Lippenbekenntnisse in Köniz

Foto: Igor Mukhin

sah. Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot wurden verhaftet und ihre Anti-Kriegs-Botschaft in Köniz sofort entfernt. Die Gemeinde kritisierte vor kurzem noch die verheerenden Folgen des Angriffskriegs in der Ukraine, verzeigte aber die Aktivist*innen trotzdem, die dann mit einer Geldbusse bestraft wurden.

Am 23.August feierte die Ukraine den «Tag der Flagge». Als Solidaritätsbekundung hisste die Gemeinde Köniz deswegen die ukrainische Flagge am Gemeindehaus. Denn in Köniz leben Geflüchtete aus der Ukraine. Die blau-gelbe ukrainische Flagge ist einerseits ein Zeichen der Solidarität für die Menschen in der Ukraine, die wegen dem Angriffskrieg das Land verlassen mussten. Andererseits stellt die Flagge auch ein Zeichen des Danks an die Könizer*innen dar, die Menschen bei sich aufnehmen und andere Hilfestellungen bieten. Wie weit diese «Solidarität» wirklich echt ist oder nur ein Lippenbekenntnis, ist mit der Verhaftung von Pussy Riot fraglich. Das Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine wurde umgehend entfernt.

Protest, Festnahme und Hausarrest
Das russische Punkkollektiv Pussy Riot wurde 2011 gegründet. In der Gruppe sind regierungs- und kirchenkritische Aktivist*innen dabei, die mit Performances auf Inhalte aufmerksam machen. Thematisch kämpft das Kollektiv für Feminismus, Menschen- und insbesondere LGBT-Rechte – und übt Kritik an der russischen Regierung. Ein Rahmen für die Aktionen von Pussy Riot bildet der Punkrock. Wurzeln der Protestband liegen in der «Riot Grrrl»-Bewegung. Kennzeichen der Mitglieder sind Strumpfmasken und grelle Kleider.
Berühmtheit erlangten Pussy Riot, als sie vor Jahren einen Auftritt in Moskaus Christ-Erlöser-Kathedrale hatte. Sie inszenierten vor dem Altar ein «Punk-Gebet» gegen die Allianz von Kirche und Staat. Die Aktion wurde sofort gestoppt und Mitglieder inhaftiert. Eine weltweite Welle der Solidarität erreichte die Gruppe. Unter anderem Amnesty International setzte sich für Pussy Riot ein und baute internationalen Druck auf. Die Beschuldigten von der Band wurden wegen «Rowdytums aus religiösem Hass» schuldig gesprochen. So hätten die Aktivist*innen «die soziale Ordnung grob unterwandert». Es folgte eine Verurteilung. Internationale Kritik wurde laut und in Haft erfolgten Hungerstreiks der Frauen*. Aufgrund eines Amnestiegesetzes kamen Mitglieder vorzeitig frei.
Die Aktivist*innen bezeichneten die Freilassung als «PR-Gag» im Zusammenhang mit den bevorstehenden Olympischen Winterspielen in Sotschi. Weiter kündigten sie an, trotz Freilassung sich weiterhin für Menschenrechte und gegen das autoritäre System von Präsident Putin einzusetzen. Die Pussy-Riot-Mitglieder reichten beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage ein. Russland hatte gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen. Die Geschädigten erhielten Schadenersatz und Schmerzensgeld. Nach der Freilassung traten die Aktivist*innen an den olympischen Winterspielen in Sotschi auf und 2019 am Fussball-WM-Final der Männer in Moskau.

Zeichen für den Frieden
Im Rahmen ihrer aktuellen Europatour wollen Pussy Riot ein Zeichen für den Frieden und gegen den Krieg setzen. Auf der Tour machten sie auch an der Openair-Konzertreihe «Bühne am Teich» im Berner Kult-Lokal Mühle Hunziken in Rubigen halt und führten am 30. August 2022 ihr Programm auf. Am Abend vor dem Konzert beschrifteten sie eine Stützmauer in der Gemeinde Köniz mit einer Kilometer-Informationsangabe. Die Entfernung in Kilometern sollte die Nähe zum Kriegsgeschehen zeigen. Diese Aktion wurde zuvor auch in anderen Städten durchgeführt. Pussy Riot konnte das Graffiti hier im öffentlichen Raum nicht mehr fertigstellen. Die Aktivist*innen wurden dabei von der Polizei entdeckt, verhaftet und in Handschellen abgeführt. Nach der Befragung auf dem Posten wurden sie wieder auf freien Fuss gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war noch offen, ob die Gemeinde Köniz eine Strafanzeige einreichen würde. Später wurde bekannt, dass jede Aktivist*in zu 400 Franken Busse verurteilt worden ist. Am Morgen nach der Verhaftung war das Bild auf der Stützmauer nicht mehr zu sehen. Andere Graffiti links und rechts davon blieben aber von der schnellen Reinigung verschont. Trotz der Putzaktion ist das Graffiti jetzt wieder da. Wer das Bild gesprüht hat, ist unklar. Wahrscheinlich ist es eine Solidaritätsaktion von anderen Politaktivist*innen.

Brutale Polizei
Geäussert hatten sich die verhafteten Aktivist*in-nen zur Verhaftung. Das Vorgehen der Polizei war brutal und nicht im Verhältnis zur Situation. Es war demütigend. Ein Mitglied wurde aufgefordert, ihre Unterwäsche auszuziehen. Von der Festnahme blieb ein blauer Fleck zurück. Ein anderes Mitglied war erst allein auf dem Polizeiposten. Beamten forderten das Mitglied auf, die Hosen auszuziehen. Sie verlangten diese Handlung, obwohl es die Frau dies nicht tun wollte. Es gab keinen Zusammenhang zwischen dem «Delikt rund um das illegale Sprayen» und dieser Forderung. Ein ausführlicher Bericht dazu mit einem Interview von Pussy Riot findet sich auf srf.ch.

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