«Er verdient es, dass man sich an ihn erinnert.»

dom. Mit «Ein Psychiater erinnert sich an einen Anstössigen» würdigt Mario Gmür das Schaffen Niklaus Meienbergs, der während so vieler Jahre ein mühsamer Stachel im Arsch derer gewesen war, die es sich in der Schweiz bequem gemacht hatten.

In der aktuellen Literaturgeschichte oder als Vorbild heutiger Medienschaffender ist Meienberg längst nicht so präsent, wie man das noch vor wenigen Jahrzehnten hätte erwarten können. Er, der die von öden Agenturmeldungen geprägte Schweizer Medienlandschaft erschütterte wie kein anderer, der mit seinem eigenwilligen Stil und seiner politischen Ausrichtung aneckte, rechts und (gelegentlich auch) links.
Und doch: «In der neuesten, über 500-seitigen Schweizer Literaturgeschichte aus dem Jahr 2007 wird sein Name nicht ein einziges Mal erwähnt» weiss Literaturkritiker Julian Schütt: «Vor allem auch, weil er vielen Menschen immer wieder auf die Füsse trat». Ein gängiges Bild, wenn heute über Meienberg gesprochen wird: Der rücksichtslose Rüppel, der nicht nur literarisch den Finger dort draufhielt, wo es wehtat – sondern der Rüppel, der sich auch persönlich mit allen anlegte, der sich mehr und mehr unmöglich machte.

Ein Haufen Klischees
In dieses Bild gehört die Betonung seiner verwilderten Erscheinung, ohne die kaum ein Text zu Meienberg auskommt: «So sehen Landsknechte aus. Ein Brocken von Mann, 1,90 Meter gross, wildes Haar und mühsam gestautes Temperament. Sass er auf einem Podium, musterte er mit gebieterisch-ungnädigem Blick seine Mitstreiter», erinnert sich die NZZ. Beobachtungen zu Körpergrösse und Haarwuchs verbinden sich hier mit fernpsycholgischen Urteilen zum stimmigen Gesamtbild eines groben, unumgänglichen Typen. Ein «Bürgerschreck» und «linker Vogel» halt.
Gmür will nicht bestreiten, dass Meienberg vielen Leuten auf die Füsse getreten ist. Er bestreitet nicht dessen Eigenwilligkeit, dessen gewaltige Erscheinung – aber er will es dabei nicht belassen, sucht nach Gründen, fragt nach Wirkungen. Er zeigt, wie Meienberg gelitten hat unter der Wahrnehmung und den Zuschreibungen seiner Mitmenschen. Und da hat Gmür als dessen Psychoanalytiker einen einzigartigen Zugang.

Der Ausgegrenzte
Gmür diagnostiziert bei Meienberg eine Depression existenzieller Art, nicht genetisch bedingt. Als «journalistischer Tagelöhner» bewegte sich sein Konto stets um Null. Sein tägliches Brot hatte er mit journalistischen Einzelleistungen zu verdienen. «Auch bei hohen Gagen war der übernächste Monat und das nächste Jahr nicht gesichert».
Eng verbunden mit finanziellen Nöten ist die wiederholte Erfahrung von Ausgrenzung und Abwertung. Da geht es nicht nur ums Geld. Meienberg «lebte von Aufträgen, er war der einzige Künstler, der als Persona non grata begehrt, ‹Persona gratissima› war. Er war ein begabtes Ekel. Als Redaktor für unhaltbar erklärt. Als Journalist umworben. Nur als Gast akzeptabel, nicht als Mitbewohner … Ein Diskriminierungsopfer von hohem Niveau … Er war gefragt auf Abruf, aber nicht eingebürgert».
Gmür weiter: «Er fühlte sich schlecht, weil er ausgestossen war, als Aussätziger. Nicht von der Öffent-lichkeit, sondern von seinen engsten politischen Freun-den:innen. Er wurde privat als Stinktier gehandelt, und das drängte ihn in den Tod. Er wurde als Grobian, als Untier, als Frankenstein, als Büffel, als Dreckschleuder gehandelt». Und vielleicht war er das ja auch, aber hey: Wer in dieser sterilen, selbstherrlich in sich ruhenden Schweiz Interessenlagen aufdeckt, steht bald einmal im Abseits.

Der Unsaubere
«Er war ein Wahrheitsfanatiker», schreibt Gmür, «ertrug den Bluff nicht, den nicht gedeckten Scheck des Politischen (…), die verlogene Schweiz». Dass man sich damit wenig Freunde schafft, liegt auf der Hand. Als Dissident, der weder Kompromisse einging noch Zensur duldete, wurde er unmöglich. Weil man aber «politische Unmöglichkeit» in der freien Schweiz nicht zugeben konnte, wurde «die Meienbergsche Unmöglichkeit auf die andere Schmutzebene» verlagert, meint Gmür.
Es ist diese Spaltung «sauber – unsauber», die gerade in Fragen der Liebe und der Sexualität deutlichen Ausdruck findet. Über Meienbergs Verhältnis zu Frauen ist viel gesagt und geschrieben worden – Gmür ergänzt um eine neue Perspektive: Neben einer offiziellen Beziehung zu einer Gymnasiallehrerin führte Meienberg eine heimliche Beziehung zu einer Juristin, deren Vorzeigepartner ein Jurist mit bürgerlichem Status war. «Er war der Meienberg fürs Bett, (…) die exotische schmuddelige Matratze für die Juristin». Das empfand er als Abwertung: «Ihre Vorbehalte gegen eine offizielle Beziehung zu Meienberg, die eine Loslösung vom Juristen vorausgesetzt hätte, brachte ihn zur Raserei (…) Er wollte nicht Erster im Bett, aber Zweiter in der Öffentlichkeit sein».

Kompensationsleistungen
Gmür entdeckt verschiedene Verhaltensweisen Meienbergs als Reaktion auf Ausgrenzungs- und Abwertungserfahrungen. Das kann auch mal was Unscheinbares sein wie die Bemerkung Meienbergs, er sei «im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen kein Suchthaufen». Das habe gewirkt, «wie wenn er durch diese Aussage sich ein Stück Normalität, Angepasstheit, Rechtschaffenheit beweisen wollte, die man ihm so nicht zugestand».
Oder seine spätere Hinwendung zur Poesie? «Es war, als ob er die Vorurteile, er sei ein polemischer Muni mit einem elegischen Samenerguss, hätte Lügen strafen müssen. Er könne auch Gedichte schreiben, wenn es sein müsse». Wie auch immer – irgendwann wurde es zu viel. Irgendwann liessen sich die Abwertungen nicht mehr kompensieren, Poesie hin oder her. Ein schwerer Töff-Unfall und ein spätabendlicher Überfall («Er wurde nicht ausgeraubt. Er war überzeugt, aus politischen Gründen von gedingten Killern niedergeschlagen worden zu sein aus Rache für einen polemischen Artikel. Er sollte demoralisiert, als Reporter ausser Gefecht gesetzt werden») wirkten als Katalysator. Vor rund dreissig Jahren beging Niklaus Meienberg Suizid.

«Da muesch unbedingt publiziere»
Meienberg ein Kotzbrocken? Ein Misogyn? Ein irrer linker Vogel? – keine Ahnung. Aber mit Gmür lässt sich zumindest ein Teil dieser Zuschreibungen als Ergebnis von Meienbergs politischem und journalistischem Antrieb begreifen. Vor allem aber richtet Gmür den Fokus auf Meienbergs Leiden an diesen Zuschreibungen und beschreibt dessen (un)freiwilligen Tod als sozialpsychologische Konsequenz seines Kampfes mit der Feder. Als investigativer Journalist und Schriftsteller setzte er sich «wie kein Zweiter» der Öffentlichkeit aus und bezahlte dafür einen hohen Preis. Dass sein «Drang zur Wahrheit», sein «Einstehen für die Schwachen» weniger auf Anerkennung stiess als schwere Angriffe auslöste, liess ihn verzweifeln.
«Depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Ar-beitsstörungen, Verlangsamung des Denkens und Suizid-impulse» erscheinen hier als Symptome eines Mannes, der für seine Neugier und sein Engagement in die Krankheit getrieben wurde. Diese Perspektive eröffnet uns Mario Gmür in einem schwungvoll verfassten Memento. In einem Guss geschrieben, assoziativ, überschaubar, aber nicht oberflächlich, kann die Leser:in Gmürs Gedanken nachgehen, während dieser im Flugzeug über Meienberg nachdenkt.
Ohne Umschweife nimmt Gmür uns mit in seine Praxis, in Meienbergs Innenleben, und manch eine:r dürfte sich fragen: Wie steht es eigentlich um die ärztliche Schweigepflicht? Im Schlusssatz erst öffnet Gmür den Zwiespalt, in dem diese Frage steht und die er mit Publikation des Textes freilich bereits entschieden hat: «Das ärztliche Geheimnis gilt absolut. Ich höre die Stimme von Meienberg: ‹Da muesch unbedingt publiziere›».

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