«Aus demokratischer Sicht besorgniserregend»

lmt. Im Juli 2019 blockierten Klimaaktivist*innen friedlich die Eingänge zum CS-Hauptsitz am Zürcher Paradeplatz. Es kam zu Verhaftungen und Verurteilungen. Der vorwärts sprach mit der Rechtsanwältin Ingrid Indermaur über den Prozess und ihre Beobachtungen.

Wie haben Sie den Prozess wahrgenommen?
2021 hat die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Zürich stattgefunden und im Herbst 2022 nun die Berufungsverhandlung vor dem Obergericht Zürich. Die Verfahrensführung an sich war routiniert freundlich. Aber es war auch eine klare Haltung erkennbar. Im Sinne von: Die Aktivist*innen haben mit ihrer Aktion Grenzen überschritten und sich damit strafbar verhalten. Basta. In diesem Zusammenhang muss man sich aber auch vor Augen führen, worum es im Grunde geht: Nebst den Klimaanliegen geht es um Meinungsäusserungsfreiheit und um staatliche Repression. Auch erwähnenswert ist, dass die Strafverfahren in unserem Fall vereinigt wurden. Das bedeutet, dass es keine sich widersprechenden Urteile geben kann bei gleicher Ausgangslage. Wenn die Strafverfahren jedoch separat geführt werden, kann es unterschiedliche Resultate geben. Das zeigt sich unterdessen anhand von verschiedenen Urteilen: Teilweise gab es vor erster Instanz Schuldsprüche und teilweise Freisprüche. Das ist nicht weiter verwunderlich. Leider gab es aber in diesem Zusammenhang einen regelrechten Justizskandal: Auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft wurde ein Einzelrichter in den Ausstand geschickt, der es «gewagt» hatte, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, eine beschuldigte Person freizusprechen. Dies finde nicht nur ich höchst beunruhigend.

Wieso wurde in Zürich so hart durchgegriffen?
Das sind jetzt nur Spekulationen von mir, aber die Aktion vom Sommer 2019 fand vor dem Hauptsitz der Credit Suisse am Paradeplatz statt. Dieses Gebäude und seine Eingänge sind privat – kein öffentlicher Platz. Vielleicht befürchteten die Behörden, dass die Aktion länger dauern und damit den Geschäftsgang stören könnte. Aber es muss klar gesagt werden, der Zweck der Aktion war nicht illegal. Die Klimaaktivist*innen wollten die Öffentlichkeit aufrütteln und über die Auswirkungen der Investitionen der Banken in Kohle, Öl und Gas informieren. Sie wollten niemanden nötigen. In unserem Fall kommt hinzu, dass sich aus den Verfahrensakten auch kein «Nötigungsopfer» ergibt.

Wie erklären Sie sich das Urteil?
Was ich seit den Klimaprotesten beobachten konnte, ist, dass sich die Praxis in Zürich verändert hat. Früher wurden bewilligte wie unbewilligte Demonstrationen und Proteste in der Regel aufgelöst und ab und an wurden Bussen verteilt. Das entsprach auch dem politischen Willen, denn bei Demonstrationen muss man immer abwägen zwischen dem Interesse an Ruhe und Ordnung und an der Ausübung von Freiheitsrechten wie etwa die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Doch ungefähr seit dem Auftreten des Klimastreiks kommt es immer häufiger zu Verhaftungen beim Auflösen von Protesten. Und viele kommen erst nach fast 48 Stunden wieder frei. Das ist die maximale Zeit für vorläufige Festnahmen, bevor entweder Antrag auf Untersuchungshaft ans Zwangsmassnahmengericht gestellt werden oder die festgenommene Person wieder freigelassen werden muss. Die meisten unserer Klient*innen mussten sich nach ihrer Festnahme nackt ausziehen. Häufig werden auch DNA Profile erstellt. Das ist meines Erachtens alles nicht verhältnismässig bei friedlichen Protestaktionen. Vor allem nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Bekanntlich wurden anschliessend die festgenommenen Aktivist*innen entweder per Strafbefehl oder mit Gerichtsurteil verurteilt wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung. Das bedeutet, dass es einen Eintrag im Strafregister gibt. Das ist ein riesiger Unterschied zu einer Busse. Diese Entwicklung ist aus demokratischer Sicht besorgniserregend. Ich persönlich habe den Eindruck, dass ein Exempel statuiert werden soll. So als ob Chaos und Anarchie bevorstehen, wenn nicht durchgegriffen wird.

Was bedeutet dieses Urteil für die Klimabewegung?
Nun, es könnte zum Chilling-Effekt kommen. Wenn jemand aufgrund der Beteiligung an diesen Protesten immer wieder verhaftet und verurteilt wird, sammelt sich das an. Und man kann dann hinsichtlich auf der Zukunft Angst bekommen. Denn wenn jemand Einträge im Strafregister hat, kann es sich negativ auf die Job- oder Wohnungssuche auswirken. Aus dieser Angst heraus, würde man sich auch nicht mehr an den Protesten, Aktionen oder Kundgebungen beteiligen. Auch nicht, wenn sie friedlich sind. Es ist schwierig abzuschätzen, wie sich die Sache entwickeln wird. Ich denke nicht, dass die Klimabewegung damit gestoppt wird. Es könnte vielleicht auch das Gegenteil geschehen, dass es vereinzelt zur Radikalisierung kommen könnte. Letztlich braucht es jedoch aus meiner Sicht gegenseitig die Bereitschaft zum friedlichen Dialog.

 

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