Ein historischer Sieg!

sah. Reproduktive Wahlfreiheit für Mexiko – nach einem Urteil des Obersten Gerichts sind in Mexiko Schwangerschafts­abbrüche legal. Der Kampf ist zwar noch nicht zu Ende, doch während Lateinamerika zunehmend die Abtreibungen entkriminalisiert, geschieht in den USA das Gegenteil davon.

Endlich! Der mexikanische Oberste Gerichtshof (SCJN) hat Anfang September den Paragrafen des Strafgesetzbuches, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, für ungültig erklärt. Das Urteil erfolgte einstimmig. Es ist ein historischer Sieg der Frauenbewegung, nach einem langen, harten Kampf.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Wählt queerfreundliche Kandidat:innen!

sah. Gegen den rauen Wind von rechts: Pink Cross hat eine neue Kampagne, die zur Wahl von queerfreundlichen Kandidat:innen in Nationalrat und Ständerat aufruft. Besonders im Fokus steht dabei der konservative Ständerat.

Die eidgenössischen Wahlen 2023 finden am 22.Oktober statt. Grund genug, sich wieder einmal an Grundsätzliches zu erinnern: Das Schweizerische Parlament besteht aus National- und Ständerat. Die Kammern der beiden Räte sind

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Unheimliche Mütter in Aktion

sah. Republikaner:innen in den USA unterstützen ultrarechte Aktivistinnen von «Moms for Liberty», die in vielen Bundesstaaten aktiv sind. Die Mission der selbsternannten «Freiheitsmütter»: das Bildungssystem von Linken und «Perversen» zu befreien. Aber nicht nur das…

Seit sich 2021 die Organisation «Moms for Liberty» während der Corona-Krise formiert hatte, konnte diese neue extreme rechte Gruppe viel Macht aufbauen. Es fing an mit den drei Aktivistinnen Tina Descovich, Tiffany Justice und Bridget Ziegler, die sich gegen das Tragen von Masken in Schulen in Florida zur Wehr setzten. Die Organisation umfasst heute nach eigenen Angaben etwa 120’000 Mitglieder und ist in 300 Ortsgruppen in 45 Bundesstaaten präsent. Mit der Zeit sind die Themen vielfältiger geworden und bewegen sich im ultrarechten Spektrum. Ziel ist es, Schulkinder von «schlechten Einflüssen» fernzuhalten und Lehrpläne kritisch zu überdenken.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Verbesserter Schutz vor Gewalt

sah. Als erstes europäisches Land hat Belgien ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung von Femiziden beschlossen. Dort wird nicht nur mit Massnahmen gegen Tötungsdelikte vorgegangen, sondern werden auch Daten für Statistiken erhoben. Und was in Belgien möglich ist, ist sicher auch in der Schweiz umsetzbar.

Frauenverbände- und Organisationen mussten in Belgien lange kämpfen, bis das neue Gesetz da war. Aber unter anderem nach einem erneuten brutalen Tötungsdelikt an einer jungen Frau 2022 war es dann so weit: die Regierung arbeitete das «Gesetz zur Prävention und Bekämpfung von Frauenmorden, geschlechtsspezifischen Tötungsdelikten und der ihnen vorausgehenden Gewalt» aus.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Sägs wie’s isch!

lmt. In Sachen Feminizid-Bekämpfung ist die Schweiz keinen Millimeter weiter. Die Regierung weigert sich, die Anerkennung und Erfassung von Feminiziden einzuführen. Daher bleibt nichts anders übrig, als immer wieder über dieses Thema zu schreiben und Druck auf den Strassen auszuüben.

14 ist die Anzahl bereits begangener Feminizide in diesem Jahr. 14 ist auch die durchschnittliche Anzahl Tage, die zwischen dem einen und dem nächsten Feminizid liegen.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Rückgriff ins Fantastische

sah. Informationen müssen nicht richtig sein. Dies macht uns die Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind vor – und hat Erfolg. Etablierte Spitäler arbeiten mit der Stiftung zusammen und sie bieten sogar eine eigene Soforthilfe gegen Abtreibung an. Ein Grund dafür ist auch, dass finanzielle Interessen einfliessen.

Das Thema «Abtreibung» ist und bleibt ein Dauerthema bei rechten Parteien und ihren Aktivist:inne.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Biographien und Kämpfe von Frauen 

Moira Millàn. Bild: orghan.ch

sah. Die Gruppe orghan hat sich in Bern neu zusammengefunden, um gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen. Nach anfänglichen Info- und Diskussionsveranstaltungen ist ihre letzte Aktion die spannende und schön gestaltete Kampagne zum 14.Juni. Eine Zusammenfassung der Arbeit.

Vor und während des feministischen Streiks vom 14.Juni 2023 fielen die schlichten Plakate in Schwarz-Weiss sofort auf. Die Gruppe «orghan – organisiert handeln», die sich jüngst in Bern zusammengefunden hatte, kreierte eine spannende Serie. Passend zum 14.Juni sammelten die Aktivist:innen Biografien und Kämpfe verschiedenster Frauen und trans Personen, als Kurzsteckbrief auf einen Papierstreifen gedruckt und in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Mit einem Verweis auf die Webseite orghan.ch/14juni hatte orghan Protagonistinnen wie Moira Millán, Christa Eckes oder Ivana Hoffmann noch mit ausführlicheren Beschreibungen dargestellt. » Weiterlesen

Lindemanns Missbrauch stoppen!

sah. Till Lindemann ist Frontmann und Sänger der Band Rammstein. Er steht unter Verdacht, mithilfe von einer Mitarbeiterin junge Frauen für sexuelle Dienste rekrutiert zu haben. Berner Aktivist:innen forderten: «Keine Bühne für Täter». Auch in Berlin will man Rammstein nicht.

Seit Mai 2023 wissen alle, dass vor und nach den Konzerten der deutschen Band Rammstein fragwürdige Partys gefeiert werden. Eine Frau berichtete auf Social Media, wie sie an einem Rammstein-Konzert unter Drogen gesetzt worden war und dann Verletzungen erlitt. Diese Erzählung löste aus, dass sich weitere Frauen der Community anvertrauten. Es folgten viele ähnliche Berichte.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Auf zum nächsten Streik!

sit. Der feministische Streik vom 14.Juni war ein grosser Erfolg. Dies sicher auch, weil die Bewegung zu den klassischen Forderungen wie Lohngleichheit und Gleichberechtigung auch die Systemfrage stellt – und somit trennt sich auch die Spreu vom Weizen.

300000! 300000 Personen nahmen schweizweit am feministischen Streik vom 14.Juni teil. Ein Erfolg für das Geschichtsbuch, denn der diesjährige Streik schafft es in die Top 5 der Rangliste der Mobilisierungen der modernen Geschichte der Schweiz. Da können die bürgerlichen Medien noch lange versuchen, den 14.Juni 2023 kleinzureden. Das tut auch die Zürcher Polizei, welche die Teilnahme an der Demonstration in der Limmatstadt, an der um die 100000 Personen teilnahmen, mit 15000 beziffert. Eine Staatslüge, die keine weiteren Kommentare erfordert. Es war eine grossartige, bunte, fröhliche und kämpferische Lila-Welle, die durch die Strassen Zürichs schwappte. Auffallend war dabei der grosse Anteil an jungen FLINTA, die die Demonstration sehr belebten. In Bern waren es 50000, in Lausanne 20000 und in Neuenburg 7000, um nur drei weitere Orte zu nennen. » Weiterlesen

«… dann sollen sie eben zu Hause bleiben» 

Rita Maiorano (links) und Sevin Satan. Bild: vorwärts-Archiv

sit. Die PdA-Genossinnen Rita Maiorano und Sevin Satan engagierten sich in Zürich stark für den feministischen Streik. Der vorwärts sprach wieder mit ihnen nach dem grossen Erfolg vom 14.Juni und als die Anspannung bei den beiden Aktivist:innen etwas nachgelassen hatte.

Wie fühlt ihr euch 48 Stunden nach dem 14.Juni?
Sevin: Ich war am Fuss verletzt und hinke noch immer seit gut zwei Wochen. Er war lange geschwollen und aufgeschürft. An der Demo war ich wie schon 2019 verantwortlich für den Demoschutz. Ich habe den Personen, mit denen ich Demoschutz vorbereitet habe, mitgeteilt, dass ich wahrscheinlich nur einen Teil mitlaufen könne und abgelöst werden müsse. Ich hatte mir schon einen Platz im Demowagen zum Ausruhen organisiert. Doch ab dem Moment, als die Demo losging und wir dann nach rund zweieinhalb Stunden Demo auf dem Ni-una-menos-Platz ankamen, war mein Fuss kein Thema. Ich hatte es völlig vergessen, da mich das Gefühl von Freude überkam, wie damals 2019. Ich habe bis in die Morgenstunden getanzt und spürte erst mit der Müdigkeit den Schmerz wieder. 48 Stunden später spüre ich zwar noch einen leichten Schmerz, doch der Schmerz wurde durch den feministischen Streik gelindert und es war Balsam für meine Seele. Demonstrieren für den Feminismus in so einer grossen Form ist pures Doping für alle und steckt an.
Rita: Grossartig, aufgestellt und motiviert. Ein wunderbares Gefühl, wirklich. Wenn so grosse Ereignisse stattfinden wie der feministische Streik und dieser auch noch ein riesiger Erfolg wird, dann hat mensch Kraft und Motivation weiterzumachen. Pures Doping, wie Sevin sagt.  » Weiterlesen

Gerechtigkeit als Paradigma

sah. Die Forderung für gerechte Städte ist aktuell: Feministische Stadtpolitik heisst, einen Markt der informellen Ökonomie zu schaffen, Nachbarschaftszentren für die Organisation aufzubauen oder für bezahlbaren Wohnraum zu kämpfen. «Sorgende Städte» setzt hier an.

In Städten geschieht gesellschaftliche Entwicklung. Es gibt Wechselwirkungen und es wird produziert und reproduziert. Oft sind Stadtplanung und Architektur auf die Bedürfnisse der idealtypischen Figur des weissen, heterosexuellen cis-Mannes mit Vollbeschäftigung ausgerichtet. Projekte rund um «Feministische Städte» versuchen, mit Hilfe von entsprechenden Analysen eine gendergerechte Planung zu erstellen. Es wird eine feministische/intersektionale Perspektive gesucht, um Lösungen gegen Diskriminierung zu finden.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Schwerer Stand für Feminist:innen in Russland

Eine feministische Aktivistin wird bei Antikriegsprotesten auf dem Puschkin-Platz in Moskau festgenommen. Bild: zVg

sah. Der Feminismus gehört in Russland zur Opposition, die sich Wladimir Putin entgegenstellt. Der Krieg setzt russische Feminist:innen unter Druck und schürt zusätzlich Repression. So fliehen viele russische Aktivist:innen ins Ausland. Eine der Hauptaufgaben bleibt aber das Vermitteln von Wissen.

In Russland hat die feministische Bewegung niemals die Möglichkeit gehabt, irgendeine Art von Kommunikation mit den Machthabenden zu führen. Putin stellte die feministische und LGBTQ-Community so dar, als seien sie Gegenspieler:innen des «authentischen Russischseins». Aus diesem Grund wurden russische Feminist:innen bekämpft und sie radikalisierten sich. Aktivist:innen hatten sich erst überwiegend in kleinen Organisationen vor Ort vereinten.

Sie müssen Sich um den weiteren Inhalt lesen zu können. Sie können Sich hier registrieren.

Auf den Schultern von Gigantinnen

Russland 1917
Es war nicht der erste von Frauen getragene Arbeitskampf. Aber es war wohl eins der früheren Beispiele, wie ein Streik von Arbeiterinnen den Gang der Geschichte in einem Umfang umwälzen kann, wie er zuvor kaum möglich schien: Nach dem Kalender des damaligen Russischen Zarenreiches war es der 23.Februar. Nach unserem der 8. März – der Weltkampftag der werktätigen Frauen – als Arbeiterinnen aus den Petrograder Fabriken auf die Strassen strömten, um ihren Kampftag zu begehen. Sie sollten dabei die Leuchtfeuer der Revolution entfachen. Sie schlossen sich mit den streikenden Genossen aus den Putilow-Werken zusammen, rollten wie eine Welle durch die Stadt und holten Arbeiter:innen auf die Strassen. Bis zum Ende des Tages mobilisierten sie
50000 Arbeiter:innen. Am nächsten Tag waren es bereits 200000. Sie schlugen damit den ersten Nagel in den Sarg der 500 Jahre alten Romanow-Dynasty. Klara Zetkin würde ihren Kampf wie folgt beschreiben: «Die Arbeiterinnen verhielten sich in der Revolution vorbildlich. Ohne sie hätten wir nicht gesiegt!»

USA 1970
Am 26.August 1970 rief die National Organization of Women (NOW) zum Kampf- und Streiktag in den ganzen Vereinigten Staaten auf. Es war der 50.Jahrestag der Einführung des 19.Zusatzartikels der US-Verfassung, der Frauen das Recht zu wählen gab. Doch mit dem Recht zu wählen, hatte der Kampf nicht aufgehört – wenn schon, dann hatte er erst richtig begonnen. Die Streikbewegung war stark beeinflusst von den Forderungen der zweiten Welle des Feminismus, die durch die 68er-Bewegung an Fahrt gewonnen hatte: freies Recht auf Abtreibung, Gleichstellung am Arbeitsplatz und kostenfreie Kinderbetreuung. 50000 Frauen gingen für ihre Rechte auf die Strassen: Damit war der Womens Strike of Equality der grösste Streik seiner Art in den USA bis dahin. Und auch wenn es noch Jahre dauern sollte, bis die Forderungen der Streikenden zum Durchbruch gelangen würden und ihre Errungenschaften heute wieder in den USA unter scharfem Beschuss stehen, lieferte der damalige Kampftag ein Beispiel für kommende Kämpfe.

Island 1975
Kaum ein Frauenstreik dürfte derart umfassend die weibliche Bevölkerung eines Landes erfasst haben, wie der Streiktag der Isländerinnen vom 24.Oktober 1975. Neun von Zehn Isländerinnen blieben der Arbeit fern. Fabriken und Büros mussten an diesem Tag geschlossen werden, da sie ohne die Arbeit von Frauen nicht mehr funktionierten. Selbst in konservativen ländlichen Gemeinden war die Beteiligung überwältigend. In Reykjavik kamen bei einer Demonstration mit 25000 Personen mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung zusammen, sangen, hörten Reden an und sprachen gemeinsam über ihren Kampf. Ihr Ziel, mehr Gleichstellung am Arbeitsplatz, erreichten die Isländerinnen mit ihrem Fanal: Im Folgejahr beschloss das Parlament ein Gesetz zur Lohngleichheit. Dem «langen Freitag», wie der damalige Kampftag im Volksmund genannt wird, erinnern die Arbeiterinnen der Insel noch heute, indem sie zu jedem neuen Zehnjahresjubiläum des Kampfes früher den Arbeitsplatz verlassen.

Schweiz 1991
Es gingen die Uhrenarbeiterinnen im jurassischen Vallée de Joux voran: Sie schafften es, über die Fürsprache von Christiane Brunner den SGB von einem Streiktag zu überzeugen. Grund für ihren Effort: Sie verdienten viel weniger als die männlichen Kollegen. Leider scheiterte der Antrag am Widerstand männlicher Gewerkschafter am folgenden SGB-Kongress. Aus dem Streik- wurde ein Aktionstag. Doch trotzdem sollte der 14.Juni 1991 als grösste politische Mobilisierung der Schweiz seit dem grossen Landesgeneralstreik von 1918 in die Geschichte eingehen. Die Frauen kämpften damals für das Recht auf Abtreibung, eine Mutterschaftsversicherung, Kinderbetreuung, gleiche Löhne für gleiche Arbeit und vieles mehr. Bis sich ihr unüberhörbarer Mobilisierungserfolg in die politische Realität übersetzen sollte, würde es aber noch Jahre dauern. Und viele ihrer Forderungen wurden immer noch nicht umgesetzt. Der Kampf geht weiter. In den Jahren 2019 wie auch 2023!

Argentinien 2015
Als die Argentinierin Chiara Paez von ihrem Freund zu Tode geprügelt wurde, war sie erst vierzehn Jahre alt. Innerhalb eines Monats nachdem ihre verscharrte Leiche unter seinem Haus gefunden wurde, bildete sich die Bewegung «Ni Una Menos» (Nicht noch eine weniger!). Man schwor sich, dass nicht noch eine weitere Frau Opfer sexistischer, mörderischer Gewalt werden dürfe. Am 3.Juni nahm sich die Bewegung mit ungekannter Vehemenz die Strassen. 200000 Frauen protestierten gegen Gewalt an Frauen. Ein Jahr später, als die 16-jährige Lucia Pérez vergewaltigt und ermordet aufgefunden wurde, begann die Bewegung den Streik als Kampfmittel zu nutzen und wurde damit international. Es bildeten sich innert kurzer Zeit Ableger in Chile, Peru, Bolivien, Paraguay, Uruguay, El Salvador, Guatemala, Mexiko und Spanien. Inzwischen ist die Bewegung international präsent.

Polen 2016
Der Kampftag der Polinnen am 25.September 2016 trägt verschiedene Namen. Manchmal wird er schlicht «polnischer Frauenstreik» oder «allpolnischer Frauenstreik» genannt. Unter den Aktivistinnen am häufigsten ist aber die Bezeichnung vom «schwarzen Montag», der Teil der anhaltenden «schwarzen Proteste» sein sollte. Dem Streiktag voran ging die Behandlung eines Antrags zur Kriminalisierung von Abtreibung im katholisch-reaktionär dominierten polnischen Parlament. Am Streiktag selbst gingen 100000 Frauen in 147 Städten und Ortschaften im ganzen Land auf die Strasse und bekämpften die Vorlage mit unterschiedlichsten Aktionsformen. Vorbild für ihren Kampf war der isländische Streik von 1975. Es wurde noch monatelang weitergekämpft, bis trotz schwerer Repression ein Sieg errungen werden konnte. Das Parlament krebste zurück. Doch nur auf Zeit: Seit 2020 ist in Polen das Recht auf Abtreibung de facto abgeschafft. Seither verloren mindestens sechs Frauen ihr Leben, weil ihnen der in ihrem Fall lebensrettende Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde.

Internationaler Frauenstreik 2017 und 2018
Dem internationalen Frauenstreik gingen mit Ni Una Menos (vor allem in lateinamerikanischen Ländern mit Massenbeteiligung) und den Protesten in Polen kraftvolle Bewegungen voraus. Doch auch in den USA sahen die Frauen durch die Wahl des verurteilten Sexualstraftäters Donald Trump ihre Rechte bedroht. Die Bewegung begann, sich international zu vernetzen und zum Kampftag der werktätigen Frauen am 8.März hin zu einem internationalen Streiktag zu mobilisieren. In den USA nahm die Aktion Form unter dem Namen «Day without Women» (Tag ohne Frauen) an, bei dem Frauen aufgefordert wurden, ihrer Arbeit fernzubleiben. In Irland kämpften die Frauen gegen das reaktionäre Abtreibungsverbot ihrer Regierung (das inzwischen gefallen ist). In Argentinien verband sich die Streik- mit der Ni-Una-Menos-Bewegung zu einer kraftvollen Grossdemonstration und in Spanien fand ein 24-stündiger Frauenstreik statt. In insgesamt 50 Ländern kam es zu Aktionen und Streiks.

Schweiz 2019
Mehr Anerkennung für Care-Arbeit, ein Ende mit geschlechterbedingten Lohnunterschieden, ein Ende sexueller Gewalt, mehr staatliche Investitionen in Betreuungsangebote und ganz schlicht, endlich eine Umsetzung des Gleichstellungsartikels, die diesen Namen auch verdient hat. Diese und noch unzählige weitere Gründe brachten am 14.Juni, 28 Jahre nach dem ersten grossen Schweizer Frauenstreik, erneut Hunderttausende von Frauen auf die Strassen. Zählen, wie viele mit dabei war, konnte wohl niemand, mancherorts ist von 500000 die Rede. Es können auch mehr gewesen sein. Ein politisches Signal, wie es in diesem Land deutlicher kaum möglich ist. Und doch scheinen die Kapitalist:innen und ihre Steigbügelhalter:innen in den Parlamenten es zu ignorieren: In der letzten Legislatur missachteten sie die Situation der Frauen im Alter bei den Renten und verschärfen damit vorsätzlich die Armut von Frauen im Alter. Nur einer von vielen Gründen, warum der nächste Streik ihnen wirklich weh tun muss.

Aufruf zum feministischen Streik vom 14.Juni 2023

Gemeinsame Aktion SGB und Streikkollektive in Bern. Bild: SGB / Monika Flückiger

Wir sind Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans, agender und queere Personen (FLINTAQ), mit oder ohne Partner:in, mit oder ohne Kinder; wir sind gesund oder krank, leben mit und ohne physische und psychische Beeinträchtigungen; wir sind jung, erwachsen, alt; wir sind Sexarbeiter:innen; wir sind Student:innen und Rentner:innen; wir sind in der Schweiz oder in einem anderen Land geboren und aufgewachsen; wir sind Migrant:innen und Geflüchtete, wir sind Teil unterschiedlicher Kulturen und haben unterschiedliche Herkünfte; wir sind lohnabhängig, selbstständig erwerbend oder erwerbslos arbeitend. Und wir alle rufen auf zu einem grossen feministischen Streik am 14.Juni 2023!
Am 14.Juni 2019 forderten über eine halbe Million Menschen am feministischen Streiktag ihre Rechte ein. Es war die grösste soziale Mobilisierung seit dem Landesstreik 1918. Die Aufbruchstimmung in eine gleichberechtigtere, feministischere Welt war überall spürbar. Einiges kam ins Rollen. Anderes bleibt blockiert oder wurde sogar schlimmer. Die AHV-21 ist nur eines von vielen Beispielen. Darum streiken wir am 14.Juni 2023 erneut bei der Arbeit, zu Hause, bei der Ausbildung, beim Konsum und im öffentlichen Raum. Schliesse dich den feministischen Bewegungen an! Mobilisiere deine Kolleg:innen, Freund:innen und Familienangehörigen für den feministischen Streik und organisiere eine Aktion, eine Demonstration oder eine Intervention.
Weltweit sind FLINTAQ die ersten Opfer autoritärer Regime, von Kriegen und Umweltzerstörung. Sie stehen auch oft an der Spitze von Widerstandsbewegungen. Wir sind solidarisch mit all diesen Kämpfen und teilen die Dringlichkeit, dem unterdrückerischen Patriarchat in all seinen Formen ein Ende zu setzen. Jin, Jiyan, Azadì. Frau. Leben. Freiheit.

Im Jahr 2023 fordern wir:
• Eine allgemeine Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich ohne Intensivierung der Arbeit mit besseren Arbeitsbedingungen, einschliesslich eines Mindestlohns und Lohnerhöhungen in Branchen, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind. Es gilt dabei überall gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Das Gleichstellungsgesetz muss darum verschärft werden durch obligatorische Lohnanalysen, Kontrollen und Sanktionen bei Verstössen.
• Sofortige Stärkung der AHV und Abschaffung des Drei-Säulen-Systems in der Altersvorsorge zugunsten einer einzigen Säule: Kurzfristig lehnen wir die Abschaffung der Witwenrente ab und fordern, dass diese auf alle verwitweten Personen und Eltern, unabhängig von ihrem Geschlecht, ausgeweitet wird. Wir lehnen auch die BVG-21-Reform ab und fordern stattdessen die Stärkung der AHV, angefangen mit der Einführung einer
13.AHV-Rente. Langfristig: Abschaffung des Drei-Säulen-Rentensystems zugunsten einer einzigen solidarischen Säule und öffentlichen Altersvorsorge nach dem Modell der AHV, die den von der Verfassung verlangten Erhalt des Lebensstandards garantiert, sowie eine Rentenerhöhung und eine allgemeine Senkung des Rentenalters für alle. Alle Arten von Renten müssen Care-Aufgaben, die gratis geleistet werden, als Lohnarbeit für gleichwertige Arbeit anerkennen und berenten.
• Gesamtschweizerisch systematische Massnahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer, sexualisierter und häuslicher Gewalt mit einem intersektionalen Ansatz, ausgestattet mit einem dauerhaften und umfangreichen nationalen Budget und basierend auf: Aufklärung und Prävention; einer Beobachtungsstelle für Gewalt; 24-Stunden-Nottelefonen und Beratung, Anlaufstellen, Notschlafstellen, Schutzhäusern mit ausreichend Plätzen und mit spezialisierten Fachkräften sowie eine angepasste therapeutische Nachsorge, um gewaltbetroffene FLINTAQ und ihre Kinder zu schützen, zu unterstützen und zu betreuen; Schulung und Ausbildung sämtlicher in strafrechtliche Fälle involvierter Berufsgruppen die uneingeschränkte und vorbehaltlose Umsetzung der Istanbul-Konvention, ein 2011 ausgearbeiteter und von der Schweiz 2017 ratifizierter völkerrechtlicher Vertrag, der verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt verlangt.
• Elternzeit für jede Erziehungsperson für mindestens ein Jahr pro Person und Kind, wobei Alleinerziehende gesamthaft die gleiche Dauer erhalten oder diese mit einer anderen Personen teilen können, die mit 100 Prozent Erwerbsersatz (EO) entschädigt wird und mit im Minimum einer Existenzsicherung, unabhängig vom Erwerbsstatus, und mit mindestens sechs Monaten Kündigungsschutz bei Rückkehr aus der Elternzeit, ohne Gefährdung des bestehenden Rechts auf Mutterschaftsurlaub und mit einem starken, kostenlosen und qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienst, um die Care-Arbeit (wie Erziehungs-, Haus- und Betreuungsarbeit) kollektiv zu übernehmen. Darum fordern wir eine dauerhafte Erhöhung der Finanzierung des Bundes für familienergänzende Betreuungsstrukturen: Das nationale Budget für die kollektive Kinderbetreuung muss erhöht werden, um den Bedürfnissen der Familien in ihrer Vielfalt gerecht zu werden.
• Abschaffung des privaten Krankenversicherungssystems und vollständige Übernahme der Kosten von reproduktiver und sexueller Gesundheit: Schaffung einer einheitlichen, öffentlichen Krankenkasse, die nach dem Prinzip der Umverteilung des Reichtums finanziert wird, um einen kostenlosen und bedingungslosen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten, inklusive der vollständigen Übernahme der Kosten für die reproduktive und sexuelle Gesundheit, unabhängig von Geschlecht, Familienkonstellationen und/oder Aufenthaltsstatus.
• Nationaler Plan und gesamtschweizerisch systematische  Massnahmen zur Bekämpfung von rassistischer (Islamfeindlichkeit, anti-schwarzer Rassismus, antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus, Asiafeindlichkeit), fremdenfeindlicher, queerfeindlich, behindertenfeindlicher Diskriminierung oder von Bodyshaming, der mit einem dauerhaften und umfangreichen nationalen Budget ausgestattet ist und auf folgenden Massnahmen beruht: Bildung, Prävention, Sensibilisierung; Nulltoleranz gegenüber diskriminierendem Verhalten; konkrete Umsetzung in der gesamten Gesellschaft; politische Teilhabe von Migrant:innen und Ausweitung ihrer politischen Rechte; gesetzliche Anerkennung aller Geschlechtsidentitäten; Sichtbarkeit und Anerkennung für Menschen mit Behinderung; Zugang zu Sport, Freizeit, Gesundheitsversorgung und Beschäftigungsmöglichkeiten ohne Diskriminierung aufgrund von Religion, Rassifizierung, Aufenthaltsstatus, Aussehen oder Gesundheits­­zustand.
• Feministisches Asyl und Aufenthaltsbewilligung: Asyl, Zugang und maximaler Schutz für FLINTAQ, denen aufgrund der Geschlechtsidentität sowie ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihres feministischen Kampfes Gewalt angetan wird und die fliehen müssen. Anerkennung von geschlechtsspezifischer, homophober, transfeindlicher und sexualisierter Gewalt sowie von politischer Verfolgung als Fluchtgründe; Zugang für alle Betroffenen geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt zu spezialisierten Unterstützungsstrukturen – materiell, gesundheitlich und rechtlich – und Schutz für FLINTAQ, die von Gewalt betroffen sind, sei es in ihrem Herkunftsland oder während ihrer Migrationsgeschichte, einschliesslich in der Schweiz; Abschaffung des Nothilferegimes und Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen, besonders FLINTAQ und Kinder; Recht auf Familiennachzug für alle Geflüchteten und Migrant:innen; ein bedingungsloses jus soli für alle Personen, einschliesslich derjenigen ohne legalen Status, weil eine demokratische Gesellschaft nicht ein Viertel ihrer Bevölkerung ausschliessen darf, und für alle Personen, die in ihrem Herkunftsland und/oder während ihrer Migrationsgeschichte, einschliesslich in der Schweiz, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt erlitten haben.
• Nationaler Aktionsplan und Massnahmen für Klima und Umwelt: Sofortige Anerkennung des Klimanotstandes, der Umweltzerstörung und des Zusammenbruchs der biologischen Vielfalt, die das Leben bedrohen; Sofortige und konsequente Investitionen in nachhaltige Technologien und die Erarbeitung und Finanzierung ganzheitlicher Strategien mit dem Ziel der Klimagerechtigkeit, dies in internationaler Zusammenarbeit; Debatte über den Umbau unseres Wirtschaftssystems, von dem nur eine Minderheit profitiert, während die Mehrheit der Weltbevölkerung ausgebeutet wird und in Armut lebt; Der Aktionsplan ist speziell auf Institutionen, Unternehmen, Grosskonzerne und den Finanzplatz ausgerichtet. Es werden verbindliche Massnahmen und Sanktionen festgeschrieben; Einführung eines lokaleren, solidarischen und ökologischen Systems der Nahrungsmittelproduktion/-verteilung; echte Ernährungssouveränität und gegen das Monopol der Agrarwirtschaftslobbys.
• Verankerung eines intersektionalen Feminismus in der Bildung: Anwendung und Vermittlung von unter anderem queerfeministischen, antirassistischen, anti-Body-shaming, behinderteninklusiven und ökosozialistischen Werten, einschliesslich der Sexual- und Zustimmungserziehung, durch die Lehrpläne und durch Aus- und Weiterbildung von Fachkräften in diesem Bereich, eine Aufstockung der finanziellen Mittel und eine Erneuerung der Bildungsmaterialien.
• Recht auf kostenlosen Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung für alle unabhängig vom Aufenthaltsstatus oder Geschlecht: Der Schwangerschaftsabbruch soll zudem aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und stattdessen im Zivilgesetzbuch geregelt werden.

«Wir müssen jedes Jahr streiken»

Rita Maiorano (links) und Sevin Satan. Bild: zVg

sit. Die PdA-Genossinnen Sevin Satan und Rita Maiorano aus Zürich waren bereits beim Frauenstreik 2019 aktiv und sind es auch dieses Jahr wieder beim feministischen Streik vom 14.Juni. Was hat sich in diesen vier Jahren alles getan, und wie soll es weitergehen? Ein Gespräch mit den beiden Aktivist:innen. 

Es ist bald so weit: Worauf freut ihr euch besonders?
Rita: Dass es endlich so weit ist nach dem langen Organisieren und den zahlreichen Sitzungen. Ich will das Resultat der diesjährigen Mobilisierung sehen. Ich glaube, dass es in Zürich nicht so eine grosse Demo wie 2019 werden wird. Dies liegt daran, dass es dieses Jahr im Kanton auch an anderen Orten Demos und Aktionen geben wird. Aber ich lasse mich gerne überraschen.

Sevin: Dass das Thema Streik wieder im Vordergrund steht, mehr Gewicht bekommt, was während der Pandemie weniger der Fall war. Und dass es schweizweit wieder etwas ganz Grosses werden wird wie 2019, weil mehr Personen zur Bewegung dazugestossen sind. 

Ist es die gleiche Vorfreude wie vor vier Jahren?
Sevin: Nein. Ich hatte 2019 keinen Erfahrungswert, mit dem ich es hätte vergleichen können. Es war etwas ganz Neues. Seit damals haben wir viele Erfahrungen gesammelt. Aber ich freue mich immer noch riesig darauf. 

Rita: 2019 mussten wir zuerst den gemeinsamen Nenner finden. Die Aktivist:innen aus den verschiedenen Organisationen und Parteien mussten sich erst mal kennenlernen und auch lernen, sich gegenseitig zu respektieren. Das war diesmal nicht der Fall. Heute kennen wir diese Verschiedenheiten und wir können sie auch viel besser für das grosse Gemeinsame nutzen. Wir haben einen Erfahrungswert, auf dem wir aufgebaut und alles organisiert haben 

Im Interview mit dieser Zeitung kurz vor dem Streik 2019 habt ihr «die alltägliche Realität der Frauen» als den gemeinsamen Nenner genannt. Ist das immer noch so?
Sevin: Ja, das ist noch so. Im Manifest, das 2019 erarbeitet wurde, finden sich alle irgendwo wieder. Dieses Manifest haben wir überarbeitet und ergänzt, weil neue Thematiken hinzugekommen sind. So, dass sich womöglich noch mehr FLINTA angesprochen fühlen. 

Rita: Mit dem Manifest 2019 wurde die Basis gelegt. So ist es dieses Jahr auch der feministische Streik und nicht mehr der Frauenstreik. Wir haben Synergien zusammengebracht.

Vom Frauenstreik zum feministischen Streik. Drückt dies die Entwicklung der Bewegung aus?
Sevin: Bei vielen Menschen ist jetzt sicher ein neues Bewusstsein da. Mensch hinterfragt viel mehr unter anderem die Rollenbilder, aber auch die eigene Sexualität. Feministische Themen sind viel mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mensch spricht mehr davon und hat auch ein breiteres Verständnis geschaffen. So fühlen sich viel mehr von einem feministischen Streik als von einem Frauenstreik angesprochen. Dies war ein wichtiger Schritt. Zur Entwicklung gehört auch, dass immer mehr Personen dazu kamen, vor allem auch jüngere. Sie übernehmen auch Verantwortung. Und dass diese jungen Menschen bereits für ihre Rechte einstehen, finde ich eine sehr positive Entwicklung.

Gab es Probleme, die vor vier Jahren nicht da waren?
Rita: Nein. Wir hätten etwas früher die Bewilligung für die Demo hier in Zürich einreichen können, da waren wir etwas spät dran. Aber wir haben durchsetzen können, dass wir an all den Orten, an denen wir mit der Demo vorbeigehen wollten, dies auch machen können. Dies hat auch damit zu tun, dass an den Verhandlungen mit der Polizei von unserer Seite her Frauen teilnahmen, die von den Erfahrungen vom Streik 2019 profitieren konnten. Insofern ist das auch ein Erfolg des damaligen Streiks. 

Der Streik 2019 schrieb Geschichte, aber viele der Forderungen wurden noch nicht umgesetzt. Es gab gar Rückschritte, wie bei der AHV. Warum?
Rita: Bei der AHV sind zwei Aspekte zu nennen. Erstens ist die Linke im Parlament, also dort, wo nun mal in diesem System die Entscheide fallen, in der Minderheit. Und die, die sich dort links nennen, sind auch nicht immer unsere Freund:innen. Zweitens kam dann die Pandemie, die eine Kontinuität, die nötig gewesen wäre, verunmöglichte. Die Pandemie hat die Bewegung einiges an Schwung genommen. 

Sevin: Der bürgerliche Staat hat erneut bewiesen, dass er an einer Gleichstellung nicht interessiert ist. Wenige Tage nach dem Streik 2019 kündigte der Bundesrat über Alain Berset an, das Rentenalter der Frauen erhöhen zu wollen. Der Staat zwängte uns so einen Verteidigungskampf auf. Er verschärfte auch die Repression. Dies war auch auf der Strasse immer wieder zu spüren. Wie zum Beispiel die gewaltsame Auflösung der Polizei von Aktionen wie am 8.März 2021 und den Bussen, die ausgesprochen wurden.  So hatten wir weniger Kapazität, um den Forderungen des Streiks von 2019 Nachdruck zu verleihen, uns noch stärker für sie einzusetzen.

Rita: Ja, das stimmt. Aber wir haben uns auch in die Defensive drängen lassen. Wir haben es verpasst, die AHV-Diskussion zu unseren Gunsten zu drehen. Die Senkung des Rentenalters für Männer hätte auch zu einer Gleichstellung geführt. Der Staat ist zwar auf den Zug Richtung «Gleichstellung» aufgesprungen, hat uns aber seine Konditionen diktiert. Dies muss uns für die Zukunft eine Lehre sein. 

Sevin: Da bin ich nicht gleicher Meinung wie du Rita. Warum sollten wir eine Senkung des Rentenalters für Männer fordern, wenn unter anderem die Lohngleichheit bei weiten noch nicht erreicht ist?

Rita: Jetzt haben wir gar nichts, was wir diesbezüglich forderten: Wir haben ein höheres Rentenalter bei Frauen und noch immer keine Lohngleichheit. Ich fand es politisch etwas naiv, dass wir die Senkung des Rentenalters bei den Männern nie in Betracht gezogen haben, im Sinne einer Gleichstellung.

Was war also der grösste Erfolg des Streiks 2019?
Sevin: Dass so viel verschiedene FLINTA-Personen auf der Strasse waren, die zuvor noch nie an einer Demonstration teilgenommen hatten. Dass sie das Gefühl des gemeinsamen Nenners gespürt haben, so die Erkenntnis bekamen, dass sie ähnliche Problem und Sorgen wie Zehntausende andere haben. Dass sie den Mut bekamen, sich über die verschiedenen Themen zu informieren, sich zu vernetzen und sich so zu stärken in ihren Kämpfen. Kurz: Tausende haben gesehen und erlebt, dass sie nicht allein sind.

Rita: Sicher hat die grosse Teilnahme bei vielen einen grossen Eindruck hinterlassen. 

Die grossen Zahlen sind der Erfolg? Ist das nicht etwa wenig?
Sevin: Der politische Erfolg 2019 war, dass sich zuvor nicht politisierte Personen an den Vorbereitungen und dann auf die Strasse gingen und sich so politisierten. Und, dass sich in den Parteien, Gewerkschaften und vielen anderen Organisationen sich mit den Themen intensiv befassen und auseinandersetzen mussten, vor allem mit der Genderfrage, Frauenquote, Sexismus, Rassismus und Gewalt. Ehe für Alle, Nein heisst Nein und der Vaterschaftsurlaub sind sicher kleine Teilerfolge davon. Dazu kommt, dass sich neue Kollektive und Gruppierungen gebildet haben, die spezifische Themen angehen und vorantreiben, wie zum Beispiel das Streikhaus, das Kollektiv «Ni una menos» oder das Gastra-Kollektiv. 

Gibt es Enttäuschungen?
Rita: Dass es bei vielen Forderungen weiterhin nur im Schneckentempo vorwärtsgeht. Seien wir ehrlich: Im Parlament sind unsere Forderungen nicht mal an die Stelle Nr. 1000. Wir müssen jedes Jahr streiken.

Sevin: Dass der Staat nur Brosamen gibt, dabei alles aufbläst und so tut, als würde er vieles für die Frauen und FLINTA machen. 

Du hast die Hoffnung auf Veränderungen durch den bürgerlichen Staat?
Sevin: Nein, das habe ich nicht. Aber so wie Rita bin ich auch der Meinung, dass in den Parlamenten vermehrt Personen nötig sind, die hinter unserem Manifest stehen und unsere Forderungen einbringen. Es braucht den Druck von der Strasse, aber auch jener im Parlament. 

Wie soll es nach dem 14.Juni weitergehen?
Rita: Es ist bereits eine Sitzung des feministischen Streikkomitees nach dem 14.Juni geplant. Dabei soll auch die Frage nach dem «Wie weiter?» diskutiert werden. Wie erwähnt, wenn wir jedes Jahr streiken wollen, dann muss eine Kontinuität angestrebt und erreicht werden. 

Sevin: Ich wünsche mir, dass wir den Fokus vermehrt auf den Streik legen. Dass wir gemeinsam lernen, zu streiken, also die Arbeit niederzulegen. Das ist keine einfache Sache, das ist mir bewusst, wenn mensch vom Lohn abhängig ist und Angst hat, den Job zu verlieren. Ich bin überzeugt, dass je mehr wir uns auf den Streik fokussieren, desto erfolgreicher werden wir sein. 

«Wir wollen tiefgreifende Veränderungen bewirken»

Demonstration am 8. März 2023 in Santiago de Chile. Bild: zVg

Sarah Herold. In Chile setzen Feministinnen zusätzlich zu den klassischen Kämpfen wie dem Recht auf Abtreibung oder gegen patriarchale Gewalt eine radikale Infragestellung des neoliberalen Kapitalismus auf die Tagesordnung – und das mit Erfolg. Ein Gespräch mit der Journalistin und Aktivistin Javiera Vallejo.

Die chilenische Politik zeichnet sich durch Individualismus und Neoliberalismus aus. Dies haben feministische Bewegungen jedoch durcheinandergebracht. Handelt es sich um einen echten Bruch oder nur um eine Unterbrechung mit den bisherigen Verhältnissen?
Und welche Wirkung konnten sie in den vergangenen Jahren tatsächlich entfalten?
Meiner Meinung nach lässt sich darin bislang noch kein echter Bruch erkennen. Viele feministische Strömungen in Chile haben sich bislang auf die gesellschaftliche Organisation konzentriert und dabei insbesondere in den letzten Jahren die Sorgearbeit in den Mittelpunkt gestellt. Dabei ging es einerseits um eine Theoriebildung und die Kritik an ursächlichen gesellschaftlichen Strukturen, andererseits aber auch um konkrete Aktionen und Massnahmen zum Thema Nachhaltigkeit. Aus unterschiedlichen Richtungen haben sich Frauenorganisationen und soziale Führungspersonen an dem Prozess beteiligt. Die Akteur:innen kommen aus der Umweltschutzbewegung und der Verteidigung nationaler Souveränität. Sie organisieren sich in Stadtvierteln und setzen sich für den Schutz der indigenen Bevölkerung oder die Sorgearbeit, der Nahrungsmittelsouveränität, dem sozialen Wohnungsbau und die Betreuung von Kindern und Senior:innen ein.
Es gibt eine Geschichte von Frauenkämpfen, die in neoliberaler Lesart als Bereiche individueller Verantwortung verstanden und in den privaten Bereich verbannt werden, die nun jedoch durch die gemeinschaftliche Organisierung vergesellschaftet und durch öffentliche Forderungen ersetzt wurden. Seit mehreren Jahren setzen Feministinnen in Chile zusätzlich zu den klassischen Kämpfen des Feminismus wie dem Recht auf Abtreibung, gegen patriarchale Gewalt und politische Partizipation eine radikale Infragestellung des neoliberalen Kapitalismus kämpferisch auf die Tagesordnung, wobei die Nachhaltigkeit des Lebens im Mittelpunkt steht. Frauen, die in der Vergangenheit für einen Grossteil dieser Sorgearbeit verantwortlich waren, fühlten sich dazu aufgerufen, mehr und mehr auf die Strasse zu gehen. So war es am 8.März 2019, als zwischen 900000 und einer Million Menschen aus unterschiedlichen sozialen Organisationen unter massgeblicher Beteiligung von Frauen auf die Strasse gingen. Damit wurde die gängige Kritik widerlegt, der Feminismus sei vor allem ein akademisches und elitäres Projekt wie in bestimmten Kreisen immer wieder zu hören ist. Aus diesem Blickwinkel könnte man also sagen, dass die herrschenden Verhältnisse und die Annahmen hinterfragt werden, auf denen der chilenische Individualismus in seiner radikalsten Ausprägung beruht: dass nämlich die Menschen kein Verlangen danach hätten, sich zu organisieren oder das System zu kritisieren, in dem sie derzeit leben, und sich stattdessen lieber dem Konsum in den grossen Einkaufszentren hingäben. Feministische Organisation oder eher die Feminismen sind sehr divers, organisieren sich aber zumindest in Chile über verschiedene Frauen- und Widerstandsorganisationen, in denen sich ein neues Narrativ herausgebildet hat. Eine radikale Kritik am herrschenden System, in dem wir uns befinden und die Organisationsformen, mit denen traditionelle linke Politik gemacht wurde. Man könnte vor diesem Hintergrund also durchaus von einer historischen Wende reden. Einerseits erleben wir die Entstehung einer sozialen Bewegung, die sowohl die Rechte für die Vertiefung der kapitalistischen, neoliberalen und fundamentalistischen Logik als auch die Linke kritisiert, die in Lateinamerika in den letzten Jahren gescheitert ist. Wir sind von totalitären und rechtsfaschistischen Regierungen umgeben, während die progressive Politik auf dem Rückzug ist. Diese Veränderung ist für sich genommen zwar noch kein Bruch. Man sieht aber, dass sich die Gesellschaft immer weiter polarisiert und die Rechte sowohl in diesem Land als auch in der gesamten Region zunehmend in Richtung Autoritarismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Fundamentalismus abdriftet. Wir befinden uns also gerade in einer wichtigen Phase und erleben eine Öffnung, die zwar noch nicht weit genug geht, uns aber eine Marschrichtung vorgibt.

Sie kritisierten den Kapitalismus und heute sind es gerade Frauen und LGBTIQ-Menschen, die sich besonders stark mit linker oder marxistischer Politik identifizieren. Wie viel Marxismus oder antikapitalistische Kritik steckt heute in den feministischen Bewegungen in Chile?
Der Marxismus ist noch immer äusserst wichtig für unsere Bemühungen. Man muss aber unterscheiden zwischen marxistischer Theorie und marxistischer Kapitalismuskritik auf der einen Seite und den traditionellen Linken auf der anderen Seite, die zwar marxistische Fahnen schwenken und sich als Marxist:innen bezeichnen, in den letzten 20 oder 30 Jahren aber ihren Weg hin zur Institutionalisierung gegangen sind und die Logik der liberalen Demokratie für sich angenommen haben. Um es mit Donna Haraway auszudrücken, ist der Marxismus zwar wichtig, darf sich aber nicht auf blosse Kritik beschränken. Vielmehr muss er über andere mögliche Welten nachdenken. Und genau das tut der Feminismus. Er überlegt, was falschläuft und setzt sich zum Ziel, eine andere Gesellschaft aufzubauen. Dabei dürfen wir uns keineswegs nur auf den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital beschränken, der sehr wichtig ist, aber nicht allein in den Mittelpunkt gestellt werden sollte.
Stattdessen befasst sich der Feminismus zunehmend mit den Themen der unbezahlten Arbeit, der Sorgearbeit und der reproduktiven Arbeit, welche für die feministischen und sozialen Bewegungen Lateinamerikas seit jeher wichtig sind, von der traditionellen Linken aber nicht aufgenommen wurde. Der Schutz und das Bewahren von Umwelt und Natur wurde von der Linken systematisch ausser Acht gelassen und stattdessen in die entwicklungsorientierte wirtschaftspolitische Logik eingefügt. Der Extraktivismus wurde von der Linken nicht hinterfragt, obwohl er vielen Gemeinschaften und Regionen grossen Schaden zugefügt hat. In dieser Hinsicht kann man die traditionelle Linke also durchaus kritisieren. Ich glaube aber dennoch, dass der Marxismus ein wichtiges Feld ist und der marxistische Feminismus ebenfalls eine wichtige Strömung innerhalb eines Feminismus darstellt, der sich zunehmend organisiert und einbringt.
Ein anderes Thema in Lateinamerika ist das Hinterfragen des historischen Subjekts im Kontext der Erwerbstätigkeit, mit dem sich in Chile und Argentinien sowie in Brasilien zahlreiche soziale Bewegungen befassen. Sie verstehen unter Arbeit nicht unbedingt nur bezahlte Arbeit und definieren die Arbeiter:innenklasse nicht ausschliesslich über Lohnarbeit. Man denke etwa an die Kooperativen, die genossenschaftlich organisierten Projekte und den informellen Arbeitsmarkt, auf dem äusserst prekäre Verhältnisse herrschen. Sie begreifen sich als autonom und organisieren sich ebenfalls zunehmend. Tatsächlich entsteht in Argentinien gerade ein Zentrum für diese Beschäftigten. Dort stellt sich die Frage, wie die gesellschaftliche und politische Organisation in diesem Bereich aussehen kann. Dadurch entsteht eine relevante Kritik am Marxismus in seiner klassischen Ausprägung. Ausserdem befasst man sich dort mit der Frage, wie wir die Gesellschaft denken wollen und können. Es geht darum, wie wir die Produktion autonomer organisieren können, ohne uns von Kapital, Unternehmen oder sogar dem Staat abhängig zu machen. Die Organisationen der Arbeiter:innen weisen in dieser Hinsicht Anknüpfungspunkte zur Umwelt- und Frauenbewegung auf, die die reproduktive und unbezahlte Arbeit in den Mittelpunkt rücken. Hier existiert eine interessante Symbiose, die man als Kritik am traditionellen Marxismus auffassen kann. Ohne Zweifel muss diese kritische Auseinandersetzung fortgesetzt werden, die der Marxismus im vergangenen Jahrhundert angestossen hat und die noch immer grosse Relevanz besitzt.

Welche grossen Herausforderungen ergeben sich in der politischen Arbeit aus der Notwendigkeit, unterschiedliche Perspektiven, Persönlichkeiten und Erfahrungen miteinander in Einklang zu bringen?
Die Koordinationsstelle «Coordinadora 8M» ist allein schon deshalb vielfältig, weil sie sich aus unterschiedlichen Individuen zusammensetzt. Es geht weniger um gesellschaftliche und politische Organisationen als um Menschen, die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Organisationen angehören. Auch Vertreter:innen der Parteien sind dabei. Und innerhalb der Koordinationsstelle gibt es unterschiedliche Schwerpunktbereiche. Die Aktionen sind vielfältig. Die Koordinationsstelle ist in einem Feminismus zu verorten, der sich zwar deutlich vom liberalen, institutionalisierten Feminismus abgrenzt, diesen aber nicht verneint. Wir übernehmen die Koordination bei zahlreichen Aktionen mit unterschiedlichen Organisationen, die mitunter viel stärker institutionalisiert und auch liberaler sind. Dabei geht es uns stets darum, gemeinsam Dinge anzustossen, von denen wir überzeugt sind, dass diese gemeinsam angegangen werden müssen. Die Koordinationsstelle steht aber auch ganz allgemein für Kritik an Kapitalismus und Rassismus. Wir lernen stets dazu und betreiben den Kampf gegen Rassismus zunehmend auch aus feministischer und dekolonialistischer Perspektive. Denn man darf nicht vergessen, dass der Kolonialismus auch die Politik der marxistischen Linken geprägt hat. Es herrscht also eine grosse Vielfalt, andererseits geht es aber auch um ein grösseres Ganzes.
Die Vielfalt zeigt sich also in gewisser Weise auch in den unterschiedlichen Gremien und
Ausschüssen, die sich um einzelne Themen kümmern. Andererseits bildet sich ein breiterer Konsens bei anderen Themen heraus.
Das ist ein Lernprozess. Die »Coordinadora 8M« wurde für und mit dem 8.März gegründet. In den letzten zwei Jahren haben die beteiligten feministischen Organisationen aber bemerkt, dass es nicht nur um den 8. März als Datum geht, sondern ein ganzer Prozess angestossen werden muss. So ist das Konzept des Dauerstreiks und des feministischen Generalstreiks entstanden. Man hat erkannt, dass Streiks ein Organisationsprozess und ein ständiger Kampf sind. Aus diesem Grund hat die Koordinationsstelle auch internationale Treffen angestossen, bei denen ein Programm entwickelt wurde.

Das ist eine grosse Aufgabe …
Allerdings. Sie ist anspruchsvoll und hat auch zu Verwerfungen geführt. Einige gehen, andere kommen, manche Organisationen kritisieren uns. Aber Entscheidungen sind immer schwierig. Am liebsten wäre es mir, wenn alle Entscheidungen bereits getroffen wären und wir direkt loslegen und handeln könnten. So sind wir aber gezwungen, uns so zu organisieren, wie es dem gesellschaftlichen und politischen Kontext angemessen ist. Das möchten wir gerne fortführen. Wir wollen tiefgreifende Veränderungen bewirken. Das ist schwierig, bietet aber auch Anlass zur Hoffnung.

Quelle und Erstveröffentlichung: fes.de

1 2 3 4 5 21