» schützen, das mit der Familie des Täters in direktem Zusammenhang steht. Der Schutz der Familie ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Doch, warum verurteilt die Justiz den Täter nicht mit voller Härte? Das eine schliesst das andere nicht aus. Dies alles geht entschieden zu weit. Der Fall ist ein Skandal auf diversen Ebenen. Wir können und wollen dabei nicht «mitspielen» – im Wissen, dass wir so einige Risiken eingehen.

Rechtsextremes Weltbild
Dem Staat gelang sein Vorhaben fast. Heisst, den Fall, der in den Medien als «Messerstecher von Zürich» bekannt wurde, praktisch still ad acta zu legen. Ein Strich durch die Rechnung machte ihm aber die Online-Zeitung Republik mit einer akribischen Recherchearbeit. So veröffentlichte sie Anfang Oktober den Artikel mit dem Titel «Einer von uns», in dem der ganze Fall aufgerollt wurde. Sämtliche Informationen, die wir an dieser Stelle veröffentlichen, stammen aus diesem Artikel.
Die Republik hatte Einblick in die Untersuchungsakten. «Wir werteten zudem 2430 online archivierte Tweets des Mannes aus, von denen 615 auf eine eindeutig rechts­terroristische Ideologie hinweisen», ist im Artikel zu lesen. Die Tweets offenbaren, dass der junge Mann tief in einem rechtsextremen Weltbild verankert ist. Konkret: «Demnach glaubt er etwa, dass weisse, heterosexuelle Männer die Vorherrschaft über die Welt haben sollen, dass Nicht-Weisse genetisch und kulturell minderwertig seien und Frauen nicht wählen, sondern die Bedürfnisse der Männer befriedigen sowie schön und fürsorglich sein sollen. Er will, dass alle Antifaschisten hingerichtet werden, und hält rechtsextreme Massenmörder wie Anders Breivik oder Brenton Tarrant für Helden.»

Von hinten niedergestochen
Verhaftet wird der damals 21-jährige Ruben Bergkraut am 27.Juni 2020. Der Tathergang ist vielsagend. Er zieht sich zu Hause ein T-Shirt an, auf dem steht: «White Lives Matter». Es ist eine Antwort US-amerikanischer Rechtsextremist*innen auf die Black-Lives-Matter-Bewegung. Er macht sich auf den Weg ins Einkaufszentrum Sihlcity und zwar aus einem ganz bestimmten Grund: Er hofft, antirassistisch eingestellte Fussballfans des FC Zürich zu treffen. Und das geschieht dann auch. Der Täter sieht eine Gruppe junger Männer, geht in einen Laden und kauft sich ein Rüstmesser mit einer acht Zentimeter langen Klinge. Danach provoziert der Täter die Gruppe. Es kommt zu einem Gerangel und Ruben B. wird dabei gegen einen Gartenzaun geschubst. Der andere Mann dreht sich um und geht mit zwei Kollegen weg. Jetzt zieht Ruben B. das Rüstmesser, rennt von hinten auf den Mann zu, sticht ihm zweimal in den Rücken und dreimal in den zur Abwehr erhobenen linken Unter- und Oberarm. Die Stiche in den Rücken reichten bis in die Lungen, jene in den Arm durchtrennten lebenswichtige Blutgefässe, schwer verletzt werden Nervenbahnen, Muskeln und Sehnen. Das Opfer wäre fast gestorben, musste notoperiert werden, verbrachte acht Tage im Spital und erlitt eine posttraumatische Belastungsstörung sowie bleibende Krafteinbussen und Bewegungseinschränkungen am betroffenen Arm.

Sehnsucht nach Massenmord
Die schreckliche Bluttat war der Höhepunkt von Gewaltanwendung, die vom Täter mehrmals angekündigt worden war. Die erste offene Drohung dazu datiert vom Juni 2019. An der Demo in Zürich zum Frauen*streiktag vom 14.Juni provoziert er mit einer roten Mütze mit der Aufschrift «Make Amerika Great Again». Er wird beschimpft und geschubst. Unbekannte entreissen ihm seine Mütze. Er schäumt: «So eine beschissene flachbrüstige weisse Lesbe hat mich gestern angegriffen wegen eines Huts, gegen die 30, etwa 1,65 m gross, schlank, braune Haare. Ich finde dich.» Und er droht: «Ich komme nächstes Mal wieder zum Helvetiaplatz», twitterte er, «und wenn ihr mich wieder verprügeln wollt und berauben wollt, dann denkt nicht, dass ich nicht vorbereitet wäre, denkt nicht, dass ich mich nicht wehren würde.»
Am 26.September 2019 deutet der Täter auf Twitter einen eigenen Anschlag an: «Werde ich den Highscore knacken können? Ich glaube an mich.» «Highscore» meint unter Befürworter*innen rechts­terroristischer Anschläge die grösstmögliche Anzahl Todesopfer.
Am 25.Mai 2020 wird dann der Afroamerikaner George Floyd von einem weissen Polizisten getötet. Die darauffolgende weltweite Protestwelle bringt Ruben B. in Rage. Er twitterte: «Wir weissen Supremacisten sind es nicht, die diese Plünderungen und diesen inländischen Terrorismus begehen, wir könnten ihn aber beenden.» Und: «Nie hasste ich People of Color und Linke mehr als jetzt.» Wenige Tage später, am 31.Mai: «Das einzig Gute an diesen terroristischen Aktivitäten, die von Schwarzen und weissen Antifa verübt werden, ist, das sie Hass säen. Wir brauchen den Hass, die Division, um uns voneinander abzuspalten. Möge der Rassenkampf beginnen.» Dabei sehnt er sich nach einem rechts­terroristischen Massenmord: «Ich bin an dem Punkt angelangt, wo ich mir Männer wie Breivik, Tarrant, Roof oder Cruz herbeiwünsche», schreibt er. «Ach was wäre es befriedigend, einen Amokläufer all diese Menschen erschiessen zu sehen, es wäre eine Wohltat, ein Held wäre er.»

Einschränkung der Pressefreiheit
Im Juli 2022 kommt es zum Prozess. Gleich zu Beginn verhängt der Richter der Presse einen Maulkorb und folgt so weitgehend dem Antrag des Anwalts des Täters. In der Republik steht dazu: «Sollten die Medien in irgendeiner Form einen Bezug zu dem mit öffentlichen Geldern geförderten Projekt herstellen oder identifizierend über den Rechtsextremen berichten, drohe eine Busse oder gar der Entzug der für Gerichtsreporter essenziellen Akkreditierungen beim Gericht.» Ein staatlich gefördertes kulturelles Projekt, in dem ein rechtsradikaler Fanatiker und seine Familie die Hauptrolle besetzen, könnte tatsächlich zu ein paar kritischen, unbequemen Fragen führen. Wo möglich auch im Ausland, wo das Projekt auch gezeigt wird. Also lieber verhindern. Die Republik spricht zu Recht von «Einschränkung der Pressefreiheit», hält sich aber wie alle anderen Medien an den juristisch höchst fragwürdigen Beschluss des Gerichts und nennt den Namen des Täters und des Projekts nicht.

Milde Strafe
Ruben B. zeigt vor Gericht keine Reue und keine Einsicht. Auch seine lange Liste an weiteren Nebenstraftaten (mehrfache öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalt, mehrfache Diskriminierung und Aufruf zu Hass, mehrfache Sachbeschädigung, mehrfaches Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz und weiteres) interessieren das Bezirksgericht nicht wirklich. Verurteilt wird der Täter wegen «Racheakt» zu fünfeinhalb Jahren Haft, gefordert hatte die Staatsanwaltschaft achteinhalb Jahre. Das objektive Verschulden sei zwar erheblich, sagte der vorsitzende Richter Sebastian Aeppli (Mitglied der Grünen Partei) in der mündlichen Urteilsbegründung im Juli 2022. Der Täter habe aus einer «gewissen Angst heraus gehandelt», was sich strafmildernd auswirke. Der Richter sprach von einer «dynamischen Gesamtsituation». Wie werden sich das Opfer und seine Familie bei diesen Worten gefühlt haben?
Zum Vergleich: Ein Iraker, der in einer S-Bahn nach einer tätlichen Auseinandersetzung auf seine zwei Kontrahenten eingestochen und einen davon lebensgefährlich verletzt hatte, wurde trotz Reue und Einsicht und ohne Vorstrafen zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Oder: Ein junger Schweizer mit Migrationshintergrund hatte an der Street Parade auf zwei Menschen eingestochen und eine Person lebensgefährlich verletzt. Auch er zeigte Reue und Einsicht, kassierte aber zehn Jahre Haft. Diese Ungleichbehandlung beim Strafmass ist äusserst stossend – um es gelinde auszudrücken. Und sie ist eine weitere Bestätigung dafür, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht auch vor der Justiz seine Vorteile eben hat. Ist dies das Verständnis eines demokratischen Rechtsstaates? Es ist zu hoffen, dass der Rekurs der Staatsanwaltschaft erfolgreich sein wird.

Lieber schweigen als hinschauen
Wir haben es mit einem rechtsradikalen, fanatischen Täter zu tun. Somit kommt zur juristischen Ebene eine politische hinzu. Das weiss auch der Richter und er ist natürlich bestens im Bilde über den Angeklagten. Doch die politische Gesinnung des Täters, also die Motivation seiner Bluttat, wird aussen vorgelassen. Den rechtsextremen Aufdruck auf dem T-Shirt bei der Tat und seine anhaltende Faszination für Massenmörder und Rechtsterroristen erwähnte der grüne Richter bei der mündlichen Urteilsverkündung nicht. Er legt so seine Hand schützend über den Angeklagten aus «gutem Hause», dessen Eltern im politisch links-grünen Spektrum wie der Richter zu Hause sind.
Indem der Richter die politische Ebene des Prozesses verschweigt, schützt er gleichzeitig den Staat. Lieber keine Diskussion über die politische Motivation des Täters aufkommen lassen. Denn auch hier könnte es zu einigen unbequemen Fragen kommen, wie etwa: Hat der Staatsschutz gepennt? Wie viele so kranke Fanatiker wie Ruben B. laufen in der Schweiz rum? Weiss man es oder tappt man da eher im Dunkeln, weil bei Rechtsradikalen nicht so genau hingeschaut wird? So handelt die Justiz ganz nach dem Motto: Lieber schweigen als hinschauen – und dabei nicht sehen wollen, dass der Rechtsterrorismus auch in der Schweiz zu einem Problem werden könnte. Oder gar schon ist?

Keiner von uns!
Zum Schluss Folgendes: Anhand des Artikels der Republik war es, ehrlich gesagt, keine grosse Meisterleistung in Sachen Recherchearbeit den richtigen Namen des Täters zu finden, der in einem Forum veröffentlicht war. Ein paar wenige Überprüfungen reichten, um sicher zu sein, dass der Name auch stimmte. Und nein, liebe Republik, der Täter ist nicht «einer von uns» wie ihr, warum auch immer, im Titel eures Artikels schreibt. Er ist ein keiner von uns! Er ist eine reale Bedrohung für die Öffentlichkeit. Das meinen nicht nur wir, sondern auch ein Detektiv der Stadtpolizei Zürich. Nachdem er fast tausend Social-Media-Beiträge las, Manifeste und Fotos sichtete, die sich auf zwei beschlagnahmten Smart­phones des Rechtsextremisten befanden, gelangte er «zur ernsthaften Befürchtung und Annahme», dass der Mann wieder «eine ähnliche Tat» ausführen könnte – oder «noch schlimmer ein Attentat». Die Öffentlichkeit hat das Recht zu wissen, wer der Täter wirklich ist.

Siehe auch Kommentar auf Seite 4 unten

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3 Kommentare

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