Das Schweigen brechen

sah. Dank dem Hashtag #metoo ist in kurzer Zeit eine Protestbewegung gegen sexuelle Übergriffe entstanden. Gewalt an Frauen betrifft nicht nur Hollywood und Weinstein, sondern ist auch in der Schweiz ein Problem und für viele Frauen bitterer Alltag.

Eine Sekunde lang zögerte Laurie Penny, als sie am 26. Oktober 2017 im Frauenraum zum Reitschuljubiläum zusammen mit dem Publikum über die aktuelle Lage des Feminismus debattierte. Eine männliche Person aus der Masse hatte die Frage gestellt: «Was hältst du davon, dass zig UserInnen im Internet den ‹Gefällt-mir›-Button drücken, wenn ein neuer Beitrag mit Berichten über Geschehnisse auf #metoo erscheint?»

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«Sie sehen Frauen nicht als Menschen»

Andreas Boueke. Die Umweltingenieurin Maria del Carmen Pu (37) stammt aus dem Volk der Maya-Ki’che. Als Mitarbeiterin der Stiftung FEP-Maya begleitet und unterstützt sie junge Mayafrauen auf ihrem Bildungsweg bis zum Universitätsabschluss. Ein Gespräch.

In Europa und Nordamerika wird zur Zeit heftig über Sexismus debattiert. Welche Rolle spielt das Thema für Frauen der indigenen Bevölkerung Mittelamerikas?
Maria del Carmen Pu: Hier sprechen wir vom Machismo, einem Männlichkeitswahn, der schon seit sehr langer Zeit in dieser Region existiert. Doch nur wenige Frauen trauen sich, den Machismo zu thematisieren. Die meisten ziehen es vor, ihn als normal anzusehen. Sie denken: «Es ist normal, dass ich als Frau geschlagen werde. Es ist normal, wenn ein Mann mich anschreit. Es ist normal, dass ich eine unterwürfige Haltung gegenüber Männern einnehme.» » Weiterlesen

Privatisierung von Gewalt und Neurosen

dab. Sex und Geschlechterbeziehungen in Europa: desolater Zustand, Notstand hinter glamouröser Aufreizung in Medien und Werbung. Rund um die starren ideologischen Beziehungsformen Ehe und Familie grassieren Neurosen und Geschlechterkampf ohne Bewusstsein.

Frauen und Männer nehmen sich oft nicht ernst, machen sich gegenseitig übereinander lustig. Die mit bürgerlicher Ideologie aufgeladene und mystifizierte Familie mit Zweierbeziehung stösst schnell an ihre Grenzen. Oft schon nach wenigen Jahren oder wenn die Kinder da sind. Viele mögen keinen Sex mit ihren Ehepartnern mehr haben. Verliebtheit verblasst, die Interessen driften auseinander in dieser schnelllebigen Zeit mit seinen zahlreichen Identifikationsangeboten. Der Ofen ist aus.

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Lust auf Sichtbarkeit und Politisierung

sah. «The Future is Queer»: Das Luststreifen Queer Film Festival in Basel feiert seinen zehnten Geburtstag. Ein Rückblick sowie ein Gespräch mit Ledwina Siegrist, die für das Filmprogramm des Festivals verantwortlich ist.

Aus einem kleinen Filmwochenende ist heute ein grosses Filmfestival mit über 1000 Besucher-Innen geworden. Dieses Jahr konnten zehn Kerzen auf dem Kuchen ausgeblasen werden und ein Wunsch stand frei – der natürlich nicht verraten werden durfte. Das Team «Luststreifen Queer Film Festival» hatte auch in diesem speziellen Jahr mit dem Fokus «The Future is Queer» ein spannendes Programm zusammengestellt, das vom 28. September bis am 1. Oktober im Neuen Kino in der Klybeckstrasse oder im Kult.Kino Camera gezeigt wurde.

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Gewalt an Frauen: ein Weltproblem

Huguette Junod. Die Zahlen sind erschreckend: Laut Uno sind weltweit 70 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen. Häufig geht die Gewalt von den Partnern aus. Das Problem muss endlich an der Wurzel, bei der Erziehung, angegangen werden!

Das Thema ist wahrlich nicht neu. Es ist sogar altüberliefert, universell und wiederholt auftretend. Überall auf der Welt nämlich erleiden Frauen Gewalt – am Arbeitsort, auf der Strasse, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und zuhause. Gewalt in der Ehe kennt keine Grenzen und betrifft alle sozialen Schichten.

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Tamara Bunke: Die Mitkämpferin Ches

Marcus Christoph. Dieses Jahr jährt sich nicht nur der 50. Todestag von Che Guevara, sondern auch der seiner Mitkämpferin «Tania la Guerrillera». Tania war eine ausserordentliche Revolutionärin, die für ihre Ideale mit der Waffe in der Hand kämpfte und starb.

Sie wurde weltberühmt als Kämpferin an der Seite Che Gueveras: Tamara Bunke, besser bekannt als Tania la Guerrillera. Vor 50 Jahren kam die Deutsch-Argentinierin bei dem Versuch ums Leben, eine Revolution in Bolivien zu entfachen. Die Kommunistin, die keine 30 Jahre alt wurde, war eine beispielhafte Revolutionärin.

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Geschlecht: Ein soziales Konstrukt

Morton Esters. Die menschlichen Körper weisen eine ungeheure Variabilität auf. Die Geschlechtsmerkmale bilden ein Spektrum. Die Einteilung in «Mann» und «Frau» stärkt das Patriarchat. Eine Kritik des Geschlechtbegriffs und der Gegenüberstellung von Gender und Geschlecht.

Die bürgerliche Ideologie hämmert uns seit langer Zeit die oberflächliche Vorstellung über Geschlecht ein: Man gehört entweder der Kategorie «Mann» oder «Frau» an, die auf einer starren Reihe von biologischen Merkmalen basieren. Das Ziel dieser Vorstellung ist es, die Unterdrückung der Frauen in unsere Gesellschaft zu zementieren und ideologisch zu verstärken. Neben dieser biologistischen Sicht auf das Geschlecht wurde von fortschrittlicherer Seite eine Theorie entwickelt, die einen Unterschied macht zwischen Gender und Geschlecht.

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Schlampe!

Laura Romand. Wieso müssen sich junge Frauen schämen, wenn sie masturbieren? Wieso werden Frauen als Schlampen bezeichnet, wenn sie gerne Sex haben? Wir betreiben die Sexualisierung unserer Töchter von klein auf, gleichzeitig verbieten wir ihnen, über ihren Körper selbst zu bestimmen.

«Du wirst doch nicht so angezogen ausgehen wollen. Eine Schlampe, werden die Leute sagen!» «Schlampe» – ein kleines Wort mit viel Gewicht. Das Wörterbuch urteilt: «Eine Schlampe ist eine Frau von schlechter Moral.» Nun stellt sich mir die Frage: Gibt es eine besondere Polizei, die alle überwacht, die über ihren Körper und ihr Leben selbst bestimmen wollen? Wer oder was definiert die schlechte Moral einer Frau? Die gute Moral ist ausdrücklicher Befehl, der die Frau von der Kindheit an verfolgt. Wenn die kleinen Buben Pirat, Chauffeur des Müllabfuhrwagens oder auch Superheld werden wollen, müssen die kleinen Mädchen Prinzessinnen sein – Punkt, Schluss.

Jungfräulichkeit gestohlen?
Kinder wachsen, die Probleme auch. Steigende Hormone, Berufswahl, Familienschwierigkeiten – nun beginnt die schwierige Phase des Teenageralters. Wenn wir doch davon verschont geblieben wären! Aber nein: Dort, wo die werdenden Männer das Recht haben, zu sein, wie sie sind, oder besser, es stolz einfordern, da müssen wir Frauen zurückstehen. Denn wenn er sich das Recht nimmt, seine Sexualität hemmungslos auszuleben, muss sie aufpassen, dass man ihr ihre Jungfräulichkeit nicht stiehlt. «Stehlen» – als ob frau nicht von sich aus Hormone in Hülle und Fülle haben kann und Lust dazu hat, ihre Bedürfnisse frei zu leben – gar nicht zu reden von Masturbation!
Es überrascht immer wieder, wenn ein junger Mann ohne Scham über Selbstbefriedigung spricht und von der Gesellschaft dafür wertgeschätzt, ja aufgewertet wird. Für die jungen Frauen ist das ganz anders. Sie masturbieren nicht und sind oft stolz darauf, dass sie es nicht tun. Das einfache Wort «Masturbation» klingt für sie fast wie ein Verbrechen und ist ein so widerliches Tun, dass es unbedingt sechs Fuss unter die Erde verbannt gehört und nie mehr davon gesprochen werden darf.
Im naturwissenschaftlichen Unterricht in der Schule wurde noch bis vor Kurzem bloss ein Teil der weiblichen Genitalien gezeigt, nämlich die Scheide und Gebärmutter. Dabei fehlten die Vulva und besonders die Klitoris und was frau damit machen kann. Fachleute stimmen darin überein, dass die weibliche Masturbation nicht einfach ein kleiner, dreckiger Zeitvertreib ist, sondern eine Wohltat, die die Frauengesundheit physisch und psychisch verbessert. Warum also erlauben wir unseren Töchtern nicht, sich freudvoll und ohne Schuldgefühle selbst zu befriedigen?

Mentale Beschneidung
Die schauderhafte Lektüre einer Mädchenbeschneiderin, die ihr Tun rechtfertigt, weil «unbeschnittene Mädchen hinter Jungen herlaufen würden, statt begehrt zu werden», hat mich danach fragen lassen, ob wir am Ende unsere Mädchen nicht mental beschneiden? Die eigene Sexualität alleine entdecken, ohne einem Mann anzugehören, das ist für junge Frauen in unserer patriarchalen Gesellschaft ebenfalls verboten.
Und wehe denen, die machen, was sie wollen: Das Slut-Shaming (das Blossstellen, Demütigen von «Schlampen») ist kein Übel aus dem Internet und hat nicht erst auf die sozialen Netzwerke gewartet, um Schaden anzurichten. Nur hat das Internet die Ausgangslage verändert. Die Aggressionen geschehen nicht mehr nur im Schulhof, sondern im eigenen Zimmer. Unter diesem Stress zu stehen, ohne sichere Umgebung, kann zum Suizid führen – die Selbstmordfälle unter jungen Frauen wegen Belästigung sprechen für sich und zu uns.

Eine zutiefst patriarchale Welt
Wir betreiben die Sexualisierung unserer Töchter von klein auf, gleichzeitig verbieten wir ihnen, über ihren Körper selbst zu bestimmen und im weiteren Sinne Nein zu sagen. Wir bringen unseren Töchtern nicht nur bei, dass sie Vergnügungsobjekte sind, sondern dass sie, wenn mal eine Beziehung schiefläuft, alleine dafür verantwortlich sind. In Frankreich hat eine Studie gezeigt, dass für 27 Prozent der Befragten eine Vergewaltigung gerechtfertigt war, wenn das Opfer «sexy» angezogen war. Die patriarchale Vergewaltigungskultur und die Kontrolle über die weibliche Sexualität lassen grüssen.
Ich wiederhole meine Eingangsfrage: Gibt es eine Spezialpolizei, die all jene überwachen, die über ihren Leib und ihr Leben selbst bestimmen? Meine Antwort: Ja, wir. Egal welches Geschlecht und sexuelle Orientierung wir haben, unsere Umgebung lehrt uns frauenfeindlich zu sein. Wir vergessen, dass eine Frau – egal welchen Alters! – das Recht hat, über ihren Körper selbst zu bestimmen, sich nach ihrem Geschmack zu kleiden, ihre Karriere und Sexualität selbst zu gestalten. In dieser zutiefst patriarchalen Welt erziehen wir unsere Mädchen von klein auf dazu, das zu verdrängen, was sie frei und mächtig machen würde. Zurückzukehren zu den Grundgedanken der Frauenbewegung und eine qualitätsvolle Sexualerziehung zu bieten, unseren Mädchen die Kontrolle über ihren Körper zurückzugeben; das ist keine Frage der Geschlechtergleichheit, sondern eine des gesunden Menschenverstandes und der Menschlichkeit.

Freiheit der Frau wichtiger als Heimat

sah. Der kurdische Revolutionär Abdullah Öcalan von der Widerstandsbewegung PKK räumte dem Feminismus eine zentrale Rolle in seiner Theorie sein. In der Broschüre «Die Revolution der Frau» legt er seine Perspektive auf den Feminismus dar. Erster Teil.

Dass der Grad der Befreiung der Frau ein Massstab für die Befreiung der Gesellschaft ist, wissen alle. Doch kaum ein Revolutionär formulierte seine feministische Forderung so konsequent wie Abdullah Öcalan: «Für mich ist die Freiheit der Frau wertvoller als die Freiheit der Heimat.» Öcalan kämpfte als einer der Führer der ArbeiterInnenpartei Kurdistans PKK  für die Autonomie kurdisch besiedelter Gebiete in der Türkei und angrenzenden Ländern – so erhält dieses Bekenntnis eine besondere Bedeutung.

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Hilfe gegen Belästigung

sah. Drohungen, Versprechen von Vorteilen, Zwang- und Druckausüben oder anzügliche Bemerkung und Berührungen: Die neue Online-Erstberatungs-plattform belästigt.ch bietet Hilfe gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Anzügliche Bemerkungen oder beim Vorbeigehen beiläufig über den Po gestrichen: Sexuelle Belästigung passiert in allen Branchen. Die Opfer schweigen oder handeln erst, wenn die Situation absolut unerträglich wird. Wenden sich Belästigte an Fachpersonen, ist die Situation in den meisten Fällen bereits eskaliert.

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Das verkannte Phänomen

Andrea Coduri. Seit Januar 2016 spricht man über «Belästigung auf der Strasse»; es wird ausgesprochen, dass Frauen nachgepfiffen, sie angefasst und belästigt werden. Den feministischen Kampf dagegen gibt es schon seit mehreren Jahren. Doch anscheinend haben ihn Medien und Bevölkerung erst jetzt wahrgenommen.

Angefangen hat es mit den Ereignissen am Silvester 2015 in Köln; da wurden Migranten diskriminiert und angeklagt. Doch das Patriarchat, nicht die ethnische Herkunft, verursacht solche Angriffe. Die grüne Lausanner Gemeinderätin Léonore Porchet hat eine Interpellation eingereicht: die Situation in der Waadtländer Hauptstadt soll untersucht werden. Die entsprechenden Ergebnisse wurden im Dezember 2016 veröffentlicht und haben viele Menschen erstaunt – auch mich. Ich fing an, allen mir nahestehenden Frauen Fragen zu stellen: meiner Mutter, meiner Tante, meinen Freundinnen. Keine hat mir geantwortet, dass ihr auf der Strasse noch nie nachgepfiffen worden sei! Das hat mir bestätigt, dass der Feminismus unerlässlich ist – vor allem heute, aber nicht erst heute.

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In pornographischer Pose

Zora Schneider. Die PdA Bern reicht beim Schweizer Presserat eine Beschwerde ein wegen Diskriminierung von Frauen auf dem Titelbild des «Magazins». Konkret wurde dort Kim Kardashian in einer entwürdigenden Pose abgebildet.

Ein Bild sorgt für Empörung. Auf dem Titelbild des «Magazins» des «Tages-Anzeigers» vom 10. Juni wird der TV-Star Kim Kardashian in tierischer und pornographischer Pose abgebildet. Das verletzt die Kodex-Ziffer Nr. 8 der «Erklärung der Pflichten der Journalisten und Journalistinnen», die festhält, dass diskriminierende Anspielungen in Text, Bild und Ton aufgrund des Geschlechts verboten sind und die Menschenwürde zu respektieren ist. Die PdA Bern will eine solche Darstellung von Frauen in der Öffentlichkeit nicht zulassen und hat heute beim Schweizer Presserat eine Beschwerde dagegen eingereicht.

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Die göttliche Ordnung

Zora Schneider. Beim Frauenstimmrecht waren wir erfolgreich! Und heute? Wie steht es um die Gleichberechtigung? Die Partei der Arbeit Bern gründet ein Frauen-Aktionskomitee, um die Probleme der Frauen in der Schweiz in Aktionen und in der Politik anzugehen.

In letzter Zeit ist ein feministischer Aufbruch zu beobachten: Es gab in den USA grosse Anti-Trump-Proteste, die von einem Frauenbündnis initiiert wurden, und auch in Zürich gingen mehr als 10 000 Bewegte für den Frauenmarsch auf die Strasse. In Polen konnten Proteste von Frauen eine Verschärfung des Abtreibungsrechtes verhindern. Der Film «Die göttliche Ordnung», in dem die Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz anhand von fiktionalen Charakteren mit realen Vorbildern dargestellt wird, hat uns an unsere Geschichte erinnert. Er hat vorgeführt, welche Art der Zivilcourage es braucht, Frauenanliegen durchzusetzen: Die alten Muster aussetzen, für die eigenen Überzeugungen hinstehen, sich durch Unsicherheit und (angedrohte) Gewalt nicht entmutigen lassen und protestieren. Auch US-Präsident Trump hat uns mit seinem Frauenbild (an die «Pussy» fassen, Frauen nach ihrem Äusseren in Kategorien einteilen) gezeigt, dass es noch nicht so lange her ist, dass Frauen über ihren Körper und ihr Leben auch hier in der Schweiz nicht selbst bestimmen konnten. Und das wirkt immer noch in Schönheitsidealen und anderen körperlichen und geistigen Anforderungen an uns Frauen nach, obwohl die Gleichberechtigung bei uns in der Verfassung steht. Häufig drückt sich das auch in Gewaltandrohungen und -anwendungen aus, von denen Frauen im öffentlichen Raum übermässig betroffen sind. Vor allem dann, wenn sie sich nicht an die auferlegten Regeln halten wollen.

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Gegen Hierarchien und Ausschluss

sah. Momentan tut sich viel in der Frauen- und der Queerbewegung. Neue Begriffe tauchen auf und werden wild diskutiert. Queere Frauen und Transmenschen organisieren sich unabhängig von Cis-Männern, um einen Schutzraum vor verbaler und physischer Gewalt sowie jeglicher Form von Homophobie und Transphobie zu schaffen.

«Queerfeministischer Nachtspaziergang». Der Aufruf hing in Berns Strassen, an Busstationshäuschen und an Stromkästen. Irgendwo beim Plakat fand sich eine kleine Notiz: «Wilder, wütender und selbstbestimmter Spaziergang – FLTIQ-Menschen (keine Cis-Männer)». FLTIQ? Mit der Abkürzung sind Frauen, Lesben, Transmenschen, Intermenschen und Queers gemeint. Organisiert hat dies alles eine basisdemokratische Gruppe aus «weissen jungen Cis-Frauen ohne Migrationshintergrund» mit dem wichtigen Anliegen, emanzipatorische Kämpfe mitzutragen, sie zu verbinden und FLTIQs mit verschiedenen Hintergründen zu vereinen. Cis oder Cisgender bezeichnet Personen, deren Geschlechteridentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, als Gegenpart zu Transgender. Kritisch reflektieren die Organisatorinnen ihre «Privilegien der Herkunft» und möchten sie dekonstruieren. Alle zusammen kämpfen gegen die gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund Herkunft, ökonomische Verwertbarkeit, Aussehen, Fähigkeit und Alter.

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Der Kampf um die Zukunft ist auch ein Kampf um die Geschichte

Die Geschichte des 8. März ist politisch. Vor 100 Jahren lösten die Arbeiterinnen Petrograds die Februarrevolution aus und erkämpften sich kurz danach das Stimmrecht. Der 8. März wird in diesem Jahr 100 Jahre alt, wie die zwei Revolutionen in Russland. Die Februarrevolution – sie müsste nach unserem Kalender Märzrevolution heissen – wurde am 8. März durch die demonstrierenden Arbeiterinnen Petrograds, der damaligen Hauptstadt Russlands, ausgelöst. Die Zweite Internationale Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau erhob deshalb 1921 diesen Tag zum internationalen Frauenkampftag, was bis heute so geblieben ist.

Das Vorhaben, ein gemeinsames Datum für einen internationalen Frauentag festzulegen, bestand seit 1910, als dies die beiden Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen forderten, ohne dabei einem konkreten Datum den Vorzug zu geben. Zentral war Zetkin und Duncker die Stärkung der Frauenbewegung durch einen weltweiten und gleichzeitigen Kampftag. Die internationalen Verbindungen der Frauenorganisationen und der über die Grenzen hinausgehende gemeinsame Kampf könne so den Herrschenden am deutlichsten vor Augen geführt werden. Es zeigte sich in den folgenden Jahren, dass ein internationaler Kampftag ohne fixes Datum die Bewegung vor Probleme stellte. Dies nicht nur, weil es organisatorisch anspruchsvoller war, sondern auch, weil der historische Rückbezug auf vorausgegangene Kämpfe einem Bedürfnis entsprach. Die geschichtlichen Bezüge der Entscheidung, den internationalen Frauenkampftag auf den 8. März zu legen, sind nicht einheitlich. So führen viele das Datum auf die Streiks in den USA von 1908 zurück, als eingesperrte Textilarbeiterinnen in einer Fabrik verbrannten, andere auf Streiks im 19. Jahrhundert. In Frankreich ist auch der Bezug zur Pariser Commune beliebt und wieder andere beziehen sich auf den Gedenktag für die Gefallenen während der Deutschen Revolution von 1848. Die Aufzählung zeigt, wie wichtig die Begründung des Datums ist: Der Frauentag soll mit der politisch passenden Gründungsgeschichte behaftet werden. Der März eignet sich auch dafür, denn es fallen viele wichtige Frauenkämpfe auf diesen Monat. Damit wird versucht, politische Kontinuität herzustellen, insbesondere auch durch solche Kräfte, die von sich behaupten, keine «ritualisierten Kampftage» zu brauchen. Wir gehören nicht zu denen, die denken, dass es keine «ritualisierten Kampftage» braucht! Der 8. März ist für uns ein positiv besetzter Rückbezug auf die von Arbeiterinnen ausgelöste russische Revolution, die im Oktober zur ersten dauerhaften sozialistischen Machtübernahme führte.

8. März 1917 in Petrograd

Die Situation 1917 in Petrograd, mitten in den Wirren des ersten Weltkrieges, war katastrophal: Die jüngeren Männer waren gezwungen Dienst zu leisten – zurück blieben vor allem Frauen. Sie mussten nicht nur die eigene Existenz und jene ihrer Familien sichern, sondern ebenso die Produktion aufrechterhalten. Es ist nicht überraschend, dass sie es waren, die 1917 in den Streik traten und damit die Februarrevolution auslösten. Nur wird dieser Tatsache wenig Aufmerksamkeit und Wert beigemessen. Die Februarrevolution führte zwar zur Absetzung des Zaren, ansonsten änderte sich aber wenig, denn die frisch eingesetzte Provisorische Regierung hatte wenig Spielraum. Solange der Krieg tobte, war den erdrückenden wirtschaftlichen Missständen schwer beizukommen und der Zustand des riesigen Reichs war desolat. Was die Provisorische Regierung aber ohne Probleme hätte tun können, wäre die Einführung des Frauenstimmrechts gewesen – was sie aber unterliess. Im Vorschlag für die Prinzipien der zukünftigen Regierung wurde zwar die Beseitigung aller Ausschlüsse aufgrund von Klasse, Religion und Nationalität festgehalten, vergessen aber wurde die Beseitigung jeglicher Restriktionen in Bezug auf Frauen. Die russischen Frauen reagierten schnell darauf und legten nur eine Woche nach der Februarrevolution entschlossen der provisorischen Regierung eine Erklärung vor, in der eine sofortige Änderung des Programms gefordert wurde: «In den feierlichen Tagen der grossen Befreiung des Volkes (…) hat die russische Liga für die Gleichberechtigung der Frauen mit grossem Erstaunen im Programm der Provisorischen Regierung keine Erwähnung der Beseitigung des grossen Unrechts des alten Systems finden können, nämlich jenes der Unterdrückung einer ganzen Hälfte der russischen Bevölkerung – der russischen Frauen.» Diese Erklärung war von Anfang an auch ein Akt der Agitation und ging nicht nur an die Regierung, sondern wurde auf den Strassen, in Fabriken und übers Land verteilt. Die Aktivistinnen waren nicht bereit, zu Hause auf eine formelle Antwort zu warten, sondern organisierten sich.

Erkämpftes Stimmrecht

Nur zwei Wochen nach der Bitte um Richtigstellung des «Versehens» folgte die Demonstration am 19. März 1917, an der ca. 40 000 russische Frauen nicht mehr um das Stimmrecht baten, sondern dieses bedingungslos einforderten und auch erzwangen. Die Demonstration dauerte bis weit in die Nacht hinein. Als Rednerin und Repräsentantin war Vera Figner auserkoren worden. Sie war im bewaffneten Kampf des 19. Jahrhunderts berühmt geworden. Die Vorsitzende der Liga für die Gleichberechtigung der Frauen, Poliksena Shishkina-Iavein, verwies voller Stolz auf ihre Begleiterin: «Wir kamen hierher, um euch alle daran zu erinnern, dass Frauen loyale Genossinnen waren im gigantischen Kampf für die Freiheit des russischen Volkes, tapfer die Gefängnisse füllten, ins Exil gingen und die besten unter uns schauten furchtlos dem Tod in die Augen. Neben mir steht V.N. Figner, die ihr ganzes Leben lang für das gekämpft hat, was wir nun erreicht haben.» Figner und Shishkina-Iavein suchten sowohl den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten als auch das Parlament auf, um eine sofortige Antwort zu verlangen. Schliesslich sicherten die Abgeordneten ihre Unterstützung zu. Allerdings sei es an der Provisorischen Regierung, dies zu verfügen, weshalb ein weiterer Gang zu Fürst Lwow, dem Ministerpräsidenten notwendig sei. Der erklärte dann lapidar «(…) dass die Provisorische Regierung den Begriff universell in dem Sinne verstehe, dass er die Ausdehnung des Stimmrechts auf Frauen beinhalte.» Damit hatten die russischen Frauen die grundsätzliche Forderung nach der Teilhabe am politischen Leben erkämpft. Diese Forderung löste die Selbstverständlichkeit männlicher Bestimmung über die Frau nicht auf, aber stellte diese in Frage. Und dies war ein erster notwendiger Teil der Befreiung der Frauen.

Die Zitate sind einem Erlebnisbericht von Olga Zakuta entnommen und in Aspasia, Vol. 6, 2012, S. 117-124 veröffentlicht.

 

Aus dem vorwärts vom 3. März 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Resist Trump! – Im Land der Daten und Apps

San Francisco, die Stadt der Querdenkerinnen, LGBTQs (LesbianGayBiTransQueers) und Immigrantinnen aus aller Welt, hasst Trump aus vollem Herzen und auf der ganzen Linie. Doch es gibt auch lokale Akteure, die in der gegenwärtigen politischen Lage eine ambivalente Rolle spielen – und das in vieler Hinsicht.

Am «Women’s March» am Tag nach Trumps Amtsantritt beginnt die Demo bereits im Wohnquartier – so gross ist der Andrang bei den U-Bahn-Stationen und die Begeisterung über den vereinten Widerstand. Auch der Flughafen wird nach Inkrafttreten von Trumps Einreisesperre für Flüchtlinge und Menschen aus sieben überwiegend muslimischen Ländern mit grosser Ausdauer und von bunten Massen blockiert, und am «Day without an Immigrant» bleiben ganze Strassenzüge geschlossen, ein Geschäft ums andere vergittert, alle Restaurants zu. Die Botschaft ist klar: Ohne Immigrant*innen (und Frauen!) läuft hier gar nichts, und San Francisco ist entschlossen, dem Trumpschen Angriff an allen Fronten die Stirn zu bieten. Auch wenn die Stadt, die sich bereits in den 1980er Jahren zu einer «Sanctuary City» erklärte, also zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, damit riskiert, dass ihr von der Regierung Trump der Geldhahn zugedreht wird – denn wer nicht kuscht, der wird gefeuert oder finanziell abgestraft (denn der Präsident hat immer zu 100 Prozent recht).

Neoliberales Laboratorium

Städte wie San Francisco, mit ihrer kosmopolitischen Atmosphäre, ihrem klaren Bekenntnis zu LGBTQ- und reproduktiven Rechten, ihren städtischen Identitätskarten, die auch papierlosen Immigrant*innen offenstehen, und ihren relativ gut ausgebauten Sozialleistungen, sind in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Dennoch erscheint es mir angebracht, die Rolle der San Francisco Bay Area auch kritisch zu beleuchten, den Rissen und Brüchen nachzuspüren, und einen Blick hinter die progressive Fassade zu werfen. Schliesslich befinden wir uns hier in einem regelrechten Laboratorium für neoliberale Rezepte aus der Küche von Uber, Airbnb, Twitter, Facebook und zahlreichen weiteren lokal ansässigen Technologieunternehmen, die den Alltag von Millionen von Nutzerinnen (und Nichtnutzern) auf der ganzen Welt prägen, mit oft verheerenden sozialen Auswirkungen, wie zahlreiche Kämpfe rund um prekäre Arbeitsbedingungen, Privatisierungen und Gentrifizierung belegen. Es sind nicht zuletzt gerade auch solche Kräfte – und die von ihnen und ihren politischen Verbündeten, notabene im Lager der Demokrat*innen, losgetretene Neoliberalisierungswelle – die Rechtspopulist*innen wie Trump in vielen Teilen des Landes Auftrieb verschafft haben. Die Proteste müssen sich daher nicht nur gegen den von aussen kommenden Angriff richten, sondern auch die Rolle von lokalen Akteur*innen in der Konstruktion dieser Kräfte genauestens unter die Lupe nehmen.

Neutrale Technologie?

Dass gerade Technologieunternehmen bei Diskursen rund um den Aufbau einer Muslim-Datenbank oder Rufen nach einem Ausbau des Polizeistaates eine wichtige Rolle zukommt, versteht sich eigentlich von selbst. So trugen zum Beispiel die von IBM angefertigten Lochkarten massgeblich zur reibungslosen Organisation des Holocaust bei. Mit dem Argument, sie habe doch nur «neutrale» Technologien bereitgestellt, deren Endzweck nicht in ihrer Verantwortung liege, lehnt die Firma eine Aufarbeitung der Geschichte bis heute ab. Stattdessen hat sie Trump in einem persönlichen Brief umgehend zur Wahl gratuliert und ihm die Dienste der Firma ans Herzen gelegt. Und IBM ist keine Ausnahme. Als der frischgewählte Präsident in seinen Trump Tower lud, musste er Spitzenmanager*innen von Facebook, Google, Apple & Co. nicht lange bitten. Denn trotz der linksliberalen Rhetorik und Rufen nach einem «Calexit», einer Abspaltung Kaliforniens vom Trumpschen Restland, verhalten sich die meisten Tech-Firmen wie ein Blatt im Wind. Schliesslich ist das Generieren und Auswerten von Daten nicht nur ihre Spezialität, sondern ihr eigentliches Business. Daher sind auch die halbherzigen Beteuerungen vieler Firmen, sich nun doch nicht an solchen Projekten beteiligen zu wollen, und ihre Kritik an Trumps Einreisesperre, die auch hochspezialisierte Mitarbeitende von Tech-Firmen betrifft, mit Vorsicht zu geniessen. Denn in vielen Fällen sind die nötigen Daten bereits vorhanden – unter anderem weil wir sie alle als User*innen generieren helfen. Die Frage ist daher mehr, wer in welcher Form und zu welchem Zweck Zugriff hat, oder sich Zugriff verschaffen kann.

Normalisierung rassistischer Praktiken

Das Sammeln von Daten über Muslim*innen ist in den USA zum Beispiel seit dem 11. September 2001 schon so weit normalisiert worden, dass der Schritt zu einem offiziellen Register gar nicht mehr so gross erscheint. Der Aufschrei ob solcher Pläne, so dringend nötig er auch ist, kommt damit in vieler Hinsicht vielleicht bereits zu spät, nämlich erst nachdem die ausgeklüngelten Systeme zur Überwachung und Ausschaffung breiter Bevölkerungsgruppen bereits fest verankert sind. «Man sagt so einfach ‹nie wieder› – und verkennt dabei gerne, was sich gerade anbahnt, oder wie weit die Normalisierung von rassistischen Praktiken fortgeschritten ist, gerade auch wenn sie bereits unter Obama etabliert wurden – und wir uns eben nicht früh genug dagegen zur Wehr setzen», meint Karyn, eine Aktivistin des Anti-Eviction Mapping Projects, deren beide Grossmütter von rassistisch motivierten Regierungsmassnahmen betroffen waren. Während ihre Grossmutter auf mütterlicher Seite als Immigrantin aus China während Monaten auf Angel Island interniert war – zusammen mit ihren amerikanischen Kindern –, wurde die Mutter ihres Vaters als Amerikanerin mit japanischen Wurzeln während des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre in ein Internierungslager in Arkansas verfrachtet. Sie war gerade einmal dreizehn Jahre alt. «Natürlich wird es nie genau gleich aussehen, aber wir müssen solche Mechanismen erkennen lernen und uns kritisch damit auseinandersetzen – anstatt uns in eine Erinnerungspolitik zu flüchten, welche die Erfahrung anderer Gruppen und die Gefahr gegenwärtiger rassistischer Strömungen negiert», betont Karyn.

Es rumort in der Tech-Branche

Dass viele Tech-Firmen nun zu einer verhaltenen Kritik an der Politik des Weissen Hauses übergegangen sind, ist wohl vor allem opportunistischem Eigennutzen und Argumenten der «Wirtschaftlichkeit», wie wir sie auch aus der Schweiz gut kennen, geschuldet. Aber auch Proteste und Mobilisierungen haben dazu beigetragen, so zum Beispiel die Blockade des lokalen Uber-Headquarters am «Bleak Friday» oder die Kampagne «DeleteUber», die zum Rückzug von Uber-CEO Travis Kalanick aus Trumps Beratergremium führte. Und auch bei der eigenen Belegschaft rumort es. Ende Januar haben mehr als 2000 Google-Mitarbeitende ihre Arbeit für eine Protestkundgebung niedergelegt und auch anderorts bildet sich Widerstand gegen die Haltung der eigenen Firma. Inwieweit eine solche Kritik jedoch auch die Situation von weniger privilegierten Immigrant*innen und subtiler operierende Mechanismen berücksichtigt, bleibt dahingestellt. Eine kürzlich stattfindende Kundgebung von Tech-Angestellten liess aber zumindest aufhorchen. Die Protestveranstaltung in Downtown San Francisco vereinigte nämlich nicht nur Software-Ingenieur*innen und Programmierer*innen verschiedener Unternehmen, sondern auch die Gewerkschaften des Reinigungs- und Sicherheitspersonals sowie der Beschäftigten der firmeneigenen Cafeterien. In Anlehnung an die Praktiken von Universitäten und Gemeinden wurden «Sancturary Campuses» für Tech-Firmen gefordert, um papierlose Angestellte besser zu schützen, die entgegen der öffentlichen Wahrnehmung auch in der Tech-Branche eine tragende Rolle spielen. Es sind am Ende eben nicht die «Innovators», die Silicon Valley am Laufen halten, sondern Immigrant*innen aus Lateinamerika, die zu Hungerlöhnen und oft unter gesundheitsschädigenden Umständen arbeiten – und gerne unsichtbar gemacht werden.

Und wer putzt das Büro?

Ofelias Mutter, die seit mehr als 20 Jahren in Nachtarbeit die Grossraumbüros von Silicon Valley Firmen putzt und im Gegensatz zu ihrer in den USA geborenen Tochter nicht über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, ist eine von ihnen. Die Familie lebt in East Palo Alto, das von einer Autobahn von Palo Alto mit seiner prestigeträchtigen Stanford University und anderen reichen und mehrheitlich von Weissen bewohnten Gebieten des Silicon Valley abgeschnitten ist. Im Gegensatz zu San Francisco, das mehrere Millionen dringend benötigter Bundesgelder zu verlieren droht, weiss man in East Palo Alto, das man von der Bundesebene nichts zu erwarten hat. Aufgrund der hohen Mordrate galt der Ort lange Zeit als gefährlichste Stadt der USA. Ofelia und ihre Familie sehen das aber anders. In East Palo Alto, einer Immigrant*innen-Gemeinschaft sondergleichen, wo es nicht auffällt und niemanden kratzt, ob man nun über die richtigen Papiere verfügt oder nicht, fühlen sie sich sicher. Dass besserbezahlte Angestellte von Facebook & Co. neuerdings auch nach East Palo Alto ziehen und sich die durch den Tech-Boom ausgelöste Hypergentrifizierung nun auch noch die letzten bezahlbaren Regionen der Bay Area einverleiben, stellt für papierlose Immigrant*innen wie Ofelias Mutter auf mehreren Ebenen eine Bedrohung dar. Denn wer seine Wohnung verliert, muss zukünftig nicht nur unmenschlich lange Arbeitswege auf sich nehmen, sondern riskiert auch, lebenswichtige Netzwerke und den relativen Schutz von Sanctuary Cities wie San Francisco, Berkeley oder East Palo Alto zu verlieren. Wenn es Firmen wie Google und Apple um mehr als reine Lippenbekenntnisse ginge, müssten sie endlich auch für ihre Rolle in der katastrophalen Wohnungsnot und der Verdrängung und Marginalisierung ganzer Gemeinschaften Verantwortung übernehmen. Dies anstatt ständig weitere Steuerdeals auszuhandeln und mit ihren firmeneigenen Shuttle-Bussen und den von ihnen hergestellten Apps die Privatisierung des Service public ihrer Gaststädte und anderer gewerkschaftlich organisierten Sektoren wie dem Taxi- oder Hotelbereich voranzutreiben. Aber das ist schliesslich – genauso wie die Datengenerierung – ihr eigentliches Kerngeschäft.

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Ist der 8. März noch zeitgemäss? Das F*LK fragt – Frau* antwortet

Braucht es in Zeiten der Individualisierung, wo scheinbar auch für Frauen* alles/vieles möglich ist – zum Preis von gewissen Anpassungsleistungen – überhaupt noch die Frauen*demo am 8. März als Ausdruck des kollektiven Kampfes gegen das kapitalistische Patriarchat? Es ist uns bewusst, dass wir diese rhetorische Frage nur aus einer privilegierten Position stellen können. Es ist uns aber wichtig, dieser Frage nachzugehen, weil durch die Tendenz, Geschlecht nur noch als konstruierte soziale Kategorie zu sehen, reale Unterdrückungsverhältnisse verwischt werden. So haben wir eine Umfrage gestartet, um herauszufinden, wie Frauen* das in unserem näheren und weiteren Umfeld sehen. Ohne näher auf die Genderfrage einzugehen, fragten wir: «Braucht es den 8. März überhaupt noch und warum?»

Haben Frauen* alles erreicht?

«Bester Tag im Jahr. So viele Leute, die sich mobilisieren. Ich ziehe viel Energie daraus. Es ist unser Tag, es gibt eine emotionale Bindung. Und es ist eine radikale Demo.»
«Ich bin nicht so politisch und auch wenn ich nicht an die Demo gehe, treffe ich mich mit Frauen zum Austausch an diesem Tag. Es passiert an vielen Orten etwas – auch für diejenige, die kein Demo-Mensch ist, gibt es Möglichkeiten, den Tag zu begehen. Der Tag hat eine starke Ausstrahlung. Die Demo ist sehr wichtig und sie animiert auch zu anderen Aktivitäten.» «Natürlich braucht es den 8. März, da das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen* weiterhin existiert.» «Wo immer ich hinschaue, die Unterdrückung der Frau* ist immer noch real präsent: Kriege überall, sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt, Ausbeutung in der Familie, am Arbeitsplatz, Lohngefälle, Sexarbeit, Reproduktionsarbeit, Schönheitschirurgie. Die Liste könnte lange werden…» «Der 8. März ist für Frauen* auf der ganzen Welt ein wichtiges Datum. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Es ist noch lange nicht erkämpft, was uns Frauen* zusteht.» «Ja, es braucht den Tag als Frauen – ohne * -kampftag. Als Zeichen gegen Aussen, dass eine Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht ist und als Zeichen gegen Innen, zur Stärkung unserer eigenen Kräfte.»
«Da wir immer noch keine echte Gleichberechtigung, Lohngleichheit und Wahlmöglichkeiten haben, ist die jährliche Erinnerung daran und die kritische Auseinandersetzung damit schon noch aktuell. Ob diese Generation, oder auch jede andere, (ich selbst bin 38 Jahre alt) allerdings die bisherigen Wege, mit Demos und dergleichen, beschreiten sollte, das ist wirklich zu diskutieren. In welcher Form könnte diese Diskussion nachhaltig auch Veränderungen bringen? Was sind die Bedürfnisse über dies hinaus, was beschäftigt junge Frauen wirklich, wo sehen sie sich blockiert?»

Patriarchale Werte im Aufwind

«Ja, es braucht einen internationalen Frauentag, insbesondere in diesen Zeiten, wo das Patriarchat sich so zügellos gebärdet.» «Den 8. März braucht es mehr denn je, denn in Zeiten, in denen Feminismus im Hinblick auf eine angebliche Überlegenheit der eigenen Kultur thematisiert und als Vehikel benutzt wird, einem nationalistischen, rassistischen Chauvinismus Vorschub zu gewähren, muss daran erinnert werden, dass sich der feministische Kampf immer auch gegen die Werte des sogenannten «Abendlandes» richtet. Feminismus ist ein emanzipatorischer Kampf gegen den reaktionären Chauvinismus des «Abendlandes». Am 8. März tragen wir diesen auf die Strasse.»

Der 8. März hat Geschichte

«Es braucht den 8. März, damit wir an all die Frauen* erinnern, die vor uns gekämpft haben und uns den Weg vorbereitet haben.» «Ja, es braucht den 8. März noch! Er symbolisiert eine wichtige Tradition organisierten Frauenwiderstandes gegen patriarchale Herrschaft. Wichtig ist auch die Vielfalt der Manifestationen an kreativen, mutigen, kämpferischen, intelligenten, diskursiven etc. Formen, den 8. März zu begehen. Wir müssen aber aufpassen, dass unsere Slogans und Forderungen nicht bis zum Abwinken zu leeren Floskeln verkommen, sondern ihre Bedeutung behalten. Und vielleicht wären manchmal etwas positivere Slogans – für unsere Visionen statt gegen alles – motivierender.» «Die Tradition der 8. März Demo in Zürich braucht es unbedingt noch! Weil es eine der Gelegenheiten ist, bei denen Frauen* ohne Männer was Grosses auf die Beine stellen. Das macht mega Spass, gibt viel Energie und vor allem ist es ermächtigend. Und auch, weil mir jedes Mal an der Demo auffällt, wie viele Männer sich angegriffen fühlen und sehr aggressiv reagieren alleine durch die Tatsache, dass es Frauen* wagen, sich Raum zu nehmen und laut zu sein, ein Privileg, das sonst nur Männer geniessen. Also, leider noch nichts mit Gleichberechtigung der Geschlechter, darum weiterhin einen kämpferischen 8. März!» «Auch wenn der Diskurs über die Kategorie Geschlecht als wissenschaftspolitische Folge aus der Frauen*bewegung erwachsen ist, heisst das nicht, dass nun Geschlechter in dieser dualistischen Ordnung nur als relationale Kategorie und nicht auch als situative, politische Subjekte begriffen werden müssen. Auch wenn die duale Geschlechterordnung nicht reproduziert wird oder reproduziert sein soll, bleibt sie doch als ein zu kritisierendes und analysierendes Problem bestehen. Darum, auf die Strasse! Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren und treffen uns an den restlichen 364 Tagen, um für eine heterogene, freie Welt zu kämpfen!» «Unser Feminismus muss internationalistisch und antikapitalistisch sein, das heisst auch, alle Unterdrückungsverhältnisse müssen benannt und bekämpft werden. Sonst entstehen immer wieder neue Formen der Macht.»

Das F*LK meint dazu: Solange gehen wir auf die Strasse!

Solange die Gewaltkultur gegen Frauen* und Mädchen* nicht gestoppt und aufgearbeitet wird; solange die patriarchale Justiz Frauen*, die sich gegen ihre Peiniger wehren, massiv härter bestraft, als Männer, die Frauen* angreifen; solange durch die Abwertung des «Anderen» und «Fremden» Ausgrenzung und Gewalt gegen Gruppen der Gesellschaft befördert und legitimiert werden, solange gehen wir auf die Strasse. Solange jedermann sich herausnimmt, Frauen* zu bewerten, solange Frauen* sich den auf sie gerichteten patriarchalen Blick zu eigen machen und sich körperlich und seelisch verformen, um dem perfekten Bild zu entsprechen; solange Mann seine Frau, seine Kinder, seine Mutter oder Schwester als sein Eigentum betrachtet, über das er verfügen kann, wie er will; solange Frau* die Mehrheit der gesellschaftlichen Arbeit erledigt und ihr gleichzeitig suggeriert wird, sie sei nichts wert; solange die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen* überall immer wieder ignoriert, geleugnet und unter den Tisch gewischt werden, solange gehen wir auf die Strasse. Nicht zuletzt gehen wir am 8. März auf die Strasse, um an all jene Frauen* zu erinnern, die seit Jahrtausenden einzeln und kollektiv für eine bessere Gesellschaft gekämpft haben und für ihre und unsere Befreiung ein- und weggesperrt, gefoltert, geschlagen, vergewaltigt und ermordet worden sind. Am 8. März wollen wir uns nicht nur auf eine lange Geschichte von Frauen*kämpfen beziehen, sondern unsere Solidarität zu den heute weltweit kämpfenden Frauen* ausdrücken und uns mit ihnen vernetzen. So kämpft die kurdische Frauen*bewegung mit einer eigenen Frauen*armee gegen den IS, gegen Ehrenmorde und gegen Gewalt an Frauen*. Sie baut auf die eigene Stärke sowohl im militärischen wie auch bei der Konstituierung einer neuen Gesellschaftsordnung. Für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen*, für das Recht auf Abtreibung und gegen Frauen*morde gehen weltweit immer mehr Frauen* auf die Strasse, zum Beispiel in Argentinien, Chile, Bolivien und Mexiko. Frauen* der Gulabi Gang in Nordindien setzen sich für Frauen*rechte und gegen soziale Ungerechtigkeiten ein. Sie tragen rosa Saris und rosa Schlagstöcke aus Bambus. «Wenn unsere Selbstachtung mit Füssen getreten wird, setzen wir sie ein». In der Gruppe sind mehrere Tausend Frauen* organisiert!

Feministisch agieren

Die Schwarze Feministin Audre Lorde schrieb 1984: «Unser zukünftiges Überleben gründet sich auf unsere Fähigkeit, gleichberechtigt miteinander umzugehen. Als Frauen müssen wir verinnerlichte Verhaltensmuster der Unterdrückung in uns selbst mit der Wurzel herausreissen, wenn wir über die oberflächlichsten Aspekte sozialer Veränderung hinausgehen wollen. Jetzt müssen wir Unterschiede zwischen Frauen als Unterschiede zwischen Gleichberechtigten sehen, weder als Zeichen der Überlegenheit noch der Unterlegenheit, und Wege ausfindig machen, um unsere jeweiligen Unterschiede dazu zu nutzen, unsere Visionen und gemeinsamen Kämpfe zu bereichern. […] Die alten Verhaltensmuster, egal wie geschickt sie umfrisiert werden, um nach Fortschritt auszusehen, verurteilen uns zu nur kosmetisch veränderten Wiederholungen derselben alten Wortwechsel, derselben alten Schuldgefühle, desselben Hasses, derselben Vorwürfe, Klagen, Verdächtigungen.» Zehn Jahren später kritisierte die «Rote Zora», eine militante feministische Gruppe in Deutschland: «Mit dem Rückzug auf uns und der vorrangigen Beschäftigung, unser Bewusstsein zu sensibilisieren, befinden wir uns voll im herrschenden gesellschaftlichen Trend zur weiteren Individualisierung und Auflösung gemeinsamer sozialer Erfahrungen.»
Trotz den weltweit brutalen Realitäten lassen wir uns nicht erdrücken, sondern wehren uns, indem wir für eine Welt kämpfen, die nicht nach Geld, Leistung und Profit strebt und die sich nicht über patriarchale Gewalt und entlang herrschaftssichernden Grenzen organisiert. Wir wollen eine Gesellschaft, die von allen Menschen – unabhängig ihrer Herkunft und ihres Geschlechts – mitbestimmt wird. Deshalb braucht es eine starke feministische Selbstorganisierung, in der Frauen* eigenständige Denk- und Handlungssysteme aufbauen und ihre eigenen Vorstellungen von Befreiung entwickeln. Und nochmals Audre Lorde zum Schluss: «Ich bin nicht frei solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Ketten trägt als ich.»

Frauen*LesbenKasama, feministischer Treffpunkt für Heteras, Lesben und andere Weiblichkeiten, Militärstrasse 87a, 8004 Zürich – jeden 1. und 3. Dienstag ab 19 Uhr, frauenlesben@kasama.ch

 

Aus dem vorwärts vom 03. März 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Gewalt gegen Frauen in der Schweiz

Gewalt_gegen_FrauenAus Anlass des 25. Novembers, des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, führte die Zeitschrift «Feminista» in Lausannes Strassen eine Sensibilisierungskampagne durch. Noch immer sind die Statistiken zu solchen Gewalttaten dramatisch. Alle zwei Wochen stirbt eine Frau – schweizweit – unter den Schlägen ihres (Ex-)Partners; und eine von fünf Frauen erleidet physische und/oder sexuelle Gewalt im Lauf ihres Lebens. Diese Zahlen korrelieren mit der Medienpolemik neulich rund um die Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Fabrice A., einen rückfälligen und mörderischen Vergewaltiger. Sie korrelieren auch mit der beängstigenden Statistik des Bundesamtes für Gesundheit, wonach einer von drei Vergewaltigern nicht ins Gefängnis muss. Sie entsprechen ebenfalls den Aussagen von US-Präsident Trump über seine frustrierte und sträfliche Lust, Frauen ohne Erlaubnis an die Genitalien zu fassen. Unsere ParlamentarierInnen haben zusammen mit anderen ExpertInnen auf diese Diskussion reagiert und ihre Meinung in der Presse kundgetan, auch Andrea Geissbühler, die neugewählte SVP-Nationalrätin. Geissbühler erklärte, dass Frauen «naiv» und «wenig verantwortungsbewusst» seien, wenn sie einen Mann nach Hause mitnähmen. Trotz des Protestgeschreis, das solche Meinungen hervorriefen, schien es niemand im Nationalrat eilig zu haben, die Sachdienlichkeit des aktuellen Gesetzes zu hinterfragen – mit der löblichen Ausnahme von wenigen RätInnen. Unsere politischen Behörden wollen lieber über den Wolf reden – merke die Ironie! – als über die Gewalt, die den Frauen angetan wird.

Wenige Anklagen
Das Schweizer Gesetz stuft die sexuelle Gewalt trotz Lücken hierarchisch ein: Eine Vergewaltigung kann nur von einem Mann via vaginale Penetration begangen werden. Andere Aggressionen werden als sexueller Zwang eingeordnet und weniger streng bestraft. Diese Vorstellung scheint noch aus der Zeit zu datieren, als die Ehevormundschaft üblich war. Sollten wir – wie in Frankreich – die Definition der Vergewaltigung auf alle Formen von Penetration mit Gegenständen und auf alle Geschlechter ausdehnen? Oder können wir für ein Gesetz wie in Kanada votieren, das sexuelle Gewalt nicht hierarchisch einordnet; wobei sich die Schwere der Taten am Grad des Zwanges misst und an der Zuhilfenahme von Drohungen, physischer und psychischer Quälerei?
Diese Fragen bestätigen uns, dass die Schweizer Gesetzgebung in ihrer Definition nicht mehr an die Wirklichkeit von sexueller Gewalt angepasst ist. Diese Tatsache verschlimmert sich, wenn wir die Gesetzesanwendung betrachten. Zunächst: die Höchststrafe von zehn Jahren wird selten angewendet. Stattdessen sind bei Verurteilungen für sexuellen Zwang Geldstrafen häufig. Dann sind die Verurteilungen auch zurückgegangen nach der Änderung des Strafgesetzes von 2007. Seit 2006 haben von 1155 Klagen 327 zu einer Bestrafung geführt; das sind weniger als ein Drittel der Klagen. Der Durchschnitt der Verurteilungen übersteigt 3,5 Jahre nicht. Schliesslich, um das Bild noch dunkler zu zeichnen, erheben nur 20 bis 30 Prozent der Opfer von Vergewaltigung und Aggression Anklage, so der Verein Viol-Secours, das Nottelefon der Romandie.
Der Einsatz des Gesetzes appelliert an seine abschreckende Wirkung, eine umso angebrachtere Befragung, als eine experimentelle Studie herausgefunden hat, dass 30 Prozent der Männer sexuelle Aggression oder eine Vergewaltigung riskierten, wenn sie sicher wären, dass sie deswegen nicht belangt würden.

Unsichtbare Vergewaltigung
Trotz ihrem vermehrten Vorhandensein sind diese Gewalttaten in der öffentlichen Politik kaum bekannt und werden oft ins Private abgedrängt. Woher kommt dieser Mangel an Anerkennung? Einen Teil der Erklärung liefert die Vergewaltigungskultur unserer patriarchalen Gesellschaft. So wird die Verantwortung für Vergewaltigungen und Aggressionen auf den Rücken der Opfer verschoben; die Schuld der Angreifer wird reduziert, wenn nicht einfach widerlegt; ganz allgemein wird diese Art von Verbrechen minimiert und banalisiert. So ist zum Beispiel in den Medien öfters die Rede von Vergewaltigung durch einen Unbekannten in einer dunklen Strasse, während doch die von einem Angehörigen begangenen sexuellen Angriffe die überwältigende Mehrheit der Fälle darstellen. Die Kultur der unsichtbaren Vergewaltigung hat einen bedeutenden Anteil an den an Frauen begangenen sexuellen Gewalttaten. Sie findet sich auch in den Medien und in den Reklamen wieder, wo die Frauen angehalten werden, sich für die Männer sexuell bereitzuhalten. Dieser Befehl wird systematisch gekoppelt mit der Verdinglichung des weiblichen Körpers. Diese Frauen entmenschlichende Kultur schafft so ein günstiges Terrain für sexuelle Gewalt.
Dennoch – die Vergewaltigungskultur beschreibt nicht das ganze Problem, denn sexuelle Gewalttaten dürfen nicht als von andern Gewaltformen gegen Frauen isoliertes Phänomen verstanden werden. Gewalttaten gehören zu einem Kontinuum von Gender-Gewalt (Gewalt zwischen den Geschlechtern). Dazu gehören vor allem sexistischer Humor, unerwünschte Annäherungsversuche, psychische Gewalt bis zu Formen extremer Gewalt, ja Mord.

Andere Formen der Gewalt
Um die Frage der Gewalt gegen Frauen wirksam zu behandeln, müssen alle Formen von Gewalt gegen Frauen mit derselben Politik behandelt werden, eine Politik, bei der auch Vorbeugen, Erziehen und Hilfe an die Opfer mindestens ebenso wichtig wie die repressive Seite sein sollten. Denn Bestrafen genügt nicht. Es braucht eine Änderung der Mentalität aller, vor allem der möglichen und aktuellen Gewalttäter, damit sexuelle Gewalt ein anerkanntes gesellschaftliches Phänomen wird und kein zwischenmenschliches Problem bleibt, einzig ans Private gebunden. Zudem würde es eine solche Politik ermöglichen, Gewalt gegen Frauen nicht einzig auf sexuelle Gewalt in der Ehe zu beschränken. Die sexuelle Belästigung bei der Arbeit, auf der Strasse, der «Mikro-Machismo», der gewöhnliche Sexismus und andere Formen der Gewalt könnten besser verstanden und in genauen und vollständigen Statistiken aufgeführt werden. Alle diese Massnahmen würden mithelfen, Gewalt gegen Frauen als eine soziale Tatsache quer durch unsere patriarchalen Gesellschaften anzuerkennen, Gesellschaften, die zu einem Gendersystem gehören, das das männliche Geschlecht zum Nachteil der Frauen bevorzugt. Leider scheint die Schweizer Eidgenossenschaft noch weit entfernt von einer solchen Bewusstwerdung zu sein. Unsere Behörden tun sich schwer damit, zu begreifen, dass ein einziges Gesetz die Ungleichheiten nicht zum Verschwinden bringt – siehe die Lohnungleichheiten. Selbst wenn alle wirklich Anstoss an gewissen extremen Fällen von Vergewaltigung nehmen, so scheint sich doch keine Änderung am Horizont abzuzeichnen. Und während die PolitikerInnen die schwierige Diskussion hinauszögern, traumatisieren die Gewalttaten der Männer die Frauen, verletzen und töten in aller Straflosigkeit und himmelschreienden Stille.

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