Ist der 8. März noch zeitgemäss? Das F*LK fragt – Frau* antwortet

Braucht es in Zeiten der Individualisierung, wo scheinbar auch für Frauen* alles/vieles möglich ist – zum Preis von gewissen Anpassungsleistungen – überhaupt noch die Frauen*demo am 8. März als Ausdruck des kollektiven Kampfes gegen das kapitalistische Patriarchat? Es ist uns bewusst, dass wir diese rhetorische Frage nur aus einer privilegierten Position stellen können. Es ist uns aber wichtig, dieser Frage nachzugehen, weil durch die Tendenz, Geschlecht nur noch als konstruierte soziale Kategorie zu sehen, reale Unterdrückungsverhältnisse verwischt werden. So haben wir eine Umfrage gestartet, um herauszufinden, wie Frauen* das in unserem näheren und weiteren Umfeld sehen. Ohne näher auf die Genderfrage einzugehen, fragten wir: «Braucht es den 8. März überhaupt noch und warum?»

Haben Frauen* alles erreicht?

«Bester Tag im Jahr. So viele Leute, die sich mobilisieren. Ich ziehe viel Energie daraus. Es ist unser Tag, es gibt eine emotionale Bindung. Und es ist eine radikale Demo.»
«Ich bin nicht so politisch und auch wenn ich nicht an die Demo gehe, treffe ich mich mit Frauen zum Austausch an diesem Tag. Es passiert an vielen Orten etwas – auch für diejenige, die kein Demo-Mensch ist, gibt es Möglichkeiten, den Tag zu begehen. Der Tag hat eine starke Ausstrahlung. Die Demo ist sehr wichtig und sie animiert auch zu anderen Aktivitäten.» «Natürlich braucht es den 8. März, da das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen* weiterhin existiert.» «Wo immer ich hinschaue, die Unterdrückung der Frau* ist immer noch real präsent: Kriege überall, sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt, Ausbeutung in der Familie, am Arbeitsplatz, Lohngefälle, Sexarbeit, Reproduktionsarbeit, Schönheitschirurgie. Die Liste könnte lange werden…» «Der 8. März ist für Frauen* auf der ganzen Welt ein wichtiges Datum. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Es ist noch lange nicht erkämpft, was uns Frauen* zusteht.» «Ja, es braucht den Tag als Frauen – ohne * -kampftag. Als Zeichen gegen Aussen, dass eine Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht ist und als Zeichen gegen Innen, zur Stärkung unserer eigenen Kräfte.»
«Da wir immer noch keine echte Gleichberechtigung, Lohngleichheit und Wahlmöglichkeiten haben, ist die jährliche Erinnerung daran und die kritische Auseinandersetzung damit schon noch aktuell. Ob diese Generation, oder auch jede andere, (ich selbst bin 38 Jahre alt) allerdings die bisherigen Wege, mit Demos und dergleichen, beschreiten sollte, das ist wirklich zu diskutieren. In welcher Form könnte diese Diskussion nachhaltig auch Veränderungen bringen? Was sind die Bedürfnisse über dies hinaus, was beschäftigt junge Frauen wirklich, wo sehen sie sich blockiert?»

Patriarchale Werte im Aufwind

«Ja, es braucht einen internationalen Frauentag, insbesondere in diesen Zeiten, wo das Patriarchat sich so zügellos gebärdet.» «Den 8. März braucht es mehr denn je, denn in Zeiten, in denen Feminismus im Hinblick auf eine angebliche Überlegenheit der eigenen Kultur thematisiert und als Vehikel benutzt wird, einem nationalistischen, rassistischen Chauvinismus Vorschub zu gewähren, muss daran erinnert werden, dass sich der feministische Kampf immer auch gegen die Werte des sogenannten «Abendlandes» richtet. Feminismus ist ein emanzipatorischer Kampf gegen den reaktionären Chauvinismus des «Abendlandes». Am 8. März tragen wir diesen auf die Strasse.»

Der 8. März hat Geschichte

«Es braucht den 8. März, damit wir an all die Frauen* erinnern, die vor uns gekämpft haben und uns den Weg vorbereitet haben.» «Ja, es braucht den 8. März noch! Er symbolisiert eine wichtige Tradition organisierten Frauenwiderstandes gegen patriarchale Herrschaft. Wichtig ist auch die Vielfalt der Manifestationen an kreativen, mutigen, kämpferischen, intelligenten, diskursiven etc. Formen, den 8. März zu begehen. Wir müssen aber aufpassen, dass unsere Slogans und Forderungen nicht bis zum Abwinken zu leeren Floskeln verkommen, sondern ihre Bedeutung behalten. Und vielleicht wären manchmal etwas positivere Slogans – für unsere Visionen statt gegen alles – motivierender.» «Die Tradition der 8. März Demo in Zürich braucht es unbedingt noch! Weil es eine der Gelegenheiten ist, bei denen Frauen* ohne Männer was Grosses auf die Beine stellen. Das macht mega Spass, gibt viel Energie und vor allem ist es ermächtigend. Und auch, weil mir jedes Mal an der Demo auffällt, wie viele Männer sich angegriffen fühlen und sehr aggressiv reagieren alleine durch die Tatsache, dass es Frauen* wagen, sich Raum zu nehmen und laut zu sein, ein Privileg, das sonst nur Männer geniessen. Also, leider noch nichts mit Gleichberechtigung der Geschlechter, darum weiterhin einen kämpferischen 8. März!» «Auch wenn der Diskurs über die Kategorie Geschlecht als wissenschaftspolitische Folge aus der Frauen*bewegung erwachsen ist, heisst das nicht, dass nun Geschlechter in dieser dualistischen Ordnung nur als relationale Kategorie und nicht auch als situative, politische Subjekte begriffen werden müssen. Auch wenn die duale Geschlechterordnung nicht reproduziert wird oder reproduziert sein soll, bleibt sie doch als ein zu kritisierendes und analysierendes Problem bestehen. Darum, auf die Strasse! Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren und treffen uns an den restlichen 364 Tagen, um für eine heterogene, freie Welt zu kämpfen!» «Unser Feminismus muss internationalistisch und antikapitalistisch sein, das heisst auch, alle Unterdrückungsverhältnisse müssen benannt und bekämpft werden. Sonst entstehen immer wieder neue Formen der Macht.»

Das F*LK meint dazu: Solange gehen wir auf die Strasse!

Solange die Gewaltkultur gegen Frauen* und Mädchen* nicht gestoppt und aufgearbeitet wird; solange die patriarchale Justiz Frauen*, die sich gegen ihre Peiniger wehren, massiv härter bestraft, als Männer, die Frauen* angreifen; solange durch die Abwertung des «Anderen» und «Fremden» Ausgrenzung und Gewalt gegen Gruppen der Gesellschaft befördert und legitimiert werden, solange gehen wir auf die Strasse. Solange jedermann sich herausnimmt, Frauen* zu bewerten, solange Frauen* sich den auf sie gerichteten patriarchalen Blick zu eigen machen und sich körperlich und seelisch verformen, um dem perfekten Bild zu entsprechen; solange Mann seine Frau, seine Kinder, seine Mutter oder Schwester als sein Eigentum betrachtet, über das er verfügen kann, wie er will; solange Frau* die Mehrheit der gesellschaftlichen Arbeit erledigt und ihr gleichzeitig suggeriert wird, sie sei nichts wert; solange die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen* überall immer wieder ignoriert, geleugnet und unter den Tisch gewischt werden, solange gehen wir auf die Strasse. Nicht zuletzt gehen wir am 8. März auf die Strasse, um an all jene Frauen* zu erinnern, die seit Jahrtausenden einzeln und kollektiv für eine bessere Gesellschaft gekämpft haben und für ihre und unsere Befreiung ein- und weggesperrt, gefoltert, geschlagen, vergewaltigt und ermordet worden sind. Am 8. März wollen wir uns nicht nur auf eine lange Geschichte von Frauen*kämpfen beziehen, sondern unsere Solidarität zu den heute weltweit kämpfenden Frauen* ausdrücken und uns mit ihnen vernetzen. So kämpft die kurdische Frauen*bewegung mit einer eigenen Frauen*armee gegen den IS, gegen Ehrenmorde und gegen Gewalt an Frauen*. Sie baut auf die eigene Stärke sowohl im militärischen wie auch bei der Konstituierung einer neuen Gesellschaftsordnung. Für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen*, für das Recht auf Abtreibung und gegen Frauen*morde gehen weltweit immer mehr Frauen* auf die Strasse, zum Beispiel in Argentinien, Chile, Bolivien und Mexiko. Frauen* der Gulabi Gang in Nordindien setzen sich für Frauen*rechte und gegen soziale Ungerechtigkeiten ein. Sie tragen rosa Saris und rosa Schlagstöcke aus Bambus. «Wenn unsere Selbstachtung mit Füssen getreten wird, setzen wir sie ein». In der Gruppe sind mehrere Tausend Frauen* organisiert!

Feministisch agieren

Die Schwarze Feministin Audre Lorde schrieb 1984: «Unser zukünftiges Überleben gründet sich auf unsere Fähigkeit, gleichberechtigt miteinander umzugehen. Als Frauen müssen wir verinnerlichte Verhaltensmuster der Unterdrückung in uns selbst mit der Wurzel herausreissen, wenn wir über die oberflächlichsten Aspekte sozialer Veränderung hinausgehen wollen. Jetzt müssen wir Unterschiede zwischen Frauen als Unterschiede zwischen Gleichberechtigten sehen, weder als Zeichen der Überlegenheit noch der Unterlegenheit, und Wege ausfindig machen, um unsere jeweiligen Unterschiede dazu zu nutzen, unsere Visionen und gemeinsamen Kämpfe zu bereichern. […] Die alten Verhaltensmuster, egal wie geschickt sie umfrisiert werden, um nach Fortschritt auszusehen, verurteilen uns zu nur kosmetisch veränderten Wiederholungen derselben alten Wortwechsel, derselben alten Schuldgefühle, desselben Hasses, derselben Vorwürfe, Klagen, Verdächtigungen.» Zehn Jahren später kritisierte die «Rote Zora», eine militante feministische Gruppe in Deutschland: «Mit dem Rückzug auf uns und der vorrangigen Beschäftigung, unser Bewusstsein zu sensibilisieren, befinden wir uns voll im herrschenden gesellschaftlichen Trend zur weiteren Individualisierung und Auflösung gemeinsamer sozialer Erfahrungen.»
Trotz den weltweit brutalen Realitäten lassen wir uns nicht erdrücken, sondern wehren uns, indem wir für eine Welt kämpfen, die nicht nach Geld, Leistung und Profit strebt und die sich nicht über patriarchale Gewalt und entlang herrschaftssichernden Grenzen organisiert. Wir wollen eine Gesellschaft, die von allen Menschen – unabhängig ihrer Herkunft und ihres Geschlechts – mitbestimmt wird. Deshalb braucht es eine starke feministische Selbstorganisierung, in der Frauen* eigenständige Denk- und Handlungssysteme aufbauen und ihre eigenen Vorstellungen von Befreiung entwickeln. Und nochmals Audre Lorde zum Schluss: «Ich bin nicht frei solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Ketten trägt als ich.»

Frauen*LesbenKasama, feministischer Treffpunkt für Heteras, Lesben und andere Weiblichkeiten, Militärstrasse 87a, 8004 Zürich – jeden 1. und 3. Dienstag ab 19 Uhr, frauenlesben@kasama.ch

 

Aus dem vorwärts vom 03. März 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Gewalt gegen Frauen in der Schweiz

Gewalt_gegen_FrauenAus Anlass des 25. Novembers, des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, führte die Zeitschrift «Feminista» in Lausannes Strassen eine Sensibilisierungskampagne durch. Noch immer sind die Statistiken zu solchen Gewalttaten dramatisch. Alle zwei Wochen stirbt eine Frau – schweizweit – unter den Schlägen ihres (Ex-)Partners; und eine von fünf Frauen erleidet physische und/oder sexuelle Gewalt im Lauf ihres Lebens. Diese Zahlen korrelieren mit der Medienpolemik neulich rund um die Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Fabrice A., einen rückfälligen und mörderischen Vergewaltiger. Sie korrelieren auch mit der beängstigenden Statistik des Bundesamtes für Gesundheit, wonach einer von drei Vergewaltigern nicht ins Gefängnis muss. Sie entsprechen ebenfalls den Aussagen von US-Präsident Trump über seine frustrierte und sträfliche Lust, Frauen ohne Erlaubnis an die Genitalien zu fassen. Unsere ParlamentarierInnen haben zusammen mit anderen ExpertInnen auf diese Diskussion reagiert und ihre Meinung in der Presse kundgetan, auch Andrea Geissbühler, die neugewählte SVP-Nationalrätin. Geissbühler erklärte, dass Frauen «naiv» und «wenig verantwortungsbewusst» seien, wenn sie einen Mann nach Hause mitnähmen. Trotz des Protestgeschreis, das solche Meinungen hervorriefen, schien es niemand im Nationalrat eilig zu haben, die Sachdienlichkeit des aktuellen Gesetzes zu hinterfragen – mit der löblichen Ausnahme von wenigen RätInnen. Unsere politischen Behörden wollen lieber über den Wolf reden – merke die Ironie! – als über die Gewalt, die den Frauen angetan wird.

Wenige Anklagen
Das Schweizer Gesetz stuft die sexuelle Gewalt trotz Lücken hierarchisch ein: Eine Vergewaltigung kann nur von einem Mann via vaginale Penetration begangen werden. Andere Aggressionen werden als sexueller Zwang eingeordnet und weniger streng bestraft. Diese Vorstellung scheint noch aus der Zeit zu datieren, als die Ehevormundschaft üblich war. Sollten wir – wie in Frankreich – die Definition der Vergewaltigung auf alle Formen von Penetration mit Gegenständen und auf alle Geschlechter ausdehnen? Oder können wir für ein Gesetz wie in Kanada votieren, das sexuelle Gewalt nicht hierarchisch einordnet; wobei sich die Schwere der Taten am Grad des Zwanges misst und an der Zuhilfenahme von Drohungen, physischer und psychischer Quälerei?
Diese Fragen bestätigen uns, dass die Schweizer Gesetzgebung in ihrer Definition nicht mehr an die Wirklichkeit von sexueller Gewalt angepasst ist. Diese Tatsache verschlimmert sich, wenn wir die Gesetzesanwendung betrachten. Zunächst: die Höchststrafe von zehn Jahren wird selten angewendet. Stattdessen sind bei Verurteilungen für sexuellen Zwang Geldstrafen häufig. Dann sind die Verurteilungen auch zurückgegangen nach der Änderung des Strafgesetzes von 2007. Seit 2006 haben von 1155 Klagen 327 zu einer Bestrafung geführt; das sind weniger als ein Drittel der Klagen. Der Durchschnitt der Verurteilungen übersteigt 3,5 Jahre nicht. Schliesslich, um das Bild noch dunkler zu zeichnen, erheben nur 20 bis 30 Prozent der Opfer von Vergewaltigung und Aggression Anklage, so der Verein Viol-Secours, das Nottelefon der Romandie.
Der Einsatz des Gesetzes appelliert an seine abschreckende Wirkung, eine umso angebrachtere Befragung, als eine experimentelle Studie herausgefunden hat, dass 30 Prozent der Männer sexuelle Aggression oder eine Vergewaltigung riskierten, wenn sie sicher wären, dass sie deswegen nicht belangt würden.

Unsichtbare Vergewaltigung
Trotz ihrem vermehrten Vorhandensein sind diese Gewalttaten in der öffentlichen Politik kaum bekannt und werden oft ins Private abgedrängt. Woher kommt dieser Mangel an Anerkennung? Einen Teil der Erklärung liefert die Vergewaltigungskultur unserer patriarchalen Gesellschaft. So wird die Verantwortung für Vergewaltigungen und Aggressionen auf den Rücken der Opfer verschoben; die Schuld der Angreifer wird reduziert, wenn nicht einfach widerlegt; ganz allgemein wird diese Art von Verbrechen minimiert und banalisiert. So ist zum Beispiel in den Medien öfters die Rede von Vergewaltigung durch einen Unbekannten in einer dunklen Strasse, während doch die von einem Angehörigen begangenen sexuellen Angriffe die überwältigende Mehrheit der Fälle darstellen. Die Kultur der unsichtbaren Vergewaltigung hat einen bedeutenden Anteil an den an Frauen begangenen sexuellen Gewalttaten. Sie findet sich auch in den Medien und in den Reklamen wieder, wo die Frauen angehalten werden, sich für die Männer sexuell bereitzuhalten. Dieser Befehl wird systematisch gekoppelt mit der Verdinglichung des weiblichen Körpers. Diese Frauen entmenschlichende Kultur schafft so ein günstiges Terrain für sexuelle Gewalt.
Dennoch – die Vergewaltigungskultur beschreibt nicht das ganze Problem, denn sexuelle Gewalttaten dürfen nicht als von andern Gewaltformen gegen Frauen isoliertes Phänomen verstanden werden. Gewalttaten gehören zu einem Kontinuum von Gender-Gewalt (Gewalt zwischen den Geschlechtern). Dazu gehören vor allem sexistischer Humor, unerwünschte Annäherungsversuche, psychische Gewalt bis zu Formen extremer Gewalt, ja Mord.

Andere Formen der Gewalt
Um die Frage der Gewalt gegen Frauen wirksam zu behandeln, müssen alle Formen von Gewalt gegen Frauen mit derselben Politik behandelt werden, eine Politik, bei der auch Vorbeugen, Erziehen und Hilfe an die Opfer mindestens ebenso wichtig wie die repressive Seite sein sollten. Denn Bestrafen genügt nicht. Es braucht eine Änderung der Mentalität aller, vor allem der möglichen und aktuellen Gewalttäter, damit sexuelle Gewalt ein anerkanntes gesellschaftliches Phänomen wird und kein zwischenmenschliches Problem bleibt, einzig ans Private gebunden. Zudem würde es eine solche Politik ermöglichen, Gewalt gegen Frauen nicht einzig auf sexuelle Gewalt in der Ehe zu beschränken. Die sexuelle Belästigung bei der Arbeit, auf der Strasse, der «Mikro-Machismo», der gewöhnliche Sexismus und andere Formen der Gewalt könnten besser verstanden und in genauen und vollständigen Statistiken aufgeführt werden. Alle diese Massnahmen würden mithelfen, Gewalt gegen Frauen als eine soziale Tatsache quer durch unsere patriarchalen Gesellschaften anzuerkennen, Gesellschaften, die zu einem Gendersystem gehören, das das männliche Geschlecht zum Nachteil der Frauen bevorzugt. Leider scheint die Schweizer Eidgenossenschaft noch weit entfernt von einer solchen Bewusstwerdung zu sein. Unsere Behörden tun sich schwer damit, zu begreifen, dass ein einziges Gesetz die Ungleichheiten nicht zum Verschwinden bringt – siehe die Lohnungleichheiten. Selbst wenn alle wirklich Anstoss an gewissen extremen Fällen von Vergewaltigung nehmen, so scheint sich doch keine Änderung am Horizont abzuzeichnen. Und während die PolitikerInnen die schwierige Diskussion hinauszögern, traumatisieren die Gewalttaten der Männer die Frauen, verletzen und töten in aller Straflosigkeit und himmelschreienden Stille.

Wir wollen keinen Sitz an einem kaputten Tisch!

451376028.0Lily Zheng. In den USA sollen Transmenschen offen im Militär dienen «dürfen». Eine Kritik an der Mainstream-LGBT-Bewegung und was diese als Erfolg bezeichnet.

Transgender Menschen in den USA haben viele Erfahrungen damit, von der Mainstream-LGBT-Bewegung ignoriert zu werden. Diese Bewegung, die auch aus den Kämpfen von TransaktivistInnen in den 60er-Jahren hervorging und schnell von weissen Schwulen und Lesben aus der Mittel- und Oberschicht vereinnahmt wurde, hat sich auf Assimilierung, Ehe und Normalität, nicht aber auf Gerechtigkeit konzentriert.
Nachdem das Oberste Gericht der USA im Juni 2015 zugunsten der Legalisierung der Homoehe entschieden hat, hat diese Bewegung ihr nächstes Ziel gefunden: Transgender-Rechte. Aber was für Rechte sind damit gemeint? Die «Transgender-Rechte», die die Mainstream-LGBT-Bewegung fordert – etwa die Intergration von transgender Armeeangehörigen – gerhören derselben assimilierenden Rhetorik an, die zu den anderen Erfolgen geführt hat.

Assimilation für die Privilegierten
Die Politik von «Don’t Ask, Don’t Tell», die es schwulen, lesbischen und bisexuellen Armeeangehörige verboten hat, geoutet im Militär zu dienen, wurde 2011 aufgehoben. In diesem Entscheid waren nur drei der vier Buchstaben der Abkürzung LGBT eingeschlossen, transgender SoldatInnen blieben zurück. Man schätzt, dass sich gegenwärtig 15 500 transgender Personen im Aktivdienst oder in den Reserveeinheiten befinden. Diese Personen sehen sich zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber aufgrund der restriktiven und unzeitgemässen Richtlinien, die die Auslebung ihrer Identität einschränken: Die Drohung der unehrenhaften Entlassung, wenn sie ihre Transidentität bekannt machen; das Verbot, eine ihrem Geschlecht entsprechende Uniform zu tragen und mit dem Namen und den Pronomen ihrer Wahl angesprochen zu werden; potenzielle Belästigung und Diskriminierung wegen ihrer Genderidentität. Die Gesetzeslage zu aktualisieren, um Transmenschen zu ermöglichen, offen der Armee beizutreten, würde ihr Leben erleichtern und die Effektivität der Armee erhöhen – so lautet die Argumentation der Mainstream-LGBT-Bewegung.
Es ist eine Taktik, die die Mainstream-LGBT-Bewegung mit Erfolg angewendet hat: Sich für die Integration in die angesehensten Institutionen der Gesellschaft einzusetzen, ob Ehe oder Militär. Diese Taktik beruht darauf, «Normalität» vorzuschützen und zu beweisen, dass LGBT-Menschen genauso sind wie alle anderen. Sie beruht letztlich darauf, die privilegierten (die wohlhabenden, weissen und cisgender) Lesben und Schwulen zu assimilieren, damit sie die gleichen gesellschaftlichen Vorteile geniessen können wie ihre gleichermassen privilegierten Hetero-FreundInnen.

Mitschuldig an der globalen Ungerechtigkeit
US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat die Bildung einer Arbeitsgruppe angeordnet, um herauszufinden, ob die Integration von Transmenschen einen «negativen Effekt auf die Effektivität und Bereitschaft der Armee» hat. Wir wissen bereits, zu welchem Schluss die Arbeitsgruppe kommen wird: Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen eine Waffe bedienen. Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen Befehle folgen. Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen im Namen des Staates Mord begehen.
Als eine nicht-weisse Transfrau finde ich es besonders ironisch, dass ich bald die Möglichkeit hätte, einem Land zu dienen, dass meine schwarzen und braunen Schwestern auf den Strassen, in den Gefängnissen und in anderen Ländern misshandelt und tötet. Ich finde es ironisch, dass dies für die Mainstream-LGBT-Bewegung ein Sieg darstellt. Das Recht, sich an der US-Kriegsmaschine zu beteiligen, hilft uns Transmenschen nicht. Die Assimilation in ein unterdrückerisches System, das die fortwährende Besetzung von anderen Ländern antreibt, den sogenannten Krieg gegen den Terror, der die Menschen im Mittleren Osten terrorisiert und im eigenen Land Islamophobie fördert, sowie die Assimilation in einen aggressiven Neoliberalismus, der die Armee als Werkzeug für die Ausdehnung des ökonomischen Gewinns benutzt, ist kein Sieg. Keine Rhetorik, die inhaltsleer Patriotismus und Nationalismus im Namen der Transmenschen wiederholt, kann die Tatsache beseitigen, dass das US-Militär mitschuldig ist an der globalen Ungerechtigkeit.

Die wirkliche Arbeit liegt woanders
Intergrationskampagnen helfen denjenigen nicht, die bereits systematisch von der Gesellschaft aufgrund ihrer Identität ausgeschlossen werden. Für nicht-weisse Transmenschen, Transfrauen, behinderte und neurodiverse Transmenschen, nicht-binäre Transmenschen und viele andere ist die Integration ins Militär kein relevantes Thema.
Das bedeutet nicht, dass ich dagegen eintreten möchte – mit aller Wahrscheinlichkeit wird es durchgesetzt werden. Aber wirkliche Erfolge bestehen nicht daraus, einen Sitz an einem bereits kaputten Tisch zu besetzen, sondern daraus, das unterdrückende System zu überwinden und wirkliche Alternativen aufzubauen. Echte Erfolge bestehen nicht aus Pinkwashing, sondern aus einem bezahlbaren Gesundheitssystem und sicheren Wohnraum, im Stopp von Deportationen, von Kriminalisierung und Polizeibrutalität. Die übliche Antwort darauf ist immer eine Variation von «Das kommt als nächstes» oder «Eins nach dem anderen». Davon sind wir Transmenschen nie überrascht. Während sich TransaktivistInnen für die genannten Forderungen, die ihren Gemeinschaften wirklich helfen, eingesetzt haben, hat sich die Mainstream-LGBT-Bewegung abgemüht, Themen zu finden, die nichts mit Befreiung zu tun haben – von Befreiung können reiche weisse queere Männer und Frauen und ihre WirtschaftssponsorInnen nicht profitieren. Es macht Sinn, dass eine Bewegung, die sich nicht für arme, nicht-weisse Trans- und queere Menschen interessiert, sondern dafür, dass eine Biermarke oder eine Bank ihre Gayprides sponsert, nach Ablenkungen sucht. Die Integration von Transmenschen ins Militär ist bestenfalls eine solche Ablenkung. Natürlich wird es transgender SoldatInnen helfen, ein Leben mit etwas weniger Angst und Unannehmlichkeiten zu führen, das ist positiv. Aber die wirkliche Arbeit liegt woanders: anständige Löhne, bezahlbares Gesundheitssystem und Wohnraum, Black Lives Matter, Gefängnisarbeit.

«Wenn Frau will, steht alles still»

01_FrauenstreikVor 25 Jahren, am 14. Juni 1991, legte rund eine halbe Million Frauen in der Schweiz die Arbeit nieder. Der Kampf um Gleichstellung war in einem historischen Frauenstreik gegipfelt. Die Forderung nach «gleichem Lohn für gleiche Arbeit» ist jedoch bis heute nicht erfüllt.

Eigentlich hätte der 14. Juni 1991 der Tag werden sollen, an dem sich die Schweizer Staatsmänner selber feierten. Gemeinsam mit Würdenträgern aus dem Ausland sollte in Bern das 700-jährige Bestehen der «Eidgenossenschaft» begangen werden. Doch die Frauen machten ihnen einen Strich durch die Rechnung: Statt Jubel gab es Pfiffe, statt Beifall flogen Eier. Denn zu feiern gab es in ihren Augen nichts: Noch immer bildete der weibliche Teil der Bevölkerung in der «ältesten Demokratie der Welt» das Schlusslicht der Gesellschaft. Die Frauen hatten genug. Genau zehn Jahre waren ins Land gegangen, seit am 14. Juni 1981 das Prinzip der Gleichstellung in der Bundesverfassung verankert worden war. Zehn Jahre lang hatten sie darauf gewartet, dass auf die Worte auch Taten folgten. Nun war die Zeit gekommen, um zu handeln.

Die Wut der Uhrenarbeiterinnen

Angeführt vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) legten an diesem Tag Angestellte im ganzen Land ihre Arbeit nieder und forderten mit vielfältigen lokalen Aktionen ihre Rechte ein. «Wenn Frau will, steht alles still», lautete die Parole, der sich bis zum Ende des Tages rund eine halbe Million Menschen anschlossen. Der Frauenstreiktag ging als der grösste Massenprotest der Schweiz in die Geschichte ein. Nie zuvor und nie mehr danach war der Ruf nach der Durchsetzung der Lohngleichheit zwischen Mann und Frau und zur Anerkennung der unentgeltlich geleisteten Familienarbeit so deutlich zu vernehmen, wie an jenem Tag.

«Es war ein Thema, das alle ansprach», erinnert sich Zita Küng, damals Gewerkschafterin, Mitglied der klassenkämpferisch orientierten «Progressiven Organisationen Schweiz» (POCH) und eine aktive Figur in der Streikorganisation in Zürich. Die Ignoranz, die den Frauen seit Jahren entgegengebracht wurde, hatte die verschiedenen Kräfte zusammenrücken lassen: Die Feministinnen der 1970er-Jahre, Frauen aus kirchlichen und anderen Bewegungen, die Partei- und Gewerkschaftsfrauen, die Hausfrauen und Arbeiterinnen.

Letztere waren es gewesen, die den Ausstand angestossen hatten: Geboren wurde die Idee des Frauenstreiks von den Uhrenarbeiterinnen im waadtländischen Vallée de Joux. Es sei nach einer Gewerkschaftsversammlung gewesen, als erstmals das Wort «Streik» fiel, erinnerte sich Liliane Valceschini, damals Sektionspräsidentin der Gewerkschaft SMUV, im Rückblick auf die Anfänge des Frauenstreiks. Die Arbeiterinnen waren wütend, dass sie, die in der Uhrenindustrie rund 46 Prozent der Belegschaft ausmachten, schlechter bezahlt wurden als ihre männlichen Kollegen, die sich noch in der Ausbildung befanden. Valceschini kontaktierte SMUV-Zentralsekretärin Christiane Brunner, die das Anliegen der Arbeiterinnen in die Führungsetagen der Gewerkschaften brachte. Trotz der Skepsis der männlichen Kollegen vermochten sich die Frauen durchzusetzen: Im Oktober 1990 stimmte der Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes dem Antrag der SMUV-Frauen zu. Der Frauenstreik war beschlossene Sache.

Männer kochten Streikrisotto

Dennoch mahnte der damalige SGB-Präsident Fritz Reimann die Wortführerin Christiane Brunner: Wenn der Streik ein Flop werde, müsse sie die Verantwortung selber tragen. Zita Küng sah das anders. «Ein Misserfolg wäre auch ein Misserfolg für die Gewerkschaften», lautete ihr stärkstes Argument, als sie von Gewerkschaft zu Gewerkschaft tingelte, um ihre Kollegen zu überzeugen, sich dem Ausstand anzuschliessen. Küng und ihre Mitstreiterinnen hatten Erfolg. Am 14. Juni 1991 standen die solidarischen Männer an öffentlichen Plätzen, kochten Streikrisotto, bügelten Wäsche.

Das unverhoffte Aufbegehren der Bevölkerung zwang die Politik zu handeln. «Kurzerhand holte der Bundesrat ein pfannenfertiges Gesetz aus der Schublade», erzählt Zita Küng. Damit sollte die Lohngleichheit definitiv auf rechtlichen Boden gestellt werden. Am 1. Juli 1996, fünf Jahre nach dem Frauenstreik, trat das Gesetz letztendlich in Kraft.

Doch heute, 25 Jahre später, verdienen Frauen im privaten Sektor im Durchschnitt noch immer 21,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dies entspricht einem Rückgang von lediglich 1,6 Prozent gegenüber dem Jahr 1996. Grund dafür, dass das erstrittene Gleichstellungsgesetz kaum Wirkung gezeigt hat, ist das «Prinzip der Freiwilligkeit». Bis heute ist es den Unternehmen freigestellt, die Löhne auf Diskriminierung untersuchen zu lassen und Ungleichheiten zu beheben. Auch der aktuelle Entwurf des Bundesrats für eine Gesetzesrevision wird wohl kaum eine Besserung bringen: Darin sind weder die Veröffentlichung von Kotrollresultaten noch Sanktionen für fehlbare Unternehmen vorgesehen.

Neuer Streik?

«Die Vorlage ist zahnlos», sagt Corinne Schärer, Geschäftsleitungsmitglied und Gleichstellungssekretärin der Unia. Sie fordert die Schaffung einer tripartiten Kommission, die Kotrollen vornehmen und Sanktionen verhängen könne. Wichtig hierfür sei nun die Lobbyarbeit, meint Schärer. Doch die Aussicht, das aktuell rechts-bürgerlich dominierte Parlament dazu zu bewegen, verschärfte Kontrollen doch noch im Gesetz zu verankern, ist denkbar klein. Wäre es an der Zeit für einen neuen Frauenstreik? «Der Streik ist die schärfste Form des gewaltlosen Widerstands und setzt voraus, dass die anderen Formen bereits erschöpft sind», meint Zita Küng. Verordnen könnten ihn die Gewerkschaften nicht. Die Initiative müsste von unten kommen – wie damals, von den Arbeiterinnen aus dem Vallée de Joux.

Aus dem vorwärts vom 17. Juni 2016 Unterstütze uns mit einem Abo!

Sexuelle Rechte und politische Nippel

02_NippelrevolutionIst es nicht selbstverständlich, dass wir unsere Sexualität ausleben und gemeinsam mit anderen, die es wollen, unseren Wünschen und Fantasien freien Lauf lassen? Dass wir von unserem Recht auf Lust und Vergnügen, auf sexuelle Selbstbestimmung und auf unser Recht zu lieben, wen immer wir wollen, Gebrauch machen? Eine rhetorische Frage, denn sexuelle Rechte sind alles andere als selbstverständlich und Sexualität – besonders die weibliche – ist ein komplexes und hochpolitisches Thema.

In der Schweiz werden sexuelle und reproduktive Rechte bis heute kaum diskutiert, geschweige denn umgesetzt. Beispielsweise ist eine umfassende und fortschrittliche Sexualaufklärung nötig. Und eine Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen. Um die öffentliche Diskussion rund um Rechte im Zusammenhang mit Sexualität anzukurbeln, hat die Menschenrechtsorganisation Terre des femmes Schweiz die feministische Aktivistin Zawadi Nyong‘o aus Kenia zu einer Speaking Tour eingeladen. Vom 23. bis 28. Mai spricht Nyong’o in verschiedenen Städten über Sexualität, Selbstbestimmung und Gewalt. Die 35-Jährige engagiert sich seit 15 Jahren für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte und prägt als Online-Aktivistin die feministische Bewegung Ostafrikas massgeblich mit.

Wem gehört der Frauenkörper?

Kürzlich zerrte ein kenianisches Boulevardblatt ein unverfängliches Instagram-Bild von Nyong’o an die Öffentlichkeit, das sie im Jogging-anzug zeigt. Absichtlich präsentiere sie ihre Nippel, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Doch man sucht vergeblich nach einer skandalösen Pose. Bei genauem Hinschauen entdeckt man schliesslich die Abdrücke ihrer Nippel auf ihrem T-Shirt. Sex sells – auf Biegen und Brechen, ein Vorgang, der auch in der Schweiz an der Tagesordnung ist. Selten setzt sich eine Betroffene zur Wehr, auch weil ihr die nötigen öffentlichkeitswirksamen Mittel fehlen. Nicht so Zawadi Nyong’o. Sie nahm die an den Haaren herbeigezogene Story zum Anlass, über Körperpolitik zu sinnieren. Auf «Digital Ubuntu», ihrem Forum für eine verantwortliche digitale Kultur in Afrika, fragt sich Nyong’o, warum die körperliche Integrität indigener Frauen, die sich in Kenia auch heute noch oben ohne in die Öffentlichkeit begeben, irgendwie doch respektiert wird, während eine urbane Frau nicht einmal beim Joggen von den strengen Regeln befreit ist, denen sie ihr Äusseres zu unterwerfen hat. Als Antwort auf die öffentliche Enteignung ihres Körpers initiierte Nyong’o mit einem Aufruf an ihre weiblichen Follower, Bilder von ihren Nippeln online zu stellen, eine Nippelrevolution.

Frauen werden zum Schweigen gebracht

Die Selbstverständlichkeit, mit der das persönliche Recht von Frauen auf ihren eigenen Körper weltweit und tagtäglich verletzt wird, mündet in Gewalt gegen Frauen, oft in sexualisierter Form, weil diese wiederum die Machtverhältnisse am effektivsten aufrechterhält und Frauen mundtot macht. Besonders offenkundig wird dies im Internet. Während sich der soziale digitale Graben etwas geschlossen hat, tut sich ein neuer auf: Zunehmend sind Frauen von derart massiver Cybergewalt betroffen, dass sie sich aus der digitalen Öffentlichkeit zurückziehen. Für die Generation, die mit digitaler Technologie aufgewachsen ist, fühlt sich das so an, als würde sie aus dem öffentlichen Leben verbannt. Betroffene sind davon traumatisiert und strukturell bedeutet es, dass sich andere, aus Furcht davor Opfer zu werden, gar nicht mehr mit ihrer Meinung vorwagen. Der Titel eines Beitrags von Fiona Martin im «Guardian» bringt es auf den Punkt: «Frauen werden online zum Schweigen gebracht, wie im echten Leben.» Dasselbe Medium wertete jüngst 70 Millionen Online-Kommentare aus, das Ergebnis spricht Bände: Von den zehn am meisten gemobbten AutorInnen waren acht Frauen. Die beiden Männer dunkelhäutig. (Weisse) Männer würden laut Fachleuten wegen ihrer Meinungen attackiert, nicht weil sie Männer seien. Vergewaltigungsandrohungen und -wünsche, die jede Frau kennt, die sich öffentlich pointiert äussert, sind gegen Männer kaum üblich.

Zawadi Nyong’o hält nichts von der Regel, über Sexualität zu reden sei unafrikanisch und unmoralisch. Indem sie sich mit ihrem Engagement erst noch für Frauen und LGBTI stark macht, setzt sie sich Cybergewalt aus mehreren Lagern aus. «Es fühlt sich an, als würdest du von Tausenden von unsichtbaren Kobolden vergewaltigt und du kannst überhaupt nichts dagegen tun, ausser warten, bis sie sich langweilen und weiterziehen.»

Wichtige Schritte auf dem internationalen Parkett – und Verluste

1994 wurden an der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo reproduktive Gesundheit und Rechte als Menschenrecht auf Familienplanung aufgenommen. Seither gelten sie als massgebend bei der jährlichen Überprüfung der Menschenrechtslage der Nationen. Damit wurden feministische Diskurse um sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit in globale Strategien integriert. Eine wichtige Errungenschaft, um die AktivistInnen im Kampf gegen Vergewaltigung, häusliche Gewalt und körperliche Autonomie jahrzehntelang rangen. Was mit diesem internationalen Mainstreaming jedoch auf der Strecke blieb, ist die feministische Analyse der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, die sich in der Sexualität wie in kaum einem anderen Thema derart unmittelbar offenbaren. Die kulturellen Praktiken, die auf die Kontrolle des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität abzielen, sind in allen Gesellschaften weitverbreitet. Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsverheiratungen oder weibliche Genitalverstümmelungen gehören dazu. Aber auch die Selbstregulierung, die sich in den kapitalistischen Gesellschaften als wesentlicher Aspekt des Frauenbilds etablierte: Frauen scheinen sich selbst zu kontrollieren, sie normieren ihre Körper und finden ihre sexuelle Erfüllung angeblich im Begehrt werden1nicht im Begehren. Auch die chirurgische Normierung ihrer Vagina wollen sie selber.

Ohne das Verständnis für die fundamentalen Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern, besonders auch in intimen Beziehungen, ändern die internationalen Bemühungen nichts am Status quo der Frau, nichts an den Geschlechterstereotypen. Tatsache ist: Der weibliche Körper und seine Sexualität ist politisch wie eh und je.

Vom 23. bis 28. Mai wird mit der Kenianerin Zawadi Nyong‘o eine feministische Ikone Ostafrikas in verschiedenen Schweizer Städten mit lokalen Gesprächspartnerinnen über Sexualität, Selbstbestimmung und Gewalt diskutieren. Die Veranstaltungsreihe organisiert Terre des femmes Schweiz.

 

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Gemeinschaft und Widerstand

sciopero_generale_04Das gegenwärtige Migrationsregime bedingt das Leben von vielen Frauen* auf gewaltvolle Weise. Gemeinschaft und Solidarität bauen, jenseits von kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Teilungspraktiken ist eine Strategie des Widerstands dagegen.

Das Migrationsregime ist Gewalt an Frauen*, weil es jeden legalen Fluchtweg in die Schweiz verunmöglicht. Der letzte legale Weg in die Schweiz zu flüchten, war bis 2013 über das sogenannte Botschaftsasyl. Über 40 Prozent der Gesuche wurden von Frauen* in CH-Botschaften ihrer Herkunftsländern gestellt. Durch die Abschaffung dieser Einreisemöglichkeit ist die Schweiz mitverantwortlich an den Gräueltaten, die Frauen* auf der Flucht widerfahren. Es drängt sie auf gefährliche Fluchtrouten, auf denen sie von ökonomischer und sexueller Ausbeutung bedroht sind.

Das Migrationsregime ist auch Gewalt an Frauen*, weil es ausser «hochqualifizierten». spezialisierten Arbeitskräften“ keine Möglichkeit der Niederlassung für Frauen* aus Drittstaaten bietet, ausser der Ehe. Dem Grossteil bleibt einzig zu heiraten, um eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten. Aufenthaltsrechtlich wird Frau* somit auf eine Ehefrau reduziert. Seit diesem Jahr ist der Cabaret-Status – die letzte Möglichkeit ausserhalb der EU- und EFTA-Staaten eine Arbeitsbewilligung zu erwerben – abgeschafft. Dies drängt Frauen* in die Illegalität und somit in die Rechtlosigkeit. Die Arbeitsbedingungen illegalisierter Frauen* sind prekär: Illegalisierten Hausarbeiter*innen beispielsweise fehlt sozialer und rechtlicher Schutz und die Angst vor einer plötzlichen Ausschaffung ist allgegenwärtig. Dabei erfüllen sie eine Nachfrage, die mit der globalen, kapitalistischen Arbeitsteilung und den hiesigen Geschlechterverhältnissen verbunden ist: Während immer mehr Schweizer Frauen* erwerbstätig sind, hat eine Anerkennung sowie eine Umverteilung der Haus- und Care-Arbeit zu den Männern nicht stattgefunden.

Das Migrationsregime ist Gewalt an Frauen*, weil es Ausbildung, Fähigkeiten und Wissen von Frauen*, die migriert oder geflüchtet sind, aberkennt und somit ungleiche Zugänge zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen legitimiert. Die Aberkennung von Fähigkeiten aus rassistischen Motiven ist verbunden mit einer kapitalistischen Logik, die Migrant*innen und Geflüchtete einzig als wirtschaftliche Ressourcen wahrnimmt und somit ihren Einsatz nur in den untersten Lohnsegmenten vorsieht.Trotz all dieser widrigen Umstände schaffen es viele Frauen*, sich selbständig durch zu schlagen und finden Wege, sich selbstbestimmt zur Wehr zu setzen. Im Frauen*?!…Kafi versuchen wir an einer Gemeinschaft und an Solidarität jenseits von rassistischen, sexistischen und klassistischen Teilungspraktiken mitzubauen. Dabei geht es darum, widerständige Stimmen gegen die bestehenden Herrschaftslogiken zu stärken, zu verbreiten und Formen des Widerstands zu kreieren. Dazu ist es notwendig, von unterschiedlichen Wissenstraditionen zu lernen, um sich politisch zu bilden. Das Frauen*?!…Kafi ist Teil eines Raumes für Antirassismus und Feminismus. Im Sinne des Raums verpflichten wir uns einer antikapitalistischen, emanzipatorischen Praxis mit radikalem Anspruch. Wir sind Frauen* mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen, aus verschiedenen Gründen in Zürich: geflohen, gereist oder hier aufgewachsen. Politik verstehen wir als Teil unseres Alltags. Ob wir wollen oder nicht, bedingt Politik unser Leben, deswegen wollen und müssen wir uns organisieren, zusammenschliessen, Gemeinschaft bauen und die Stimme erheben gegen patriarchale, rassistische und kapitalistische Strukturen.

Aus dem vorwärts vom 4. März 2016 Unterstütze uns mit einem Abo!

100 Jahre Sozialistische Frauenkonferenz

sciopero_generale_04Vor hundert Jahren fand in Bern die Sozialistische Frauenkonferenz statt. Anlässlich des Jubiläums fanden sich FeministInnen am 14. und 15. November in Bern zu den ersten Feministischen Diskussionstagen ein.

Während zwei Tagen wurde ein Blick zurück auf vergangene Kämpfe geworfen, Themen des heutigen feministischen Diskurses aufgegriffen sowie Zukunftsvisionen entworfen.

Zum Jubiläum trafen sich FeministInnen im Hotel Bern, um sich über die feministische Bewegung sowie deren künftige Ausrichtung auszutauschen. Vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, brachten sich an der «Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz» Frauen aus acht Ländern, darunter auch Vertreterinnen der verfeindeten Staaten Frankreich und Deutschland, in den Diskurs ein. Der im Jahr 1914 ausgebrochene Stellungskrieg zwang die internationale Sekretärin Clara Zetkin, die Konferenz anders als geplant nicht in Wien, sondern im neutralen Bern durchzuführen. Der Weltkrieg war das bestimmende Thema der dritten Sozialistischen Frauenkonferenz. Das Anti-Krieg-Manifest, das aus der Konferenz hervorging, forderte die Zusammenarbeit der ArbeiterInnen aller Länder gegen den Burgfrieden, welcher die Einbindung von Gewerkschaften und SozialdemokratInnen in die nationale Politik vorsah und angesichts der äusseren Bedrohung innere Konflikte ruhen lassen wollte. Weiter wurden die Auswirkungen des Krieges auf die Lage der Frauen thematisiert, denn Inflation und Unterversorgung verschärfte ihre oft bereits prekäre Situation. Da durch den Krieg Arbeiter wegfielen, übernahmen Frauen Aufgaben, unter anderem auch in der viel kritisierten Rüstungsindustrie. «Wem nützt der Krieg? Nur einer kleinen Minderheit in jeder Nation. Zunächst den Fabrikanten von Flinten und Kanonen, von Panzerplatten und Torpedobooten, den Werftbesitzern und den Lieferanten des Heeresbedarfs. Im Interesse ihres Profits haben sie den Hass unter den Völkern geschürt und so zum Ausbruch des Krieges beigetragen. Der Krieg nützt des Weiteren den Kapitalisten überhaupt» (Manifest der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz, 1915, Bern.)

Kritik an den kapitalistischen Machtverhältnissen

War die internationale Solidarität im Angesicht des aufkommenden Nationalismus das bestimmende Thema der Sozialistischen Frauenkonferenz vor hundert Jahren, so war Kritik an den bestehenden kapitalistischen Machtverhältnissen ein wesentliches Thema der Feministischen Diskussionstage. Durch die heute vorherrschenden neoliberalen Prinzipien rückt der Einfluss struktureller Macht auf die Geschlechterverhältnisse in den Hintergrund und zugleich wird der Individualismus betont. So wachsen Menschen in dem Glauben auf, sie könnten ihre eigene Biographie gänzlich unabhängig gesellschaftlicher Macht schreiben, wenn sie sich denn nur ausreichend anstrengten. Dieses auf Individuen fokussierte Leistungsprinzip steht einer starken sozialen Bewegung im Wege, da strukturelle Probleme durch bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen verkannt und als selbstverschuldet angesehen werden. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass bestehende Geschlechterstereotypen und damit einhergehende Ungleichheiten im Zugang zu Ressourcen wie Zeit, Macht oder Geld reproduziert werden bei gleichzeitiger Betonung, es handle sich dabei um komplett freie individuelle Entscheidungen. Simone de Beauvoirs Ausspruch, dass man nicht als Frau geboren ist, sondern es wird, steht im kompletten Gegensatz zur heutig vorherrschenden suggerierten kompletten Autonomie des Individuums von gesellschaftlichen Erwartungen, Normen und Zwängen. So wird Frauen unterstellt, dass sie weniger Lohn verdienen, da sie weniger bezahlte Arbeit leisten, sich in Lohnverhandlungen zu wenig forderten oder in Niedriglohnbranchen arbeiten – niedriger Lohn wird damit der individuellen Entscheidung von Frauen angelastet. Gerne vergessen werden dabei gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie Belastungen durch unbezahlte Arbeit, fehlende Betreuungsangebote, Abstrafung bei geschlechterinadäquatem Verhalten etc.

Nach angeregten Diskussionen kristallisierten sich thematische Schwerpunkte für den künftigen Kampf heraus. Einerseits ist Sexismus stark in unserer Gesellschaft verankert, was sich besonders in Werbung oder medialer Berichterstattung zeigt. Damit einhergehend werden Geschlechterrollen reproduziert, welche wiederum als freie individuelle Entscheide missverstanden werden. Diese gilt es zu durchbrechen. Weiter ist die ökonomische Unabhängigkeit aller Geschlechter noch immer eine Vision, welche unter anderem die gleiche Bezahlung der Erwerbsarbeit bzw. der Bezahlung der Reproduktionsarbeit umfasst. Um sich dieser und weiterer Themen anzunehmen, wurde die Gründung eines feministischen Netzwerkes beschlossen sowie die Weiterführung der Feministischen Diskussionstage im halbjährlichen Rhythmus.

 

Aus dem vorwärts vom 15. Januar 2016 Unterstütze uns mit einem Abo!

Lang leben die Frauenkämpfe hier und international!

2014_03_08_frauenkampftag2_fWir widmen den Internationalen Frauenkampftag 2015 der Frauenrevolution in Rojava, dem Widerstand der Frauenverteidigungseinheiten YPJ und allen kämpfenden Frauen der Welt. Den gefallenen und lebenden, den eingesperrten und freien Frauen, die um die Befreiung aller von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, ihnen allen gilt unsere Verbundenheit und unsere Erinnerung. Es gibt dieses Jahr eine Demo für Lohngleichheit in Bern, die von den Gewerkschaften, den grossen Frauenverbänden und Parteien organisiert wird. Warum also noch eine Frauendemo in Zürich? Warum nicht nach Bern? Weil grosse inhaltliche Differenzen bestehen. So wird für eine gemischte Demo aufgerufen. Ausserdem ist der 8. März für uns Internationaler Frauen-kampf-tag. International soll auch unsere Perspektive sein, wohingegen der Inhalt der Demo in Bern einzig die Lohngleichheit ist. Dies unter Teilnahme der FDP, CVP und SP, die Verantwortung für neoliberale Sparprogramme und Privatisierungen tragen sowie für die Einführung der rassistischen Zwangsmassnahmen im AusländerInnenrecht vor nun 20 Jahren. Es ist Wahlkampf, die Parteien wollen sich profilieren und geben sehr viel Geld dafür aus. Trotz Gratis-Zug: Ohne uns!

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine richtige Forderung. Doch für sich allein stellt sie die Perspektive weisser Mittelklassefrauen ins Zentrum und verschweigt die anderen Unterschiede, die grundlegend sind dafür, wer welchen Lohn erhält: «Bessere» Ausbildung oder gar keine, legale oder illegale Arbeitsverhältnisse, Produktions- oder Reproduktionsarbeit, bezahlte oder unbezahlte Arbeit, mit rotem Pass oder mit der Polizei im Nacken… Es geht in Bern nicht um einen Arbeitskampf, sondern nur um Teilhabe, um ein grösseres Stück des Kuchens für die Privilegierten.

So werden Spaltungen zementiert: Weisse Mittelklassefrauen leisten verhältnismässig gut bezahlte Lohnarbeit, feilen an ihren Karrieren und stellen eine Putzfrau an, da sie sich nicht mit ihren Lebenspartner über die Reproduktionsarbeit streiten wollen. Diese Arbeit wird also ausgelagert, meist an Migrantinnen (die erst eine Generation später vielleicht an einer Karriere feilen dürfen). Was individuell eine pragmatische Lösung zu sein scheint, ist letztlich eine Niederlage feministischer Kämpfe. Keine Kollektivierung von Arbeiten, keine Sprengung der klassischen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.

Frauen kämpfen!

Gerade an der Geschichte des 8. März zeigt sich, wie langsam sich Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse auflösen lassen. Es braucht die Kraft und den revolutionären Mut von tausenden von Frauen überall auf der Welt, um die bestehenden patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse zu ändern. Wir sehen uns verankert in einer langen Geschichte von feministischen, revolutionären und emanzipatorischen Kämpfen und wissen, dass diese Kämpfe noch nicht zu Ende gekämpft sind. Wie es unsere kurdischen Genossinnen in ihrem diesjährigen Aufruf treffend sagen: «Am 8. März 2015, 104 Jahre nach der Ausrufung des Internationalen Frauentages, kämpfen Frauen auf der ganzen Welt noch immer gegen das patriarchale Herrschaftssystem. In Erinnerung an die Textilarbeiterinnen in New York, die in ihrem Widerstand ihr Leben ließen, wurde auf der 2. Internationalen Frauenkonferenz 1910, auf Vorschlag Clara Zetkins, der 8. März als Symbol für Frauenkampf und -widerstand verankert. Diese Bewegung, dieser Aufschrei widerhallt noch immer auf den Strassen. Die Revolution gegen Ungleichheit, Sexismus und jede Form der Gewalt hat sich bis heute ausgeweitet und ist weiterhin Verteidigerin aller menschlichen Werte.»

Obwohl weltweit vieles erreicht wurde durch kämpfende Frauen, sind auch immer wieder Rückschläge und Niederlagen zu verzeichnen. Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass hier in der Schweiz viele Frauen denken, es gäbe nichts mehr wofür es sich zu kämpfen lohne. Denn immerhin können einige (wenige) Frauen gar Bundesrätinnen oder Managerinnen werden und (fast) alle können ihr Glück im Konsum finden und Karriere und Kinder und Party mit etwas Geschick auf die Reihe kriegen und sich dabei selbst optimieren. Wenn frau sich nur genug Mühe gibt, lebt sie hier in der besten aller Welten…

Der individualistischen, neoliberalen Propaganda, die täglich über alle Kanäle, Zeitungen und Smartphones verbreitet wird, setzen wir unsern solidarischen und internationalistischen Kampf entgegen. Darum widmen wir den 8. März 2015 den Frauenverteidigungseinheiten der YPJ. In Rojava wird versucht mitten im Krieg eine emanzipatorische Gesellschaft zu erschaffen, in der die Frauen sich von patriarchaler, religiös und moralisch legitimierter Gewalt und Herrschaft befreien und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Sie tun dies selbstbestimmt und greifen dabei zu den Waffen. Was ihnen ausnahmsweise zu viel Öffentlichkeit verhilft.

… hier und international!

Wir möchten dabei aber nicht jene kämpfenden Frauen vergessen, die weniger oder gar keinen Platz in den Schlagzeilen der bürgerlichen Medien erhalten.

So organisieren sich beispielsweise die Textilarbeiterinnen in Bangladesh und Kambodscha, unter massiven Angriffen der Polizei, in massenhaften Arbeitskämpfen; in Indien gingen Mitte Februar 100000 Frauen gegen die Privatisierung von Kinderkrippen auf die Strasse; auch in der Schweiz gab es Streiks von Verkäuferinnen und von Pflegearbeiterinnen. Vielerorts kämpfen Frauen gegen die Kriminalisierung der Sexarbeit. Auf allen Kontinenten mobilisieren sich Frauen gegen die anhaltende sexualisierte und physische Gewalt gegen Frauen, für die Selbstbestimmung über Körper und Psyche, für das Recht auf Abtreibung und gegen kolonialistische Bevölkerungspolitik.

Unter anderem in Indien, Mexico, Kolumbien und auf den Philippinen kämpfen Frauen in linken Guerillas um die Befreiung und Würde der Unterklassen, um die Rechte der Indigenen und gegen die Zerstörung und den Raub des Landes. In vielen verschiedenen Kämpfen nehmen Frauen eine zentrale Rolle ein: In den Kämpfen gegen Zwangsräumungen und Vertreibung der Armen aus den Städten, in den Kämpfen um das Territorium und den Schutz der Natur, wie im Val Susa gegen den Hochgeschwindigkeitszug (TAV) oder gegen die Keystone-Ölpipeline durch Kanada und die USA. Auch im Kampf gegen die mörderische rassistische Asylpolitik in Europa oder gegen die rassistische Polizeigewalt in den USA. Unsere Solidarität allen kämpfenden Frauen! Venceremos!

Aus der Printausgabe vom 27. Februar 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

Antifeministische Scharade

abtreibungAuch wenn die Initiative «Abtreibung ist Privatsache» vom Stimmvolk verworfen wird, stellt sie eine Gefahr dar. Denn sie macht offenkundig kultur- und sozialrassistische Argumente salonfähig. Die Antwort darauf muss daher ein feministischer, migrantischer und proletarischer Kampf sein.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Abtreibungsinitiative am kommenden Abstimmungssonntag nicht durchkommen. Dass sie überhaupt zur Abstimmung kommt, nervt dennoch ungemein. Die Initiative «Abtreibung ist Privatsache» bleibt dermassen durchschaubar, auch wenn sie mit fadenscheinigen Argumenten nicht die Abtreibung selbst in Frage stellen, sondern lediglich einen Beitrag zur Senkung der Krankenkassenprämien leisten will. Ob AbtreibungsgegnerInnen oder VerfechterInnen der neoliberalen Eigenverantwortungsideologie – die konservativen Rechten führen ihre antifeministische Hetze mit der Abtreibungsinitiative in eine weitere Runde.

«Eigenverantwortung» auf dem Buckel der Frauen

Nicht weil sie das Solidaritätsprinzip der Krankenkassen – du bezahlst meinen Beinbruch, ich bezahle deine Abtreibung – auszuhebeln versucht, sondern weil sie neben der antifeministischen Propaganda offenkundig kultur- und sozialrassistische Argumente salonfähig macht, ist diese Initiative nicht einfach nur zu belächeln. Der Kampf gegen solch reaktionäre Angriffe muss ein feministischer, ein migrantischer und ein proletarischer sein.

Es ist kein Zufall, dass in Krisenzeiten die konservativen Kräfte Aufwind bekommen und feministische Errungenschaften unter Beschuss geraten. Wenn in einer neoliberalen Wirtschaftsordnung die Staatshaushalte unter Druck geraten, werden auch individualistische Modelle der hoch gepriesenen Eigenverantwortung wieder vermehrt propagiert. Die Restauration der «Familie», ihre moralische Genesung und gesittete Vermehrung ist der konservativen Rechten besonders in Krisenzeiten ein Anliegen, um dadurch die Staatshaushalte zu entlasten. Die Familie ist nicht nur ein moralisches Steckenpferd, das der bürgerlichen Erziehung dienen soll, sondern auch ein finanzieller und sozialarbeiterischer Hilfsposten, damit der Sozialstaat abgebaut werden kann.

Eine «funktionierende» Familie entlastet den Staat durch die in den meisten Fällen von Frauen übernommenen sozialen Leistungen unbezahlter Care-Arbeit ungemein. Die Anbindung der Frauen an das ideologische Gedankengebäude der bürgerlichen Familie bedeutet für sie nicht nur eine vermehrte Doppelbelastung, sondern steht auch einem freien, emanzipierten Lebensentwurf von Frauen diametral entgegen. In den sauberen Wohnzimmern der guten Schwizerlis ist es leider nicht weit her mit der Selbstbestimmung der Frauen über ihre Körper, denn jede Frau hat darin Hausfrau, Ehefrau und Mutter zu sein – alles, was darüber hinaus geht, muss sie sich erkämpfen. Ähnlich wie die Ecopop-Initiative wird auch die Initiative «Abtreibung ist Privatsache» mit kulturrassistischen Argumente beworben. Abtreibung sei keine Krankheit und werde sowieso hauptsächlich von den kulturfremden Migrantinnen als Verhütungsmittel missbraucht. Es seien demnach soziale, nicht gesundheitliche Faktoren, die zu einer Abtreibung führten. Denn die «fremden» Kulturen würden nicht adäquat mit der Verhütung umgehen können. Diese Unterscheidung zwischen guten und schlechten Kulturen ist unverhohlen (kultur-)rassistisch und hetzt gegen Migrantinnen. Den SchweizerInnen die Schweizer Krankenkassen, so könnte man das Anliegen der InitiantInnen ausdeutschen. Die ausländerfeindliche Haltung der AbtreibungsgegnerInnen, die auch in anderen antifeministischen Bündnissen wie dem «Marsch fürs Läbe» zum Ausdruck kommt, geht mit einer braunen, nationalistischen Ideologie einher.

Zweiklassenmedizin 

Wird die Abtreibung aus der Grundversicherung gestrichen, werden sozial abgesicherte und wohlgeordnete Verhältnisse bevorteilt. Bestraft werden all jene, die sich keine Abtreibung auf private Rechnung leisten können. Nur wird es im trauten Heim der Schweizer Familie, wo alles nach Plan verläuft und das nötigen Geldpolster zur Verfügung steht, immer weniger wichtig sein, die Option einer Abtreibung zu haben, als in sozial fragilen Verhältnissen.

Wohin es führt, wenn zwischen richtigen und falschen Leiden unterschieden wird,  können wir uns denken. Dann werden irgendwann jene nicht mehr behandelt, die sich ein Bein aufgrund von «Eigenverschulden» gebrochen haben, Drogen genommen haben,  an Fettleibigkeit leiden oder am Rand der Gesellschaft leben und sich keine ausreichende Versorgung leisten können. Die Initiative richtet sich in antifeministischer Manier gegen die Frauen der unteren Klassen. Die soziale Diskriminierung, die sich mit dem neoliberalen Deckmäntelchen «Eigenverantwortung» tarnt, trifft gerade im Gesundheitswesen vorwiegend Frauen. Die InitiantInnen versuchen mit dem Credo der «Eigenverantwortung» die angestrebte Zweiklassenmedizin zu legitimieren. Dass es ihnen aber um soziale Ausgrenzung geht, ist offensichtlich.

Das Private ist politisch!

Im Rahmen des neoliberalen Umbaus durch Privatisierung und Abbau gerät das Gesundheitswesen weiter unter Spardruck, was eine entsolidarisierende Politik zur Folge hat. Eine feministische Antwort darauf wird es aber unweigerlich geben. Gerade im Bereich der Care-Arbeit wird die Frage nach Selbstbestimmung, nach solidarischen und kollektiven Arbeitsformen, nach Arbeitskämpfen im Privaten immer wichtiger. Die Selbstbestimmung der Frauen ist der konservativen Rechten immer noch ein Dorn im Auge und das soll auch so bleiben.

«Kirche und Schwert. Ein Krieg gegen das Matriarchat»

Georges Felix. Bereits zum dritten Mal marschierten fundamentalistische ChristInnen in Zürich auf, um gegen das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Hinter der Maske der LebensschützerInnen, gären rechtsextreme Ideologien. Eine Hintergrundrecherche.

Aus der Printausgabe 35/36 des vorwärts vom 28/09/12. Unterstützte uns mit einem Abo.

Buchcover des Buchs "Kirche und Schwert" von D. Regli

D. Reglis‘ Buchcover „Kirche und Schwert“

 

2010 beim ersten «Marsch fürs Läbe» demonstrierten lediglich ein paar 100 «ChristInnen», am 15. September 2012 waren es bereits weit über 1000. Gegenüber dem letzten Jahr verdoppelte sich die Teilnehmendenzahl, während sich die 200 GegendemonstrantInnen nicht vermehrten. Die Zahl der FundamentalistInnen muss jedoch relativiert werden. In grosser Zahl wurden AbtreibungsgegnerInnen aus den umliegenden Ländern mit Cars antransportiert.

Über 50 FundamentalistInnen aus Polen fielen besonders auf. Sie trugen Schilder mit makabren Bildern von aufgeschlitzten Barbiebäuchen, Polenfahnen und ein nationalistisches weissrotes Breittransparent, auf welchem in Frakturschrift «Polonia» aufgedruckt war. Ein Herr hatte auf seinem T-Shirt das Templerkreuz mit der Überschrift Jerusalem aufgedruckt. Randbemerkung: Anders Breivik rechtfertigte seine politischen Massenmorde damit, dass er ein «Templer» im christlichen Kampf der Kulturen gegen die Invasion der Kulturmarxisten und des Islams sei.

«Fundamentalistische Gruppen» am Marsch

Der Verein «Marsch fürs Läbe» wurde am 9. Mai 2011 gegründet. Der Vorstand umfasst den Zürcher SVP Gemeinderat Daniel Regli, den Heidi-Schokoladenfabrikbesitzer Jürg Läderach und seinen Sekretär Walter Mannhart, Leiter der freikirchlichen Internatsschule «Domino Servite» (Dienet dem Herren). Beide sind in leitender Funktion bei der Erweckungs-Freikirche «Kwasizabantu» (KSB), welche gemäss der Informationsstelle der reformierten Kirche als fundamentalistische Sondergruppe eingestuft wird. Läderach ist Financier und Chef der KSB Schweiz.

Trotzdem ist der Marsch anhand der Organisationen weniger dem freikirchlichen Spektrum, als eher christlich-rechtskonservativen oder gar christlich-rechtsextremen Strömungen zuzuordnen. Unter den 13 Unterstützungsorganisationen findet sich die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) und ein enges Netzwerk aus sechs sich personell überschneidenden Organisationen, in deren Zentrum der Vereinspräsident Daniel Regli steht. Alle diese Organisationen haben sich den Kampf gegen den Islam und für eine rigide Sexualmoral auf die Fahne geschrieben.

Kampf der Kulturen

Ein zentraler Bestandteil heutiger rechtsextremer Theorien und der Organisationen um Regli ist der «Kampf der Kulturen», der eine gesellschaftsfähigere Variante des völkischen «Rassenkampfs» darstellt. Rechtsextremismus baut auf einer sozialdarwinistischen Theorie der Ungleichheit auf, in welcher Völker, Rassen oder Kulturen im unüberbrückbaren Kampf stehen. Ziel ist das Überleben des eigenen «Volkskörpers». Daraus ergeben sich drei Kernmerkmale: 1. Die Auslöschung oder Unterwerfung anderer Kulturen, Rassen oder Völker zum Wohle der eigenen genetisch, kulturell oder historisch überlegenen Gruppe. 2. Die absolute Unterordnung des Individuums unter den Volkskörper. Oftmals anhand einer historisch oder kulturell vorgegeben Rolle. Zum Beispiel die traditionelle biblische Rolle der Frau als Untertanin des Mannes. 3. Der Kampf gegen schädliche Elemente im Innern. Zum Beispiel die Verfolgung von Marxistinnen, Juden oder Homosexuellen.

Christen für die Wahrheit

Der Schokokönig Läderach ist auch Präsident des Schweizer Ablegers «Christians for Truth» (CfT). CfT möchte «eine Nation … nach höchsten christlichen Normen und Werten.» Wie in den USA versucht diese Gruppe Einfluss im rechtskonservativen Lager zu gewinnen. Was christliche Normen und Werte für Läderach und Walter Mannhart bedeuten, sieht man an der KSB-kontrollierten Schule «Domino Servite». Gemäss eines Berichts der NZZ aus dem Jahre 2002 haben die Kinder freches Verhalten zu unterlassen und müssen den Erziehern gehorchen und dankbar sein. Dieser muss ständig wissen, wo sich die Schüler aufhalten. Zweideutige Beziehungen zwischen Knaben und Mädchen sind verboten. Vergehen führen zu strengen Disziplinarmassnahmen. Im Internet finden sich Berichte über körperliche Züchtigung und Haftstrafen in dunklen Wandschränken.

Regli: «Schwule Arschlöcher»

Der SVP-Gemeinderat Regli kämpfte 2009 an vorderster Front mit seiner Organisation «familienlobby» gegen die Europride. Gemäss dem TA schrieb Regli Schmähbriefe an das Pride-OK und bezeichnete diese als schwule Arschlöcher und freute sich über die Zunahme von HIV-Infizierungen in der Gay-Community. In einem Video-Interview sagt Regli: «Homosexualität ist eine psychische Störung … ein moralisches Defizit.» Nach den politischen Massenmorden Anders Breiviks schreibt Regli 2011, dass «Europa erst möglich geworden sei, durch die Tat so genannter <Antiislamisten>» und «die westliche Welt hätte längst keinen Bestand mehr ohne kämpferische <Anti-Jihadisten>.» Er bezieht sich hier nicht auf Breivik selbst aber konstruiert ein kulturkämpferisches Weltbild des Abendlands, welches auf Karl Martell zurückgeht. Dieser besiegte 732 n.Ch. die Mauren. In Reglis Buch «Kirche und Schwert» werden auf dem Titelbild zwei blutverschmierte Schwerter in Kreuzgestalt dargestellt. Es handelt davon, dass «die Zukunft der europäischen Nation … vom beherzten Einsatz von Christen abhängt, die sich an die Macht wagen.»

«Meine Damen… Wollen Sie Frieden oder Krieg?»

2008 schreibt Regli im Artikel «Gummizelle oder Fruchtblase» von den Horden Mohammeds, welche seit 1300 Jahren Europa einzunehmen versuchten. Dies weil die «matriarchale Herrschaft», welche zusammen mit den 68er Marxisten die Macht im Staat haben, das Volk seiner Abwehrkräfte beraubt und es zu einem gefundenen Fressen für äussere und innere Feinde macht. Feministinnen führen nach Regli einen Krieg. Dies sehe man an den über 10000 Toten, welche jedes Jahr alleine in der Schweiz wegen des Feminismus durch Abtreibung verursacht würden. So fragt er die Frauen: «Wollen Sie Frieden oder Krieg?» Aber für Regli ist ohnehin klar, dass jede Gesellschaft nur überleben und zur Blüte gelangen könne, wenn sie ihre Frauen (Matronen) entmachtet. Und dieser innere Kampf eilt: «Die Hyäne Mekkas hat ihre Horden längst losgeschickt.»

 

 

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