Alte Ordnung geht in Rauch auf

sah. Am 15.Oktober war der internationale Tag der Landfrauen*. Die Aktivist*innen nutzen den Anlass, um auf fehlende Rechte hinzuweisen und gleichzeitig den «Bäuerinnen-Appell» für besseren sozialen Schutz zu thematisieren. Ein Rückblick auf die Proteste der Bäuer*innen der Schweiz.

Die Frauen*bewegung war dieses Jahr nicht nur in den Städten und Agglomeration präsent, sondern auch auf dem Land und in den Bergregionen. Bäuer*innen, Landfrauen* und Dorfbewohner*innen organisierten eigene Aktionen, und wurden dadurch Teil der Bewegung. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der spezifischen Situation der Menschen auf dem Land, riefen Aktivist*innen dazu auf, Höhenfeuer auf Hügeln zu entfachen und so starke Zeichen zu setzen.

Keine Sozialversicherung
Als Datum wurde der 7. Juni 2019 gewählt, um in den Regionen Bern, Zürich oder Basel Flammen zu entfachen, aber auch Würste zu braten, sich auszutauschen und zusammen zu sein. Auch in Sigriswil bei Thun sammelten sich schon am frühen Abend Aktivist*innen auf einem Hügel beim Niesenbänkli Ringoldswil. Auf dem abgesägten Holzstrunk lagen Cervelats, Brotscheiben und eine Senftube. Weisswein floss später in Becher, als das Feuer knisterte und die Sonne langsam hinter den Bergen verschwand. Nach und nach kamen weitere Bäuer*innen hinzu – ältere und jüngere – um sich dazu zu gesellen, ihre Cervelats auf dem Grill zu legen und mit Flüssigem anzustossen. Ungezwungene Gespräche entstanden. Man erfuhr viel über das Leben der Frauen*. Einige haben keine Sozialversicherungen (ausser Unfallversicherung) und eigentlich auch keinen eigenen Verdienst. Bei einer Trennung stehen jene Frauen* trotz geleisteter Arbeit ohne Sicherheiten da. So würden viele bleiben, auch wenn sie es eigentlich nicht wollen.

«Nichterwerbstätige»
Eine Arbeitszeiterhebung des Bundes zeigt, dass Bauernfrauen* im Schnitt 63 Stunden in der Woche arbeiten. Sie sind überall einsetzbar: Administration, Mitarbeit im Betrieb und auf den Feldern, Care-Arbeit und vieles mehr. Den Haushalt erledigen sie dann am Samstag und Sonntag. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine Hauptforderung im Frauen*streik. Bäuer*innen stehen da an einem ganz anderen Punkt. Sie fordern: einen Lohn überhaupt!
Wie zu Gotthelfs Zeiten verrichten sie Arbeit auf dem Hof ihres Mannes ohne Lohn und Arbeitsvertrag. Sie gelten als «Nichterwerbstätige» und haben im Alter nur die AHV – das Minimum. Wenn eine Bäuerin* schwanger ist, hat sie kein Recht auf Mutterschaftsversicherung und wenn sie den Hof verlässt, kann sie nicht aufs RAV. Auch wenn sich einige Aktivist*innen, die beim Niesenbänkli mit dabei sind, privat organisiert und abgesichert haben, in dem ihnen beispielsweise ihr Mann einen Arbeitsvertrag ausgestellt hat oder sie auf dem Hof eine eigene Einkommens- und Sparquelle haben und beispielsweise Gewinne rund um die Hühnerzucht in ihre eigene Tasche fliessen, sind die Missstände gross. Das Höhenfeuer steht hier für zwei Anliegen: Feuer und Wärme symbolisieren die angeblich weiblich konnotierten Hauptaufgaben der Reproduktionsarbeit: Ernährung, Haus- und Sorgearbeit. Diese Aufgaben wollen viele von den Aktivist*innen teilen und nicht mehr alleine tragen müssen. Eine Gesellschaftsordnung, die Männer* bevorzugt und Frauen* ausbeutet, entspricht nicht der gewünschten Welt. Bauer*innen wollen gleiche Rechte, Schutz vor Ausbeutung, Diskriminierung und Gewalt und eine spürbare Aufwertung der oft schlecht oder gar nicht bezahlten Haus- und Sorgearbeit, die hauptsächlich von Frauen* verrichtet wird.

Zusammenkommen und Solidarität
Das Feuer ist bei dieser Aktion ein Zeichen. Durch die Sichtbarkeit in der Nacht macht es darauf aufmerksam, dass es viele Bäuer*innen und Landfrauen* sind, die das nicht hinnehmen wollen. Auf den Hügeln leuchten Warnfeuer, die überall gesehen werden. Nicht nur warnen sollen die Flammen, sondern auch Menschen verbinden. Es soll ein Ort des Zusammenkommens und der Solidarität geschaffen werden. Über grosse Distanzen andere Höhenfeuer zu sehen, stärkt die Solidarität unter den Frauen* und gibt ihnen Kraft. Bäuer*innen und Landfrauen* können sich gegenseitig in ihren Anliegen unterstützen – auch wenn nicht alle ihre Forderungen gleich sind.
Die Höhenfeuer sind vorbei, aber die Kämpfe der Frauen* nicht. Am 15. Oktober war internationaler Tag der Landfrauen*. Hier stellten der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) und Swissaid den «Bäuerinnen-Appell» für besseren sozialen Schutz auf, den jede*r unterschreiben konnte: «Wir fordern konkrete Massnahmen, damit soziale Sicherheit für Bäuerinnen auf der ganzen Welt eine Selbstverständlichkeit wird. Um die gesellschaftliche Stellung der Bäuer*innen nachhaltig zu stärken, braucht es aber noch mehr: politische Mitbestimmung und in Entwicklungsländern Zugang zu Bildungs- und Landrechten.» Erfolge gibt es schon: Der Bundesrat hat im Rahmen der Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2022 vorgeschlagen, Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe nur noch auszurichten, wenn die Ehepartner*innen sozial abgesichert sind. Bisher basiert die Absicherung auf Freiwilligkeit.

Über die Landesgrenzen hinaus
Es herrscht Tauwetter auf den Schweizer Bauernhöfen. Eine weitere gute Nachricht: 2019 hat der erste Mann alle nötigen Kurse an einer Bäuer*innenschule abgeschlossen. Sobald er seine Diplomarbeit abgegeben hat, ist er offiziell ein bäuerlicher Haushaltsleiter. Der Bäuer*innen-Kampf endet nicht an der Schweizergrenze. Der «Bäuerinnen-Appell» des SBLV, der zusammen mit der Hilfsorganisation Swissaid lanciert wurde, fordert mehr Rechte für Bäuer*innen weltweit. Im westafrikanischen Land Guinea-Bissau sind über 50 Prozent der Bevölkerung Frauen*. Sie sind für die Arbeiten im Haus und auf dem Feld zuständig, meist muss alles von Hand gemacht werden. Ausserdem liegt die Kindererziehung ganz bei ihnen. Der Zugang zu Bildung und Land bleibt den Frauen* meist verwehrt. So ergebe sich aufgrund dieses Missstandes drei Forderungen an die Internationale Zusammenarbeit (IZA) bei beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, staatliche und internationale Organisationen: Die Arbeit der Bäuer*innen muss zum Schwerpunktthema der IZA-Botschaft erklärt werden. Dabei sollen die Rechte der Frauen*, insbesondere ihre Landrechte gestärkt werden. Die IZA soll die politische Mitbestimmung der Bäuer*innen fördern. Es besteht Handlungsbedarf: dass es nur gemeinsam geht, weiss auch der SBLV.

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