Aussenpolitisch intervenieren und regionalpolitisch handeln

dab. Seit fünfeinhalb Jahren vertritt der Stadtpräsident von Le Locle, Denis de la Reussille, die Partei der Arbeit im Nationalrat. Er politisiert in der Grünen Fraktion und in der Aussenpolitischen Kommission und stellt sich mit seiner Stadtregierung den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen im oberen Teil des Kantons Neuenburg.

Welches war die grösste politische Herausforderung für Stadt und Region im vergangenen Jahr?
Wie in allen Regionen der Schweiz war natürlich die Problematik der Covid-19-Pandemie omnipräsent. Unsere Region, in hohem Mass industrialisiert und exportorientiert, wurde davon besonders hart getroffen. Sehr viele Unternehmen führten in dieser Situation Teilarbeitslosigkeit ein.

Wie begegnete die Stadtbehörde von Le Locle diesem Problem?
Seit dem Beginn der Pandemie sorgten wir für Hilfe für die Bevölkerung, konkret für Gratislieferungen an besonders betroffene Menschen in prekären Situationen, Betagte, Behinderte und chronisch Kranke. Diese Gratis-Heimlieferungen besorgten Gemeindeangestellte. Da die Gemeinde verschiedene Gewerbegebäude besitzt, beschlossen wir, die betroffenen Ladengeschäfte während der Schliessung von der Zahlung der Miete zu befreien. Wir stellten auch eine grosse Gratisaktion auf die Beine, finanziert von der Stadt, die Warengutscheine vergab, aber nur zu Gunsten des lokalen Gewerbes. Mit dem Ziel, den Einkauf in kleinen Läden im Quartier zu fördern.

Welche Herausforderung kommt sonst noch auf Stadt und Region zu?
Für eine Region wie unsere, die in hohem Mass auf Export angewiesen ist, ist die Stärke des Schweizer Frankens offensichtlich ein potentielles Handicap. Wegen der Pandemiekrise gingen die Exporte sehr stark zurück. Unsere Herausforderung besteht darin, eine wirtschaftliche Situation zu erreichen, die zu jener des Jahrs 2019 vergleichbar ist.

Wie wollen Politik und Behörden dies meistern?
Die verfügbaren Mittel der Gemeinden sind natürlich relativ bescheiden. Trotzdem: Unser politischer Wille in dieser Situation geht dahin, die wirtschaftlichen Akteure in unserer Region zu diversifizieren. Dies wollen wir erreichen durch die Förderung des Tourismus, der in der Region ein sehr grosses Entwicklungspotential hat.

Sind auch gezielte Investitionen vorgesehen?
Ja, wir planen umfangreiche Investitionen in verschiedenen Sektoren, und zwar in die Wärmeisolation von gemeindeeigenen Wohnhäusern oder in die Aufrüstung unserer städtischen Kläranlage. Diese Investitionen sind zum Teil antizyklisch und wir erhoffen uns von ihnen einen grossen Effekt auf die wirtschaftliche Situation unserer Stadt.

Wie beeinflussen die Covid-19-Massnahmen die politische Arbeit in Bern und Le Locle?
Die Pandemie beeinflusst sehr stark die gesetzgeberische Arbeit in Bern und die Exekutivarbeit in Le Locle. Seit mehreren Monaten sind wir vor allem auf Bundesebene gezwungen, praktisch täglich unter dem Druck der Dringlichkeit zu arbeiten. Dabei war das grösste Problem, dass die Position des Bundesrats bezüglich Wirtschaftshilfen für die Kultur und Selbständige anfänglich sehr restriktiv war. Die letzten Entscheidungen in der Wintersession führten glücklicherweise dazu, die Situation etwas zu verbessern.

Wie beeinflussen die Massnahmen die Beziehungen unter Politiker*innen?
Diese Pandemie kompliziert effektiv die menschlichen und politischen Beziehungen und die nötige Organisation. Das bedeutet, dass die aller meisten Sitzungen als Videokonferenzen stattfinden. Zum grossen Glück für den Conseil général, unser Stadtparlament, mussten wir unsere Sessionen nicht virtuell durchführen. Dies, weil wir städtische Strukturen mit grossem Raumangebot, konkret eine Turnhalle, für unsere Bedürfnisse herrichten konnten.

Wie beeinflussen die Massnahmen deine Beziehungen in der Partei und zu den Wähler*innen?
Die Sitzungen und Versammlungen der regionalen und nationalen Partei werden ausschliesslich per Videokonferenz durchgeführt. Die Beziehungen zu den Bürger*innen und insbesondere den Wähler*innen waren sehr viel komplizierter. Es war praktisch unmöglich, mit Ständen im öffentlichen Raum zu arbeiten oder öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Trotz diesen Widrigkeiten sind die Resultate der kantonalen Wahlen für die PdA des Kantons Neuenburg sehr erfreulich: Wir gewannen zwei Sitze im Grossen Rat, dem Kantonsparlament, und verfügen jetzt über acht statt vorher sechs Sitze. Und dies, obwohl der Rat von 115 auf 100 Abgeordnete verkleinert wurde.

Das ist ja sehr erfreulich. Was war im Nationalrat ein Erfolg für dich?
Als einziger Gewählter der Partei der Arbeit in Bern bin ich in einer stark minoritären Position. Das bedeutet, es ist fast unmöglich, dass eine Motion oder ein Postulat angenommen wird. Trotzdem wurde kürzlich ein Postulat angenommen, das vom Bundesrat verlangte, gegen die Blockade der USA gegen Kuba aktiv zu werden. Das kann als Erfolg gesehen werden, auch wenn das Postulat von einem rechten Parlamentarier eingereicht wurde. Dies tat dieser erst nachdem ich mehrere Interpellationen zum Thema lanciert hatte und nach sehr ausgiebigen Diskussionen in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats.

Gab es Enttäuschungen?
Nicht eigentlich Enttäuschungen, aber viel mehr Bestätigungen der praktischen Unmöglichkeit, mit dieser politischen Mehrheit wirklich fortschrittliche Projekte zu realisieren.

Welche Konsequenzen ziehst du daraus?
Dies zeigt nur, dass das Verhältnis der politischen Kräfte sehr wichtig ist und dass die von uns angestrebte Fraktion PdA-Solidarités eine deutliche Verbesserung der Situation bedeuten würde: Bürgerliche Medien müssten ab und zu über uns sprechen, und das würde die Arbeit der Nationalrät*innen vereinfachen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit der Verwaltung?
Die Bundesverwaltung ist sehr offen gegenüber Nachfragen von Parlamentarier*innen, ihre Arbeit ist in der Regel von sehr guter Qualität. Manchmal aber sind Antworten auf Interpellationen politisch total unbefriedigend.

Was änderte sich im Nationalrat nach dem grünen Wahlerfolg?
Der Wahlerfolg der Grünen führte dazu, dass die Grüne Fraktion politisch breiter ist: Viele Abgeordnete vertreten klar linke Positionen, andere, die eher eine Minderheit sind, könnten eigentlich auch bei den Grünliberalen politisieren. Eine der guten Seiten war die quasi Verdoppelung der Vertretung der Grünen Fraktion in den Kommissionen.

Wie war die Zusammenarbeit in der Fraktion?
Die Zusammenarbeit mit den Grünen ist sehr positiv. Das Arbeitsklima ist exzellent und meine Stimmfreiheit total. Ich informiere einfach im Voraus die Fraktion, wenn ich gegen die Fraktionsmeinung abstimme.

Welches sind die brandaktuellen Dossiers der Aussenpolitischen Kommission?
Die nächsten grossen Dossiers sind natürlich das eventuelle Rahmenabkommen mit der Europäischen Union und die Freihandelsabkommen, als Erstes dies mit dem lateinamerikanischen Mercosur. Und selbstverständlich, wie jedes Jahr, werden wir für die Erhaltung der Budgets für Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit kämpfen müssen.

Welche Schwierigkeiten gibt es im Parlament?
Vor allem dies: Es ist nicht wirklich eine Überraschung, aber das ständige Distanzieren der SVP-Fraktion vom Gesamtbundesrat – wo die Partei immerhin zwei Sitze hat – sollte häufiger in der öffentlichen Diskussion aufgegriffen werden.

Mit welchen Schwierigkeiten bist du in der Aussenpolitischen Kommission konfrontiert?
Die Kommission hat klar und eindeutig eine rechte Mehrheit. Weitere Schwierigkeiten bieten die Positionen von Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), die in gewissen Dossiers der SVP sehr nahe sind. Schwierig ist auch, dass eine Anzahl Nationalrät*innen, vor allem der SP und der Grünen, beim Dossier der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Volksrepublik China praktisch blind der Politik der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten folgt.

Erkläre bitte noch die Politik von Ignazio Cassis.
Der Amtsantritt von Bundesrat Cassis bedeutete eine grosse Änderung und ein Paradigmenwechsel für die Kommission. Und dies, obwohl er seinen FDP-Parteikollegen Didier Burkhalter ersetzte. Ignazio Cassis hat eine atlantische Vision, ist sehr pro-nordamerikanisch und pro-israelisch. Dies führt auch dazu, dass er sich manchmal sogar von den Positionen des Bundesrats entfernt. Er kürzte zum Beispiel die Entwicklungshilfe für Palästina, was nicht der Position der Schweiz entspricht. Didier Burkhalter hingegen hatte sich für den Erhalt des Entwicklungshilfe-Budgets eingesetzt und in Bezug auf Palästina die Einhaltung der internationalen Verträge gefordert. Darüber hinaus zeigt er einen starken Willen, dem privaten Sektor in Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit einen grossen Platz zu geben.

Welches sind deine Ziele und Perspektiven in der Aussenpolitik?
Ich meinerseits werde weiterhin aussenpolitisch intervenieren vor allem im Rahmen des Dossiers der von Israel besetzten Territorien und der Schaffung von zwei Staaten mit sicheren Grenzen zwischen Israel und Palästina. Die Problematik der Verteidigung des kurdischen Volks ist ebenfalls eine meiner aussenpolitischen Prioritäten.

Welche parlamentarischen Kämpfe ausserhalb der Aussenpolitik sind für dich wichtig?
Die Rentenvorlage mit der Finanzierung der AHV und der Zweiten Säule wird eine grosse Herausforderung mit einer grossen Wichtigkeit. Dies vor allem wegen der entschiedenen Weigerung von uns Ratslinken, die Zustimmung zur Erhöhung des AHV-Alters zu geben und unserer unnachgiebigen Forderung, endlich die wirkliche Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern zu verwirklichen. Die Vorlage zur Gewinnbesteuerung von juristischen Personen (Unternehmen) hat für mich ebenfalls eine hohe Priorität. Dies, weil die Vereinigten Staaten kürzlich eine Initiative ergriffen haben, die die Unternehmenssteuersätze anheben und sie weltweit harmonisieren will.

Es gibt noch viel zu tun, packen wir’s an. Danke, Genosse Denis, für das Interview.

Mitarbeit Fragenkatalog: sit

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