Asylpolitik ohne Asyl

lmt. In der Sommersession befasst sich das Parlament mit mehreren Vorlagen zur Asylpolitik. Was dabei wie eine technische Reform erscheint, ist in Wirklichkeit Teil eines politischen Projekts: Die Rechte von Geflüchteten sollen systematisch eingeschränkt, ihre Aufenthaltsperspektiven weiter prekarisiert und das Asylrecht selbst schrittweise entkernt werden.

Die politische Sprache im Kontext der Migration hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Während die SVP Asylsuchende pauschal als «Parasiten» bezeichnet, übernehmen auch andere bürgerliche Parteien zunehmend eine ähnliche Rhetorik. Die sogenannte «10-Millionen-Schweiz»-Initiative und symbolische Scheinlösungen gegen Kriminalität sind Ausdruck dieser Entwicklung. Gleichzeitig wird im Parlament die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) behandelt – mit dem Ziel, Migration noch stärker zu regulieren. Doch die Debatten verkommen zunehmend zur Plattform für populistische Stimmungsmache, während menschenrechtliche Bedenken in den Hintergrund treten.

Systematische Entmenschlichung
Ein Beispiel dafür ist die Motion von FDP-Ständerat Thierry Burkart, die sich gegen Menschen mit vorläufiger Aufnahme richtet – genauer: gegen jene, die diesen Status aus medizinischen Gründen erhalten haben. Obwohl es sich um eine kleine Gruppe handelt – rund 100 Personen jährlich –, fordert Burkart eine Neubeurteilung ihrer Fälle mit dem Ziel, ihnen den Schutzstatus zu entziehen. Gleichzeitig will er, dass vorläufig Aufgenommene grundsätzlich nicht mehr arbeiten dürfen. Damit würde Integration verhindert und eine existenzielle Abhängigkeit vom Sozialstaat zementiert. Wer nicht arbeiten darf, kann sich keine Selbstständigkeit aufbauen, keine Zukunft planen, kein Leben gestalten. Die Botschaft ist eindeutig: Vorläufig Aufgenommene sollen zwar bleiben dürfen, aber unter Bedingungen, die ein Verbleiben faktisch unzumutbar machen.
Diesen Kurs verstärkt ein weiterer Vorstoss aus dem Nationalrat. Er fordert, dass Personen mit F-Bewilligung künftig keinen Zugang mehr zu einem ordentlichen Asylverfahren haben sollen – selbst wenn sich die Lage im Herkunftsland verschlechtert. Das widerspricht der bisherigen Praxis, individuelle Schutzbedürfnisse jederzeit neu zu beurteilen. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, bedeutet das: Wer heute als vorläufig aufgenommen gilt, hat keine realistische Chance mehr auf einen stabilen Aufenthalt. Der Schutzstatus wird entwertet – und mit ihm die Möglichkeit, sich rechtlich abzusichern oder gesellschaftlich anzukommen. Auch hier zeigt sich: Unsicherheit wird
gezielt als Mittel politischer Steuerung eingesetzt.

Ein Pakt gegen Schutzsuchende
Diese Logik endet nicht an der Landesgrenze. Die Schweiz beteiligt sich aktiv am neuen EU-Asyl- und Migrationspakt, der das Dublin-System reorganisieren soll. Doch statt menschenrechtliche Standards zu stärken, institutionalisiert der Pakt neue Restriktionen: Schnellverfahren mit reduziertem Rechtsschutz, verlängerte Fristen für Überstellungen, die Auslagerung von Asylverfahren in Grenzzonen – auch für Kinder. Die Schweiz übernimmt diese Vorgaben nahezu vorbehaltlos. Während andere Staaten Ausnahmen verhandeln, signalisiert der Bundesrat Umsetzungsbereitschaft. Das zeigt: Auch international ordnet sich die Schweiz zunehmend einer restriktiven Logik unter, die auf Abschottung statt Aufnahme setzt.
Was diese verschiedenen Entwicklungen verbindet, ist nicht nur ihre Zielgruppe – Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus –, sondern auch die politische Strategie dahinter. Rechte werden nicht frontal abgeschafft, sondern schleichend entwertet. Schutz wird relativiert, Verfahren werden verkürzt, Perspektiven systematisch verunmöglicht. So entsteht ein System permanenter Prekarität: Wer bleibt, bleibt auf Abruf. Wer arbeiten will, darf nicht. Wer klagen könnte, erhält kein Verfahren. Und wer integriert ist, kann dennoch jederzeit aus dem System fallen.

Eine politische Entscheidung
Diese Politik wird selten offen als das benannt, was sie ist: eine Strategie der Entrechtung. Sie folgt keiner humanitären oder integrationspolitischen Logik, sondern einer machtpolitischen. Wer Migration als Risiko definiert, kann Einschränkungen als Schutzmassnahme verkaufen. Und wer Schutzsuchende als Belastung darstellt, schafft den Spielraum, sie systematisch auszuschliessen. Das hat Folgen – nicht nur für die Betroffenen, sondern für den Rechtsstaat insgesamt. Denn was heute als «Effizienz» im Asylwesen verkauft wird, ist in Wirklichkeit die Aufweichung grundlegender Prinzipien: der individuellen Prüfung, der sozialen Teilhabe, der rechtlichen Gleichbehandlung.
In dieser politischen Dynamik ist nicht der Missbrauch die Regel, sondern die Unterstellung von Missbrauch das Werkzeug. Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um die institutionelle Normalisierung von Ausnahmen. Und es geht nicht zuletzt darum, durch rechtliche Prekarität politische Kontrolle zu erzeugen – über die Bewegungen, die Rechte und letztlich das Leben
geflüchteter Menschen.

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