«Sie sehen Frauen nicht als Menschen»

Andreas Boueke. Die Umweltingenieurin Maria del Carmen Pu (37) stammt aus dem Volk der Maya-Ki’che. Als Mitarbeiterin der Stiftung FEP-Maya begleitet und unterstützt sie junge Mayafrauen auf ihrem Bildungsweg bis zum Universitätsabschluss. Ein Gespräch.

In Europa und Nordamerika wird zur Zeit heftig über Sexismus debattiert. Welche Rolle spielt das Thema für Frauen der indigenen Bevölkerung Mittelamerikas?
Maria del Carmen Pu: Hier sprechen wir vom Machismo, einem Männlichkeitswahn, der schon seit sehr langer Zeit in dieser Region existiert. Doch nur wenige Frauen trauen sich, den Machismo zu thematisieren. Die meisten ziehen es vor, ihn als normal anzusehen. Sie denken: «Es ist normal, dass ich als Frau geschlagen werde. Es ist normal, wenn ein Mann mich anschreit. Es ist normal, dass ich eine unterwürfige Haltung gegenüber Männern einnehme.»

Wieso lassen Frauen das zu?
Viele Frauen in Guatemala ertragen den Machismo nicht nur, sie fördern ihn auch. Ein einfaches Beispiel: In den meisten Familien verbieten die Mütter, dass ihre Söhne im Haushalt arbeiten. Sie sagen, das sei Aufgabe der Töchter. Die müssen ihre Brüder bedienen. Die Jungen bekommen das beste Stück Fleisch, die Mädchen das, was übrigbleibt, weil sie ja kein Geld ins Haus bringen. Die Töchter bleiben daheim, während die Jungen und Männer arbeiten gehen.

Und die Männer? Haben die kein schlechtes Gewissen?
Im Machismo werden wir Frauen nicht wirklich als Menschen angesehen. Viele Männer sehen in uns nützliche Dinge. Ein Ding kann man kaputt machen, wann und wie man will. Zudem existiert ein Hass, der historische Ursprünge hat. In meiner Familie gibt es sehr drastische Fälle. Während des Bürgerkriegs in den achtziger Jahren wurden mehrere meiner Tanten auf grausame Weise ermordet. Dasselbe sehen wir in der Gegenwart: Frauen, deren Körper gevierteilt werden, Mädchen, die missbraucht und zerstückelt werden. Da leben Männer ihre Aggressionen aus, weil sie die Frau nicht als Mensch ansehen.

Werden die Täter nicht bestraft?
In solchen Fällen bleiben die allermeisten Täter straffrei. Sie brauchen keine Angst zu haben. Das Justizsystem funktioniert nicht. Niemand interessiert sich für das Schicksal einer armen Mayafrau. So können Männer mit grösserer Selbstverständlichkeit über unsere Körper verfügen als wir selbst. Ich habe Männer scherzen hören: «In Guatemala gibt es so viele Frauen, da macht eine weniger keinen Unterschied.» Wenn Leichenteile einer Frau gefunden werden, steht in der Zeitung, dass sie wahrscheinlich Opfer eines Eifersuchtsdramas geworden ist. Manchmal stimmt das auch. Aber wir wissen von vielen Frauen, die ermordet wurden, weil sie Anführerinnen in ihren Gemeinden waren. So wird verhindert, dass sie eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft erreichen.

Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Guatemala sind Nachkommen der Mayas. Erleben die indigenen Frauen den Machismo anders?
In den Familien der Mayas sind diese Themen tabu. Über so was wird nicht gesprochen. Die historischen Wurzeln des Machismo liegen weit zurück. Wenn ich mit Frauengruppen arbeite, trauen sich manchmal einzelne, offen zu erzählen, dass sie von ihren Männern geschlagen werden, von ihren Vätern, ihren Brüdern und sogar von ihren Söhnen. Das halten diese Frauen für normal. Natürlich wirken sich diese Erfahrungen auf ihr Selbstbewusstsein aus. Sie bringen nie den Mut auf, ein Leben ausserhalb ihres engen Familienkreises zu entwickeln.

Sie haben die historischen Wurzeln des Machismo erwähnt. Wo liegen die?
Womöglich wurden die Frauen in dieser Region schon immer diskriminiert. Aber seit der Kolonialisierung durch die SpanierInnen hat sich dieser Prozess deutlich verschärft. Ich glaube, die Christianisierung spielt dabei eine wichtige Rolle. Viele Frauen glauben an Zitate aus der Bibel, die ihnen von den Priestern vorgehalten werden: Dass sie unterwürfig sein müssen, dass sie selbstlos und opferbereit sein sollen. Das sitzt tief im Selbstbild der Frauen.

Aber in Guatemala gibt es heute doch viele Frauen, die erfolgreich sind, auch in der Wirtschaft und in der Politik.
Im Machismo werden erfolgreiche Frauen als Konkurrenz der Männer angesehen. Wenn sie führende Rollen in ihren Gemeinden oder auch auf nationaler Ebene erlangen, werden sie zu Objekten von Gewalt und sexueller Aggression. So sollen sie erkennen, dass sie nichts wert sind, dass sie keinen Platz haben an der Spitze dieses patriarchischen Systems.

Wie reagieren darauf solche Frauen, die Zugang zu Bildung und Karriere haben?
Wenn ich meine Ansichten vertrete, höre ich oft, dass ich eine Feministin sei. Aber das stimmt nicht. Ich bin keine Feministin. Ich möchte nur Frauen unterstützen. Ich hatte schon öfter Gelegenheit, Feministinnen kennen zu lernen. Diese Frauen und auch einige Männer, die sich als Feministen bezeichnen, tun sich schwer, sich auf die Realität der Frauen in Guatemala einzulassen, besonders auf die Lebenswirklichkeit der indigenen Gemeinden. Bei solchen Begegnungen kommt es oft zu deutlichen Spannungen.

Was für Spannungen?
Zum Beispiel kommen immer wieder Personen der internationalen Kooperation in unsere Dörfer und bringen feministische Ideen mit. Das sind oft Frauen, die keine Kinder haben und auch keine Ehemänner. Sie wollen Initiativen umsetzen, die nicht zum Lebensstil der Dörfer passen. Es ist einfach, von feministischen Prinzipien zu sprechen, aber sehr schwierig, diese auf die Dynamik in den Gemeinden anzuwenden. Zum Beispiel bieten sie ganztägige oder gar zweitägige Kurse für Frauen an. Da kommen dann nur sehr wenige, weil sich die meisten sich um ihren Haushalt kümmern müssen, um ihre Männer und Kinder. Sie können nicht einfach sagen: «Ich bin jetzt mal liberal und selbstbewusst.» Vielleicht kommt so ein Prozess mit der Zeit in Gang, aber ich denke, die Schritte müssen klein sein.

Wie lauten die Antworten der Frauen der Mayabevölkerung?
Ich habe oft den Eindruck, dass der Feminismus Frauen und Männer voneinander trennt. In der Weltsicht der Mayas hingegen geht es um eine Dualität. Frauen und Männer stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Es soll keine Konflikte zwischen ihnen geben. Beide sind gleich wichtig. Beide unterstützen sich gegenseitig. Wir brauchen uns und müssen uns bemühen, unsere gemeinsame Existenz harmonisch zu gestalten.

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