Mehr als ein Mord

Eine Aktivistin an einer Kundgebung in Paris! Bild: zVg

lmt. Alle zwei Wochen wird eine Frau* in der Schweiz aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Dennoch weigert sich die Schweizer Politik, den Begriff Femizid zu verwenden und aktiv einzugreifen, um diese Schandtaten zu beenden. Am 11.Dezember findet in Zürich eine Demonstration gegen Femizide statt.

«25 Frauen* wurden dieses Jahr schon Opfer eines Femizids. Elf Frauen* haben einen versuchten Femizid überlebt. Und das sind nur die bekannten Fälle!», ist in der Medienmitteilung vom 22.November des Ni-una-menos-Bündnis Schweiz zu lesen. In der Schweiz wird durchschnittlich jede zweite Woche eine Frau* durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn ermordet.
Und dennoch gibt es hierzulande keine offizielle Stelle, die Femizide aufzeichnet und eine Statistik über Tötungen aufgrund des Geschlechts führt. Ob ein geschlechtsspezifischer Mord durch Polizeiberichte oder den Medien an die Öffentlichkeit gelangt, ist reiner Zufall. Diese Realität ist unakzeptabel. Deshalb ruft das Bündnis zu einer schweizweiten Demonstration gegen Femizide auf: «Gemeinsam gehen wir am 11.Dezember in Zürich auf die Strasse, um unsere Trauer, unsere Wut und unseren Protest sichtbar zu machen.»

Die Spitze des Eisbergs
Als ein Femizid wird der Mord an einer Frau* aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit bezeichnet. Konkret: Sie wird getötet, weil sie eine Frau* ist. Dabei ist ein gewisser Unterschied zu machen, zur Bezeichnung «Gewalt gegen Frauen*». Den Letzteres kann viele Formen von psychischer und physischer Gewalt umfassen. Von verbaler Herabwürdigung bis hin zu psychologischem, physischem oder sexuellem Missbrauch. Der Femizid hingegen kann aus diesen gewaltvollen Handlungen im Vorfeld entstehen, ist aber am Ende der beabsichtige Mord an einer Frau* und somit die Spitze des Eisbergs.
«Zu den Morden an Trans-, Inter- und nicht binären Personen gibt es fast keine Informationen, da die Berichterstattung unterschiedliche Geschlechtsidentitäten nicht anerkennt», schreibt das Bündnis in seiner Medienmitteilung weiter. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden weltweit pro Tag mindestens 137 Femizide begangen. Das sind über 50000 pro Jahr. Jedoch bleiben diese Zahlen eben nur Schätzungen. Denn auch auf internationaler Ebene gibt es auch keine Instanz, die Femizide statistisch festhält und sie ahndet. Die Dunkelziffer der tatsächlich begangener Femiziden wird mit grosser Wahrscheinlichkeit weit über den 50000 pro Tag liegen. Und das wird auch so bleiben, solange es sich eine Gesellschaft nicht zur Aufgabe macht, dies zu ändern.

Macht und Kontrolle
«Femizide sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck struktureller Gewalt, deren Grundlage die patriarchalen Machtverhältnisse bilden», schreibt das Ni-una-menos-Bündnis Schweiz weiter. Doch was heisst das konkret? Das Patriarchat ist eine Gesellschaftsordnung, in der Staat und die Familie vom Mann geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird. Wir leben schon seit eh und je in solchen Strukturen. Und ein wichtiger Aspekt des Patriarchats ist die Abwertung des weiblichen Geschlechts. «Toxische Männlichkeitsbilder gründen nach wie vor auf der Vorstellung eines ‹quasi natürlichen› Anspruchs auf Autorität, Autonomie und Souveränität– und damit verbunden der freien Verfügung über weiblich gelesene Körper», ist auf dem Wissenschaftsblog des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung Nordrhein-Westfalen zu lesen. Dieses tiefsitzende frauen*verachtende Denkmuster, sprich eine naturgegebene Macht über weibliche Personen, ist der gemeinsame Nenner aller Täter und hat seinen Ursprung im Patriarchat. Für gewalttätige Männer ist Macht und Kontrolle zentral. Femizide müssen als extremer Ausdruck dieses Dominanzbestrebens verstanden werden. Denn bei einer Trennung, Scheidung oder Anzeige kommt es aus Sicht des Täters zu einem Kontroll- und Machtverlust über die Frau*. Dies führt dann zum Mord, denn zumindest in diesem kurzen Moment verfügt der Täter wieder Macht und Kontrolle über die Frau*.

Frauen*verachtende Politik beenden
«Bemühungen gegen Femizide und patriarchaler Gewalt fanden in der institutionellen Politik der Schweiz bis heute kein Gehör. Der Ständerat lehnte im Sommer 2020 die Verwendung des Begriffs Femizid erneut ab», wird in der Medienmitteilung über die politische Situation berichtet. Anhand dieser Tatsachen, dem Fehlen einer Statistik und dem Willen, Femiziden entgegenzuwirken, wird ersichtlich, welche Interessen die Politik durchsetzt. Unsere kapitalistische bürgerliche Demokratie baut nicht nur auf den patriarchalen Machtverhältnissen auf, sondern verkörpert sie. Jegliche Opposition, die sich dem Patriarchat im Wege stellt, wird unterdrückt. Im Mittelalter waren es staatliche Hexenverbrennungen, heute ist es die Ermordung von Frauen* am helllichten Tag und die damit verbundene Gleichgültigkeit der Politik. Um die patriarchalen Machtstrukturen nicht hinterfragen und infolgedessen nichts ändern zu müssen, werden Femizide nicht als solche anerkannt. Ein allgemein gesellschaftliches Problem wird runtergespielt und ignoriert.
Zu viel ist zu viel. Am 11.Dezember wird die Forderung nach einer umfangreichen Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt in Form von Prävention, Opferhilfestellen, gesellschaftliche Aufklärung und Täterarbeit lautstark auf die Strasse gebracht. Und es wird so lange gefordert und protestiert, bis keine Frau* mehr aufgrund ihres Geschlechts umgebracht wird.

Zur Demo siehe auch Artikel auf Seite 9

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