35 Jahre revolutionärer 8.März in Zürich – Schlaglichter einer Bewegungsgeschichte

OA Zürich. Seit 1988/89 demonstrieren in Zürich revolutionäre Aktivist:innen am 8.März für eine feministische Revolution. Radikal-feministische, kommunistische, anarchistische und queer-feministische Revolutionär:innen haben es geschafft, trotz teils grosser politischer Differenzen und Herausforderungen den radikalen Kampf gegen das Patriarchat bis heute gemeinsam weiterzuführen.

An der OA Bar vom 9.Februar 2024 haben wir zusammen mit unseren beiden langjährigen Genossinnen des FrauenLesbenKasama und des Frauenkampfkollektivs des Revolutionären Aufbaus Zürich auf diese Geschichte zurückgeblickt. In diesem Beitrag halten wir einige Schlaglichter dieser Bewegungsgeschichte fest – ein Gedankenprotokoll.

1988/89, aber was war vorher?
An der 2.Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 wurde beschlossen, einen internationalen Kampftag für Fraueninteressen zu schaffen. 1911 wurde der Frauenkampftag erstmals im März durchgeführt, so auch in der Schweiz. Der Tag fand, im Anschluss an den Gedenktag der Märzrevolution von 1848, vorerst am 19.März statt. Somit steht der internationale Frauen-kampftag seit seiner Entstehung auch für den Kampf gegen Krieg und gegen Unterdrückung durch die herrschenden Klassen im Allgemeinen.
Die Geschichte des 8.März als internationaler «Frauenkampftag» beginnt mit der Arbeiter:innenbe-wegung und den revolutionären Klassenkämpfen des frühen 20.Jahrhunderts. Doch wurden fortan Fraueninteressen und ihre Kämpfe nicht stetig stärker. Mitunter hat der Faschismus in Europa den 8.März zurückgedrängt. Aber auch die revisionistische Politik der Sowjetunion hat den Frauenkampftag zu einem Festtag erklärt und entpolitisiert.
1968 war ein radikaler Aufbruch der Klassenkämpfe in einer weltweiten und breiten Bewegung. Dies beeinflusste auch die Frauenbewegung. Der 8.März gewann wieder an Wichtigkeit. Eine zentrale Parole war «Das Private ist politisch», mit der das Ausbeutungsverhältnis im Privaten kritisiert wurde. Die Frauenbewegung der 1968er sprengte viele bürgerliche Normen und politisierte auch in der Schweiz viele FLINTAs mit neuen Themen, Protest- und Kampfformen. Die Schlussgefechte der Frauenstimmrechtsbewegung kamen zusammen mit dieser neu auflebenden Frauenbewegung.
Nach und nach wurden die 68er-Bewegung und die feministische Bewegung von den Integrationsbemühungen des bürgerlichen Staats lahmgelegt – begünstigt durch den Wirtschaftsboom und Konsum-Boom, aber auch in der Gemengelage historischer Ereignisse, wie dem Kalten Krieg. Die proletarischen und revolutionären Klasseninteressen rückten allmählich in den Hintergrund. Revisionistische Tendenzen bedrohten die Arbeiter:innenbewegung und die Frauenfrage wurde vielfach auch in marxistischen Gruppen als Nebenwiderspruch abgetan.

Ausserparlamentarische 8.März-Bündnisse
In den 1980er-Jahren – unter dem Einfluss der 80er-Jugendbewegung, den Arbeitskämpfen und der daraus entstandenen Frauengruppen – erhielt die Frauenbewegung inhaltlich wieder einen radikaleren und formell einen militanteren Ausdruck. 1988 formierte sich aus verschiedenen autonomen Gruppen und einzelnen Frauen ein Vorbereitungsbündnis zum 8.März. Sie verstanden sich als anti-imperialistisch und anti-reformistisch. Das Bruchverhältnis zum bürgerlichen Staat und den Parteien war Konsens. Das Motto war: «Geben wir dem 8.März den klassenkämpferischen Inhalt zurück».
Von Anfang an bestand im Vorbereitungsbündnis von 1988 Uneinigkeit darüber, ob die Klassenposition im Vordergrund stehen soll oder ob die Kritik am Patriarchat nicht zentraler sei. Die sozialistischen Feministinnen mit Fokus auf Klassenkampf wollten die Demos zusammen mit Männern organisieren. In ihrer Analyse bestand die wichtige Frage im Zusammenhang von Frauenkampf und Klassenkampf. Die «kulturellen Feministinnen» wollten eine klare Position gegen die herrschenden Männer einnehmen. Ihre Themenschwerpunkte waren mitunter kulturelle Räume, oder die Sexualität, weshalb eine 8.März-Demo ohne Männer wichtig war.
Es gab dann auch manchmal zwei Demos, weil sich die Vorbereitungsgruppen nicht einigen konnten. Ausschlaggebend war immer wieder die Frage: Dürfen Männer mitlaufen, oder nicht? Dahinter stehen unterschiedliche Anschauungen, wie die Unterdrückung der Frauen einzuordnen und zu bekämpfen ist. Frech und mit frischem Wind wurden aus der 80er-Bewegung Akti-vist:innen «geboren», die so richtig viel verändern wollten und sich gegen die herrschenden Verhältnisse stellten. MarLen, in Zusammenschluss von Kommunistinnen und Tante Adelante, als ein Ausdruck der organisierten, autonomen Feministinnen sind zwei Beispiele, welche die 8.März Demos in den kommenden Jahren stark prägten.
MarLen, Tante Adelante und viele weiteren Gruppen und Einzelfrauen (später auch das FrauenLesbenKasama, FLK) führten die Demos in den 1990er-Jahren weiter. «Schwanz-ab»-Parolen» waren zwar nicht Konsens, doch organisierte das Bündnis jedes Jahr eine öffentlich, unbewilligte Demonstration am 8.März, beziehungsweise am nächstgelegenen Samstag. In gewissen Jahren war das Bündnis rein technischer Natur, weil die politischen Differenzen nicht ausdiskutiert werden konnten. Was aber geblieben ist und sich durchgesetzt hat: Sie haben sich immer wieder zusammengefunden, und trotz der vielen Konflikte den revolutionären 8.März als Kampftag immer weitergeführt. Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich eine Methode, welche auch heute noch in Bündnissen angewandt wird: «Einheit in der Aktion und Vielfalt in der Propaganda.»
In Jahren mit wichtigen feministischen Abstimmungen, zum Beispiel der AHV, wollten Gewerkschaften und linke Parteien die Demoorganisation übernehmen. Im Jahr 2000 wurde als Antwort darauf vom revolutionären Bündnis eine Blitzdemo am Abend des 8.März organisiert. Obwohl die inkonsistenten 8.März-Initiativen der Gewerkschaften nervig waren, hatten sie einen guten Effekt auf die revolutionäre Linke – die Spaltungsmomente der ideologischen Linienkämpfe konnten zeitweise überwunden werden.

Vom 8.März Frauen*bündnis …
2003 gab es weltweit eine starke Antikriegsbewegung gegen den Irakkrieg. Viele junge Menschen haben sich politisiert und organisiert. Der neue kämpferische Wind an den darauffolgenden 8.März-Demos war spürbar. Die Demos erhielten Zulauf und auch in das Bündnis kamen viele junge Frauen. Vielfältig und verspielt konnte das Bündnis mit verschiedenen Ausdrucksformen, von Farbanschlägen über symbolische Aktionen, an Stärke gewinnen.
In den 2010er-Jahren dominierten Bündnisparolen, welche die Identität als kämpfende Frauen, die Selbstermächtigung oder Frauenräume thematisierten. Es war eine Zeit, in der auch inhaltliche Zusammenarbeit und Auseinandersetzung im Bündnis möglich waren. So entstanden vermehrt auch gemeinsame Bündnis-Demoaufrufe. Es war aber auch eine Zeit, in welcher der Widerspruch der historisch gewachsene Raumpolitik des 8.März-Frauen*bündnisses mit einer wachsenden queer-feministische Bewegung immer grösser wurde. Seit den massenhaften feministischen Bewegungen, welche weltweit in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre aufgekommen sind, gewann auch der 8.März wieder an Bedeutung. Seit 2017 und dann nochmals verstärkt mit dem feministischen Streik am 14.Juni 2019 bildete sich in Zürich eine breitere feministische Bewegung heraus, welche gesamtgesellschaftliche Veränderungen verlangt.
In diesem Kontext wurde die queer-feministische Bewegung immer stärker. Es kamen neue junge Feminist-innen mit an den 8. März, welche dem Grundkonsens der Raumpolitik der Demo-Organisatorinnen widersprachen. Es war nicht mehr die Frage, ob Männer mitlaufen dürfen oder nicht. Vielmehr äusserten sie Kritik an den Feminismen der 1980er- und 90er-Jahre, mit deren Fokussierung auf Frauenräume und Frauen-Identität, welche andere Geschlechtsidentitäten ausschliessen. Wer ist Teil dieser Bewegung? Wen definieren wir als kämpferisches Subjekt?

… zu 8.MärzUnite
Der 8.März drohte sich 2020 erneut in zwei Demonstrationen zu spalten. Auch zwischen den Organisatorinnen kam es zu Konflikten, die die jahrelange Zusammensetzung des Bündnisses stark unter Druck setzte. Als Ergebnis der Auseinandersetzungen gab das 8.März Frauen*bündnis die Organisierung der Demo zum 8.März ab. Ein neues Bündnis entstand, in dem nach wie vor unterschiedliche Positionen Platz haben und ein Teil der «alten» Organisatorinnen weiterhin aktiv sind. Die massenhaften feministischen Bewegungen seit 2017 ermöglichten ein neues Selbstverständnis von jungen Aktivist:innen. Heute ist die Diskussion, ob die 8.März-Demo ohne Männer durchgeführt werden soll, kein vorrangiger Konfliktpunkt mehr. Dies ist nicht etwa einem Umdenken der Feministinnen geschuldet, sondern den massenhaften feministischen Bewegungen der letzten Jahre. Es ist selbstverständlich geworden, dass FLINTA-Personen, die Demos organisieren, sich öffentliche Räume nehmen und eine eigene politische Praxis in FLINTA-Räumen ausleben.
Natürlich wird immer noch und immer wieder über vieles diskutiert und gestritten. Mit dem vereinenden Gedanken, trotz unterschiedlicher Positionen, gemeinsam eine starke revolutionäre 8.März-Demo auf die Beine zu stellen, gelingt es uns immer wieder, mit diesen Widersprüchen umzugehen. Somit ist die Geschichte des 8.März in Zürich eine Geschichte von Aufbrüchen, Rückschlägen und Widersprüchen. Aber allem Voran zeigt sie eine politische Kontinuität und Vereinigung der ausserparlamentarischen Linken. Unsere Erfahrungen und wie wir aus dieser Geschichte lernen können, machen uns stark!
Früher hiess es «Das Private ist politisch!» Heute steht die Parole «Revolution für das ganze Leben!» sinnbildlich für die heutige Zeit. In diesem Sinne, heraus zu einem anti-imperialistischen und klassenkämpferischen 8.März. «No war, but class war! Für eine feministische Revolution.»

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