Pionierinnen im Kampf für die Abtreibung in der Schweiz

FrauenLesbenKasama. Abtreibung ist nicht nur einer der ältesten Kämpfe in der linken und feministischen Bewegung, sondern auch einer der umkämpftesten. Kaum ein errungenes Recht wurde in den letzten Jahren einem so grossen Backlash ausgesetzt. Deshalb möchten wir uns dem Thema widmen und die Anfänge des Kampfes für Abtreibung hier betrachten.
Das Recht darauf, eine durch das Gesundheitssystem getragene Abtreibung durchführen zu lassen, ist eine der grössten Errungenschaften der feministischen Bewegung in Europa. Für die neue Frauenbewegung Anfang der 1970er-Jahre, war es ein zentrales Thema: «Mein Bauch gehört mir!». In Frankreich, und später in Deutschland und Italien, bekannten öffentlich prominente Frauen, dass sie abgetrieben hatten. 1973 wurde die «Schweizerische Vereinigung für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs» gegründet. Es brauchte drei Jahrzehnte und vier Abstimmungskämpfe, bis die Fristenlösung gesetzlich verankert wurde, also der straffreie Abbruch in den ersten zwölf Wochen.
Doch der Kampf ist noch viel älter. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts ist dies in der Schweiz, in Bern, um genau zu sein, Margarethe Hardegger. Als feministische Anarchistin setzt sie sich für die Arbeiterinnen ein, und in dieser Logik auch für die Abtreibung. In Zürich war in dieser Zeit die sozialistische Betty Farbstein als Ärztin in Aussersihl und Kämpferin für die Geburtenregelung aktiv. Etwas später war auch Paulette Brupbacher als Ärztin im Kreis 4 tätig und verband ihren Beruf ebenfalls mit dem politischen Engagement für Sexualaufklärung, freien Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibung.

Für sexuelle Aufklärung, Verhütung und freie Liebe
Die Anarchistin Margarethe Hardegger (1882–1963) war die erste Gewerkschaftssekretärin. Im Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) organisierte sie insbesondere die Textilarbeiterinnen. Margarethe Hardegger nahm an der ersten «Internationale Konferenz Sozialistischen Frauen» im August 1907 in Stuttgart teil, zusammen mit Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und vielen weiteren Delegierten. Im Zentrum stand das Frauenwahlrecht, für das sich Margarethe Hardegger ebenfalls stark machte. Um ihre Anliegen gegen aussen zu tragen, gründete sie zwei Gewerkschaftszeitungen: «Die Vorkämpferin» und «L’exploitée». Nebst zu Themen wie Arbeitskämpfe und Frauenstimmrecht schrieb Maragerethe Hardegger darin auch regelmässig zum Recht auf Abtreibung, Verhütungsmittel und Sexualerziehung sowie zu Gewalt in der Familie oder die Rechtlosigkeit der Ehefrauen. Das ging dem SGB zu weit, und sie verlor 1909 ihre Stelle.
Ein Wendepunkt in ihrem Leben war 1908, als Margarethe Hardegger – sie hatte bereits zwei Töchter – unter schrecklichen Bedingungen abtreibt. Damit es anderen Frauen zukünftig nicht gleich wie ihr ergehen sollte, beschloss sie zu lernen, wie man sichere Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Hardegger war sich sehr wohl bewusst, dass sie so viele Jahre im Gefängnis riskierte. Deshalb arbeitete sie mit einem Arzt zusammen, der die Abtreibungen durchführte. Sie kümmerte sich um die Frauen, verwies sie dem Arzt und organisierte, wenn nötig, auch das Geld. 1915 wird sie denunziert: «Die Hardegger ist als Anarchistin signalisiert, und es besteht kein Zweifel, dass dieselbe Abtreiben der Leibesfrucht schon längere Zeit gewerbsmässig betreibt.» Ihr längst abgebrochenes Jurastudium war ihr beim Prozess nützlich, so dass sie schliesslich «nur» der Beihilfe verurteilt wurde und zwölf Monate in der «Weiberanstalt Hindelbank» absitzen musste.
Ende der 1920er-Jahren liess sich die ältere Tochter von Hardegger, Olga, zur Hebamme ausbilden. Sie gründeten zusammen ein Entbindungsheim für unverheiratete Mütter im Tessin.

Kritik an die Genossen
Betty Farbstein-Ostersetzer wurde in der heutigen Ukraine geboren und promovierte im Frühling 1900 in Zürich in Medizin. Kurz nach der Geburt des zweiten Sohnes schied sie sich vom Ehemann und eröffnete eine Praxis für Frauengesundheit in Zürich Aussersihl. Ihre Klientinnen waren Arbeiterinnen und Prostituierte. Bald verband sie die Arbeit mit politischem Engagement und setzte sich für kostenlose Empfängnisverhütung, Abtreibung sowie Sexualaufklärung ein. Sie hielt regelmässig Vorträge über Frauengesundheit und Sexualaufklärung bei Arbeiterinnen.
Betty Farbstein war bürgerlich geboren, nach ihrer Scheidung war sie jedoch alleinerziehend, erwerbstätig und wurde in der sozialdemokratischen Partei politisch aktiv. Bald erkannte sie, dass sich die sozialistischen Männer in ihrem patriarchalischen Denken kaum von den bürgerlichen Männern unterschieden. Spezifische Frauenanliegen wie Doppelbelastung, Ausbeutung, Prostitution, ungewollte Schwangerschaften wurden auch von den Genossen weder als Unrecht noch als ein vordergründiges Problem wahrgenommen. So schrieb sie 1909: «Betrachtet es ein Sozialdemokrat als seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, der Frau, wenn sie erwerbstätig ist, den Grossteil der Hausgeschäfte und der Kinderpflege abzunehmen? Ist es etwas Seltenes, dass ein Sozialdemokrat ein Mädchen schwängert und sie mitsamt dem Kind der Not hilflos preisgibt? Beutet er nicht die Proletarierin als Prostituierte ebenso aus wie die andern?»
1911 war Betty Farbstein Rednerin am ersten Internationalen Frauentag in Zürich und setzte sich für die Kollektivierung und Bezahlung der Hausarbeit ein sowie für das Recht auf Erwerbsarbeit. Dass die Genossen bitteschön auch ihren Teil dazu beitragen sollten, damit ihre Partnerinnen sich ebenfalls politisch betätigen konnten, war ebenfalls eine Kritik von ihr. Schon zwei Jahre früher schrieb sie: «Allein können sich die Frauen nicht helfen. Damit sie an Versammlungen gehen können und mit Ihresgleichen verkehren, ist es ja nötig, dass die Männer zu Hause bleiben, die Hausgeschäfte verrichten und die Kinder pflegen. Wie viele von den Genossen würden das tun?»

Revolutionäre Gesellschaftskritik und hygienisches Reformprojekt
Paulette Brupbacher wurde 1880 in Russland geboren und migrierte 1902 zusammen mit ihrem Mann, mit dem sie zwei Kinder hatte, in die Schweiz, vermutlich weil Frauen in Russland damals nicht studieren konnten. Erst promovierte sie über die Bodenreform und schloss danach ein Medizinstudium an. Nach ihrer Scheidung heiratete sie 1924 den Anarchisten Fritz Brupbacher, der damals als Arzt bereits etabliert war, und führte mit ihm gleichgestellt eine Arztpraxis in Aussersihl. Dort traf sie auf Armut und Elend. Genau wie Betty Farbstein verband sie ihre berufliche Tätigkeit mit politischem Engagement und kämpfte für freien Zugang zu Verhütungsmitteln, für das Recht auf Abtreibung, für Sexualaufklärung sowie für die Liberalisierung des Eherechts und staatliche Unterstützung der Kindererziehung.
Paulette Brupbacher traf auf Frauen, die nach zweifelhaften Verhütungsmethoden wie Scheidenspülungen mit schleimhautreizenden Mitteln litten, oder sich auf andere dubiose Verhütungsmittel verliessen, oder, zum Teil schwere Verletzungen nach dilettantisch durchgeführten Abtreibungen aufwiesen. Um möglichst alle zu erreichen, hielt sie öffentlich sexualaufklärerische Vorträge, an denen sie in klaren Worten über den Körper, Sexualität und Verhütung sprach und so zahlreiche Tabus brach. Dies führte dazu, dass sie in zwei Kantonen sogar Redeverbot erhielt.
Paulette Brupbacher hielt fest, dass die ungewollte Schwangerschaft etwas vom zerstörendsten für eine Frau sei. In ihrem Buch über ihre Patientinnen und ihre Geschichte, beschrieb sie verzweifelte Frauen, die nicht wussten, wie sie die zahlreiche Kinderschar noch ernähren sollten. Frauen, die lieber sterben würden, als in die Not, in der sie lebten, ein weiteres Kind in die Welt zu setzen – Unmengen von Frauen, die Paulette Brupbacher um Erbarmen und Hilfe baten. Eine Bitte, die sie nach den damaligen Rechtskriterien nicht erfüllen durfte – ausser das Leben der Mutter war gefährdet. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Ehepaar Brupbacher Abtreibungen vornahmen. Sie setzten sich aber dezidiert dafür ein, dass auch aus weiteren Gründen abgetrieben werden durfte. Aber das Wichtigste wäre, meinte Paulette Brupbacher, dass die Frauen gar nicht erst ungewollt schwanger würden. Sie veröffentlichte eine Aufklärungsbroschüre, in der sie klar auf die damals erhältlichen Verhütungsmittel hinweist. Ihr Favorit: ein Diaphragma in Kombination mit einem chemischen, spermienabtötenden Mittel.
Mit ihrem Mann schien sie nicht nur beruflich gleichgestellt gearbeitet zu haben, sondern auch sonst eine Partnerschaft auf Augenhöhe geführt zu haben. Gesellschaftlich erkannte die Brupbacherin jedoch schnell, dass sie von Männern, Genossen inklusive, wenig Unterstützung in ihrem Bemühen bekam: «Das ganze patriarchalische Gesellschaftssystem mit seiner sozialen, rechtlichen und ökonomischen und politischen Vorherrschaft des Mannes, wo die Frau dazu verurteilt ist, in rechtlichem Sinne ein Mensch zweiter Klasse und in politischer Beziehung ein Mensch dritter Klasse zu sein, steht in krassem Gegensatz zu den Leistungen der Frau in auf materiellem und kulturellem Gebiete.»

Zwischen Revolution, Reform und Biologismus
Die Forderungen der drei Frauen klingen heute noch modern, waren damals aber revolutionär. Umso be-fremdlicher mögen für uns gewisse Aussagen klingen. Die Ärztinnen behandelten oft Prostituierte, denen es mehr schlecht als recht ging, in finanzieller wie in gesundheitlicher Hinsicht. Betty Farbstein erkannte, dass Repression nichts bringen würde. Als Mittel gegen die Prostitution propagierte sie das Heiraten in jungen Jahren, das der Befriedigung des natürlichen Sexualtriebs diente, sowie Bildung und ein regelmässiges lebenssicherndes Einkommen. Bei der freiwilligen Prostitution erkannte sie jedoch nichts als charakterdeviantes Verhalten geborener Prostituierten. Das bedeutete, dass diese Frauen «krank» und nicht zu heilen waren.
Auch in Bezug auf die Abtreibung und Verhütung beschritten alle drei den feinen Grat zwischen Abtreibung, Verhütung und Euthanasie. Leider distanzierte sich niemand klar von letzterem, auch in späteren Jahren nicht, was wir irritierend fanden. Folgende Erklärung, die sich auf Paulette Brupacher bezieht, aber auf alle drei Frauen anzuwenden ist, haben wir gefunden: Brupacher war eine Sexualreformerin. Als diese unterscheidet sie sich von den Eugenikern, die einen gesunden Volkskörper möchten, durch die soziale Komponente. Ihr ist also klar, dass sich auch die Lebensumstände ändern müssen. Trotzdem sind wir froh, dass sich die neue Frauenbewegung im Kampf für die Abtreibung klar in ihrer Haltung von Euthanasiegedanken distanzierten.

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